Es lässt einen fassungslos zurück, was diese Pandemie mit zunehmender Dauer alles hervorbringt und nun auch in der 3. Gewalt für Spuren hinterlässt. Aber beginnen wir der Reihe nach. Am 8.4.2021 erlässt das AG – FamG – Weimar (9 F 148/21) ohne mündliche Erörterung eine einstweilige Anordnung gem. §§ 49 ff. FamFG, mit dem es Schulleitungen, deren Vorgesetzten und Lehrern zweier Schulen untersagt vorzuschreiben, dass alle Schüler dieser Schulen Gesichtsmasken tragen, Abstand halten und an Coronaschnelltests teilnehmen; ferner gebietet es, den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten. Vorausgegangen ist die Anregung der Mutter zweier Kinder, ein „Kinderschutzverfahren gem. § 1666 Abs. 1 und 4 BGB“ einzuleiten. Es folgen seitenlange Aufzählungen von Rechtsvorschriften aller Art und Aufzählungen von Studien pro und contra Maskenpflicht sowie zur Zuverlässigkeit von Coronatests. Danach folgen schmale Ausführungen, dass die Familiengerichte gem. § 1666 Abs. 4 BGB vorrangig befugt seien, auch Maßnahmen gegen die Lehrer und Schulleitungen sowie deren Vorgesetzte entgegen bestehender Allgemeinverfügungen zu treffen; der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 VwGO trete dahinter zurück. Die Begründetheit seiner Maßnahmen stützt das AG Weimar auf angebliche Kindeswohlgefährdungen gem. § 1666 Abs. 1 BGB durch Abstand halten, Masken tragen und Testungen. Wie abstrus diese Begründung ist, wird besonders in den Passagen deutlich, in denen sogar die Abstandsregeln als überflüssig angesehen werden und die inzwischen – bis auf wenige Außenseitermeinungen, auf die sich das Gericht stützt – schon zum Allgemeinwissen gehörende Infektionsgefahr durch Aerosole geleugnet wird. Mit teilweise übereinstimmender Begründung hat das AG Weilheim am 13.4.2021 (2 F 192/21) eine ähnliche einstweilige Anordnung erlassen, allerdings – insoweit ausdrücklich in Unterscheidung zum AG Weimar – nur mit Wirkung für das Kind der die Maßnahmen anregenden Eltern und im Wesentlichen beschränkt auf das Verbot, das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen dieses Kindes anzuordnen und es gegenüber den anderen Kindern zu isolieren. Der Fall liegt auch insofern anders, als das Kind persönlich angehört worden ist, Kopfschmerzen und Übelkeit durch das Maskentragen angegeben hat und bis vor kurzem aufgrund eines ärztlichen Attests vom Tragen einer Maske befreit war. Ein auf Verlangen der Schulleitung vorgelegtes neues Attest wurde dann nicht mehr anerkannt. Das AG Weilheim hat sich dann jedoch nicht auf die Beurteilung der Nichtanwendung der Ausnahmevorschrift durch den Schulleiter in diesem Einzelfall beschränkt, sondern § 18 Abs. 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (trotz der bestehenden Ausnahmeregelung) insgesamt für nicht anwendbar erklärt.
Demgegenüber kommen das AG Wittenberg am 8.4.2021 (5 F 140/21 EASO) nach ausführlicher mündlicher Erörterung und das AG München am 18.3.2021 (542 F 2559/21) ohne mündliche Verhandlung jeweils mit ausführlichen, den „Erkenntnissen“ der Formularanregungen auch inhaltlich widersprechenden Gründen zum gegenteiligen Ergebnis. Beide verweisen u.a. darauf, dass die Anregungen auf einheitlichen im Internet abrufbaren Mustern beruhen und jeweils keine individuellen Kindeswohlgefährdungen vorgetragen werden. Die persönlich beim AG Wittenberg angehörte Kindesmutter distanziert sich dann auch von den in dem Formular sogar angestellten Vergleichen der Infektionsschutzmaßnahmen mit Folter. Beide Gerichte kommen zu dem Ergebnis, dass keine „kinderschutzrechtlichen Maßnahmen“ veranlasst sind. Soweit das AG München dies ohne mündliche Erörterung nach Kenntnisnahme des Inhalts der Anregung entscheidet, stellt sich allerdings die Frage, warum es dann unter Geltung von § 24 FamFG ein kostenauslösendes Verfahren eingeleitet und es nicht bei einer Mitteilung nach § 24 Abs. 2 FamFG belassen hat.
