Keine Auskunft gegen das Wohl des Kindes (OLG Düsseldorf v. 9.8.2019 – 8 WF 170/18)

Der Umgang zwischen dem Kind und seinem nicht betreuenden Elternteil wird nicht nur auf Seiten des Elternteils verfassungsrechtlich geschützt, sondern ist ebenso ein höchstpersönliches Recht des Kindes in Ausgestaltung eines eigenen Umgangsanspruchs, der zentraler Bestandteil des Kindswohls ist. Aus unterschiedlichen Gründen kann im Einzelfall die Wahrnehmung von persönlichen Umgangskontakten tatsächlich nicht möglich oder aus rechtlichen Gründen folgend ausgeschlossen sein. Dann muss im Grundsatz gleichwohl dem Elternteil die Möglichkeit verbleiben, Informationen zur Entwicklung des Kindes zu erhalten, soweit die Umsetzung dieses Anspruchs nicht dem Kindeswohl widerspricht. In der Praxis sind die Gerichte immer wieder mit der Frage befasst, ob in bestimmten Fallkonstellationen von einem solchen Widerspruch zum Kindeswohl auszugehen ist. Mit einem besonders tragischen Sachverhalt hat sich aktuell das OLG Düsseldorf auseinandergesetzt.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Kindesvater im Jahr 2011 dem damaligen Säugling wiederholt Mund und Nase so lange zugehalten, dass die Sauerstoffzufuhr unterbrochen wurde bzw. bei der letzten Tat das Kind sogar einen Herzstillstand erlitt. Wegen dieser gefährlichen Körperverletzung wurde der Vater zu einer Freiheitsstrafe und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Aus dem Krankenhaus suchte er Kontakt zur Mutter des Kindes zwecks Informationen über den Entwicklungsstand des Kindes. Diese ermögliche ihm zunächst an zwei Geburtstagen des Kindes einen telefonischen Kontakt, verweigerte dann in der Folge aber weitere Informationen, so dass der Vater gerichtlich den Auskunftsanspruch geltend machte, der ihm erstinstanzlich auch in der Form zuerkannt wurde, dass pro Quartal ein Entwicklungsbericht erstellt werden sollte, ohne dass jedoch die Mutter verpflichtet war, die Adresse bekannt zu geben. Gegen diese Entscheidung legte die Mutter Beschwerde ein, auf die das Oberlandesgericht die Ausgangsentscheidung aufhob und den Antrag des Vaters zurückwies.

Seine Entscheidung begründete der Senat mit dem Hinweis, dass unbeschadet der Frage, ob auf Seiten des Vaters von einem berechtigten Interesse an der Auskunft ausgegangen werden könne, in jedem Fall die von ihm begehrte Auskunftserteilung derzeit dem Wohl des Kindes widerspreche. Der mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Sachverständige halte es im Ergebnis zwar für vertretbar, wenn der Vater halbjährlich die gewünschten Informationen erhalte, doch habe er auf ausdrückliche Nachfrage des Senats ebenso bestätigt, dass eine krisenhafte Verarbeitung des Kindes bei umfassender Einsicht in das Geschehene nicht ausgeschlossen werden könne, wenn es bei Erreichen der notwendigen Verstandesreife begreife, dass sein Vater regelmäßig über seinen Entwicklungsstand in Kenntnis gesetzt worden sei. Wahrscheinlich werde das krisen- oder schockartige Erleben u.U. auch traumaspezifische Symptome hervorrufen. Einen Schutz erhalte das Kind durch die Unterstützung seiner Mutter, nahestehender Bezugspersonen und einer etwaigen ambulanten Psychotherapie. Ebenso werde die kognitive Entwicklung des Kindes ihm die Erfassung ermöglichen, dass alles Nötige zu seinem Schutz getan werde. Diesen Ausführungen des Sachverständigen lasse sich aber auch entnehmen, dass das Kind nicht nur mit den Taten seines Vaters zurecht kommen müsse, sondern auch der Tatsache, dass persönliche Daten gerade an den weitergegeben worden seien, der ihm erhebliche Gewalt zugefügt habe. Dies stelle eine zusätzliche Belastung und einen weiteren Risikofaktor für die psychische Gesundheit des Kindes dar. Der Schutz des Kindes könne daher nur gewährleistet werden, wen die Informationsweitergabe solange zurückgestellt werde, bis sich das Kind selbst dafür oder dagegen entscheiden könne. Die derzeitige Auskunftserteilung widerspreche daher dem Schutz des Kindes und es sei auch kein milderes Mittel als der vollständige Auskunftsausschluss zum Schutz des Kindes gegeben.

Unabhängig davon, ob Auskunftsansprüche auf § 1686 BGB oder § 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt werden, bedarf es jeweils eines berechtigten Interesses an dem Auskunftsanspruch. Dieses wird regelmäßig bejaht, wenn der Anspruchsteller keine andere Möglichkeit hat, um sich über die Entwicklung des Kindes in zumutbarer Weise zu informieren, etwa weil kein Umgang ausgeübt werden kann oder aufgrund zu großer räumlicher Entfernung keine adäquate persönliche Überzeugung von der kindlichen Entwicklung sichergestellt ist. Für den Auskunftsanspruch ist es unerheblich, ob in der Vergangenheit ein regelmäßiges Interesse an dem Kind gezeigt wurde. Allerdings wird der Auskunftsanspruch dann als missbräuchlich anzusehen sein, wenn er letztlich nur Zwecke verfolgt, die dem Kindeswohl abträglich sind, etwa wenn auf diesem Wege Informationen erlangt werden sollen, die aufgrund gerichtlicher Regelung gerade nicht bekannt werden sollen.

