Homeschooling – nicht zwingend kindeswohlgefährdend (OLG Düsseldorf v. 25.7.2018 – 2 UF 18/17)

Das Thema Schulverweigerung ist vielschichtig zu betrachten. Es umfasst nicht nur die von Kindern ausgehende Verweigerung, für die schlechte Zensuren oder Probleme mit Mitschülern – etwa bei Mobbing – ursächlich sein können. Eine Schulverweigerung kann ebenso von den Erziehungsberechtigten ausgehen, die bewusst die Unterrichtung in staatlichen Schulen ablehnen, da sie mit den dort vermittelten Lerninhalten keine Übereinstimmung herstellen, etwa folgend aus spezifischen religiösen oder weltanschaulichen Vorstellungen.

Das OLG Düsseldorf hat sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 mit dieser Thematik auseinandergesetzt und ist – abweichend von dem erstinstanzlichen Beschluss – zu der Bewertung gelangt, dass in dem konkreten Fall die Schulverweigerung keine Kindeswohlgefährdung darstellt, die ein familiengerichtliches Eingreifen erfordern würde.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt war der Mutter eines 2005 geborenen Kindes durch das Amtsgericht aufgegeben worden, ihren Sohn an einer öffentlichen Schule oder anerkannten Ersatzschule anzumelden, ihn einer Beschulung zuzuführen und für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Gegen diese Entscheidung legte sie Beschwerde ein, die zur Aufhebung der Ausgangsentscheidung führte.

Zwei seitens des Senats in Auftrag gegebene Gutachten gelangten zu dem Ergebnis, dass der Entwicklungsstand des Kindes in wesentlichen Bereichen als normgerecht einzustufen und in jeder Hinsicht altersgemäß war. Zur gleichen Einschätzung gelangte der Senat nach Anhörung des Kindes sowie der weiteren Beteiligten. Er hob hervor, dass das Kind ein normgerechtes Bindungserleben und -verhalten besaß. In Bezug auf die Mutter wurde eine positive und tragfähige Beziehung bestätigt bzw. hinsichtlich des bestehenden Freundeskreises waren alterskonforme Kontakte festzustellen. In seine Entscheidung bezog der Senat weitergehend ein, dass die Mutter glaubhaft versicherte, dass ihr Sohn einen weitergehenden Schulabschluss durch Ablegung einer sog. Nichtschülerprüfung anstrebe und er auf diese Prüfung durch einen spezifischen Lerndienst vorbereitet werde. Letztlich hatte sie sich bereit erklärt, den Sohn zum nächstmöglichen Zeitpunkt einer schulpsychologischen Testung unterziehen zu lassen und das Jugendamt über deren Ergebnis zu unterrichten.

Folgend aus der Kulturhoheit der Bundesländer wird auf der Grundlage der jeweiligen Landesverfassungen die Schulpflicht in jedem Bundesland einfachgesetzlich geregelt. Einheitlich ist in allen Bundesländern der Besuch einer Grundschule bzw. einer weiterführenden Schule verpflichtend vorgesehen. Lediglich hinsichtlich der Dauer der Vollzeitschulpflicht bestehen zwischen den Bundesländern minimale Differenzen. Die Schulpflicht dient nicht allein der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags, der in diesem Rahmen auch das elterliche Erziehungsrecht begrenzt, so dass bei einer Kindeswohlgefährdung auch Maßnahmen nach § 1666 BGB ergriffen werden können. In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass die allgemeine Schulpflicht in ihrer Zielsetzung darauf ausgerichtet ist, Kindern und Jugendlichen die Grundlagen einer verantwortlichen Staatsbürgerschaft zu vermitteln, d.h. ihnen die Voraussetzungen zu geben, verantwortungsbewusst an demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilzuhaben und mitzuwirken.

