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FamRB-Blog

Komplexität und Verfahrensdauer als Stressoren eliminieren

Jörn Hauß  Jörn Hauß
Fachanwalt für Familienrecht

Ich las kürzlich in einer psychologischen Fachzeitschrift, Trennung und Scheidung seien für ca. 80 % der Patienten eine der wichtigen Ursachen, die den Behandlungsbedarf ausgelöst hätten. Ob die Zahl stimmt, kann ich nicht prüfen. Sie klingt aber plausibel und ist gleichzeitig erschütternd. Als Familienrechtler verbietet es sich, fachfremde Überlegungen über die Auswirkungen des Verlustes eines Lebensabschnitts und manchmal auch einer Perspektive anzustellen. Wir können aber darüber diskutieren, welchen Beitrag das materielle und verfahrensrechtliche Familienrecht leisten kann, Trennung und Scheidung für die Menschen leichter erträglich zu gestalten.

1. Entdramatisierung der Scheidung: Standesamtsscheidung

Selbst auf die Gefahr hin, mit der Anwaltschaft in einen standespolitischen Konflikt zu geraten, sollten wir darüber nachdenken, ob es wirklich erforderlich ist, die Auflösung der Ehe durch das Gericht aussprechen zu lassen. Schließlich wird die Ehe auch nicht vom Gericht geschlossen, sondern von den Ehegatten, die sich – beurkundet vom Standesbeamten – versprechen, lebenslang ein Paar zu sein.

Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
und mich soll ein Versprechen halten?

heißt es im Faust und nicht nur dort. Die Ehe ist ein Vertrag. Die Auflösung eines Vertrages geschieht durch Kündigung und in der Regel in der gleichen Form des Vertragsschlusses. Um das versprochene Bündnis aufzulösen, bedarf es nicht des Richters. Das können die Ehegatten selbst. Und um die mit der Ehe verbundenen steuerlichen und sozialrechtlichen Privilegien beweisfest zu beseitigen, bedarf es der staatlichen Beurkundung des Anfangs und des Endes des Vertrages. Mehr nicht. Gibt es streitige Ehescheidungen? Ich habe in 30 Jahren Familienrecht keine erlebt, wohl aber Streit um Unterhalt, Kinder, Versorgungsausgleich und die Vermögensverteilung, aber nie um den Fortbestand einer gescheiterten Ehe.

Wo bleibt dann der staatliche Schutzschild für die Gatten vor Übervorteilung und für die Kinder? Dafür müssen die Gerichte zuständig bleiben. Aber auch nur dafür. Ein Unterhaltsanspruch besteht unabhängig vom Scheidungsausspruch. Er setzt einen anerkennenswerten Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit voraus. Daran ändert auch die Standesamtsscheidung nichts. Auch heute können Ehegatten geschieden werden, ohne dass der Unterhalt gesichert ist. Sie brauchen den Unterhaltsanspruch nur nicht geltend zu machen.

Die Standesamtsscheidung löst nicht alle Probleme, sie schafft aber auch keine und entdramatisiert den Trennungsprozess.

2. Komplexitätsreduktion: Auflösung des Scheidungsverbunds

Die Auflösung einer oft Jahrzehnte gehaltenen Ehe hat viele Aspekte. Der Anspruch der Scheidungsverbundfreunde, mit einem ‚clear break‘ klare Verhältnisse für alle Beteiligten zu schaffen scheitert an der Realität. Wer nachehelichen Unterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich, vielleicht auch noch Kindschaftssachen in den Verbund aufnimmt, schafft keinen clear break, sondern ‚clear mist‘.

Im Fall einer Rentnerscheidung kann der nacheheliche Unterhalt ohnehin erst mit Rechtskraft der Versorgungsausgleichsentscheidung und deren Durchführung bestimmt werden. Und wie nachehelicher Unterhalt bei streitiger güterrechtlichen Auseinandersetzung bestimmt werden soll, weiß ich auch nicht.

Diese Komplexität kann nur durch radikale Reduktion aufgelöst werden. First things first. Also erst einmal Unterhalt. Danach kann über das Vermögen gestritten werden. Hat dieser Streit Auswirkungen auf den Unterhalt, mag dieser nachkorrigiert werden. Aber wie häufig wird das nötig sein?

Und der Versorgungsausgleich? Ist die Ehe im Rentenbezugsfall geschieden und der Versorgungsausgleich noch nicht durchgeführt, kann eine Bedarfslücke ohne weiteres mit Unterhalt überbrückt werden. Dann vermieden wir auch die Schwierigkeiten, die durch den Kapitalverzehr bei laufenden Versorgungen entstehen (BGH v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, FamRB 2016, 176).

Der Scheidungsverbund führt oft dazu, dass auch die Fachleute den Überblick verlieren. Wie mag es da den Ehegatten gehen, deren Scheidung jahrelang vor sich hindümpelt.

3. Beschleunigung

Die Auflösung des Scheidungsverbundes würde bereits zu einer Beschleunigung beitragen. Jede Beschleunigung eines familienrechtlichen Verfahrens führt zu einem ‚Mehr‘ an Lebensqualität für die beteiligten Ehegatten. Wenn in Unterhaltsverfahren nach Eingang des Antrags innerhalb von sechs Wochen terminiert und dem Gegner eine 4-wöchige Erwiderungsfrist gesetzt würde, könnten auch VKH-Verfahren in acht bis zehn Wochen erledigt sein. Wer für die Beteiligten schnell wieder neue Lebensqualität schaffen will, muss die Verfahrenszeiten verkürzen.

Wir Familienrechtler können die Belastung der Menschen durch Trennung und Scheidung nicht aufheben. Wenn wir diese Belastung aber auch nur um 1 % vermindern könnten, sollten wir es versuchen. Darüber lohnt es sich mehr zu debattieren, als über Detailfragen des Unterhaltsrechts, die zu 30 € mehr oder weniger Unterhalt führen. Die Lebensqualität der Geschiedenen wird durch schnellere, überschaubarere und weniger dramatische Verfahrensweisen mehr verbessert als durch dreißig Euro mehr oder weniger Unterhalt. Eine familienfreundliche Scheidung durchzuführen, erfordert gewisse Eingriffe ins materielle und Verfahrensrecht. Eine Revolution wäre es nicht. Vieles könnte bei sinnvoller Verfahrensführung auch schon heute möglich gemacht werden.

 

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