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FamRB-Blog

Blick über den Zaun: Sperrzeit & Liebe (zu LSG Nds.-Bremen v. 12.12.2017 – L 7 AL 36/16)

Jörn Hauß  Jörn Hauß
Fachanwalt für Familienrecht

Familienrecht wird nicht nur durch das Bundesverfassungsgericht und die Familiengerichtsbarkeit beeinflusst. Familienrecht ist überall und deshalb auch im Sozialrecht.

Lovestory:

Die 58-jährige F arbeitet mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden als Verkäuferin. Ihr Lebensgefährte, mit dem sie seit zwei Jahren zusammen und seit einem Jahr verlobt ist, wohnt 175 km von ihrem Wohnort entfernt. Aus diesem Grund verbringen die beiden lediglich Wochenenden, Freizeit und Urlaub gemeinsam und versorgen sich bei Krankheit wechselseitig. Um mit ihrem Partner zusammenzuleben, kündigt F ihren Arbeitsvertrag und zieht zu ihm. Zuvor hat sie sich intensiv am Wohnort ihres Freundes – wenn auch vergeblich – um Arbeit bemüht.

Verwaltungsstory:

Die Arbeitsverwaltung reagiert bürokratisch und verhängt gegen sie eine zwölfwöchige Sperrfrist nach § 159 SGB III, da die Begründung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kein „wichtiger Grund“ zur Kündigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses sei; ein solcher sei aber erforderlich, um von der zwölfwöchigen Sperrung des Arbeitslosengeldes abzusehen. Die Arbeitsverwaltung stellt sich auf den Standpunkt, ein Sperrzeitenschutz der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft bestehe erst, wenn ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen mit dem Lebenspartner gegeben sei, weil erst dadurch die Ernsthaftigkeit der Beziehung dokumentiert werde (BSG v. 17.10.2007 – B 11a/7a AL 52/06 R).

Gerichtsstory:

Das Sozialgericht Hannover und das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen folgen diesem moralischen Rigorismus nicht. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „wichtigen Grundes“ sei ausgehend von Sinn und Zweck der Vorschrift unter Beachtung der systematischen Einordnung im gesamten Gesetzeswerk inhaltlich auszufüllen. An erster Stelle des Abwägungsvorgangs müsse die Erkenntnis stehen, das die Sperrzeit weder eine Strafvorschrift noch ein Instrument zur Disziplinierung und Durchsetzung von gesellschaftlichen, religiösen oder moralischen Vorstellungen darstelle, sondern nur dem Schutz der Versichertengemeinschaft vor einer Manipulation des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit diene. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht mehr zeitgemäß, sondern zweifelhaft, die Anwendung der Sperrzeitvorschrift bei Arbeitsaufgabe wegen Umzugs bereits im Ansatz an einen familienrechtlichen Status anzuknüpfen. Als wichtige Gründe seien auch andere nicht statusabhängige Gründe anerkannt (gesundheitliche Gründe, Lage am Wohnungsmarkt, Schwangerschaft, Scheidung). Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die einen Zusammenzug Nichtverheirateter als sperrzeitvermeidenden wichtigen Grund nicht akzeptiere, habe sich überlebt. Die Förderung von Ehe und Familie können nicht mehr durch sozialrechtliche Diskriminierung anderer Lebensentwürfe erfolgen. Zwar habe das Bundessozialgericht entschieden, ein ‚wichtiger Grund‘, der ein Absehen von der Sperrfrist ermögliche, sei die Aufrechterhaltung einer verfestigten nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Diese Rechtsprechung sei jedoch nicht mehr zeitgemäß. Dem statusrechtlich bedeutsamen Verlöbnis sei kein sozialrechtliches Gewicht beizumessen. Entscheidend sei allein, ob die Partnerschaft nach außen erkennbar eine solche Dauerhaftigkeit und Kontinuität zeige, die von einem gegenseitigen Verantwortungsbewusstsein geprägt sei, dass diese in der Abwägung gegenüber den Interessen der Versichertengemeinschaft Vorrang genieße. Ein vorheriges gemeinsames Wohnen sei kein unerlässliches Kriterium.

Happy End:

Der auch im Familienrecht diskutierte Gedanke, die Förderung von Familie nicht an den Status der Ehe zu binden, beginnt auch im Sozialrecht Fuß zu fassen. Der Staat hat Lebensentwürfe seiner Bürger unabhängig von ihrem rechtlichen Status zu fördern und jegliche Diskriminierung zu unterlassen. Schließlich geht es um die Wahrung der persönlichen Bindungen der Bürger, völlig unabhängig davon, wie diese Bindungen und Beziehungen verrechtlicht sind. Wenn nichteheliche Lebensgemeinschaften niemandem schaden, können sie auch gefördert werden. Nur sollte man sie nicht übereifrig verrechtlichen. Viele Lebensgemeinschaften entstünden dann gar nicht erst.

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