Der Juristentag 2016 und die knifflige Elternfrage

Ich hatte schon im August auf die praktischen Herausforderungen der medizinisch attestierten Fortpflanzung für das Abstammungsrecht hingewiesen („Geburt und Tod als Herausforderungen des Familienrechts“). Auf dem Juristentag ging es darüber auch hoch her. Die familienrechtlichen Veranstaltungen waren bestbesucht. Nun wurden die zu dieser Frage ergangenen Beschlüsse des 71. DJT veröffentlicht.

Es war zu erwarten, dass die Diskussionsergebnisse die Stellung der Wunscheltern und insbesondere der Wunschväter stärken und den genetischen Vater schützen. 

Vater soll sein, wer mit Zustimmung der Mutter in die Befruchtung eingewilligt hat. Diese Einwilligung ist nur bis zur Befruchtung widerruflich und ansonsten nicht anfechtbar, weshalb sie formbedürftig sein soll.

Der Samenspender soll nicht als Vater eines Kindes gerichtlich festgestellt werden können, wenn die Samenspende aus einer Samenbank zur Verfügung gestellt wurde oder Mutter und genetischer Vater vor Zeugung des Kindes erklärt haben, dem genetischen Vater solle keine Elternposition zukommen. Nur bei der privaten Samenspende (sog. Becherspende) soll der genetische Vater als Vater gerichtlich festgestellt werden können, wenn dem Kind kein zweiter rechtlicher Elternteil zugeordnet werden kann.

Lesbischen Paaren soll die Möglichkeit eröffnet werden, bereits bei der Geburt eines Kindes durch die Partnerin Elternschaft zu erreichen. Dabei sollen die zur Vaterschaft entwickelten Grundsätze sinngemäß angewendet werden.

Leihmutterschaft soll im Inland nach den im Geburtsland geltenden Regeln anerkannt werden, die Stiefkindadoption soll in diesen Fällen erleichtert und weitere Wege zur schnellen Erlangung rechtlicher Elternschaft vorgesehen werden. 

Viele von uns werden sagen: Na endlich! Bis zur Umsetzung der Vorschläge durch den Gesetzgeber wird aber noch viel geduldige oder erregte Diskussionszeit vergehen. Was Familienpatchworker als selbstverständlich ansehen, löst bei Anhängern christlich abendländischen Reinheitsgebots und einem Teil ihrer muslimischen Glaubensbrüder Schnappatmung aus. Sie alle sind auch im Bundestag vertreten. Die familienrechtliche Diskussion sollte aber nicht als Völkerschlacht, sondern mit dem Ziel geführt werden, dem klerikalen Traditionalisten jedweder Provenienz seinen Familienentwurf ebenso leben zu lassen wie den Familienfachpatchworker. Solange die Interessen der Kinder geschützt werden, können volljährige Erwachsene leben, wie sie wollen. Die Rechtsordnung hat nur sicherzustellen, dass Kinder einen gesicherten und schützenden rechtlichen Rahmen haben. Den Weg dazu könnten die Beschlüsse des Juristentages gewiesen haben.

 

 

Ruhen der elterlichen Sorge oder doch Übertragung der Alleinsorge? (OLG Karlsruhe v. 28.4.2016 – 18 UF 265/15)

Im Zuge des KindRG, das seit dem 1.7.1998 Geltung besitzt, war es wesentliches gesetzgeberisches Anliegen, auch nicht miteinander verheirateten Eltern die Begründung der gemeinsamen Sorge zu ermöglichen. Gleichzeitig wurde bei verheirateten Eltern im Fall der Scheidung nicht mehr von Amts wegen im Verbund über die Sorge entschieden. Zur Herstellung der Alleinsorge bedurfte es nun vielmehr eines ausdrücklichen Antrags. In der Rechtsprechung wurde daher zunächst vielfach die Auffassung vertreten, dass zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge ein Regel-Ausnahme-Verhältnis geschaffen worden sei. Es bedurfte zum damaligen Zeitpunkt – wie auch aktuell im Zusammenhang mit § 1626a BGB – erst einer klarstellenden Entscheidung des BGH, dass es einen solchen Vorrang der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht gibt. Gleichwohl ist in der Praxis unverändert ein Antrag auf Übertragung der Alleinsorge an hohe Hürden geknüpft und wird nicht selten mit dem Argument ausgehebelt, dass es im konkreten Sachverhalt doch gerade keine akute Entscheidungsnotwendigkeit gebe, so dass es auch bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben könne.

