Neurobiologische Wirkfaktoren als Ergänzung zum Harvard-Konzept?

Ulrich Egger  Ulrich Egger
Senior Partner, Egger Philips & Partner, Zürich

In seinem Beitrag „Alles nur gesunder Menschenverstand?“ (ZKM 1/2021, 32 ff.) erläutert Adrian Schweizer seine Erkenntnisse zur Wirksamkeitsforschung psychotherapeutischer Massnahmen und zieht Rückschlüsse auf die Mediation und auf das von vielen Praktikern geschätzte Harvard-Konzept. Dies ist begrüssenswert. Anderseits dürfte sein Anspruch, dass sich «professionell arbeitende» MediatorInnen neurobiologisch absichern sollten, nicht überall auf offene Ohren stossen.

Zum einen gewinnt man den Eindruck, der Autor erachte Konfliktparteien, die sich für Mediation entschieden haben, als reif für eine psychotherapeutische Behandlung, was eben neurobiologisch abgesicherte Interventionen erfordere. Die Ansicht, den klassischen Mediationsprozess mit solchen oder ähnlichen Massnahmen zu unterlegen oder zu ergänzen, dürfte aber selbst von MediatorInnen, die eine grosse Bandbreite von Vorgehensmöglichkeiten beim mediativen Wirken zulassen, als problematisch erachtet werden.

Zum andern insinuiert der Autor, dass dem Harvard-Konzept die wissenschaftliche Grundlage fehle, indem er sich auf ein eigenwillig interpretiertes Zitat des verstorbenen Prof. Roger Fisher beruft. Die herausragende Leistung der Autoren des Harvard-Konzepts besteht vor allem darin, dass sie die Problematik des Verhandelns nicht nur wissenschaftlich erforscht, sondern daraus einen allgemein verständlichen, praxistauglichen und konzeptionellen Ansatz entwickelt haben. Wenn Roger Fisher von „well-organized commonsense“ sprach, tat er dies, um Praktiker nicht abzuschrecken. Zugleich betonte er in seiner Bescheidenheit stets, dass das Harvard-Konzept „work in progress“ und kein Allheilmittel zur Konfliktbehebung sei. Er unterstützte die interdisziplinäre Forschung, betonte jedoch stets, dass man beim Harvard-Konzept bewusst auf therapeutische Ansätze verzichtet habe.

Nicht nur als Verhandelnder, sondern auch als erfolgreicher Vermittler auf höchster Ebene wusste Roger Fisher, dass Interventionen, die im klinischen Bereich sinnvoll sind, wenig hilfreich sind in einem Mediationsverfahren, da sie von den Konfliktparteien als übergriffig oder manipulativ empfunden werden können.

Ulrich Egger

Senior Partner
www.eggerphilips.ch
www.mediartis.ch

 

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht 12. Mai 2021 um 11:31 | Permalink

    Ich kann Uli Egger nur zustimmen. Die Erfahrungen der EUCON und auch meine eigenen zeigen, dass das Harvard-Konzept in der Praxis der B2B-Mediation erfolgreich ist. Der große Vorteil ist, dass vor allem die Parteien die einzelnen Schritte verstehen und akzeptieren. Die Erweiterung durch Roger Fisher/Daniel Shapiro Beyond Reason: Using Emotions As You Negotiate Verlag Viking Penguin 2005 über den Umgang mit Emotionen ist dabei sehr hilfreich. Man kann sich die Frage stellen, warum immer neue Instrumente gefunden und dann auch vermarktet werden sollen, wenn das Harvard.-Konzept in der Praxis genügt. Wichtiger ist es, diue Parteiuen von der Mediation und deren Vorteilen zu überzeugen. Nach den Erfahrungen der EUCON ist dafür die Aufnahme von Mediationsklauseln in die Verträge sehr hilfreich. Vielfach bestätigen Parteien, dass sie ohne eine solche Klausel einer Mediation nicht zugestimmt hätten und froh sind über derren Ergebnis. Lieber Uli, von Deiner Ausbildung habe ich seit nunmehr über 20 Jahren sehr profitiert. Sie hat mich durch zahlreiche B2B-Mmediationen erfolgreich begleitet.

  2. Veröffentlicht 12. Mai 2021 um 16:32 | Permalink

    diesmal ohne Schreibfehler: bitte den Vorgänger löschen
    Ich kann Uli Egger nur zustimmen. Die Erfahrungen der EUCON und auch meine eigenen zeigen, dass das Harvard-Konzept in der Praxis der B2B-Mediation erfolgreich ist. Der große Vorteil ist, dass vor allem die Parteien die einzelnen Schritte verstehen und akzeptieren. Die Erweiterung durch Roger Fisher/Daniel Shapiro Beyond Reason: Using Emotions As You Negotiate Verlag Viking Penguin 2005 über den Umgang mit Emotionen ist dabei sehr hilfreich. Man kann sich die Frage stellen, warum immer neue Instrumente gefunden und dann auch vermarktet werden sollen, wenn das Harvard-Konzept in der Praxis genügt. Wichtiger ist es, die Parteien von der Mediation und deren Vorteilen zu überzeugen. Nach den Erfahrungen der EUCON ist dafür die Aufnahme von Mediationsklauseln in die Verträge sehr hilfreich. Vielfach bestätigen Parteien, dass sie ohne eine solche Klausel einer Mediation nicht zugestimmt hätten und froh sind über deren Ergebnis. Lieber Uli, von Deiner Ausbildung habe ich seit nunmehr über 20 Jahren sehr profitiert. Sie hat mich durch zahlreiche B2B-Mmediationen erfolgreich begleitet.

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