Einer von Eltern in Anspruch genommenen Schulverweigerung wurde daher jeweils eine Absage erteilt, wenn durch diese Verweigerung Kindern nicht nur die Möglichkeit der umfassenden Wissensvermittlung auf der Grundlage eines regelmäßigen Schulbesuchs genommen wurde, sondern auch die Möglichkeit der persönlichen Entwicklung als Teilhaber einer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Hierbei hat das Bundesverfassungsgericht in besonderem Maße auch die Integrationsaufgabe öffentlicher Schulen hervorgehoben, um der Entstehung religiös oder weltanschaulich motivierter „Parallelgesellschaften“ entgegenzuwirken, die dadurch entstehen können, dass Kindern und Jugendlichen der Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen verschlossen wird.

Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der EGMR in einer aktuellen Entscheidung vom 10.1.2019 bestätigt unter Verweis darauf, dass sorgerechtliche Maßnahmen durchaus berechtigt sind, wenn Kinder statt des Besuches einer Schule in einem quasi „symbiotischen Familiensystem“ unterrichtet und hierdurch gleichzeitig sozial isoliert werden (EGMR v. 10.1.2019 – 18925/15).

Nehmen Eltern daher für sich in Anspruch, eine Beschulung ihrer Kinder außerhalb einer öffentlichen oder anerkannten privaten Schule durchzuführen, so kann hieraus nicht per se eine Kindeswohlgefährdung abgeleitet werden. Es bedarf vielmehr einer einzelfallbezogenen Prüfung, in die nicht nur die jeweils vermittelten Lerninhalte einzubeziehen sind, sondern auch genau zu beleuchten ist, ob in irgendeiner Form die freie Persönlichkeitsentwicklung des Kindes eingegrenzt wird.

Nicht allein der Kindeswille zählt (OLG Frankfurt v. 16.10.2018 – 1 UF 74/18)

In kindschaftrechtlichen Verfahren wird allzu gern als vermeintliches „Rundum-Argument“ der angebliche Kindeswille bemüht, d.h. etwa wiederholte Äußerungen des Kindes nach Umgangsende bzw. vor Umgangsbeginn, dass es überhaupt nicht zu dem jeweils anderen Elternteil möchte. Gesteigert wird dies in einzelnen Fällen noch dadurch, dass einzelne Verfahrensbevollmächtigte ganz selbstverständlich davon berichten, dass das Kind ihnen gegenüber selbst solche Äußerungen getätigt habe, da sie es ebenso selbstverständlich empfinden, anlässlich der Rücksprache eines Elternteils nebenbei auch noch eine Kindesanhörung durchzuführen.

In einer aktuellen Entscheidung vom 16.10.2018 hat sich das OLG Frankfurt mit der Beachtlichkeit eines solchen Kindeswillens umfassend auseinandergesetzt (OLG Frankfurt v. 16.10.2018 – 1 UF 74/18). Darüber hinausgehend erfasst diese Entscheidung ein weiteres praxisrelevantes Thema und zwar die Voraussetzungen eines in einem Umgangsverfahren beantragten paritätischen Wechselmodells, wenn in einem früheren sorgerechtlichen Verfahren durch Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil bereits das Residenzmodell installiert wurde.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt erstrebte der Vater die Änderung eines familiengerichtlichen Beschlusses aus dem Jahr 2014, wonach seiner geschiedenen Ehefrau das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsamen Kinder übertragen worden war. Da er hilfsweise die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells beantragte, leitete das Gericht von Amts wegen ein Umgangsverfahren ein. In diesem Umgangsverfahren wurde dem Vater ein ausgedehnter Umgang jeweils 14-tägig donnerstags von 17 Uhr bis montags zum Schulbeginn und Telefonzeiten zuerkannt. Seine hiergegen eingelegte Beschwerde wurde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihm lediglich unter 14-tägig noch ein Umgang von dienstags Schulschluss bis mittwochs Schulbeginn zuerkannt wurde.

Bezüglich der erstrebten Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder im mütterlichen Haushalt hat der Senat darauf verwiesen, dass letztlich die Abänderung der früheren sorgerechtlichen Regelung in Rede stehe, auch wenn die Änderung nun in einem Umgangsverfahren zur Entscheidung gestellt werde durch Beantragung eines paritätischen Wechselmodells. In diesem Fall sei gleichwohl § 1696 Abs. 1 BGB der Abänderungsmaßstab und zwar orientiert an der früheren Sorgerechtsregelung.