Nicht nur im Fall der Inhaftierung eines Elternteils kann eine bestehende gemeinsame Sorge zu Handlungshemmnissen führen. Auch in zahlreichen gemischt-nationalen Ehen ergeben sich zunehmend Situationen, in denen ein Elternteil sich zeitweise oder längerfristig in seinem Heimatland aufhält und dort im Fall zu treffender Entscheidungen gerade nicht kurzfristig erreichbar ist, um in Entscheidungen einbezogen werden zu können, oder möglicherweise sogar ganz bewusst seine Erreichbarkeit verhindert. Mit einer sehr spezifischen Fallkonstellation hatte sich das OLG Karlsruhe in einer Entscheidung vom 28.4.2016 auseinander zu setzen: In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hielt sich der Vater des Kindes an nicht näher bekanntem Ort im Irak auf – erkennbar als Mitglied des IS. Der Antrag der Mutter auf Übertragung der Alleinsorge wurde erstinstanzlich zurückgewiesen, wobei das Familiengericht die Auffassung vertrat, dass es einer Sorgerechtsregelung nicht bedürfe, da die elterliche Sorge des Vaters ohnehin ruhe.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass das Ruhen der elterlichen Sorge in seiner Gesamtheit oder in Teilbereichen familiengerichtlich festgestellt wird, wenn ein Elternteil aus tatsächlichen (§ 1674 Abs. 1 BGB) bzw. aus rechtlichen Gründen (§ 1673 BGB) – etwa folgend aus einer Geschäftsunfähigkeit bzw. beschränkten Geschäftsfähigkeit – an der Sorgerechtsausübung gehindert ist oder aber er in die Adoption des Kindes eingewilligt hat (§ 1751 Abs. 1 Satz 1 BGB). Praktische Bedeutung hat die tatsächliche Verhinderung sowohl in den Fällen der Inhaftierung eines Elternteils – wobei sich diese aber nicht nur über einen kurzen Zeitraum erstrecken darf – aber auch dann, wenn ein Elternteil sich im Ausland aufhält und dort tatsächlich nicht erreichbar ist. Für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d.h. das Gericht muss jeweils prüfen, ob die Feststellung des Ruhens auf Teilbereiche der elterlichen Sorge begrenzt werden kann. Unabhängig davon, ob die elterliche Sorge in ihrer Gesamtheit oder lediglich in Teilbereichen ruht, bleibt gleichwohl der an der Ausübung der Sorge verhinderte Elternteil Inhaber des Rechts, so dass bei Wegfall des Verhinderungsgrundes sein Sorgerecht wieder auflebt.

Wird demgegenüber von einem Elternteil die Übertragung der Alleinsorge begehrt, so orientiert sich die im Rahmen der sog. großen Kindeswohlprüfung nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorzunehmende Abwägung an der Frage der objektiven Kooperationsfähigkeit und subjektiven Kooperationswilligkeit der Eltern. Sie setzt jeweils eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus, die es ihnen ermöglicht, ihre Elternverantwortung am Kindeswohl orientiert wahrzunehmen.

In der Praxisberatung sollte durchaus dem Mandanten verdeutlicht werden, dass die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge grundsätzlich im Interesse des Kindes liegt und auch im Rahmen einer bestehenden Partnerschaft unterschiedliche Auffassungen zur Erziehung letztlich im Gesprächswege einer Lösung zugeführt werden müssen. Gleichwohl bedeutet dies jedoch nicht – und dies wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung so auch nicht vorausgesetzt – dass bedingungslos an der gemeinsamen elterlichen Sorge festzuhalten ist. Wenn ein respektvoller Umgang der Eltern nicht mehr zu erwarten ist, steht dies auch der am Kindeswohl orientierten gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge entgegen. Hat sich ein im Ausland lebender Elternteil von der geltenden Rechtsordnung gelöst und stellt er im Fall seiner Rückkehr für das Kind und den jeweils anderen Elternteil eine Gefährdung dar, so ist kein Raum für das Ruhen der elterlichen Sorge.

Alle Jahre wieder – Verhinderung eines Sommerurlaubs (hier: einer Türkeireise) durch die gemeinsame elterliche Sorge?