Einen völlig anderen Weg schlägt das AG Waldshut-Tiengen mit Beschluss vom 13.4.2021 (306 AR 6/21) ein, erklärt den Rechtsweg zum FamG für unzulässig und verweist das Verfahren an das Verwaltungsgericht. Treffend wird dort zwar ausgeführt wird, dass § 1666 Abs. 4 BGB kein Gesetz ist, wonach gem. § 40 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 VwGO ausnahmsweise öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. § 1666 Abs. 4 BGB hat nach den Materialien lediglich den Zweck, im Einzelfall nicht den Zivilrechtsweg gegen (private) Dritte einschlagen zu müssen.
Dazu sei ergänzend darauf hingewiesen, dass de lege lata nach h.M. die Familiengerichte nicht einmal in der besonderen „Verantwortungsgemeinschaft“ mit dem Jugendamt befugt sind, in klaren Fällen von § 1666 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1666a BGB dem öffentlichen Recht zugewiesene jugendhilferechtliche Maßnahmen für die Jugendhilfeträger verbindlich anzuordnen und bei einem darüber bestehenden Konflikt mit Trägern der Jugendhilfe den Beteiligten nur der Verwaltungsrechtsweg bleibt (so ausdrücklich BVerfG v. 24.3.2014 – 1 BvR 160/14 Rz. 50 = ZKJ 2014, 242 m. Anm. Gottschalk; ferner BVerfG v. 22.5.2014 – 1 BvR 2882/13, FamRZ 2014, 1266 Rz. 55; BVerfG v. 17.3.2014 – 1 BvR 2695/13, FamRZ 2014, 1177 Rz. 33 ff.; BVerwG v. 21.6.2001 – 5 C 6.00, FamRZ 2002, 668; OLG Nürnberg v. 17.11.2014 – 11 UF 1097/14, FamRZ 2015, 1211; Lugani in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 1666 Rz. 180, 181; Meysen, NZFam 2016, 580 m.w.N.; a.A. OLG Koblenz v. 11.6.2012 – 11 UF 266/12, NJW 2012, 3108; Fahl, NZFam 2015, 248; Heilmann/Köhler, Praxiskommentar, § 36a SGB VIII Rz. 4–8; krit. auch Heilmann, NJW 2014, 2904, 2908 f. und – vermittelnd – Coester in Staudinger, BGB, § 1666a Rz. 13–22 m.w.N.). Insoweit wird auch gesetzgeberischer Bedarf gesehen (Coester in Staudinger, BGB, § 1666a Rz. 23; Meysen, NZFam 2016, 580, 585). Über den dafür nicht geschaffenen § 1666 Abs. 4 BGB öffentlich-rechtliche Vorschriften auszuhebeln, ist aber jedenfalls nicht einmal in diesen Fällen eine Option.
Die Konsequenz der Verweisung an das Verwaltungsgericht, die das AG Waldshut-Tiengen aus seiner richtigen Erkenntnis zieht, ist allerdings nicht zutreffend, denn § 17a GVG gilt jedenfalls für nur von Amts wegen einzuleitende Verfahren nicht (BT-Drucks. 16/6308, 318; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 122 Rn. 10; Lückemann in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 17a GVG Rz. 21; Pfälz. OLG v. 26.7.1999 – 3 W 161/99, FamRZ 2000, 764, 765). Es fehlt nämlich insoweit schon am „beschrittenen Rechtsweg“ i.S.v. § 17a GVG als Voraussetzung einer Verweisung oder Abgabe.
Konsequenzen für die Praxis: Statt einer Verweisung ist deshalb nach dem bereits erwähnten § 24 FamFG zu prüfen, ob überhaupt ein Verfahren einzuleiten ist. Folgt das Gericht der Anregung nach § 24 Abs. 1 FamFG nicht, wofür in den besprochenen Fällen, die der Sache nach gar keine „Kinderschutzverfahren“ sind (s.o.), sehr viel spricht, hat es nach § 24 Abs. 2 FamFG denjenigen, der die Einleitung angeregt hat, darüber – formlos – zu unterrichten, soweit ein berechtigtes Interesse an der Unterrichtung ersichtlich ist. Dies dürfte bei einer Anregung von Eltern allerdings regelmäßig der Fall sein.
