Kein eigenständiges Aufenthaltsrecht für gut integrierte Flüchtlingskinder

Flüchtlingskindern wird unabhängig davon, wie gut sie sich in Schule und Gesellschaft integriert haben, kein eigenständiges Aufenthaltsrecht zuerkannt. Stattdessen hängt das Schicksal dieser Kinder so lange von dem aufenthaltsrechtlichen Status ihrer Eltern ab, bis sie „Jugendliche“ im Sinne des Gesetzes sind, also bis sie das 14. Lebensjahr erreicht haben. Diese Regelung hat die groteske Konsequenz, dass ein Flüchtlingskind, das in Deutschland geboren wurde und aufgewachsen ist, grundsätzlich abgeschoben werden kann, weil seine Eltern die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, etwa, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – von Sozialleistungen abhängig sind und/oder noch nicht ausreichend gut Deutsch sprechen. Dies gilt auch dann, wenn das Kind selbst die deutsche Sprache perfekt beherrscht, in der Schule erfolgreich und sozial hervorragend eingebunden ist, es also die besten Aussichten hat, in Deutschland auch beruflich erfolgreich zu sein. Die Rechtswidrigkeit dieser Regelung hat der Kollege Rechtsanwalt von Auer, Frankfurt am Main schon sehr pointiert bereits im Jahr 2013 in seinem Rechtstipp wie folgt dargestellt:

Zu Recht wird auch kritisiert, dass die Altersgrenzen- Antragstellung nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres – zu eng gefasst sind. Hier kann sich etwa die offenkundige Diskrepanz ergeben, dass ein Jugendlicher, der erst mit 9 Jahren eingereist ist, bereits nach sechsjährigem geduldeten Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 a) Abs. 1 AufenthG erhalten kann, nicht aber ein im Bundesgebiet geborener 14-Jähriger. Dies läuft ersichtlich sowohl dem Grundsatz der faktischen Integration, der für die Regelung des § 25 a) AufenthG maßgeblich ist, als auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwider (vgl. Stellungnahmen der Sachverständigen Dr. Parinas Parhisi und Reinhard Marx in der öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 17/34, S. 49, 50). Weiter wird darauf verwiesen, dass § 25 a) AufenthG auch auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK zur Verwurzelung gut integrierter Menschen und deren Entwurzelung bezüglich des Herkunftslandes (sog. „faktische Inländer“) zurückzuführen ist, die eine solche starre Altersgrenze nicht kennt (Göbel-Zimmermann in der öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 17/34, S. 49). Auch die – nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/5093, S. 15) vorgenommene – Anlehnung des § 25 a) AufenthG an § 37 AufenthG – der unter weiteren Voraussetzungen ein Recht auf Wiederkehr im Falle einer achtjährigen Voraufenthaltsdauer im Bundesgebiet eröffnet – ist in Bezug auf die von dort übernommene Altersgrenze nicht sachgerecht: Die Altersgrenze in § 37 AufenthG ist dem Umstand geschuldet, dass die bereits einmal während des Voraufenthalts in Deutschland begründete Integration und Bindung an die hiesigen Verhältnisse nicht durch Zeitablauf während des Auslandsaufenthalts verloren geht. Eine solche Befürchtung eines Integrationsverlusts kann aber bezüglich Jugendlicher/Heranwachsender, die ihr Leben lang oder einen Großteil ihres Lebens ununterbrochen im Bundesgebiet verbracht haben, nicht bestehen (vgl. Stellungnahme des Ausschusses Ausländer- u. Asylrecht des DAV zum Entwurf eines „Zwangsverheiratungsbekämpfungsgesetzes“, S. 12).“

Rechtlich betrachtet ist damit das Wesentliche bereits gesagt. Zur Veranschaulichung der dramatischen menschlichen Konsequenzen dieses fehlenden eigenständigen Aufenthaltsrechts für Kinder, möchte ich hier ergänzend ein konkretes Beispiel aus der Praxis schildern: Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern flieht vor den Taliban aus Afghanistan nach Deutschland. Sie ist Analphabetin und hat nie gelernt, wie man eigenständig lernt, weil sie in ihrer Heimat nie eine Schule besuchen durfte. Ihre Kinder waren zum Zeitpunkt der Flucht erst ein und drei Jahre alt. Sie kennen Afghanistan nicht. Die Flucht war für alle Beteiligten traumatisch und zog sich über fünf Jahre und verschiedene Länder hin. Die Kinder sind bei ihrer Ankunft in Deutschland sechs und acht Jahre alt. Heute, zwei Jahre später, sind die Kinder trotz ihrer Vergangenheit schon nicht mehr von ihren deutschen Klassenkameraden zu unterscheiden. Der kleine Junge hat die erste Klasse übersprungen und absolviert derzeit erfolgreich die dritte Klasse. Die kleine Tochter ist eine der besten Schülerinnen in ihrer (zweiten) Klasse. Beide treiben erfolgreich und begeistert Sport, nehmen an Lesewettbewerben und Schulaufführungen teil, haben viele (deutsche) Freunde, mit denen sie ihre Freizeit und Kindergeburtstage verbringen, und schmieden Pläne für die Zukunft. Der Junge will Polizist, Geheimagent oder Wissenschaftler werden, das Mädchen Designerin, Schwimmlehrerin oder Kindergärtnerin. Die Mutter kann zwar inzwischen perfekt Lesen und Schreiben, müht sich hingegen immer noch mit dem Deutschkurs ab. Die gesamte Familie ist daher nach wie vor von Sozialleistungen abhängig. In 16 Monaten läuft der Aufenthaltstitel der Mutter aus. Es ist kaum zu erwarten, dass sie bis dahin ihre Familie allein unterhalten kann, was aber für eine Verlängerung des Aufenthaltstitels jedenfalls dann von ihr erwartet werden wird, wenn Afghanistan als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft werden sollte. Sie wird also vermutlich abgeschoben werden. Und mit ihr – mangels eigenständigen Aufenthaltsrechts – auch ihre Kinder. Der Junge wird zu diesem Zeitpunkt bereits die höhere Schule besuchen, die Tochter wird kurz vor dem Abschluss der dritten Klasse stehen. Beide werden sich vermutlich spätestens zu diesem Zeitpunkt als Deutsche empfinden, da sie nie eine andere Heimat gekannt haben. In Afghanistan hat der Junge damit zu rechnen, von den Taliban rekrutiert, einer brutalen Gehirnwäsche unterzogen und dabei permanent vergewaltigt und geschlagen zu werden; was dem Mädchen blüht, kann sich jeder selbst ausmalen.

Das politische Kalkül, das hinter dem Fehlen eines eigenständigen Aufenthaltsrechts für Kinder steckt, liegt auf der Hand: Man möchte verhindern, dass die Eltern dieser Kinder, die – etwa aufgrund mangelnder Schulbildung – nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Kinder zu unterhalten und also dem Sozialstaat „auf der Tasche liegen“, mittelbar über die Kinder ein langjähriges Aufenthaltsrecht erhalten. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist aber nicht nur rechtswidrig und menschenfeindlich, sondern – in Zeiten angeblichen Nachwuchsmangels – auch äußerst kurzsichtig, wenn man bedenkt, dass sich gerade die Kinder, die in sehr jungen Jahren nach Deutschland kommen, am leichtesten und am besten integrieren und damit auch in unserer Gesellschaft konstruktiv mitwirken können.

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