Der Auskunftsanspruch richtet sich auf alle für das Befinden und die Entwicklung des Kindes wesentlichen Lebensumstände. Hierbei ist aber der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes Rechnung zu tragen, so dass etwa die Informationen zu höchstpersönlichen Angelegenheiten eines fast volljährigen Kindes nicht mehr der Auskunftserteilung unterfallen.

Eingeschränkt wird der Auskunftsanspruch letzlich durch das Kindeswohl. Dieses ist nicht Maßstab des Auskunftsrechts, sondern bildet lediglich seine Grenze. Die Auskunft darf daher nur dann verweigert werden, wenn es konkrete Anhaltspunkte für die Annahme gibt, dass durch die Auskunft das Kindeswohl beeinträchtigt werden kann und es auch kein milderes Mittel zum Schutz des Kindes gibt.

 

Kindeswille gleich Kindeswohl ? (OLG Köln v. 28.3.2019 – 10 UF 18/19)

Dem Praktiker sind diese typischen Besprechungstermine hinlänglich bekannt. Es erscheint ein Elternteil zur Rücksprache und trägt mit Vehemenz vor, dass es einer zwingenden Neuregelung der elterlichen Sorge bedarf. Die für diese Einschätzung benannten Argumente sind wenig überzeugend, so dass letztlich zum alles entscheidenden Argument ausgeholt wird – dem ausdrücklich vom Kind geäußerten Willen. Es heißt, dass das Kind sich nichts anderes wünscht, als dass genau dieser Elternteil künftig die Alleinsorge ausüben soll, und das ja auch nachvollziehbar erscheint, da es ohnehin vor und nach jedem Kontakt mit dem anderen Elternteil weint bzw. massive Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Nicht immer gelingt es, Eltern davon zu überzeugen, dass möglicherweise dieser geäußerte Wille nichts mit der tatsächlichen Willenslage des Kindes zu tun hat und allein der Kindeswille nicht zwingend zu der gewünschten gerichtlichen Entscheidung führen wird.

In diesem Sinn hat auch das OLG Köln in einer aktuellen Entscheidung einen Sorgerechtsantrag zurückgewiesen. Die Eltern stritten über die Alleinsorge für ihre 13-jährige Tochter, die nach dem Sachvortrag der Mutter sich ausdrücklich dafür ausgesprochen hatte, dass künftig die Sorge allein von ihr wahrgenommen werden sollte. Ebenso wie das Ausgangsgericht hat auch die Beschwerdeinstanz den Antrag zurückgewiesen und seine Entscheidung damit begründet, dass mit Blick auf die Frage der Kooperationsbereitschaft der Eltern weder konkret und maßgebende Streitigkeiten zu Angelegenheiten der elterlichen Sorge vorgetragen worden oder auch nur ersichtlich seien. Der elterliche Streit konzentriere sich vielmehr darauf, was für die Haltung der Tochter mit Blick auf ihre derzeitige Weigerung zur Wahrnehmung von Umgangskontakten mit ihrem Vater ursächlich sei. Schwierigkeiten bei der Abstimmung von Sorgerechtfragen würden lediglich befürchtet. Die Mutter verkenne in ihrer Argumentation, dass aus der Beachtlichkeit des Kindeswillens nicht per se folge, dass die elterliche Entscheidungskompetenz und -verantwortung auf das Kind „abgewälzt“ werden dürfe. Der Kindeswille könne nur dann als Argument zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge herangezogen werden, wenn dies auch durch objektive Kindeswohlgründe unterstützt werde. Bei der Bewertung des erklärten Kindeswillens müsse stets berücksichtigt werden, inwieweit dieser Wille stabil sei oder die kindlichen Äußerungen sich schwankend und unentschlossen darstellten, da dies häufig der Ausdruck eines Loyalitätskonflikts sei.

Der unbestimmte Rechtsbegriff des „Kindeswohls“, wie er in der sog. doppelten Kindeswohlprüfung des § 1671 BGB auszulegen ist, wird durch verschiedene Kriterien näher präzisiert, etwa dem Förderungsprinzip, dem Kontinuitätsgrundsatz aber auch dem Kindeswillen. Diese Kriterien sind jeweils auf den Einzelfall bezogen zu prüfen und stehen in ihrer Wertigkeit kumulativ nebeneinander, wobei durchaus eines dieser Kriterien letztlich entscheidungsrelevant werden kann, wenn die Eltern zu keinem der sonstigen Aspekte wesentlich differenzieren.

Dem Kindeswillen wird in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung erhebliche Bedeutung beigemessen, da er Ausdruck einer eigenen Entscheidung des Kindes als Grundrechtsträger ist und seine Willensäußerung als Ausübung seines Rechts auf Selbstbestimmung gesehen wird. In Umsetzung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben sieht daher § 159 FamFG ausdrücklich die Anhörung des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren vor. Allerdings ist der geäußerte Wille des Kindes auch darauf zu prüfen, ob er Ausdruck einer eigengebildeten Meinung oder Ergebnis einer elterlichen Manipulation ist. Der geäußerte Kindeswille, der ersichtlich von unrealistischen Vorstellungen bestimmt wird, wird ebenso wenig Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein können, wie der subjektiv geäußerte Wille, der mit dem objektiven Kindeswohl nicht in Einklang zu bringen ist.

Diese Fragen sind – auch wenn es nicht unbedingt auf die Gegenliebe des Mandanten stößt – offen zu klären, bevor ein Sorgerechtsverfahren eingeleitet wird, in dessen Verlauf ein Kind möglicherweise noch tiefer in einen ohnehin schon bestehenden Loyalitätskonflikt geführt wird.

