Ehe? Zwecklos!

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 7. Juli 2017 der Änderung von § 1353 BGB zugestimmt. Der Bundespräsident hat das „Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ unterzeichnet, es ist im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2017, 2787). Gleichgeschlechtliche Paare können nun ab 1.10.2017 eine Ehe schließen.

Was angesichts der breiten Zustimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe in der Bevölkerung aussieht wie ein Nachvollzug einer gesellschaftlichen Entwicklung durch den Gesetzgeber, ist familienrechtlich tatsächlich mehr. Die Ehe ist seit Einführung des BGB im Jahre 1900 der Nukleus des Familienrechts. Sie bestimmte schon lange zuvor, wer mit wem geschlechtlich verkehren durfte, entschied über Unterhalts- und Erbansprüche, löste steuerliche Privilegierung und sozialrechtliche Diskriminierung aus. Aus einer ehelichen Paarbeziehung geborene Kinder hatten immer Vater und Mutter, die beide sorgeberechtigt (auch -verpflichtet waren).

Kinder aus einer nichtehelichen Paarbeziehung hatten lange Zeit immer nur eine Mutter. Seit einigen Jahren teilweise auch einen sorgeberechtigten Vater. Ihr Anspruch auf Betreuung unterschied sich zunächst massiv, dank beharrlicher Eingriffe des Bundesverfassungsgerichts später nur noch minimal vom Betreuungsanspruch ehelich geborener Kinder. Im Zentrum des Familienrechts stand die Ehe, nicht die Familie und auch nicht das Kind.

Das alles hatte dogmatische Wurzeln. Bis weit ins 19. Jahrhundert beherrschte die Kirche mit ihrem sakramentalen Eheverständnis das Familienrecht. Erst spät bemächtigte sich der Staat der Ehe und begründete ein staatliches Eheschließungsmonopol. In Deutschland fällt dies zusammen mit der Herausbildung des Nationalstaats. Friedrich der Große brauchte „Lange Kerls“, die Nation „Bürger“ genannte Untertanen, die die beanspruchten neuen Lebensräume im Osten hätten besiedeln können. Eine Notwendigkeit der Ehe zur Erfüllung bevölkerungspolitischer Ziele besteht nicht mehr. Der Osten muss nicht mehr von Deutschen besiedelt werden und der Nationalstaat ist der europäischen Integration gewichen. 30 % aller neugeborenen Kinder werden von unverheirateten Frauen zur Welt gebracht, Tendenz steigend.

Lange Zeit war die Ehe für Frauen die unverzichtbare Basis ihrer Existenzsicherung. Die „Mitgift“ starb nicht mit den Buddenbrooks aus. Die bildungspolitische und die daraus folgende wirtschaftspolitische Emanzipation der Frauen und die Notwendigkeit ihrer stärkeren Teilhabe am Wirtschaftsprozess hat die Ehe als Existenzsicherung überflüssig gemacht. Den Rest verbliebener Notwendigkeiten erledigt der Sozialstaat.

Auch bei der Sicherung der Vermögensnachfolge im Erbrecht hat die Ehe ihre Bedeutung verloren. Seit eine DNA-Analyse weit präziser als die Ehe über die Abstammung entscheidet, kann die eheliche Abstammung nur eine erste Vermutung, nicht aber Sicherheit bieten.

Die faktische Erosion der klassischen Ehezwecke wird von zunehmender gesellschaftlicher und nun auch staatlicher Toleranz unterschiedlichen Lebens- und Ehemodellen gegenüber flankiert. Diese legislative Toleranz kennt indessen auch Grenzen. Wenn Sterbende heiraten, kann die Verschaffung der Hinterbliebenenversorgung ein bestimmender Ehezweck sein, den die Versorgungsträger meist durch Ausschlussklauseln durchkreuzen. Die karitative Heirat eines deutschen mit einer ausländischen Person verschafft dieser einen stabileren Aufenthaltsstatus, gleichwohl missbilligt das Gesetz dies und versucht derartige Scheinehen oder ihre sozialpolitischen Folgen zu bekämpfen.

Damit erklärt der Gesetzgeber letztendlich die Verantwortung übernehmende Liebe zum eigentlichen legitimen Ehezweck und -motiv. Alle anderen Motive sind obsolet oder zu missbilligen. Wenn dies so ist, und wenn der Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG Liebe von erwachsenen Personen nicht bewertet, sondern akzeptiert, gibt es keinen Grund, homosexuellen Paaren den Zugang zur Ehe zu verweigern.

Art. 6 GG enthält keine Definition der Ehe. § 1353 BGB enthielt sie auch nicht, sondern setzte die Heterosexualität als Ehemerkmal voraus. Indem der Gesetzgeber nun die Ehe definiert und Heterosexualität als Voraussetzungsmerkmal streicht, nachvollzieht er eine gesellschaftlich akzeptierte Umdeutung des Eheverständnisses. In nunmehr 15 Staaten der Europäischen Union können gleichgeschlechtliche Paare eine Ehe schließen. Deutschland war der vierzehnte, Malta hat wenige Tage später nachgezogen.

Wenn alle traditionellen Ehezwecke durch gesellschaftliche, wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen obsolet geworden sind, ist es konsequent, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Der einzige Zweck der Ehe, der rechtlich noch zu schützen wäre, ist die Sicherung und Förderung des Zusammenlebens zweier sich Liebenden. Warum? Weil sie es wollen, weil es ihrem Lebensentwurf entspricht und weil es keinen besseren Staat gäbe als einen, der frei gewählte Lebensentwürfe seiner Bürger nicht nur toleriert, sondern fördert.

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