Soweit dagegen insbesondere das AG Weimar – einem dahinter offenbar steckenden Netzwerk folgend – seine Zuständigkeit für eine Anordnung gegenüber sämtlichen Kindern zweier Schulen mit abwegiger Begründung bejaht hat, besteht Veranlassung darauf hinzuweisen, dass in der Vergangenheit schon aus geringeren Anlässen Verfahren gegen Richter geführt worden sind, die sich einer offensichtlich nicht gegebenen Zuständigkeit berühmt haben (vgl. „Fall Görgülü“ OLG Naumburg v. 6.10.2008 – 1 Ws 504/07, NJW 2008, 3585). Nach Presseberichten prüft die Erfurter Staatsanwaltschaft auf Strafanzeigen gegen den Weimarer Richter, ob sie ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung einleitet, während bundesweit weitere Anregungen derselben Machart die deutschen Familiengerichte überfluten. Das AG Hannover hat deshalb auf seiner Homepage Amtsgericht Hannover (niedersachsen.de) eine Pressemitteilung hinterlegt, dass es in den mehr als 100 Fällen mit nahezu gleichlautenden Anregungen keine Verfahren einleitet, weil nach Auffassung der Richterinnen und Richter des Familiengerichts des AG Hannover eine konkrete Kindeswohlgefährdung i.S.v. § 1666 BGB nicht ersichtlich ist.
Aktualisierung vom 22.4.2021: Inzwischen hat das VG Weimar mit Beschluss vom 20.4.2021 (8 E 416/21 We) in einem Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO dem Beschluss des Weimarer Familiengerichts zur Frage der Zuständigkeit mit etwa derselben Begründung wie hier und folgendem Satz deutlich widersprochen: „Der Beschluss ist als ausbrechender Rechtsakt (VGH München v. 16.4.2021 – 10 CS 21.1113) offensichtlich rechtswidrig.“
In der Sache weist das VG die Eilanträge der Antragsteller kostenpflichtig zurück, setzt sich dabei ausführlich mit deren Angriffen auf die den Schulbetrieb betreffende Allgemeinverfügung des Freistaates Thüringen auseinander und hält diese auf der Basis des Infektionsschutzgesetzes i.V.m. § 2 Abs. 2, § 38 Abs. 5 ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO (vgl. dazu Thüringer Oberverwaltungsgericht v. 17.3.2021 – 3 EN 93/21, juris) zur Eindämmung des Coronavirus für rechtmäßig. Bei der Interessenabwägung wiege das öffentliche Interesse am Schutz von Leben und Gesundheit einerseits der Personen im Nähebereich der Antragsteller (z. B. sonstige Familienmitglieder oder Freunde) und andererseits der Mitschülerinnen und Mitschüler und der gesamten Bevölkerung höher als das Interesse der Antragsteller, von den ihnen auferlegten Maßnahmen vorläufig verschont zu bleiben. Durchgreifende gesundheitliche Bedenken, die gerade auch bei jüngeren Kindern im Grundschulalter generell gegen eine Tragepflicht von Mund-Nasenschutz sprechen könnten, seien nicht zu erkennen (so auch OVG Münster v. 9.3.2021 – 13 B 266/21.NE, juris Rz. 53 ff.).
Aktualisierung vom 7.5.2021: Inzwischen befassen sich die Oberlandesgerichte mit den Beschwerden von Eltern gegen die ihren Anregungen nicht folgenden Entscheidungen der Familiengerichte. Aus Pressemitteilungen der Oberlandesgerichte Karlsruhe und Nürnberg ist zu entnehmen, dass diese es genauso sehen wie vom Verfasser hier vertreten. Beide heben daher die erstinstanzlichen Beschlüsse insoweit auf, als Verweisungen an die Verwaltungsgerichte erfolgten, weil diese Verfahrensweise bei Amtsverfahren nicht in Frage komme. Am Ende der Karlsruher Pressemitteilung wird auf § 24 FamFG hingewiesen. Das OLG Nürnberg hat das „Verfahren“ eingestellt und die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.