23. Deutscher Familiengerichtstag beendet

Am 21. September 2019 endete der 23. Deutsche Familiengerichtstag. Weil die Tagung aufgrund fehlender Kapazitäten nicht in der seit Jahrzehnten vertraut nüchternen Atmosphäre der Hochschule des Bundes stattfinden konnte, musste nach einer anderen Tagungsstätte gesucht werden. Diese fand der Familiengerichtstag in der farbenfrohen, lebhaften Welt des Phantasialandes. Es ist der zentrale Anziehungspunkt für Familien in Brühl und erwies sich auch unter diesem Aspekt als ein guter Ort für die Veranstaltung.

Etliche Attraktionen des Parks führen die Besucher an Grenzerfahrungen heran und zwingen sie immer wieder, vermeintlich Vertrautes auch aus anderen Perspektiven zu betrachten. Daraus ergeben sich ganz zwanglos vielfältige Assoziationen zum Familienrecht, wie sie uns die Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags, VorsRi’inOLG Prof. Dr. Isabell Götz, in ihrem kurzweiligen Eröffnungsantrag vorgestellt hat. Wie ein Leitfaden zog sich durch diesen Vortrag ihr Petitum für die in vielen Bereichen des Familienrechts notwendigen Reformen, die weit über bloße Randkorrekturen hinausreichen müssen. Hieran schloss sich der fulminante Festvortrag von Prof. Dr. Anne Sanders an. Unter dem Titel „Woher – Wohin? Familien(recht) im Wandel“ stellte sie uns die Geschichte einer Familie vor, anhand derer sie die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten 100 Jahre sehr plastisch nachzeichnete, um dann zum Abschluss einen Blick in die Glaskugel auf zukünftige Veränderungen zu wagen. So ergab sich ein gelungener Auftakt zu einer durchgehend in guter Stimmung verlaufenden Tagung.

Die folgenden Fachvorträge von Prof. Dr. Eva Möhler zu „§ 1631b BGB in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ und DirAG Andreas Frank über „Verwirkung im Familienrecht“ schlossen die beiden folgenden, arbeitsintensiven Tage ab. Den Schlusspunkt der Tagung bildete der Vortrag von PD Dr. Martin Rettenberger, der die Teilnehmer am Samstagvormittag mit den schwierigen Problemen einer „Risikoeinschätzung beim Kindesmissbrauch“ vertraut machte und sehr anschaulich die Möglichkeiten und Grenzen statistisch fundierter Aussagen vor Augen führte.

Wie gewohnt hatten sich zuvor 24 Arbeitskreise intensiv mit den unterschiedlichsten Themen des Familienrechts befasst und Thesen zu notwendigen Entwicklungen in der Rechtspraxis sowie gesetzlichen Veränderungen erarbeitet. Diese Arbeitsergebnisse sind bereits auf der Homepage des DFGT  veröffentlicht. Die Thesen der Arbeitskreise bilden wiederum die Grundlage für die Empfehlungen des Vorstandes für Rechtsprechung, Verwaltung und Gesetzgebung, die dieser demnächst erarbeiten wird. Alle Vorträge und Arbeitsergebnisse werden zudem im Tagungsband, den Brühler Schriften zum Familienrecht, veröffentlicht. Dieser wird voraussichtlich im 1. Quartal 2020 im Gieseking Verlag erscheinen.

Der 24. Deutsche Familiengerichtstag wird 2021 stattfinden. Allerdings sind Ort und Datum bis auf weiteres noch ungewiss. Die Ankündigung wird sobald wie möglich auf der Homepage des DFGT bekannt gegeben. Termin und Programm des 24. DFGT werden auch rechtzeitig im FamRB veröffentlicht.

Nichts ist so, wie es scheint (BGH v. 17.7.2019 – XII ZB 425/18)

Die Vermögenssorge für ein Kind führt in der Praxis eher ein Schattendasein, obgleich sie doch für Eltern ein haftungsrechtliches Minenfeld birgt, wobei den Eltern die sich hieraus ergebenden Risiken oftmals überhaupt nicht bewusst sind bzw. Elternteile durchaus ein Interesse daran haben können, entsprechende Themen nicht näher zu beleuchten, da eine individuelle Elternverantwortung gilt, die es in zumutbaren Grenzen erfordert, auch den anderen Elternteil zu überwachen. Besonders problematisch ist die Handhabung, Kapitalbeträge auf dem Konto eines gemeinsamen Kindes zu „parken“, um etwa Sparerfreibeträge ausnutzen zu können. Hier stellt sich dann bei Kontoabhebungen die Frage, wer tatsächlich Forderungsinhaber gegenüber dem kontoführenden Kreditinstitut ist. Mit dieser Frage hat sich der BGH in einer aktuellen Entscheidung befasst.

In dem konkreten Sachverhalt hatten die Eltern für ihre Tochter ein Sparkonto errichtet, auf dem Geld für sie angespart werden sollte. Der Eröffnungsantrag benannte die Tochter als „1. Kundin“ und ihren Vater als „2. Kunden / gesetzl. Vertreter“. Bis zur Volljährigkeit des Kindes sollte jeder Elternteil für sich allein verfügungsberechtigt sein und das Kind ohne gesonderte Zustimmung der gesetzliche Vertreter Kontoverfügungen vornehmen dürfen. Das Sparbuch wurde auf den Namen der Tochter ausgestellt und den Eltern mit einem an die Tochter – zu Händen der Eltern – adressierten Schreiben übersandt. Einen Freistellungsauftrag im Jahr 2006 unterzeichnete die Tochter als „Kundin“ und die Eltern als „ges. Vertreter“. Das Sparbuch wurde der Tochter nie ausgehändigt. Es erfolgten Einzahlungen aus dem Kindergeld bzw. sonstigen angesparten Beträgen, jedoch nicht aus dem Taschengeld oder von von Dritten stammenden Geldern. 1997 legten die Eltern bei einem anderen Kreditinstitut ein weiteres auf die Tochter lautendes Sparbuch an, dessen Guthaben nach dem Willen der Eltern einem Pflegekind der Familie zustehen sollte. Für seitens des Vaters vom Konto veranlasste Abhebungen nahm ihn seine Tochter auf Rückzahlung in Anspruch. Ihr Antrag wurde zweitinstanzlich zurückgewiesen. Auf ihre Rechtsbeschwerde hat der BGH diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das OLG zurückverwiesen.

