Alternativer Streitbeilegung bei Menschenrechtsverletzungen – Web-Konferenz am 14.9.2020

Martin Suchrow  Martin Suchrow
Wiss. Mitarbeiter, Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder)

Ko-Autorin:
Helene Bond
Stud. Mitarbeiterin, Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder)

 

Wie können außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren (ADR) bei Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten eingesetzt werden – und welche Vorteile könnten darin liegen? Diese Frage stellte die kürzlich vom Bundeministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) gemeinsam mit einem Forschungsteam der Europa-Universität Viadrina ausgerichtete digitale Konferenz zum Potential von ADR für Beschwerdemechanismen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte.

Zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen nach den von den Vereinten Nationen herausgegebenen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gehört die Etablierung eines effektiven Beschwerdemechanismus für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten. Dies betonte die Staatssekretärin Dr. Margaretha Sudhof in ihrem Grußwort zum Konferenzauftakt. Die Konferenz stand mit einem Publikum aus diversen Fachrichtungen – von Unternehmensvertretern über Wissenschaft bis Zivilgesellschaft – im Zeichen des Austausches über ein aktuell vielseitig diskutiertes Thema.

Dr. Nicola Wenzel und Dr. Jenny Dorn vom Menschenrechtsreferat des BMJV beschrieben die Notwendigkeit von effektiven, klaren Abhilfeverfahren und das Anliegen, hier einen Transfer aus der ADR-Welt zu ziehen. Durch den Einsatz alternativer Streitbeilegung könne im Einzelfall besser auf die vielfältigen Interessen der Beteiligten eingegangen werden. Die Möglichkeit der Beteiligung unterschiedlichster Stakeholder am Verfahren, die Freiheit, mehr als nur monetären Schadensersatz zu verordnen, und zukunftsorientierte Vereinbarungen zu treffen, seien nur einige der Stärken von ADR. Dabei dürfe alternative Streitbeilegung aber immer nur eine Ergänzung für den gerichtlichen Rechtsschutz darstellen.

Diese Vorteile von ADR waren der Ansatzpunkt für das BMJV gewesen, Prof. Dr. Ulla Gläßer mit ihrem Team zu beauftragen, bis zum Frühjahr 2021 das Potential von ADR und Transfermöglichkeiten aus der Verbraucherschlichtung in Deutschland für Beschwerdemechanismen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte systematisch zu erkunden. Die Konferenz sollte das Forschungsprojekt als „work in progress“ vorstellen und einen Dialog mit den verschiedenen Stakeholdergruppen initiieren.

Dementsprechend wurden unterschiedliche Perspektiven auf das Themenfeld diskutiert: Beiträge des Forschungsteams beleuchteten die Grundlagen von ADR und die übertragbaren Erfahrungen aus der Verbraucherschlichtung. Unternehmensvertreter*innen, zum Beispiel von Adidas, und Repräsentant*innen von Handelsverbänden wie dem HDE und dem Mulit-Akteurs-Zusammenschluss Textilbündnis schilderten die aktuellen Herausforderungen und Fortschritte der letzten Jahre. Diese Fragen wurden auch von zivilgesellschaftlicher und gewerkschaftlicher Seite kritisch beleuchtet. Einen Blick auf existierende Beschwerdestellen richteten Vertreter der deutschen Nationalen Kontaktstelle bzw. des schweizerischen Nationalen Kontaktpunkts der OECD mit einer Verfahrensbeschreibung. Am Nachmittag konnten die Teilnehmenden in sechs Workshops ihre Interessen vertiefen.

Professorin Gläßer zog ein Zwischenfazit: Es brauche klar strukturierte, transparente und interessenorientierte ADR-Verfahren in Beschwerdemechanismen, die v.a. die Bedürfnisse vulnerabler Personen berücksichtigen. Um den Rahmenbedingungen der globalen Lieferketten zu begegnen, muss ein Machtausgleich gewährleistet werden. Die Beschwerdemechanismen sollten unter Einbeziehung der späteren Beschwerdeführer*innen entwickelt werden und als lernende Systeme ausgestaltet sein – als lernendes Verfahren sowie als lernende Institution. Des Weiteren ist eine unternehmensübergreifende Ausgestaltung gegenüber einem unternehmensinternen Mechanismus ein vorzugswürdiger Ansatz zur Sicherstellung der Unabhängigkeit.

Das Forschungsteam wird als nächstes Stakeholder Interviews führen, um aus den gesammelten Erkenntnissen die benannten Leitlinien zu entwickeln. Der Forschungsbericht wird voraussichtlich im Frühjahr 2021 veröffentlicht werden.

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