Antwort auf Klaus-Dieter Neander (Blogbeitrag vom 25.10.2019)

Dr. Maria Seehausen  Dr. Maria Seehausen
Dipl.-Psychologin, Wirtschaftsmediatorin, Business & Personal Coach

Zunächst einmal möchte ich mich bei Herrn Neander für seinen Kommentar zu meiner jüngsten Veröffentlichung in der ZKM (Die emotionale Wirkung von Paraphrasieren, Seehausen, ZKM 2019, 164 ff.)  und das von ihm ausgesprochene Kompliment bedanken. Ich freue mich über die Resonanz auf den Artikel und begrüße die genauere Auseinandersetzung mit den Ergebnissen, die Herr Neander angeregt hat. Eine kritische Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Untersuchungen und deren Aussagen und Limitationen auch unter „Laien“ ist sehr wichtig. Dies gilt für die Neurowissenschaft vielleicht mehr als für andere Disziplinen, zum einen, weil es sich um eine vergleichsweise junge Wissenschaft handelt, zum anderen, weil in den letzten Jahren eine regelrechte Modeerscheinung rund um die Neurowissenschaft entstanden ist, innerhalb derer ursprünglich seriöse wissenschaftliche Forschung in Praxiskreisen (z.B. im Bereich Training und Coaching) leider manchmal mit einer pauschalisierten Darstellung der Ergebnisse zur Unterstützung von Behauptungen und Methoden herangezogen werden, deren Wirkung sich damit gar nicht beweisen lässt und auch nie bewiesen werden sollte. Dies geschieht sicherlich im besten Wissen und Gewissen aller Beteiligten, trotzdem plädiere ich persönlich für einen höchst achtsamen Umgang mit Sätzen wie „Die Neurowissenschaft hat gezeigt, dass…“ und kann mich Herrn Neanders Mahnung nur anschließen, nicht alles blind zu glauben, was das Wort Neurowissenschaft im Satz hat. Meiner Meinung nach entsteht dieser Effekt allerdings nicht in wissenschaftlichen Fachkreisen, in denen die Limitationen unserer Methoden gut bekannt sind, sondern später im Verbreitungsprozess, wenn Ergebnisse allzu eifrig generalisiert und instrumentalisiert werden. Die Neurowissenschaft befindet sich als Disziplin noch im Stadium der Adoleszenz und ist weit davon entfernt, unser gesamtes Denken, Fühlen und Verhalten zu entschlüsseln. Dafür ist das Gehirn viel zu komplex. Auch dienen ein bis drei Studien nicht dazu, irgendetwas zu beweisen, dafür braucht es eine viel größere Anzahl an Versuchsreplikationen. (Noch weniger lassen sich übrigens Dinge einfach „gründlich widerlegen“.) Unsere Untersuchungen konnten bestimmte Effekte dreimal nachweisen, ob diese Effekte allgemeine Gültigkeit beanspruchen können, wird sich noch zeigen. Als Wissenschaftler vergessen wir vielleicht manchmal, das zu sagen, weil es für uns so selbstverständlich ist. Umso besser, wenn uns jemand daran erinnert, und noch besser, wenn ein qualifizierter Austausch zwischen Wissenschaftlern und Praktikern stattfindet.

Zu Punkt 1 in Herrn Neanders Kommentar: Lassen sich Emotionen messen?

Die Messung von Gefühlen erfolgte in unseren Studien durch die simple Selbstauskunft der Probanden („Wie gut oder schlecht fühlen Sie sich gerade?“) auf einer Skala von -4 bis 4. Die psychophysiologischen Daten bieten zusätzliche Informationen über die Intensität der Emotionen, da sie widerspiegeln, wie hoch das physiologische Erregungsniveau der Person in einem gegebenen Moment ist. Was jemand jedoch genau fühlt (Ärger, Angst, etc.), kann mit psychophysiologischen wie auch neuronalen Daten nur in sehr begrenztem Rahmen, wenn überhaupt, identifiziert werden. Entsprechend haben wir die Daten auch nicht in diese Richtung interpretiert.

