Familiärer Sparschwein-Streit vor dem OLG
Es gibt diese absurden Urteile. Entscheidungen, die ein normaler, verständiger, vernünftiger, weltkluger und meinetwegen auch billig und gerecht denkender Mensch nicht verstehen kann. Er kann sie nur, er muss sie als paradox und weltfremd einstufen. Manche Entscheidungen sind sogar gefährlich, lebensgefährlich, zusammenlebensgefährlich.
Lassen Sie mich ein bisschen ausholen und einen Blick in eine vielleicht typische Familie des Bildungsbügertums werfen. Da ist der Fall der Rechtsanwältin X und des Rechtsanwaltes Y, glückliche Eltern von drei Kindern. Als die Kinder zur Welt kamen, legten sie – selbstverständlich – wie wohl sehr viele andere Eltern auch, für die Kinder Sparbücher an. Auf deren Namen selbstverständlich, um das für die Kinder anzusparende Geld zu sichern gegen Vermischen mit dem eigenen Vermögen und damit gegen ein wie auch immer ausschauendes „Insolvenzrisiko“ der Eltern XY.
Auf dieses Sparbuch zahlen die Eltern, aber selbstverständlich auch die Großeltern, Onkel, Tanten und Paten hin und wieder etwas ein, vor allem bei besonderen Gelegenheiten, etwa zum Geburtstag, an Weihnachten oder fürs Zeugnis. Von dem angesparten Geld soll, so ist es wohl allerorts Sitte, Usus oder Brauch bei größeren anstehenden Anschaffungen für die Kinder etwas abgehoben werden, um die Eltern nicht punktuell finanziell zu stark zu belasten. XY kaufen mal ein Bett, mal ein Spielzeug für eines der Kinder, vielleicht ein teureres Bett oder ein viel größeres Spielzeug als veranschlagt, weil sich das Kind genau dieses so sehr gewünscht hat. XY heben also selbstverständlich etwas vom Sparbuch des Kindes ab, um etwas für das Kind anzuschaffen. Vielleicht kaufen XY sogar mal die Ski-Ausrüstung, die Geige und das Klavier vom Angesparten. Alle Geldgeberinnen und Geldgeber sind sich einig, dass das Geld zu diesem Zweck verwendet werden soll, und auch die Kinder möchten das.
Nun werden ja solche Dinge selbstverständlich – auch das wird wohl in den meisten Familien so sein – nicht vertraglich geregelt, weder mündlich, noch (Wie absurd wäre das?) schriftlich oder (reizen wir es aus) gar notariell. Auch eine Einwilligung oder Zustimmung des Jugendamtes wird doch wohl selbstverständlich keiner einholen, wenn er seinem Kind vom Sparbuch etwas Schönes und Wichtiges fürs Kind anschafft. Das wäre der Gipfel der Absurdität. Selbstverständlich auch für Frau X und Herrn Y, die ja nun sogar Anwälte sind und zu allem gesunden Verstand auch ein gutes Judiz haben – oder beides haben sollten. Alles eben selbstverständlich.
Doch nun geht´s los mit dem weniger Selbstverständlichen: Hätten XY aber nur den Schimmer einer blassen Ahnung gehabt, dass ihre Kinder – aus welchen Motiven heraus auch immer – später das vom Sparbuch abgehobende Geld von ihren Eltern zurückverlangen, und ein oberstes Gerichte solcher Schadenersatz-Klage auch noch stattgibt, hätten sie (Entschuldigung!) einen Teufel getan, auch nur einen Cent für das Kind anzusparen, jedenfalls nicht auf einem eigens „gesicherten“ Kinder-Sparbuch. Sie hätten das Geld auf ihre eigenen Namen angespart und nicht aus Fürsorge auf den Namen der Kinder.
Das OLG Bremen (Beschluss vom 3. Dezember 2014, 4 UF 112/14) und – dem folgend – das OLG Frankfurt (Beschluss vom 28. Mai 2015, 5 UF 53/15) haben es geschafft, mit ihren Sparbuch-Entscheidungen gegen Familientraditionen, den gesunden Menschenverstand, die Lebenspaxis, ein gutes Judiz und gegen die praktische Vernunft (sogar im Kant´schen Sinne) zu verstoßen. Ein multiples Disaster.