Zur Begründung hat der Senat hervorgehoben, dass die Einrichtung des Kontos auf den Namen eines anderen für sich genommen noch nicht den Schluss auf einen Vertrag zugunsten Dritter zulasse. Entscheidend sei vielmehr, wer nach der Vereinbarung mit der Bank Kontoinhaber werden solle. Dazu seien neben der im Sparbuch vorgenommenen Eintragung zur Kontoinhaberschaft, die Angaben im Kontoeröffnungsantrag und die Besitzverhältnisse am Sparbuch bedeutsam. Indizielle Bedeutung habe zudem, ob sich der die Kontoeröffnung Beantragende die Verfügungsbefugnis über das Konto vorbehalte, mit welchen Mitteln ein Guthaben angespart werden solle sowie ob und wann demjenigen, auf dessen Namen das Konto angelegt sei, die Existenz des Sparbuchs mitgeteilt werde.

Abweichend von den Fällen einer Sparbuchanlage durch Großeltern für ihre Enkel, komme im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern dem Besitz am Sparbuch keine ebenso starke Indizwirkung zu. Für den Anspruch des Kindes gegen seine Eltern sei das zwischen ihnen bestehende Innenverhältnis maßgeblich. Aus dem Vermögen der Eltern stammende Beträge könnten von ihnen treuhänderisch gebunden dergestalt auf das Konto eingezahlt werden, dass sie sich im Innenverhältnis zum Kind die Verfügung über diese Beträge vorbehielten. Umgekehrt könnten Eltern im Verhältnis zum Kind treuhänderisch gebunden sein bei Sparguthaben, das aus Geldgeschenken Dritter an das Kind stamme. Welchem Vermögen das Sparguthaben im Innenverhältnis zuzuordnen sei, könne für Teilbeträge auch unterschiedlich zu beurteilen sein.

Im Rahmen der Vermögenssorge haben die Eltern die Pflicht, das Vermögen des Kindes ordnungsgemäß zu verwalten und insbesondere kein Kindesvermögen für eigene Zwecke zu verwenden. Es besteht eine fremdnützige Verwaltung, gerichtet auf die Bewahrung des Vermögensstammes zum Nutzen des Kindes. Die Eltern haben für jene Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anwenden, so dass bei der Verletzung dieser Pflichten, Schadensersatzansprüche des Kindes gegen seine Eltern begründet sein können. Von einer den Schadensersatzanspruch begründenden Pflichtverletzung ist etwa dann auszugehen, wenn die Eltern das Kindesvermögen für Aufwendungen genutzt haben, für die sie gegenüber dem Kind keinen Ersatzanspruch hätten, wie etwa die Finanzierung von Haushalts- und Bekleidungsgegenständen, Urlaubsreisen und Geschenken für das Kind.

Heben die Eltern von einem Sparkonto Gelder ab, so bedarf es einer genauen Prüfung – unbeschadet der Tatsache, dass das Konto auf den Namen des Kindes lautet oder die Eltern durchgängig im Besitz des Sparbuches waren – ob bezüglich dieser Kapitalbeträge letztlich eine Forderungsinhaberschaft des Kindes oder der Eltern besteht. Hierbei hat der BGH in seiner Entscheidung aber auch betont, dass die rechtliche Zuordnung von Kapitalbeträgen auf einem Konto auseinanderfallen kann, je nachdem ob es sich um Einzahlungen aus dem Kindesvermögen handelt oder um Beträge, die aus dem elterlichen Vermögen stammen.

10 Jahre FamFG! (Editorial des Septemberheftes 2019 des FamRB)

Der Richter Azdak aus dem „Kaukasischen Kreidekreis“ von Bertolt Brecht ließ zur Feststellung der „wahren“ Mutter des Kindes, die genetische und die soziale Mutter das umstrittene Kind in gegensätzliche Richtungen aus einem Kreidekreis zerren. Die wahre Mutter werde stärker sein – so seine Ansage. Er sprach das Kind dann der sozialen Mutter zu, die das Kind nicht „zerreißen“ mochte. Der archaische Konflikt um die Zuordnung von Kindern zu Eltern und Bezugspersonen ist auch heute noch allgegenwärtig – zwischen auseinandergehenden oder nie zusammengegangenen Eltern, zwischen Ei- oder Samenspendern und Leihmüttern, zwischen leiblichen und Pflegeeltern. Dass dieser Konflikt nicht so archaisch wie im Theaterstück ausgetragen und gelöst wird, liegt nicht am materiellen Recht, das die Mutterschaft schon immer der Gebärenden zuwies, ohne damit auch das emotionale Bindungsgefüge der beteiligten Kinder und Eltern zuweisen zu können. Die „zivilisiertere Variante“ der azdakschen Problemlösung, die wir heute kennen, ist auch nicht erlernter juristischer Emotionslosigkeit zu verdanken. Damals und heute hat jeder an einem familienrechtlichen Verfahren Beteiligte eine klare bauch-, kultur- und erfahrungsgesteuerte Lösung des familienrechtlichen Problems parat, sind wir doch alle Kinder, meist auch Ehegatten und Eltern, aber immer auch Bürger. Das schafft ein „bauchgesteuertes Vorverständnis“, das durch das materielle Recht nicht „ausgeknipst“ werden kann wie eine Leuchtquelle.