Werde die Abänderung sodann allein auf den Kindeswillen gestützt, so könne ein nachdrücklich wiederholter Änderungswunsch eines Kindes grundsätzlich einen zu beachtenden triftigen Abänderungsgrund im Sinn des § 1696 Abs. 1 BGB darstellen. Im konkreten Fall sei dieser Wille aber nicht autonom von den Kindern gebildet worden. Vielmehr sei der Vater nicht in der Lage, seine Bedürfnisse von denen der Kinder zu trennen, so dass sich umgekehrt die Kinder in die Bedürfniswelt des Vaters einfänden und danach reagierten. Durch sein Verhalten versetze er die Kinder in Anspannung, verunsichere sie und bürde ihnen Schuldgefühle auf. Es rechtfertige sich damit auch keine Ausweitung der Umgänge, vielmehr entspreche die derzeit praktizierte Umgangsregelung den Bedürfnissen der Kinder nach Orientierung und Stabilität.

Beide Schwerpunkte der Entscheidung des OLG Frankfurt erfassen besonders praxisrelevante Themenbereiche:

In seiner Grundsatzentscheidung vom 1.2.2017 hat der BGH zwar festgestellt, dass einer familiengerichtlichen Anordnung eines paritätischen Wechselmodells auch gegen den erklärten Willen eines Elternteils die geltende Gesetzeslage nicht entgegensteht (BGH v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15, FamRB 2017, 136). Offen gelassen wurde aber die Frage, ob eine gleichanteilige Betreuung auch in einem Sorgerechtsverfahren angeordnet werden könnte, so dass ebenso offen ist, ob und unter welchen Voraussetzungen auch die Abänderung eines Sorgerechtsbeschlusses mit Anordnung eines Residenzmodells inzident in einem Umgangsrechtsverfahren möglich ist, in dem ein paritätisches Wechselmodell angestrebt wird. Zu dieser Frage wird sich der BGH nun in dem zugelassenen und anhängigen Rechtsbeschwerdeverfahren (Az.: XII ZB 512/18) hoffentlich äußern müssen.

Auch die Bedeutung des Kindeswillens im familiengerichtlichen Verfahren ist von wesentlicher Praxisrelevanz. Bei der näheren Präzisierung des Begriffes des Kindeswohls ist der Kindeswille einer der Prüfungsaspekte. Die Äußerung des eigenen Willens des Kindes ist Ausdruck seines Rechts auf Selbstbestimmung, durch die es gleichzeitig auch Bindungen zu einem Elternteil zum Ausdruck bringen kann. Hieraus folgt aber nicht zwingend, dass ein geäußerter Kindeswille letztlich alleinige Entscheidungsrelevanz besitzt. Unbeschadet der Tatsache, dass der Kindeswille mit den weiteren Kriterien der Kindeswohlprüfung, d.h. auch dem Förderungsgrundsatz, der Bindungstoleranz oder auch dem Kontinuitätsgrundsatz, in innerer Beziehung steht, muss sich der subjektiv geäußerte Kindeswille immer auch an dem objektiven Kindeswohl messen lassen. Nur wenn der geäußerte Wille stabil und mit dem Kindeswohl in Einklang zu bringen ist, kann er beachtliches Kriterium für die gerichtliche Entscheidung sein.

 

Verfahrensbeistand macht den Anwalt entbehrlich (BGH v. 27.6.2018 – XII ZB 46/18)

Mit Einführung des FamFG zum 1.9.2009 hat der Gesetzgeber die bis dahin nach § 50 FGG bestehende Möglichkeit der Beiordnung eines Verfahrenspflegers dem Grunde nach aufrechterhalten, allerdings in dem neu geschaffenen § 158 FamFG den Begriff dahin geändert, dass dem minderjährigen Kind nunmehr zur Wahrnehmung seiner Interessen im Verfahren ein Verfahrensbeistand zu bestellen ist. Mit der veränderten Begrifflichkeit wird auch zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei dem Beistand gerade nicht um einen gesetzlichen Vertreter des Kindes handelt, sondern sich seine Aufgabe darauf konzentriert, als „Anwalt des Kindes“ dessen Interessen festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen.