Die neuronale Basis von Emotionen (im Sinne von: Welche Areale sind in die Generierung und Regulierung von Emotionen involviert?) ist mittlerweile gut untersucht und von zahlreichen Studien repliziert worden (für eine Übersicht siehe z.B. Ochsner et al., 2012). Das Ziel unseres Forschungsprojekts war an dieser Stelle allerdings nur, erste neuronale Korrelate zu den Prozessen zu liefern, die durch das Empfangen von empathischen und unempathischen Äußerungen ausgelöst werden. Da wir die ersten neurowissenschaftlichen Studien zu diesem Thema durchgeführt haben, können unsere fMRT-Daten nur als erster Schritt zum besseren Verständnis der Verarbeitung von empathischem Paraphrasieren gelten, auf dem dann von späteren Studien aufgebaut werden kann. Dass Paraphrasieren Emotionen und Gefühle regulieren kann, wird vor allem durch die Selbstauskunft der Probanden sowie die physiologischen Daten gestützt. Die neuronalen Daten beleuchten demgegenüber genauer, welche Prozesse im Gehirn vermutlich bei der Verarbeitung von Paraphrasen vonstattengehen (auf der Basis der Areale, die aktiv werden und bereits von einer verlässlichen Anzahl anderer Studien mit bestimmten kognitiven und emotionalen Prozessen in Verbindung gebracht wurden). Dies ist zugegebenermaßen für Wissenschaftler vermutlich interessanter als für Mediatoren, weshalb ich die Darstellung der neuronalen Ergebnisse auch kurzgehalten habe.

Zu 2: Es fehlen Aussagen zur Signifikanz der erhobenen Daten

Die Veröffentlichung konkreter statistischer Daten in populärwissenschaftlichen Schriften ist eher unüblich, da sie auch dem erklärten Ziel derselben, ein breiteres Publikum zu erreichen, ohne es mit Fachsprache zu erschlagen, entgegenstehen würde. Die Auseinandersetzung mit der Qualität wissenschaftlicher Untersuchungen findet vorher auf der Basis der Fachpublikationen statt. Nichtsdestotrotz begrüße ich auch hier den kritischen Dialog außerhalb von Fachkreisen und liefere die wichtigsten Ergebnisse gern an dieser Stelle nach. Ich bitte die weniger Statistikbegeisterten, einfach die nächsten beiden Absätze zu überspringen.

Selbstauskunft:

In allen drei Studien berichteten die Teilnehmer über weniger negative Gefühle während/nach der empathischen Intervention, sowohl im Vergleich zu unempathischen Interventionen (Studie 2: [Haupteffekt von Empathie: F(1,19)=15,014, p <0,001]; Studie 3: [t(21) = 5,48; p <0,001]) und der neutralen Kontrollbedingung (Studie 1:[t (19) = 3,395,p <0,005; Effektgröße d = 0,76]). Darüber hinaus fühlten sich die Teilnehmer in Studie 3 im Vergleich zu vor der empathischen Paraphrase [t(21) = 5.11, p <0.001] positiver und nach der unempathischen Reaktion negativer als vorher [t(21) = 2.32, p <0.05]. Studie 2 zeigte, dass der positive Effekt auf die Gefühle der Teilnehmer bei emotional empathischer Reaktion [t(19)= 5.122, p<0.001, Effektgröße d=1.15] stärker war als bei kognitiv empathischer Reaktion [t(19)= 2.410, p <0.05, Effektgröße d=0.54], aber beide Arten von Empathie erzielten einen signifikanten und starken Effekt.

Psycho-physiologische Ergebnisse:

Entgegen unserer ursprünglichen Hypothese zeigten SCR- und HR-Daten, dass die autonome Erregung bei empathischer Paraphrasierung höher war als bei unempathischen Interventionen (Studie 1: SCR[t (15) = 2,589; p = 0,021; Effektgröße d = 0,65]; HR[t (16) = 6,491; p = 0,000; Effektgröße d = 1,57]; Studie 3: SCR[t(21) = -2,15; p = 0,0449]). Auch in Studie 1 war die BVP-Amplitude während der Paraphrasierung geringer als während der Kontrollbedingung [t (16) = 2,119; p = 0,050; Effektgröße d = 0,51] und auch niedriger als bei der anschließenden Interviewfrage [t (13) = 2,381; p = 0,033; Effektgröße d = 0,64]. Studie 1 zeigte außerdem, dass das durchschnittliche Stimmvolumen der Teilnehmer geringer war, wenn sie auf eine Interviewfrage nach einer Paraphrase antworteten [t(15)=2,466; p<0,05; Effektgröße d=0,62]. Andererseits war in Studie 2 das Atemvolumen während empathischer Interventionen größer, sowohl im Vergleich zu unempathischen Interventionen [Haupteffekt von Empathie: F(1,17)=8,105, p=0,011], als auch zu vorangegangenen negativen Leistungsfeedback [kognitive Empathie: t(17)= – 3,681, p=0,002; emotionale Empathie: t(17)= -4,355, p<0,001]. Die Probanden atmeten also flacher, wenn sie negatives Feedback oder unempathische Interventionen erhielten, und tiefer, wenn sie empathische Antworten erhielten.

Zu 3: Es fehlen Aussagen zu Limitationen der unterschiedlichen Untersuchungen

Selbstverständlich unterliegt jede wissenschaftliche Untersuchung methodischen und konzeptionellen Limitationen. Die Auseinandersetzung mit denselben ist zwar wichtig,

würde den Rahmen einer populärwissenschaftlichen Veröffentlichung jedoch ebenfalls stark beanspruchen, daher sei an dieser Stelle nur auf die drei wichtigsten verwiesen:

  1. Da es so gut wie keine vorhergehenden quantitativen Untersuchungen zu diesem Thema gab, sind unsere Studien als explorativ einzuordnen. Die Ergebnisse bedürfen der Konsolidierung durch weitere Forschung.
  2. Unser Forschungsdesign war auf die Untersuchung von kurzfristigen Effekten von Paraphrasieren ausgelegt. Wir können keinerlei Aussagen darüber machen, welche psychologischen Prozesse mittel- und langfristig durch diese Technik angeregt werden.
  3. Um Versuchsabbrüche durch zu stark verärgerte Probanden zu vermeiden, wurden diese (in Studie 3) vorgewarnt, dass die Interviewerin auf 50 % ihrer Äußerungen mit Unverständnis reagieren würde. Dadurch wurde die emotionale Reaktion der Probanden auf die Interventionen sicherlich vermindert. Allerdings betrachten wir dies als relativ unproblematisch, da die Effekte dadurch allenfalls verkleinert, auf keinen Fall verstärkt wurden.

Zu 4: Welchen Einfluss hat die „Empathiefähigkeit“ der Interviewer_innen?

Hier liegt ein Missverständnis vor. Die standardisierten Aussagen der Interviewerin (meiner Wenigkeit), den oder die Probandin nicht verstehen zu können, gehören zum Untersuchungsdesign und stellen die „unempathische“ Bedingung dar. Sie dienen dem Vergleich der emotionalen Reaktion auf empathisches vs. unempathisches Verhalten. Herr Neander hat jedoch insofern Recht damit, diese Frage zu stellen, dass sich die empathischen Kompetenzen eines Mediators natürlich in der Qualität seiner Paraphrase widerspiegeln und dass die emotionale Reaktion auf „schlechtes“ Paraphrasieren eine andere sein dürfte als auf gelungenes Paraphrasieren. Daher haben wir als Qualitätskontrolle der Interventionen auch erhoben, wie gut oder schlecht verstanden sich die Probanden bei jeder Paraphrase gefühlt haben.

 

Ich hoffe, damit die von Herrn Neander vorgebrachten Punkte zufriedenstellend beantwortet zu haben. Für tiefergehende methodische Fragen verweise ich auf die Originalpublikationen, die ich auf Anfrage auch gern zur Verfügung stelle.

 

Literatur:

Ochsner, K.N., Silvers, J.A. & Buhle, J.T. (2012). Functional imaging studies of emotion regulation: A synthetic review and evolving model of the cognitive control of emotion. Ann. N.Y. Acad. Sci. 1251 (2012) E1–E24. doi: 10.1111/j.1749-6632.2012.06751.x

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird niemals weitergegeben. Pflichtfelder sind mit einem * markiert

*
*