Seit 10 Jahren dimmt das Familienverfahrensgesetz (FamFG) das bauchgesteuerte Vorverständnis und übernimmt damit die Disziplinierung des Bauchgefühls. Erst das Verfahrensrecht garantiert den Rechtsstaat und die Durchsetzung des materiellen Rechts. Das Verfahrensrecht ist daher die andere Seite der rechtsstaatlichen Münze. Oft wird diese Prägung als „Hilfsrecht“ geringgeschätzt – zu Unrecht. Der Beitrag von Norbert Heiter in diesem Heft beschreibt Geburtswehen des Gesetzes ebenso zutreffend wie seine Bedeutung und seine Wirkungen. Wir Familienrechtler möchten es nicht missen.

Trotzdem bleibt Raum für Änderungswünsche. Die Nichtzulassungsbeschwerde gehört dazu. Die Diskriminierung des Familienrechts und der familienrechtlich tätigen Anwaltschaft, sie würden willfährig und konfliktfördernd den Rechtsweg bis zum „jüngsten Gericht“ auskosten, ist nicht berechtigt. Die Anwaltschaft würde verantwortungsvoll mit einer solchen Möglichkeit umgehen. Vielleicht sogar verantwortungsvoller als manche OLG-Entscheidung, die die Rechtsbeschwerde zu Unrecht verweigert. Ich würde mir auch eine kontinuierliche Fortbildungsverpflichtung für Familienrichter wünschen, wie sie für die Anwaltschaft schon lange besteht – und mehr Richter- und Verwaltungsstellen für die Familiengerichte. Zügig geführte Verfahren wirken befriedend und belegen für alle Betroffenen erkennbar eine sinnvolle Verwendung von Steuergeldern. Dafür sind dann aber wohl die Länder zuständig.

(Geschlechter-)Gerechte Sprache im (Familien-)Recht?

Ehe für alle – alles gut? Nein, trotz Nachbesserung durch das Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 18.12.2018 (BGBl. I S. 2639) werden Personen, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht angehören, weiter durch die Grundnorm des § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB diskriminiert. Ihre verschämte Erwähnung in Art. 17b Abs. 4 Satz 1 EGBGB vermag daran nichts zu ändern. Wir wissen spätestens seit der Aufklärung durch Google zum 50ten LGBTQ-Day am 4.6.2019, dass man beim amerikanischen Facebook seit Anfang 2014 zwischen 58 Geschlechtern wählen kann und der von den Nationalsozialisten verfolgte Sexualforscher Magnus Hirschfeld sogar eine Zahl von 316 (= 43.046.721) möglichen Sexualtypen errechnet hat. Es ist zu befürchten, dass diese Erkenntnisse hinsichtlich der Toiletten in deutschen Grundschulen und beim Bau des Berliner Flughafens wohl pedantisch umgesetzt werden, aber das Familienrecht weiterhin eher hetero- und homonormativ bleibt.

Geschlechtergerechte Begriffe im Familienrecht

Nachdem es bereits eine Bibel, die Behördensprache in Hannover und unzählige universitäre Leitfäden für eine geschlechtergerechte Sprache gibt, wäre es an der Zeit, das Familienrecht von seiner bisherigen sexistischen Spirale zu befreien, damit sich von ihm alle oben genannten Geschlechter angesprochen fühlen. Allerdings dürften die Begriffe des „Genderwörterbuches“ geehelichte Person statt Ehepartner, Elternmilch statt Muttermilch, Erstsprache statt Muttersprache, Tandem- bzw. Zusammenarbeit statt Partnerschaft, Familienmitglied statt Verwandter, verbeamtete Person des Standesamts statt Standesbeamter und schließlich Gegenüber statt Partner noch nicht ganz ausgereift sein. „Mein geehelichtes Gegenüber“ dürfte bei Vorstellungen eher auf eine Ehekrise hinweisen als auf eine funktionierende Partnerschaft. Auch im Baurecht müssen übrigens nicht mehr geschlechtergerechte Begriffe wie der des Mutterbodens in § 202 BauGB durch Elternteilboden ersetzt werden, auch wenn damit ein Hinweis auf eine wohl matriarchale Sozialordnung verloren geht.

Schöpfungsgerechte Sprache

Die gendergerechte Sprache ist eigentlich bereits wieder überholt. Nimmt man nämlich die auch ihr zugrundeliegende Ethik der Wertschätzung und Nichtdiskriminierung ernst, muss dies in gleicher Weise für andere Lebewesen gelten. Die Menschen werden nicht umhin kommen, auch ihr ökonomisch bestimmtes Verhältnis zu den Tieren zu ändern (§ 90a Satz 3 BGB). Die Feststellung „Tiere sind keine Sachen“ (§ 90a Satz 1 BGB) muss neben dem Denken auch die Sprache erreichen. Hier fällt die negative Konnotation vieler Tierbezeichnungen auf. Beispiele sind Affe, Esel, Hund, Kamel, Schwein, Kuh, Ratte etc. Wörter als Träger von diskriminierender Mitinformation betreffen somit nicht nur die Geschlechter. Hinzu kommen Wortverbindungen, in denen Tieren negative Eigenschaften zugeordnet und die dann als Schimpfwörter verwendet werden. Beispiele sind diebische Elster, böser Wolf und Frechdachs. Verbindungen wie blöde Gans, dumme Kuh und Drecksau, potenzieren durch die Herabsetzung des weiblichen Tieres den Sprachmissbrauch. Es verwundert, dass die Vorkämpfer für eine geschlechtergerechte Sprache nicht auch für eine tiergerechte Sprache eintreten. Bei einem diesbezüglichen Erfolg des Tierschutzes in der Sprache müsste womöglich aber auch der diskriminierende Songtext „Alle Männer sind Schweine“ geändert werden.