Kindschaftsverfahren ist es geradezu immanent, dass die elterlichen Interessen nicht zwingend deckungsgleich mit jenen des Kindes sind. Umso größere Bedeutung kommt daher einem neutralen Verfahrensbeteiligten zu, der dieses Spannungsverhältnis zu Gunsten des Kinds auflöst bzw. ist es ebenso von zentraler Bedeutung, dass die angemessene Interessenvertretung eines Kindes im gerichtlichen Verfahren nicht auf anderem Wege durch einen Elternteil unterlaufen werden kann, indem er einen von seinen Weisungen abhängigen Anwalt mit der Interessenvertretung des Kindes beauftragt.

Die hiermit einhergehende Problemantik hat der BGH in einer aktuellen Entscheidung (BGH v. 27.6.2018 – XII ZB 46/18, FamRB 2018, 394) aufgegriffen: In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern in verschiedenen gerichtlichen Verfahren zu den Fragen der elterlichen Sorge sowie des Umgangs. Das Familiengericht hatte den Kindern in den jeweiligen Verfahren einen Verfahrensbeistand bestellt. Der Absicht des Vaters, zur Interessenvertretung der Kinder für diese einen eigenen Anwalt zu mandatieren, trat die Mutter entgegen. Seitens des Vaters wurde daher familiengerichtlich die Übertragung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge nach § 1628 BGB beantragt, d.h. die Alleinentscheidungsbefugnis zur Beauftragung eines Anwalts. Sein Antragsbegehren blieb in erster und zweiter Instanz erfolglos. Seine Rechtsbeschwerde hat der BGH zurückgewiesen.

Zur Begründung führte der Senat aus, dass die Vertretung des Kindes als sog. Muss-Beteiligten in einem kindschaftsrechtlichen Verfahren prinzipiell den Eltern im Rahmen ihrer unbeschränkten elterlichen Sorge unterliege. Es bedürfe daher regelmäßig nicht der Bestellung eines Ergänzungspflegers. Allerdings seien die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern dem Grunde nach berechtigt, im Namen des Kindes einen Anwalt zu dessen Vertretung im Kindschaftsverfahren zu beauftragen. Könnten die Eltern zu dieser Frage jedoch kein Einvernehmen erzielen, so bedürfe es einer Entscheidung nach § 1628 BGB durch das Familiengericht. Komme das Gericht zu der Überzeugung, dass die Bewahrung des gegenwärtigen Zustands als die bessere Konfliktlösung erscheine, so genüge es, den Antrag zurückzuweisen.

Im Sinn des § 1697a BGB diene es allgemein dem Wohl des Kindes, wenn seine Rechte und Interessen wirksam im Verfahren wahrgenommen würden. Es bedürfe aber dann keiner Beauftragung eines Anwalts, wenn für das Kind bereits ein Verfahrensbeistand bestellt sei, der aufgrund seiner Befugnisse in der Lage sei, die Rechte und Interessen des Kindes geltend zu machen. Dies gelte gerade für auf die Person des Kindes bezogene Verfahren. Nur ausnahmsweise sei die wirksame Vertretung der Kindesinteressen durch den Verfahrensbeistand nicht gewährleistet. Dies gelte etwa dann, wenn in dem jeweiligen Verfahren die nach § 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG ausgeschlossene gesetzliche Vertretung des Kindes notwendig werde.