Wenn sie den Beschluss des OLG Bremen lesen, verstehen Nichtjuristen die Welt und (hoffentlich doch wenigstens einige) Juristen die Rechtswelt nicht mehr. Was haben sich die Gerichte dabei gedacht? (Haben die selbst Kinder und Sparbücher?) Streng formaljuristisch mag das ja alles rechtslogisch sein, dogmatisch in Ordnung. Aber rechtspolitisch, rechtsphilosophisch und menschlich gesehen ist das eine Katastrophe. Und auch dogmatisch muss es eine Möglichkeit geben, nicht zu solch einer absurden, praxisfernen Entscheidung zu kommen, sondern zu einer vernünftigen, lebensnahen – familienlebensnahen. Da gibt es doch Begriffe wie Zweckbestimmung, Geschäftsgrundlage, mutmaßliche Einwilligung oder irgend etwas in dieser Art. Damit lässt sich doch die strengste Dogmatik juristisch sauber und mit Verstand ändern.
Dass XY das Geld nachweislich ausschließlich für die Kinder ausgegeben haben und in keiner Weise für sich selbst, erkennt das OLG Bremen nicht an. Nein, ganz im Gegenteil: Es dreht diesen guten Willen mit einem Federstrich in bösen Willen um. XY schuldeten ihren Kindern einen angemessenen Lebensunterhalt aus „ihren eigenen Mitteln“ und dazu gehörten eben auch all die Geschenke und Anschaffungen, die sie vom Sparbuch des Kindes bezahlt hätten. Und so gesehen hätten sie das Geld eben für eigene persönlichen Zwecke ausgegeben. Peng! Das sitzt. Das sitzt sogar tief. Die treusorgenden Eltern als veruntreuende Beutelschneider, Täter an ihren eigenen Kindern.
Sie müssen diese Entscheidung mal weiterspinnen. Nach der Bremischen Logik müssten Eltern ihren Kindern für jedes Geschenk etwa der Großeltern sogar einen Ausgleich zahlen, wenn dieses Geschenk Ersatz für üblichen Lebensunterhalt ist, den die Eltern schulden, also eine Hose, ein Rock oder ein neues Bett. Oder das Geschenk muss als Geschenk an die Eltern umgewidmet werden; und dann gehört die Lego-Eisenbahn oder die Playmobil-Burg eben den Eltern. Sehr weise!
Oder eine andere Weiterspinnerei: Haben Sie womöglich eine Ausbildungsversicherung für Ihre Kinder abgeschlossen? Ihr Kind bekommt einen schönen Batzen Geld, wenn es 18 ist oder mit dem Studium anfängt? Ja, ja: Das OLG Frankfurt hat bereits 2003 entschieden, dass eine Ausbildungsversicherung auf den Unterhalt angerechnet wird (5 WF 160/02, FamRB 2003, 351). Aber da war das Geld noch da. Können Sie denn sicher sein, dass sich Ihr Kind davon nicht eine Weltreise kauft oder es verprasst und dann von Ihnen das Geld für die Ausbildung einklagt? Denn wer will das Kind verpflichten von seinem eigenen Geld zu studieren, statt sich zu amüsieren? (Der Fall ist nicht entschieden.) Dann wird das Ganze noch absurder – wenn man es von außen betrachtet. Aber welche Juristin, welcher Jurist tut das schon: auch mal von außen betrachten.
Aber wenn ich genauer darüber nachdenke: Ist doch auch gut für uns Anwältinnen und Anwälte, wenn wir schon ganz früh bei den selbstverständlichsten Alltäglichkeiten unseren juristischen Beratungssenf dazu geben können: beim Abschluss des Sparbuchs, bei der Prüfung der Geschenke, bei Klärung der Eigentumsverhältnisse am Etagenbett und der Lego-Eisenbahn. Danke, OLG Bremen, für so schöne neue Einnahmequellen. Na, also ehrlich, jetzt finde ich das Urteil plötzlich gar nicht mehr so absurd.