3 Kommentare
Ich teile die Auffassung von Herrn VorsRiOLG a.D. Schwamb, wonach eine sachliche Zuständigkeit des Familiengerichtes wohl tatsächlich nicht gegeben ist. Bemerkenswert ist für mich aber, mit welcher verbalen Vehemenz hier insbesondere der Richter am AG Weimar angegangen wird, der mit seiner Entscheidung „offenbar einem dahinterstehenden“ Netzwerk folge und die Begründung des Gerichts als abstrus abgetan wird, überhaupt nur an eine Kindeswohlgefährdung zu denken. Hier setzt meine Kritik an. Zum einen kann man den Eltern wohl kaum vorwerfen, wenn diese in Wahrnehmung der ihnen obliegenden Verantwortung für ihre Kinder zu dem Schluss kommen, dass sie behördliche Entscheidungen, hier konkret eine vom Verordnungsgeber ergangene Coronaschutzverordnung beziehungsweise auf dieser Grundlage vom Schulträger umgesetzten Maßnahmen im schulischen Kontext einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen wollen, weil sie einzelne oder sämtliche dieser Maßnahmen als das Kindeswohl gefährdend ansehen. Ob die Eltern nun einzeln oder sich unterstützend als Netzwerk zusammenschließen, ist unerheblich. Die richterliche Unabhängigkeit wird ja dadurch keinesfalls in Frage gestellt. Dass das angerufene Familiengericht sachlich nicht zuständig ist, drängt sich aus Laiensicht angesichts der Regelung zum Schutz des Kindeswohls u.a. in § 1666 BGB auch nicht unbedingt auf. Nach hiesiger Einschätzung hat im übrigen auch tatsächlich am ehesten ein Familiengericht genuine Expertise, ob das Kindeswohl gefährdet ist und wie es gegebenenfalls am besten zu schützen ist. Eine sich über 100 Seiten erstreckende eingehende Begründung einer in I. Instanz ergangenen familiengerichtlichen einstweiligen Anordnung ist nicht der Regelfall, selbst wenn man berücksichtigt, dass diese zu großen Teilen die Wiedergabe der Einschätzungen der Sachverständigen ist. Statt nun explizit auf die angebliche Prüfung des Vorgangs durch die Staatsanwaltschaft hinzuweisen, wäre es juristisch vielleicht ergiebiger gewesen, zumindest einmal den Ansatz des Gerichtes zu würdigen, sich eingehender mit der Frage auseinanderzusetzen, ob denn das Kindeswohl bei der der Vielzahl von Maßnahmen, die von Behörden, und Verordnungs- bzw gesetzgeberischen Aktivitäten tatsächlich in dem gebotenen Umfang geschützt wird. Hier liegt nach meiner Meinung doch der Hase im Pfeffer und nicht im Abkanzeln einer Entscheidung durch ein formell unzuständiges Gericht. Und beim Kindeswohl liegt aus hiesiger Sicht seit nunmehr über einem Jahr tatsächlich viel im Argen. Dass die Verwaltungsgerichte das Kindeswohl bei ihren Beschlüssen in den letzten Monaten mit im Blick haben, kann nach hiesiger Auffassung getrost bezweifelt werden. Mag sein, dass diese, s.o. nichts Rechtes mit dem Begriff des Kindeswohls anfangen können. Sie müssten es aber ! Und dabei muss auch nicht der § 1666 BGB bemüht werden. Nein, es reicht neben dem GG vor allem ein Blick in die UN-Kinderrechtskonvention (KRK), die über Art. 59 Abs.2 S.1 GG den Rang eines Bundesgesetzes genießt. Und in Art. 3 KRK heißt es in Abs.1 : „ Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
Hierbei handelt es sich gleichsam um das Leitprinzip der KRK, Lorz/Sauer, Kinderrechte ohne Vorbehalte, https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/5240/file/mrm11_h1_S5_16.pdf
Mit Art. 3 KRK wird dem Kindeswohl somit eine herausragende Bedeutung für alle Entscheidungen über Kinder betreffend zugesprochen, s. Schmahl, Kinderrechtskonvention mit Zusatzprotokollen, Art.3 Rd. 2. Dem Kindeswohl muss bei allen diesen Entscheidungen und mithin auch bei den fachgerichtlichen Beschlüssen der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine besonders hervorgehobene Bedeutung zukommen. Es ist nicht ausreichend, wenn dieses quasi nur im Vorbeigehen oder gar nicht einbezogen wird. Wenn vorliegend moniert wird, dass § 1666 BGB ja gar keine