 

Nur Meinungsverschiedenheit oder dauerhafte Kooperationsunfähigkeit? (OLG Koblenz v. 14.11.2018 – 13 UF 413/18)

Die Frage an den Mandanten nach dem Grund der Rücksprache wird in Kindschaftssachen in der Regel mit dem Satz beantwortet, dass ein Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge gewünscht werde. In der sich anschließenden Beratung müssen nicht nur die – häufig fehlenden – Voraussetzungen der doppelten Kindeswohlprüfung näher erläutert, sondern es muss üblicherweise überhaupt erst geklärt werden, worauf sich das Begehren des Mandanten richtet, d.h. ob es letztlich tatsächlich einer Sorgerechtsregelung bedarf oder nur eine zwischen den Eltern zu einem einzelnen Aspekt bestehende Meinungsverschiedenheit die gerichtliche Kompetenzübertragung zu dieser Frage erfordert. Die Abgrenzung ist nicht immer zweifelsfrei möglich, wie auch eine Entscheidung des OLG Koblenz aus dem Jahr 2018 zeigt.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die geschiedenen Eltern über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren neunjährigen Sohn, der im Haushalt der Mutter lebte. Vor dem Hintergrund eines geplanten Umzugs der Mutter zu ihrem rund 200 km entfernt wohnenden neuen Partner stellten die Eltern gegenläufige Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Das Ausgangsgericht gab dem Antrag des Vaters statt. Auf die seitens der Mutter eingelegte Beschwerde hat der Senat die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zeit ab Juli 2019 übertragen.

In seiner Begründung hat der Senat ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der wechselseitigen Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht nur über den Umzug des Kindes zu befinden, sondern es einer Entscheidung über den dauerhaften gewöhnlichen Aufenthalt bedurfte, so dass sich die zu treffende gerichtliche Entscheidung an den Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 BGB und nicht an jenen des § 1628 BGB zu orientieren hatte.

Im Rahmen der sodann durchgeführten Kindeswohlprüfung hat der Senat auf Seiten des Kindes zu beiden Eltern bestehende gleichwertige Bindungen und Neigungen festgestellt, dem Kindeswillen aber keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, nachdem sich in der Anhörung ergeben hatte, dass das Kind die Konsequenzen des Umzugs noch nicht abschätzen konnte. Allerdings wurde die Mutter als Hauptbezugsperson ermittelt, so dass dem Kontinuitätsgrundsatz maßgebliche Bedeutung beizumessen war. Bei dem zu übertragenden Aufenthaltsbestimmungsrecht hat der Senat allerdings eine Einschränkung dahin vorgenommen, dass der Mutter diese Rechtsmacht erst ab Beginn der Sommerferien 2019 eingeräumt wurde. Begründet hat der Senat diese zeitliche Einschränkung damit, dass sich das Kind zum Zeitpunkt der Entscheidung in der vierten Grundschulklasse befand, d.h. einer Klassenstufe, die für die Wahl der weiteren Schullaufbahn besondere Bedeutung besitzt. Im Fall einer Notenverschlechterung folgend aus dem Schulwechsel während oder vor der vierten Klasse hätte dies langfristige Konsequenzen für die schulische Laufbahn des Kindes bedeutet. Da jedoch nach Ende der Grundschulzeit ohnehin ein Umbruch bevorstand, hatte nach Einschätzung des Senats bis zum Ende der Grundschulzeit das Recht der Mutter, mit ihrem neuen Freund zusammenziehen zu können, zurückzutreten, d.h. ihr war das Aufenthaltsbestimmungsrecht erst ab dieser Zeit zu übertragen.

Können Eltern zu einer einzelnen Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung aber für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, kein Einvernehmen erzielen, so kann das Familiengericht nach § 1628 BGB die Entscheidungskompetenz zu der jeweiligen Streitfrage einem Elternteil übertragen. Ebenso wie im Fall des § 1671 Abs. 1 BGB darf es sich bei der begehrten Entscheidungskompetenz nicht nur um eine Angelegenheit des alltäglichen Lebens handeln, für die ohnehin dem Obhutselternteil die Verantwortlichkeit obliegt. Es muss sich vielmehr um eine zu treffende Entscheidung handeln, die letztlich mit gravierenden Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes einhergeht.

Während § 1628 BGB auf die Regelungskompetenz zu einer einzelnen und konkretisierbaren Situation zielt, umfasst die nach § 1671 Abs. 1 BGB zu treffende Sorgerechtsregelung – auch wenn nur ein Teilbereich der elterlichen Sorge zur Entscheidung steht – eine abschließende Regelung zu dem jeweiligen Bereich der elterlichen Sorge, die dem jeweiligen Elternteil dann in der Regel die Entscheidungskompetenz bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes einräumt.

 

Keine „Durchhalteprämie“ für Verbleiben bei der Partnerin (BGH v. 18.6.2019 – X ZR 107/16)

Wenden Eltern ihrem Kind sowie dessen nichtehelichen Partner einen größeren Geldbetrag zum Erwerb einer Immobilie zu, gehen sie in der Regel davon aus, dass diese Schenkung nicht nur einem kurzfristigen Zusammenleben des Paares dienen werde. Deshalb fällt die Geschäftsgrundlage für die Zuwendung weg, wenn sich die beiden Partner bereits ca. zwei Jahre nach der Schenkung trennen. Das OLG Brandenburg als Vorinstanz hatte noch einen Abzug von ca. 5 % pro Jahr des Zusammenlebens gemacht. Der BGH zieht eine derartige „Verbleibensprämie“ nicht von dem zu erstattenden Betrag ab. Der Rückerstattungsbetrag vermindert sich nicht deshalb, weil der Partner des Kindes der Schenker einen bestimmten Zeitraum in der Partnerschaft verblieben ist.

