Wird durch die Beschleunigungsbeschwerde alles besser und schneller? (KG Berlin v. 31.1.2017 – 13 WF 12/17)

Ein zentrales gesetzgeberisches Anliegen im Zuge der Neueinführung des FamFG war das in § 155 FamFG verankerte Vorrang- und Beschleunigungsgebot. In Verfahren, die den Aufenthalt eines Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, soll hierdurch sichergestellt werden, dass nicht allein aus der Verfahrensdauer folgend Fakten geschaffen werden. Dem soll durch geeignete verfahrensfördernde Maßnahmen entgegen gesteuert werden. Hierzu gehört insbesondere, dass spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattfindet und eine Verlegung des Termins nur aus zwingenden Gründen zulässig ist. Gerade in Umgangsrechtsverfahren hat diese enge zeitliche Vorgabe besondere Bedeutung, da häufig nur im Zusammenhang mit einer zeitnahen gerichtlichen Entscheidung auch die Entfremdung zwischen einem Kind – insbesondere wenn es jünger und daher sein Zeitempfinden auch entsprechend anders ausgestaltet ist – und dem nicht betreuenden Elternteil vermieden werden kann.

Problematisch war allerdings immer auch die Frage, wann eine Verfahrensdauer noch angemessen ist und welche konkreten Möglichkeiten die Verfahrensbeteiligten haben, um einen zügigen Verfahrensfortgang zu erwirken. Mangels konkreter Regelungen hierzu behalf sich die Praxis bis zum Jahr 2011 mit der sog. Untätigkeitsbeschwerde, die immer dann erhoben werden konnte, wenn eine unzumutbare Verfahrensverzögerung vorlag, die letztlich einen Rechtsverlust für den unmittelbar Betroffenen bedeutet hätte. Bereits im Jahr 2010 hatte aber der EGMR schon festgestellt, dass in Deutschland kein wirksamer Rechtsbehelf bei überlangen Verfahren existierte, so dass die Bundesrepublik unter Frist aufgefordert wurde, einen solchen Rechtsbehelf einzuführen. Zum 3.12.2011 trat daher das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren in Kraft, mit dem nun den Verfahrensbeteiligten die Geltendmachung einer „angemessenen Entschädigung“ bei überlangen gerichtlichen Verfahren eröffnet wurde, sofern zuvor eine „Verzögerungsrüge“ erhoben worden war. Dieser Rechtsbehelf wies jedoch keinerlei präventiven Schutz auf, d.h. es wurde lediglich die Kompensation für eine lange Verfahrensdauer eröffnet, ohne dass allerdings ein wirksamer Rechtsbehelf dahin gehend bestanden hätte, bereits im Verfahren selbst auf die zügige Verfahrensfortführung Einfluss zu nehmen. In seinem Urteil vom 15.1.2015 hat daher der EGMR erneut die geltende Gesetzeslage als nicht mit Art. 8, 13 EMRK vereinbar bewertet und den nationalen Gesetzgeber aufgefordert, einen den supranationalen Vorgaben entsprechenden Rechtsbehelf gegen Verfahren mit überlanger Verfahrensdauer zu schaffen, um den Verfahrensbeteiligten nun die Möglichkeit zu eröffnen, bereits im Verfahren selbst eine überlange Dauer rügen zu können.

Zum 15.10.2016 ist daher mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des FamFG die in § 155b Abs. 1 FamFG verankerte Beschleunigungsrüge, ein eigenständiger präventiver Rechtsbehelf bei Verfahrensverzögerungen, eingeführt worden. Damit eröffnet sich nunmehr für die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zur Rüge, dass die bisherige Verfahrensdauer nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 FamFG entspricht. Die dafür maßgeblichen Umstände sind im Einzelnen darzulegen. Das Gericht ist sodann gehalten, spätestens innerhalb eines Monats über diese Rüge zu entscheiden und ggf. geeignete Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung zu ergreifen. Hilft das Ausgangsgericht der Rüge nicht ab, so ist gegen die ablehnende Entscheidung Beschwerde möglich (Beschleunigungsbeschwerde, § 155c FamFG).

