Der Richter Azdak aus dem „Kaukasischen Kreidekreis“ von Bertolt Brecht ließ zur Feststellung der „wahren“ Mutter des Kindes, die genetische und die soziale Mutter das umstrittene Kind in gegensätzliche Richtungen aus einem Kreidekreis zerren. Die wahre Mutter werde stärker sein – so seine Ansage. Er sprach das Kind dann der sozialen Mutter zu, die das Kind nicht „zerreißen“ mochte. Der archaische Konflikt um die Zuordnung von Kindern zu Eltern und Bezugspersonen ist auch heute noch allgegenwärtig – zwischen auseinandergehenden oder nie zusammengegangenen Eltern, zwischen Ei- oder Samenspendern und Leihmüttern, zwischen leiblichen und Pflegeeltern. Dass dieser Konflikt nicht so archaisch wie im Theaterstück ausgetragen und gelöst wird, liegt nicht am materiellen Recht, das die Mutterschaft schon immer der Gebärenden zuwies, ohne damit auch das emotionale Bindungsgefüge der beteiligten Kinder und Eltern zuweisen zu können. Die „zivilisiertere Variante“ der azdakschen Problemlösung, die wir heute kennen, ist auch nicht erlernter juristischer Emotionslosigkeit zu verdanken. Damals und heute hat jeder an einem familienrechtlichen Verfahren Beteiligte eine klare bauch-, kultur- und erfahrungsgesteuerte Lösung des familienrechtlichen Problems parat, sind wir doch alle Kinder, meist auch Ehegatten und Eltern, aber immer auch Bürger. Das schafft ein „bauchgesteuertes Vorverständnis“, das durch das materielle Recht nicht „ausgeknipst“ werden kann wie eine Leuchtquelle.
Seit 10 Jahren dimmt das Familienverfahrensgesetz (FamFG) das bauchgesteuerte Vorverständnis und übernimmt damit die Disziplinierung des Bauchgefühls. Erst das Verfahrensrecht garantiert den Rechtsstaat und die Durchsetzung des materiellen Rechts. Das Verfahrensrecht ist daher die andere Seite der rechtsstaatlichen Münze. Oft wird diese Prägung als „Hilfsrecht“ geringgeschätzt – zu Unrecht. Der Beitrag von Norbert Heiter in diesem Heft beschreibt Geburtswehen des Gesetzes ebenso zutreffend wie seine Bedeutung und seine Wirkungen. Wir Familienrechtler möchten es nicht missen.
Trotzdem bleibt Raum für Änderungswünsche. Die Nichtzulassungsbeschwerde gehört dazu. Die Diskriminierung des Familienrechts und der familienrechtlich tätigen Anwaltschaft, sie würden willfährig und konfliktfördernd den Rechtsweg bis zum „jüngsten Gericht“ auskosten, ist nicht berechtigt. Die Anwaltschaft würde verantwortungsvoll mit einer solchen Möglichkeit umgehen. Vielleicht sogar verantwortungsvoller als manche OLG-Entscheidung, die die Rechtsbeschwerde zu Unrecht verweigert. Ich würde mir auch eine kontinuierliche Fortbildungsverpflichtung für Familienrichter wünschen, wie sie für die Anwaltschaft schon lange besteht – und mehr Richter- und Verwaltungsstellen für die Familiengerichte. Zügig geführte Verfahren wirken befriedend und belegen für alle Betroffenen erkennbar eine sinnvolle Verwendung von Steuergeldern. Dafür sind dann aber wohl die Länder zuständig.