Grundsätzlich sollten Eltern größere Geldbeträge nur ihrem eigenen Kind zuwenden, und zwar unabhängig davon, ob dieses verheiratet ist oder nicht, nicht jedoch dem echten oder unechten Schwiegerkind. Überschreitet der dem Partner des Kindes zugewandte Betrag 40.000 Euro, fällt zudem Schenkungsteuer an. Insofern kann in diesem Fall eine Trennung zumindest steuersparend wirken (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

Keine Diskussion mehr um den Kinderreisepass? (BGH v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18, FamRB 2019, 259)

Wird einem Personensorgeberechtigten widerrechtlich ein Kind vorenthalten, so kann er – gestützt auf § 1632 BGB – die Herausgabe des Kindes gerichtlich geltend machen und ggf. auch nach §§ 88 ff. FamFG vollstrecken. Keine Regelung trifft das Gesetz allerdings zu der Frage, wie es sich mit Gegenständen verhält, die dem persönlichen Gebrauch des Kindes dienen. Hiervon werden nicht nur die persönlichen Dokumente des Kindes erfasst, sondern auch ganz profane Dinge, wie etwa die Bekleidung des Kindes. Bekannt sind jedem Familienrechtler die häufigen Diskussionen darüber, ob und ggf. in welchem Zustand einem Kind anlässlich der Ausübung eines Umgangskontakts Kleidung mitzugeben, aber auch nach Besuchsende zurückzugeben ist.

Bis zum 30.8.2009 galt in diesem Kontext § 50d FGG. Ordnete das Gericht die Herausgabe eines Kindes an, so konnte zugleich durch eine einstweilige Anordnung das Gericht auch die Herausgabe der zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Sachen anordnen. Diese Regelung ist im Zuge des Inkrafttretens des FamFG zum 1.9.2009 ersatzlos entfallen, wobei der Gesetzgeber es verabsäumte, in der Folgezeit eine vergleichbare Regelung zu schaffen. In Rechtsprechung und Literatur wurden daher in der Folgezeit unterschiedliche Meinungen entwickelt, wie dieser Regelungslücke begegnet werden könne. Der BGH hat nunmehr in einer aktuellen Entscheidung (BGH v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18, FamRB 2019, 259) Klarheit zu der maßgeblichen Anspruchsgrundlage eines solchen Herausgabebegehrens geschaffen.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten sich die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern durch Vereinbarung darauf verständigt, dass ihr 2016 geborenes Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter haben sollte. Diese stammte aus Kamerun und hatte in Deutschland Asyl beantragt. Der Reisepass des Kindes befand sich im Besitz des Vaters und wurde von der Mutter zur Herausgabe begehrt. Das erstinstanzliche Gericht folgte ihrem Antrag. Auf die Beschwerde des Vaters wurde die Entscheidung in der zweiten Instanz abgeändert, d.h. der Herausgabeantrag abgelehnt. Auf die Rechtsbeschwerde der Mutter hat der BGH nun diese Entscheidung aufgehoben.

Der BGH ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Herausgabe in analoger Anwendung der § 1632 Abs. 1, § 1684 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden könne, da eine planwidrige Regelungslücke vorliege. Die Erwägung, den Herausgabeanspruch als materiell-rechtliche Vorschrift auszugestalten, habe der Gesetzgeber anlässlich der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge im Jahr 1974 nicht weiter verfolgt, sondern sich mit der Regelung des § 50d FGG abgefunden. Dass diese „Rechtsgrundlage“ dann mit Inkrafttreten des FamFG und der ersatzlosen Streichung des § 50d FGG entfallen sei, habe der Gesetzgeber übersehen. Allerdings müsse sowohl der personensorge- als auch umgangsberechtigte Elternteil in die Lage versetz werden, die gemeinsame Zeit mit dem Kind ungestört und kindeswohldienlich verbringen zu können. Hierzu gehöre, dass ihm die persönlichen Gegenstände des Kindes herausgegeben würden, die das Kind voraussichtlich während seines Aufenthalts bei ihm benötige. Hiermit korrespondiere auch die Wohlverhaltenspflicht nach § 1684 Abs. 2 BGB. Von dieser Regelung umfasst werde auch alles andere, was geeignet sei, das Zusammensein mit dem Kind zu erschweren. Allerdings könne das nur soweit gelten, als der jeweils berechtigte Elternteil für die Ausübung der Personensorge oder des Umgangsrechts auch tatsächlich auf bestimmte Urkunden oder Sachen angewiesen sei. Dies könne etwa daraus folgen, dass das Kind, bei gemeinsamer Sorge, seinen Lebensmittelpunkt bei einem Elternteil habe. Dieser Obhutselternteil benötige dann alle für das Kind wichtigen Dokumente. Einem Herausgabeanspruch könne letztlich aber die berechtigte Besorgnis entgegenstehen, dass der die Herausgabe geltend machende Elternteil unter Verwendung etwa des Reisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreite, wovon auszugehen sei, wenn eine Entführung ins Ausland drohe.