Der Familienrechtler kennt diese Problematik: Unmittelbar vor einem längst geplanten Urlaub eines Elternteils mit dem gemeinsamen Kind gibt es Unstimmigkeiten. Ein typischer Streitpunkt – die bloße Information darüber, welchen konkreten Urlaubsort man anreisen will – kann häufig noch durch Korrespondenz mit dem anwaltlich vertretenen, die Reise beabsichtigenden Elternteil gelöst werden. Wesentlich schwieriger wird es dann jedoch, wenn der Urlaub als solcher in Rede steht. Klammert man die nach wie vor doch leider häufigen grundlosen Verweigerungen aus, die so kurz vor dem Urlaub erklärt werden, dass eine gerichtliche Regelung nicht mehr möglich ist, so bleiben immer noch jene Fälle, in denen ein mitsorgeberechtigter Elternteil aus tatsächlichen Befürchtungen mit einem bestimmten Urlaubsziel nicht einverstanden ist. In einer intakten Beziehung wäre dieses Problem in einem Gespräch unter Abwägung aller wesentlichen Aspekte gelöst worden. Nicht so in einer Phase nach Beziehungsende. Hier wird der Einwand gegen ein bestimmtes Urlaubsland so gedeutet, dass dem nichtbetreuenden Elternteil sein Urlaub mit dem gemeinsamen Kind missgönnt wird und auf irgendeine Weise versagt werden soll. An dieser Stelle bedarf es dann der Prüfung, ob die konkret geplante Urlaubsreise dem Alleinvertretungsrecht eines Elternteils unterliegt. Es handelt sich dabei um eine Frage, die in Zeiten angebotener Billigflüge auch in die entferntesten Länder und politischer und terroristischer Unruhen an vielen Orten der Welt, nicht immer eindeutig zu beantworten ist.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass bei gemeinsamer elterlicher Sorge die wesentlichen Fragen von den Eltern auch gemeinsam zu entscheiden sind und lediglich in Angelegenheiten des täglichen Lebens gem. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB der betreuende Elternteil das Alleinentscheidungsrecht hat. Damit stellt sich regelmäßig aber auch das Problem der Abgrenzung zwischen Angelegenheiten des täglichen Lebens und den Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung. Eine wesentliche Hilfe für diese Abgrenzung bietet die in § 1687 Abs. 1 S. 3 BGB formulierte Legaldefinition. Danach sind Alltagsangelegenheiten solche Entscheidungen, die häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Kindesentwicklung haben. In der Praxis empfiehlt sich daher regelmäßig die Prüfung, ob es im Zusammenhang mit einer bestimmten Frage mit dem Kindeswohl vereinbar wäre, wenn die Entscheidung dieser Streitfrage unterbliebe.

Ist unter diesen Voraussetzungen eine bestimmte Streitfrage als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung zu bewerten und können die Eltern hierzu keinen Konsens finden, so eröffnet § 1628 BGB die Möglichkeit, zu dieser Einzelfrage einem Elternteil das Alleinvertretungsrecht zu übertragen. Die zu treffende gerichtliche Entscheidung unterliegt den gleichen Prüfungskriterien, wie sie für eine Sorgeentscheidung in ihrer Gesamtheit gilt, d.h. zentrales Prüfungskriterium ist auch hier das Kindeswohl und es bedarf der Abwägung, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, die am Kindeswohl orientierte konkrete Sachentscheidung zu treffen. Das Gericht hat dabei die Möglichkeit, die Zuweisung der Entscheidungskompetenz an einen Elternteil – betreffend diese konkrete Streitfrage – mit Auflagen zu verbinden. Keineswegs jedoch darf das Gericht eine Entscheidung anstelle des dazu berufenen Elternteils treffen.

Geplante Auslandsaufenthalte eines Kindes – sei es auch nur die Ermöglichung einer Urlaubsreise zusammen mit einem Elternteil in dessen Heimatland – sind in der Rechtsprechung häufig als Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung bewertet worden. Im Fall des OLG Frankfurt v. 21.7.2016 – 6 UF 206/16 ging es darum, dass der Vater nicht wollte, dass die Mutter mit dem gemeinsamen Kind zum jetzigen Zeitpunkt – nach dem Putschversuch und den diversen terroristischen Anschlägen in der Türkei – dorthin reiste. Zu dem Zweck der Verhinderung der beabsichtigten Türkeireise beantragte er die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis in dieser Sache im Wege der einstweiligen Anordnung, was das OLG Frankfurt abgelehnt hat. Bei gemeinsamer elterlicher Sorge unterfalle die Entscheidung, mit dem Kind eine Urlaubsreise in die Türkei zu machen, unter den gegenwärtigen dortigen Verhältnissen nicht der Alleinentscheidungsbefugnis des § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB.

In der Praxisberatung sollte darauf geachtet werden, nicht nur mit dem Mandanten – soweit Umgangskontakte in Rede stehen – diese Problematik so früh wie möglich anzusprechen, um ihn diesbezüglich auch bei eigenen Planungen zu sensibilisieren. Gleichlautend sollte auch, wenn konkrete Urlaubsreisen geplant werden, mit dem jeweils anderen Elternteil frühestmöglich die Kontaktaufnahme veranlasst werden, verbunden mit der Aufforderung zur verbindlichen Stellungnahme, so dass ggf. auch noch eine gerichtliche Entscheidung in der verbleibenden Zeit herbeigeführt werden kann. Dabei darf man aber nicht die Augen davor verschließen, dass – insbesondere in Zeiten erhöhter Terrorgefahr – alle Planungen durch tatsächliche Abläufe überholt werden können. Dann wäre es wünschenswert, wenn Elternteile Bedenken des anderen zu einer Urlaubsreise nicht als persönlichen Affront werten, sondern besonnen überlegen würden, ob sie in einer intakten Partnerschaft ebenso beharrlich an diesem Urlaubsziel festgehalten und das auch nur latente Risiko für ihr Kind in Kauf genommen hätten.