In einer aktuellen Entscheidung vom 31.1.2017 hat sich nun das KG Berlin mit einer Beschleunigungsbeschwerde auseinandergesetzt. Hintergrund waren hochstreitige Auseinandersetzungen der Eltern zum Umgangsrecht der Mutter mit den gemeinsamen Kindern. Gegen die aus ihrer Sicht verzögerte Verfahrensführung hatte sie Beschleunigungsrüge erhoben, der jedoch das Ausgangsgericht nicht abhalf. Auch die von ihr eingelegte Beschleunigungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Das KG Berlin hat in seiner Begründung darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet habe, eine Verfahrenshöchstdauer festzusetzen, da das Beschleunigungsgebot kein Selbstzweck sei, sondern vielmehr dazu diene, dass Entscheidungen nicht durch Zeitablauf faktisch präjudiziert würden. Es sei stets am konkreten Einzelfall orientiert ein objektiver Prüfungsmaßstab anzulegen. Im konkreten Sachverhalt konnte dann auch der Antragstellerin dezidiert entgegen gehalten werden, dass die von ihr gerügte Verletzung des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes nicht dadurch eingetreten war, dass das Gericht verfahrensfördernde Verfügungen verabsäumt hatte, sondern vielmehr sie selbst nicht nur den Umgang zu den Kindern abgebrochen hatte, sondern auch wiederholte von ihr eingereichte Ablehnungsgesuche gegen die Abteilungsrichterin dazu geführt hatten, dass erst verspätet – nach Entscheidung über diese Gesuche – die Akten an den Sachverständigen weitergeleitet werden konnten. Neben terminlichen Verschiebungen aus nachweislich dringenden beruflichen Abwesenheiten des Antragsgegners waren zudem neue tatsächliche Umstände – folgend aus streitigen Auseinandersetzungen der Familien in Anwesenheit der Kinder – für die Verfahrensverzögerung maßgeblich, da letztere seitens des Sachverständigen sodann neu bewertet werden mussten.

In der Praxisberatung sollten die Mandanten umfassend über die gesetzlichen Neuregelungen zur Sicherstellung der gebotenen Verfahrensbeschleunigung informiert werden. Bei der Bewertung, ob die vorzutragenden Umstände allerdings tatsächlich eine Rüge begründen können, muss aber auch ein gewisses Augenmaß gewahrt werden. Stets ist zu berücksichtigen, inwieweit der eigene Mandant durch seine Mitarbeit zur Verfahrensbeschleunigung oder -verzögerung selbst beigetragen hat. Auch nicht jede kritische Anmerkung des Richters muss zwingend ein Ablehnungsgesuch nach sich ziehen. Häufig ist eine Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz schneller zu erreichen als eine Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch, wobei gerade die Beschwerdegerichte regelmäßig auch deutliche Worte für eine nicht der gebotenen Objektivität entsprechende Verfahrensführung finden. Neben der gebotenen konsequenten Kontrolle der zeitlichen Abläufe eines Kindschaftsverfahrens muss stets ebenso bedacht werden, dass auch die Gerichte gelegentlich mit ihrer tatsächlichen personellen Ausstattung häufig an ihre Grenzen stoßen.

Wechselmodell – rotes Tuch oder Chance?

Kaum eine Debatte des Familienrechts wird mit so viel Inbrunst, Emotion und Leidenschaft geführt wie die Diskussion um das Wechselmodell. Nun hat der BGH entschieden, dass ein solches auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann, wenn es dem Kindeswohl am besten entspricht (BGH v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15). Eingefleischte Gegner des Wechselmodells werden dem BGH vorwerfen, keine Kinder zu haben, zu wenig basisbezogen das Kindeswohl zu werten oder die aus dem Wechselmodell resultierenden Streitigkeiten als einen die Gerichte der ersten Instanzen überschwemmenden Tsunami zu menetekeln. 

Kein Familienrechtler würde heute noch den Satz formulieren, ‚Kinder gehören zur Mutter‘. Trotzdem entspricht dies unserer Familientradition und unserem Vorverständnis. Man merkt es bei sich selbst. Da kommt eine Frau und berichtet, sie habe nach Streitigkeiten mit dem Mann die Wohnung verlassen und die beiden Kinder (5 und 7 Jahre alt) beim Mann zurückgelassen. Man wird skeptischer, aufmerksamer vielleicht sogar misstrauisch und achtet auf Zwischentöne. Umgekehrt wäre man in der Erwartungshaltung bestätigt und gelassen. Alles liefe nach ‚Drehbuch‘.

Vor wenigen Tagen verbreitete die Presse die Meldung, Deutschlands Frauen trügen von allen OECD-Ländern den geringsten Teil zum Familieneinkommen bei. Das liegt an vielem, aber auch daran, dass Kinder ‚Frauensache‘ sind und diese sich für die Kinder opfern. Alles andere erregt Misstrauen. So wie auch das Doppelresidenz- oder Wechselmodell.