Der BGH hat durch die Entscheidung vom 27.3.2019 eine langjährige Diskussion zur möglichen Anspruchsgrundlage im Zusammenhang mit Herausgabeansprüchen beendet und mit seinem Beschluss der Praxis Rechtssicherheit eröffnet. Besonderes Augenmerk wird in der Praxis aber darauf zu richten sein, dass ein Herausgabeanspruch nicht uneingeschränkt geltend gemacht werden kann. Hier weist der BGH sehr deutlich darauf hin, dass ein solcher Anspruch immer auch an die Frage gekoppelt ist, ob ein Elternteil insbesondere persönliche Dokumente des Kindes überhaupt benötigt, um sein Elternrecht ausüben zu können. Gerade der Reisepass des Kindes wird daher wohl kaum zu überlassen sein, wenn ein Wochenendkontakt im Inland in Rede steht.

 

Das – weitgehende – Ende des Elternunterhalts

Manche Versprechen aus dem Koalitionsvertrag lösen die Koalitionsparteien und die Regierung ein: Mit Datum vom 12.6.2019 veröffentlicht das Arbeitsministerium (BMAS) den „Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe“. Hinter dem – im Übrigen erstaunlich verständlichen – Titel verbirgt sich das „Ende des Elternunterhalts“ in seiner bisherigen Form.

Ab 1.1.2020 sollen Kinder nur noch zum Elternunterhalt herangezogen werden können, wenn ihr jährliches Gesamteinkommen 100.000 € brutto übersteigt. Damit wird der Elternunterhalt zum „Wohlhabendenprivileg“ und Millionen Angehörige können aufatmen. Da das Gesetz – wie auch bisher bereits bei der Grundsicherung – die gesetzliche Vermutung enthält, dass Einkünfte der Kinder die Einkommensgrenze nicht übersteigen, muss niemand mehr Auskunft über Einkommen und Vermögen erteilen, ohne dass „hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze“ vorliegen. Zwar können die Sozialhilfeträger vom bedürftigen Elternteil Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse des Kindes erlauben, aber wessen demente Eltern wissen schon um die Einkommensverhältnisse ihrer Kinder. Adresse und Beruf geben nie hinreichende Anhaltspunkte, es sei denn es handelt sich um öffentlich bekannte Gutverdiener, allgemein bekannte hochdotierte Berufe oder der Internetauftritt der unterhaltspflichtigen Person enthält die Pose mit der Protzkarre.

Mehr noch als die wirtschaftliche Entlastung wird diese Gesetzesänderung psychologisch wirken. Es kann mit dem Sozialstaat versöhnen, wenn die Bürger merken, dass dieser gesellschaftliche Risiken, wie Pflegebedürftigkeit im Alter, übernimmt. Mit der Krankenversicherung und der Grundsicherung im Alter ist das gesellschaftlicher Alltag. Nun zieht das Ministerium – und hoffentlich auch Regierung und Parlament – bei der Pflege nach und löst das Sozialstaatsversprechen ein, die Bürger vor unverantworteten Risiken zu schützen und diese solidarisch auf die Gesellschaft zu verteilen. Das ist gut so.

Gut ist auch, dass der Gesetzentwurf nunmehr sämtliche Leistungen des SGB XII der Rückgriffssperre der 100.000-Euro-Grenze unterwirft und diese in § 94 Abs. 1a SGB XII verankert. Damit ist nun auch die „Hilfe zum Lebensunterhalt für Volljährige“ und die „Blindenhilfe“, die „Hilfe zur Gesundheit“ und die „Eingliederungshilfe“ (§§ 53 ff. SGB XII) insoweit rückgriffsfrei, als das Einkommen der unterhaltspflichtigen Person die 100.000-Euro-Grenze nicht übersteigt.

Der Gesetzgeber sollte sich allerdings noch einen Ruck geben: Die 100.000-Euro-Grenze ist im Jahr 2005 eingeführt worden. Wollte man auf die durch diese Grenze markierte Kaufkraft abstellen, wäre die Anhebung auf ca. 125.000 € angezeigt.

Noch besser wäre es freilich, der Gesetzgeber striche den Elternunterhalt vollständig. Kinder sind für ihre Eltern, deren Gesundheitszustand, Einkommens- und Vermögenslage nicht verantwortlich. Ob allein die genetische Beziehung zwischen Eltern und Kindern den Eingriff in deren Einkommen und Vermögen rechtfertigt, erscheint mehr als fragwürdig. Aber dafür wäre nicht das BMAS zuständig, sondern das BMJV.

Das könnte allerdings auch mit einer „kleineren Lösung“ als der Abschaffung des Aszendentenunterhalts auf den „fahrenden Zug“ aufspringen und § 1611 BGB geringfügig verändern. Nach § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Verwirkung des Unterhaltsanspruch die Sanktion für „schuldhaftes Fehlverhalten der unterhaltsberechtigten gegenüber der unterhaltspflichtigen Person. Was aber, wenn es an „Schuld“ und „Verhalten“ der unterhaltsberechtigten Person fehlt, weil diese psychisch krank war und das Kind deswegen stets in Pflegefamilien und Heimen aufgewachsen ist und keinerlei Kontakt zum Elternteil hatte. Oder was ist mit dem Kind des „One-Night-Stands“, das seinen ihm verheimlichten Vater nie gesehen, aber unterhaltsrechtlich für ihn einzustehen hat? Man könnte ganz einfach den Gedanken von § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB in einen neuen Absatz 2 schreiben:

Eine Verpflichtung, Unterhalt zu zahlen, besteht nicht, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

Absatz 1 beträfe dann die Fälle schuldhaften Verhaltens der unterhaltsberechtigten Person, Absatz 2 löste die Verwirkung aus der Sanktionsfunktion und fokussierte die Situation der unterhaltspflichtigen Person. Rechtsprechung und Verwaltungen wüssten mit einer solchen Öffnung gut und verantwortungsvoll umzugehen.