Gesetzesgrundlage biete – voila, mit Art. 3 KRK bietet sich eine und zwar eine unmittelbar wirkende mit Rang eines Bundesgesetzes, und damit jedenfalls im Vorrang z.B. zu der ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO, mit der sich das VG Weimar, Beschluss vom 20.04.2021 zu Aktenzeichen 8 E 416/21. Wen man sich den Beschluss des VG Weimar einmal genauer anschaut, wird dieses zwingende Erfordernis – vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohl – nicht mit einem Wort erwähnt, geschweige denn berücksichtigt. Dort heißt es nämlich unter anderem nur: „ Die streitgegenständlichen Regelungen der Allgemeinverfügung sind auch verhältnismäßig. Bei der Interessenabwägung wiegt das öffentliche Interesse am Schutz von Leben und Gesundheit einerseits der Personen im Nähebereich der Antragsteller (z. B. sonstige Familienmitglieder oder Freunde) und andererseits der Mitschülerinnen und Mitschülern und der gesamten Bevölkerung höher als das Interesse der Antragsteller, von den ihnen auferlegten Maßnahmen vorläufig verschont zu bleiben. In diesem öffentlichen Interesse verwirklicht sich der Schutzauftrag des Staates gegenüber der Gesamtbevölkerung, der in dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelt und der den Antragsgegner als Träger öffentlicher Gewalt zum Handeln verpflichtet (BVerfG, Beschluss vom 11.05.2020, 1 BvR 470/20, Juris-Rdnr. 15).“
Und dass das Kindeswohl durchaus beeinträchtigt sein und im Einzelfall auch war, haben die Gutachter in dem angegriffenen Amtsgerichtsbeschlüssen doch deutlich zum Ausdruck gebracht.
Wohlgemerkt: Allein durch die Tatsache, dass gesunden Kindern -kranke Kinder kommen ja erst gar nicht in die Schule, sei es, weil sie ohnehin bereits aufgrund von Symptomen zu Hause bleiben, sei es, weil sie nach einem Antigentest sofort “abgesondert“ werden, wie es so unschön heißt, ein Sonderopfer mit zumindest ungeklärten ungewissen gesundheitlichen Konsequenzen auferlegt wird, stellt sich die Frage, ob hier bei allem Verwaltungshandeln, Verordnungsgeber, Behörde oder Gerichte, herausragendem und explizit vorrangig zu prüfenden Kindeswohl die gebührende Bedeutung eingeräumt wird. Dies ist auch bei jeder einzelnen Maßnahme gesondert zu prüfen. Und wo ist denn nun eigentlich nach über einem Jahr Pandemie eine wirklich tragfähige Studie darüber, dass es beispielsweise keine kurzfristigen oder mittelfristigen gesundheitlichen Folgen hat, wenn ein Kind von vielleicht 7 oder 8 Jahren mehrere Stunden an einem Schultag mit einer Alltagsmaske oder sogar medizinischen Maske herumlaufen muss, unterbrochen nur von Essen- oder “Maskenpausen“. Die Gutachter im Weimarer Beschluss kommen da jedenfalls unisono zu anderen Schlüssen. Woher nehmen denn Verwaltungsgerichte wie das VG Weimar denn eigentlich Ihre unzweifelhafte Gewissheit, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass beispielsweise bei Stressbelastungen wie zum Beispiel während Klassenarbeiten keine körperliche oder seelische Beeinträchtigungen kurz,- mittel-, oder langfristig damit einhergehen ? Mir ist jedenfalls kein entsprechender Beweisbeschluss eines Verwaltungsgerichts bekannt, der dem einmal nachgeht. Aber das muss dann wohl auch gar nicht sein, denn es findet in den Eilverfahren ja ohnehin nur eine summarische Prüfung statt. Und das könnte dann angesichts der Verfallsdauer der jeweiligen Coronaschutzverordnungen von wenigen Wochen dann durchaus noch ein paar Jahre so weiter gehen. Und was sagt ein Verwaltungsgericht eigentlich dazu, dass die zwingende Vorschrift des Art. 28 Abs.1 lit.a), wonach es eine unentgeltliche Grundschulpflicht gibt, und das „Homeschooling“ gegen Art. 28 Abs.1 lit. a KRK verstößt, nunmehr schon das zweite Schuljahr in Folge nicht beachtet wird ? Es soll ja Kinder geben, die wurden schon Monate nicht mehr in der Schule gesehen und ob ein „Homeschooling“ überhaupt stattfindet, weiß man auch nicht. Möglicherweise steht ja noch nicht einmal ein Computer oder Tablet zur Verfügung und beispielsweise ein Erstklässler muss sich auf einem kleinen Handy die Aufgaben anschauen. Und wenn es nunmehr durch die willkürliche Festlegung von Inzidenzzahlen vom Zufall und der Jahreszeit abhängt, ob Kinder regelmäßig die Schule besuchen können oder nicht, ruft dies bei mir Fassungslosigkeit hervor. Aber darum muss sich ja auch kein Verwaltungsgericht mehr darum kümmern, da ja nur noch der Gang nach Karlsruhe offen steht.