Viele im Zusammenhang mit dem Wechselmodell stehenden Fragen aus dem Sozial- und Steuerrecht sind nach wie vor ungeklärt. Auch weiss man nicht so ganz routiniert, wie der Unterhalt zu berechnen sei. Wenn beide Eltern hälftig betreuen, schmilzt dann die Barunterhaltspflicht, weil ja betreut wird (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB)? Die Sparsamen unter uns fragen sich, ob die betreuungsbedingten Verdiensteinbußen und die Erfüllung der Barunterhaltsverpflichtung durch Betreuung (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB) nun Schäubles schwarze Null gefährden

All denen sei versichert: Das Abendland wird nicht untergehen. Und die Kinder? Die verkraften ein Wechselmodell genauso gut oder schlecht wie eine übersorgende gluckenhafte Mutter, einen arbeitssüchtigen Vater oder umgekehrt. Sie leben auch in der intakten Familie mit unterschiedlichen Erziehungsstilen, die sie aus Kindergarten und Schule ohnehin gewohnt sind. Jedenfalls verkraften Kinder ein Wechselmodell besser als streitende Eltern, und sei es auch nur, sie stritten ums Besuchsrecht. Der BGH schreibt völlig zu Recht in die Entscheidung, dass das Wechselmodell höhere Anforderungen an Eltern und Kind stellt als das Alleinresidenzmodell.

Das Wechselmodell stellt aber auch hohe Anforderungen an die damit befassten Juristinnen und Juristen. Es wird in mehr Fällen praktiziert, als von der Rechtsprechung entschieden werden, weil es meist einvernehmlich gehandhabt wird und diese Fälle beschäftigen nicht die Justiz. Da aber, wo Eltern sich nicht einigen können, welches Modell der Kinderbetreuung sie nach der Trennung praktizieren wollen, haben Kinder das Recht darauf, dass wir uns als Juristen vorurteils- und vorverständnisfrei damit beschäftigen und Lösungen finden. Die Randprobleme Unterhalt, Sozial- und Steuerrecht werden wir doch wohl in den Griff bekommen. Juristinnen und Juristen waren immer kreativ. Wir sollten aber vermeiden, zu hohe Anforderungen an die vom BGH geforderte Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Eltern zu stellen und bei tatsächlichen Konflikten zu schnell das Wechselmodell als konkrete Falllösung aussondern. Wir würden den Rosenkrieger mit dem Residenzrecht adeln, falls wir nicht sehr genau analysieren, wer zündelt und zankt und damit dem Kind schadet.

Auskunftsansprüche in Ergänzung des persönlichen Umgangs (BGH v. 14.12.2016 – XII ZB 345/16)

Die Frage von Umgangskontakten und generell der Teilhabe des nicht betreuenden Elternteils an der persönlichen Entwicklung eines Kindes ist für viele Elternteile nach der Trennung ein zentrales Thema. Auch wenn es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleibt, obliegt gleichwohl dem betreuenden Elternteil die Befugnis, über die Alltagsangelegenheiten allein zu entscheiden. Die in der Regel bis zur Trennung stattfindenden gemeinsamen Gespräche und Abstimmungen der Eltern auch zu diesen Alltagsangelegenheiten gibt es nicht mehr, so dass sich häufig aus der Alltagszuständigkeit letztlich auch ein Informationsvorsprung eines Elternteils ergibt, aus dem sich faktisch dann auch die Weichenstellung für grundlegende Fragen – etwa die der Schulwahl – ableitet. Viele nicht betreuende Elternteile fühlen sich durch die Reduzierung allein auf Umgangskontakte letztlich aus dem Leben des Kindes ausgegrenzt. Hierbei wird häufig nicht bedacht, dass neben den Umgangskontakten auch Auskunftsansprüche zu den persönlichen Verhältnissen sowie zur grundlegenden Entwicklung des Kindes geltend gemacht werden können.

