Die Frage, ob Kleinkinder bestimmten Schutzimpfungen zugeführt werden sollen, ist nicht nur im Kreis betreuender Eltern ein hochemotional diskutiertes Thema und nicht unerheblich davon überlagert, welchen grundsätzlichen Wertvorstellungen sie insbesondere zu medizinischen Fragen folgen. In dieser Diskussion wird nicht selten übersehen, dass allein die Information durch Internetforen nicht zwingend die erforderliche Basis bieten kann, um nach heutigem Forschungsstand hochkomplexe medizinische Sachverhalte abschließend würdigen und werten zu können. Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung ist zudem aber auch nicht nur eine Einzelentscheidung mit Blick auf das unmittelbar betroffene eigene Kind, sondern kann nicht überschaubare Folgen für Teile der Gesellschaft haben. Zu erinnern ist etwa an eine epidemische Verbreitung von Masern in Berlin im Jahr 2014, die mit Schulschließungen verbunden war, bzw. ein Schulverbot für nicht geimpfte Kinder in Marburg im Jahr 2015. Dass im Zusammenhang mit diesen Erkrankungen dann auch Todesfälle zu beklagen waren und aktuell wieder zu beklagen sind, zeigt die besondere Brisanz dieser Thematik und der hieraus folgenden Fragen, ob ein Kind Schutzimpfungen zugeführt werden soll bzw. wer letztlich hierüber entscheidet, wenn sich gemeinsam sorgeberechtigte Eltern zu dieser Frage nicht einigen können.
Mit dieser Problematik hat sich der BGH in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt. Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern konnten zu der Frage von Schutzimpfungen ihrer Tochter kein Einvernehmen herstellen. Während der Vaters altersentsprechende Schutzimpfungen entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) befürwortete, lehnte die Mutter diese ab, da nach ihrer Einschätzung das Risiko von Impfschäden das Infektionsrisiko überwog. Nur bei ärztlich mit Sicherheit ausgeschlossenen Schäden befürwortete sie anlassunabhängige Impfungen. Dem Vater wurde das Entscheidungsrecht über die Impfdurchführung erstinstanzlich übertragen. Die Beschwerdeinstanz hat diese Entscheidung bestätigt, aber die Entscheidungsbefugnis auf bestimmte Schutzimpfungen beschränkt, wie etwa Tetanus, Masern, Röteln oder Mumps. Die Rechtsbeschwerde der Mutter hat der BGH zurückgewiesen und die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis auf den Elternteil bestätigt, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO durchführen möchte, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen. Zudem hat der BGH klargestellt, dass auch die Entscheidung zur Durchführung von Standard- oder Routineimpfungen als eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung zu bewerten ist, so dass es bei gemeinsamer elterlicher Sorge auch grundsätzlich einer gemeinsamen Entscheidung hierzu bedarf.
Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass einem Elternteil nach § 1628 BGB ein Teilbereich der elterlichen Sorge – soweit es sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung und nicht nur um eine Alltagsangelegenheit handelt – zur alleinigen Entscheidung übertragen werden kann, wenn zwischen den Eltern Dissens zu dieser konkreten sorgerechtlichen Frage besteht und das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass der Lösungsvorschlag jenes Elternteils, dem die Entscheidungsbefugnis letztlich übertragen wird, dem Kindeswohl besser gerecht wird. Ob von einer grundlegenden sorgerechtlichen Entscheidung oder einer Frage auszugehen ist, die den Alltagsangelegenheiten zuzuordnen ist, beurteilt sich nach der Legaldefinition des § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB: Danach zeichnen sich Angelegenheiten des täglichen Lebens dadurch aus, dass sie häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Kindesentwicklung haben. Soweit es um die Impfung eines Kindes geht, können sich diese schwerwiegenden Auswirkungen sowohl aus der Gefahr einer Infektion bei Nichtimpfung aber auch aus einem gesundheitlichen Schaden bei durchgeführter Impfung ergeben.
In der Praxisberatung ist es wichtig, Eltern, die die Sorge für ihr Kind gemeinsam ausüben, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, etwaige Impfungen nicht nur zwingend mit dem jeweils anderen Elternteil abzustimmen, sondern auch auf die bestehenden Empfehlungen der STIKO zu verweisen, die den Kreis der empfohlenen Impfungen selbst bereits begrenzt. Daneben sollte zwingend aber auch mit den Eltern abgestimmt werden, dass ggf. durch den behandelnden Kinderarzt ein besonderes Impfrisiko ausgeschlossen werden kann. Sind diese grundlegenden Fragen geklärt, kann möglicherweise ein Einvernehmen der Eltern hergestellt, in jedem Fall aber das Verfahrensrisiko eingegrenzt werden.