Mein Fazit: Die Entscheidung der Familiengerichte Weimar und Weilheim mögen hinsichtlich der Zuständigkeit unzutreffend sein, in der Frage der Tiefe der Prüfung des Kindeswohls sind sie es nicht. Gerichte und Behörden sind immer gehalten, wenn sie schon nicht § 1666 BGB im Sinne eine negativen Kindeswohlprüfung zum Maßstab nehmen, in jedem Fall die zentrale Vorschrift von Art. 3 KRK in den Blick zu nehmen mit der dort unmittelbar anzuwendenden vorrangigen positiven Berücksichtigung des Kindeswohls. Dies hat zur Folge, dass im Rahmen einer Güterabwägung sehr sorgfältig und nachvollziehbar dargelegt werden muss, warum das Kindeswohl trotz seines prinzipiellen Vorranges gegenüber anderen Belangen im Einzelfall zurückgestellt worden ist, Lorz/Sauer, a.a.O.S. II.c). Wenn man aber, wie beispielsweise das VG Weimar in seinem Beschluss noch nicht einmal die Vorschrift erwähnt, so liegt es nahe, dass diese bei der Entscheidung auch gar keine Rolle gespielt hat. Kinderschutzrechte gelten aber immer und überall, sie unterliegen keinem Pandemievorbehalt. Kinder sind die Zukunft einer Gesellschaft, sie können sich nicht selbst schützen, also müssen sie zuvörderst von den Eltern und aber auch der Gesellschaft geschützt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Marcus Himmel
Rechtsanwalt
Erwiderung zum Leserbrief von Rechtsanwalt Marcus Himmel:
Rechtsanwalt Marcus Himmel stimmt meinen Ausführungen ja zu, dass die Familiengerichte nicht für Entscheidungen über die Einhaltung von Abstandsregeln, Masken- und Testpflicht an Schulen zuständig sind, meint aber, das dränge sich aus Laiensicht nicht auf und, ob die Eltern nun einzeln vorgingen oder sich unterstützend als Netzwerk zusammenschließen, sei unerheblich. Bei meiner in der Wortwahl zugegeben deutlichen Kritik vor allem an dem Weimarer Familienrichter ist aber zu bedenken, dass hier kein Laie am Werk war, sondern dass dieser die Zuständigkeitsfrage nur schmal gestreift hat, um dann offenbar bestens vorbereitet „zur Sache“ zu kommen. Inzwischen verdichten sich die Hinweise des SPIEGEL und Recherchen der Thüringer Allgemeinen, dass dies im Zusammenhang mit einem Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte stehen könnte und/oder in einer Telegram-Gruppe nach Eltern mit Familiennamen, die nach der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts zu diesem Richter gelangen, gesucht wurde (SPIEGEL v. 17.4.2021). Nach einer aktuellen und von der StA Erfurt bestätigten Nachricht von heute soll es inzwischen einen Durchsuchungsbeschluss und eine Beschlagnahme des Handys des Richters gegeben haben Weimar: Corona-Maskenpflicht aufgehoben – Durchsuchung bei Amtsrichter – DER SPIEGEL.