Das Gesetz enthalte auch keinen Vorrang für einen möglicherweise noch zu beauftragenden Anwalt. Nach § 158 Abs. 5 FamFG solle lediglich dann von der Bestellung eines Verfahrensbeistands Abstand genommen werden, wenn die Interessen des Kindes von einem Anwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten angemessen vertreten würden. Dies setze aber – abgesehen von der notwendigen Angemessenheit der Vertretung – die bereits erfolgte Beauftragung eines Anwalts voraus. Daraus folge aber noch nicht, dass es im Sinne des Kindeswohls liege, einem Elternteil die Beauftragung eines Anwalts zu ermöglichen, um damit etwa auch die Aufhebung der Bestellung des Verfahrensbeistands zu ermöglichen. Gerade bei Interessenkonflikten zwischen den Eltern – wie sie aus einem Verfahren nach § 1628 BGB deutlich würden – liege es nahe, die Interessen des Kindes ausschließlich durch einen Verfahrensbeistand wahrnehmen zu lassen. Die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil könne dagegen dazu führen, dass er im Fall der Beauftragung eines Anwalts – ohne Gewinn für das Kindeswohl – seine Interessen zweifach ins Verfahren einbringen könne. Dies laufe einer am Kindeswohl orientierten Wahrnehmung der Kindesinteressen im Verfahren zuwider. Da im konkreten Fall vor dem Hintergrund des elterlichen Konflikts das Kindeswohl durch den bestellten Verfahrensbeistand besser gewährleistet sei, habe es das Ausgangsgericht im Rahmen der nach § 1628 BGB zu treffenden Entscheidung bei dem bestehenden Zustand der elterlichen Sorge belassen können, indem es den Antrag des Vaters zurückgewiesen habe.

Nach § 158 Abs. 1 FamFG hat das Gericht dem minderjährigen Kind grundsätzlich einen Verfahrensbeistand zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen in dem Verfahren erforderlich ist. Dies ist immer dann der Fall, wenn zu befürchten ist, dass die Elterninteressen in Konflikt zu den Interessen des Kindes geraten können. In § 158 Abs. 2 FamFG hat der Gesetzgeber enumerativ Regelbeispiele aufgelistet, bei deren Vorliegen in der Regel von der Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands auszugehen ist. Dies betrifft u.a. Sachverhaltskonstellationen in denen es um die räumliche Veränderung des Kindes geht, sei es dass es aus der Obhut einer bestimmten Person gebracht oder gerade dort belassen werden soll. Aber auch hochstreitige Kindschaftsverfahren, in denen das Umgangsrecht in seinem grundlegenden Bestand in Rede steht, bzw. generell Verfahren, in denen erhebliche Gegensätze zwischen den Interessen der gesetzlichen Vertreter und dem Kind selbst bestehen, gelten als Regelfall für die Bestellung eines Verfahrensbeistands.

Möchte das Gericht, obgleich ein Regelbeispiel im Sinn des § 158 Abs. 2 FamFG vorliegt, von der Bestellung eines Verfahrensbeistands Abstand nehmen, so muss es diese Entscheidung ausdrücklich begründen. Allerdings eröffnet der Gesetzgeber mit § 158 Abs. 5 FamFG die Möglichkeit von einer Bestellung abzusehen oder eine bereits erfolgte Bestellung aufzuheben, wenn eine angemessene Interessenvertretung des Kindes durch einen Rechtsanwalt oder einen anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten sichergestellt wird. Zu beachten ist aber, dass in der Gesetzesbegründung bereits hervorgehoben wurde, dass die Ausgestaltung als „Soll-Vorschrift“ dem Gericht gerade auch die Möglichkeit eröffnet, an einer bereits veranlassten Bestellung festzuhalten, insbesondere dann, wenn keine angemessene Vertretung des Kindes zu erwarten ist, weil die Eltern oder ein Elternteil den Anwalt mit der Zielrichtung beauftragt haben, die Interessen des Kindes in einer ihren eigenen Interessen entsprechenden Weise wahrzunehmen.

Die Entscheidung des BGH stellt zwei Problembereiche in den Fokus: Entsprechend den Vorgaben in der Gesetzesbegründung muss das Gericht jeweils prüfen, ob eine angemessene Interessenvertretung des Kindes auch im Fall der Beauftragung eines eigenen Anwalts für das Kind gewährleistet ist. Darüber hinausgehend bedarf es aber auch einer noch intensiveren gerichtlichen Prüfung der Angemessenheit, wenn bereits ein Verfahrensbeistand bestellt wurde und dieser nun durch einen Anwalt „ersetzt“ werden soll, d.h. ein unliebsamer Verfahrensbeistand, gegen den kein Befangenheitsantrag möglich ist, auf diesem Weg aus dem Verfahren gedrängt werden soll.