Es bleibt abzuwarten, was dabei herauskommt. Verweisen möchte ich ferner auf den Link „Entscheidungen zu Masken an Schulen: Juristen fassungslos“ von tagesschau.de https://www.tagesschau.de/inland/masken-entscheidung-umstritten-101.html.
Um auf Herrn Rechtsanwalt Himmel und seine Kritik an meiner Wortwahl zurückzukommen: Es bestreitet ja niemand, dass die Kinder von den Coronamaßnahmen hart betroffen sind, vor allem dann, wenn Kindergärten und Schulen immer wieder geschlossen werden müssen, um das Infektionsgeschehen nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Genau dagegen richten sich übrigens Tests und Maskenpflicht, um die Schulen zumindest teilweise wieder öffnen zu können. Über Kritik und notwendigen Diskurs zu dieser oder jener Maßnahme sowie die breit geführte Diskussion, welche Bevölkerungsgruppen härter betroffen sind, ging es bei meiner Kritik nicht, sondern allein darum, dass sich hier ein offensichtlich unzuständiger Familienrichter mit auch in der Wissenschaft als abseitig geltenden Meinungen (u.a. Überflüssigkeit der Abstandsregeln und Leugnen der Aerosolgefahr) angemaßt hat, nicht einmal nur für die an ihn herantretenden Eltern, sondern (im Unterschied zu seiner ähnlich entscheidenden Weilheimer Kollegin) sogar für alle Kinder zweier Schulen seines Sprengels Maßnahmen zu treffen. Spätestens an dieser Stelle hört Meinungsstreit auf und fängt Willkür an, die man auch mit „abstrus“ bedenken kann. Das könnte man nun als Randnotiz abtun und sich in der Tat wichtigeren Aufgaben, insbesondere auch zum Thema Kindeswohl zuwenden. Die Massenhaftigkeit gleichlautender vorformulierter Anregungen bundesweit zeigt aber, dass wesentlich mehr dahinter steckt, rechtsstaatliche Institutionen für einseitige Zwecke vereinnahmt werden und damit auch Ressourcen, die Familiengerichte und Jugendämter für echte Fälle von Kindeswohlgefährdung dringend benötigen, verloren gehen. Deshalb bleibe ich dabei, wie in meinem Ausgangsbeitrag näher dargelegt, dass für diese „Fälle“ die inzwischen auch vielfach praktizierte Vorgehensweise nach § 24 FamFG angezeigt ist, und zwar anstelle langer abweisender familiengerichtlicher Beschlüsse mit Kostenentscheidungen bzw. sogar Einleitung von Verfahren gegen die Eltern, sofern diese lediglich auf den Zug der Formularanregung aufgesprungen sind und keine konkreten Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdung vorliegen. Es darf nämlich auch nicht der Eindruck von „Retourkutsche“ entstehen, was die Situation nur noch weiter aufheizen würde.
Gemäß der Pressemitteilung des OLG Nürnberg vom 29.4.2021 zu zwei Beschlüssen des OLG Nürnberg vom 26.4.2021 zu Aktenzeichen 9 WF 342/21 und 9 WF 343/21 wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Sache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt ist (zit. nach Lohmann in Prütting/Gehrlein, ZPO, 5. Aufl., § 574 ZPO Rz. 7). Eine solche in Schrifttum und Rechtsprechung kontrovers diskutierte Frage, die noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (s. auch Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl., § 70 Rz. 4), liegt also hier nach Auffassung des OLG Nürnberg vor. Spätestens damit dürfte aber auch klar sein, dass der Familienrichter am AG Weimar mit seinem Beschluss vom 8.4.2021 nicht offensichtlich unzuständig, willkürlich und abstrus entschieden hat, sondern vertretbar – wenn wohl auch nicht zutreffend – seine Zuständigkeit angenommen und, gestützt auf mehrere Sachverständigengutachten, versucht hat, eine Kindeswohlgefährdung aufzulösen. Spätestens durch die Entscheidung des OLG Nürnberg dürfte damit auch der gegen den Richter am AG Weimar bestehende Verdacht der Rechtsbeugung haltlos geworden sein.