Mit wesentlichen in diesem Kontext bestehenden Fragen hat sich der BGH in einer aktuellen Entscheidung auseinandergesetzt. Das gemeinsame Kind der beteiligten Eltern lebte bereits längerfristig in einer Pflegefamilie, nachdem den Eltern u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und das Jugendamt zum Ergänzungspfleger bestimmt worden war. Beide Elternteile hatten Umgangskontakte mit dem Kind, wobei der Vater gegenüber der Mutter, den Pflegeltern und dem Jugendamt Auskunftsansprüche in der Form detaillierter monatlicher Berichte geltend machte. In den Vorinstanzen wurden Auskunftsansprüche gegenüber der Mutter und den Pflegeeltern – in halbjährlicher Form – zuerkannt. Auf die Rechtsbeschwerde des Vaters hat der BGH erkannt, dass dem Vater gegenüber der Mutter ein Auskunftsanspruch nach § 1686 BGB zusteht. Der Anspruch setzt nicht voraus, dass der auskunftsverpflichtete  Elternteil die Obhut über das Kind ausübt. Grundsätzlich kommt daher auch ein auf Umgangskontakte beschränkter Elternteil als Anspruchsgegner in Betracht. Zudem hat der BGH entschieden, dass nicht nur ein Elternteil zur Auskunft verpflichtet sein kann, sondern ggf. auch das Jugendamt, wenn es als Ergänzungspfleger teilweise Sorgerechtsinhaber ist, vor allem jedoch mit Blick auf die ihm obliegende Aufsicht im Rahmen des bestehenden Fürsorgeverhältnisses für das in Vollzeitpflege befindliche Kind über die zur Auskunftserteilung erforderlichen Informationen verfügt. Darüber hinaus hat der BGH entschieden, dass typischerweise etwa Auskunft zu erteilen ist über das schulische Fortkommen, die gesundheitliche Situation oder die soziale Entwicklung des Kindes, jedoch keine detaillieren Angaben zum Tagesablauf, ärztliche Unterlagen oder Informationen zur vermögensrechtlichen Situation geschuldet werden. Ob Fotos vorzulegen sind, soll sich am Einzelfall entscheiden.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass ein Elternteil, dem nicht die persönliche Betreuung eines Kindes obliegt, unabhängig von der bestehenden Regelung der elterlichen Sorge, Auskunftsansprüche geltend machen kann, um sich über die Entwicklung und die wesentlichen Lebensumstände des Kindes zu informieren. Durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters vom 4.7.2013 wurde erstmals auch dem nur leiblichen Vater ein solcher Auskunftsanspruch zuerkannt. Unabdingbare Voraussetzung eines jeden Auskunftsanspruchs ist aber, dass er dem Kindeswohl nicht widerspricht.

Durch die Auskunft soll dem nicht betreuenden Elternteil die Möglichkeit gegeben werden, sich über das Befinden und die Entwicklung des Kindes in Kenntnis zu setzen. Der Auskunftsanspruch besteht neben dem Umgangsanspruch und kann unabhängig von diesem geltend gemacht werden. Allerdings muss der die Auskunft begehrende Elternteil ein berechtigtes Interesse an den geforderten Informationen haben. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn er keine andere Möglichkeit hat, um sich über die Entwicklung des Kindes in zumutbarer Weise zu informieren. Dies kann etwa auch anlässlich der Umgangskontakte erfolgen. Dem berechtigten Interesse steht es entgegen, wenn mit dem Auskunftsanspruch missbräuchliche Zwecke verfolgt werden, etwa der Sorgeberechtigte überwacht oder ein geheim zu haltender Aufenthalt des Kindes ermittelt werden soll.

Durch die Umsetzung des Auskunftsanspruchs soll der berechtigte Elternteil Informationen über die Entwicklung des Kindes sowie seine Lebensumstände erhalten. Hierzu gehören in jedem Fall die Darstellung der persönlichen Interessen, der schulische Werdegang sowie der Gesundheitszustand, wobei zu letzterem jedoch keine detaillierten Unterlagen vorzulegen sind. Zudem ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass mit zunehmendem Alter eines Kindes auch dessen Privat- und Intimsphäre zu respektieren ist und damit Informationen zu höchstpersönlichen Angelegenheiten nicht mehr zu erteilen sind.

In der Praxisberatung sollte dem Auskunftsanspruch verstärkte Bedeutung beigemessen werden. Ein Elternteil, der umfassend über die persönliche Situation seines Kindes in Kenntnis gesetzt wird und an dessen Entwicklung sowohl durch regelmäßige Umgänge als auch darüber hinausgehend erteilte Informationen teilnehmen kann, wird sich aus dem Leben des Kindes nicht als ausgegrenzt fühlen. Streitigkeiten um Teilbereiche der elterlichen Sorge lassen sich auf diesem Wege möglicherweise auch umgehen.

Umgangsverweigerung ist Körperverletzung – oder: Warum der Kuss so wichtig ist

Die Teilnahme an juristischen Kongressen und Veranstaltungen lehrt und bildet ja bekanntlich. Letzteres förderte auf der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im DAV vom 24. bis 26.11.2016 in Nürnberg Professor Dr. rer. nat., Dipl.-Ing. (Informatik/E-Technik) Peter Beyerlein, Professor und Leiter der Arbeitsgruppe Bioinformatik. Der Titel seines Vortrags „Neurobiologie und Kindeswohl – Viel mehr als Recht und Psychologie“ weckt in Juristinnen und Juristen voyeuristische Erwartungseuphorie, Einblick in eine fremde naturwissenschaftliche Welt zu bekommen, der schon begrifflich kaum beizukommen ist und deren Begriffe, kaum dass sie entbeamt werden, dem Gedächtnis entschwinden.

Gleichwohl habe ich Folgendes behalten: Der Informationsaustausch zwischen Eltern und ihren Kindern ist nicht auf den Austausch ihres genetischen Materials bei der Zeugung und die anschließende intellektuelle, kulturelle und sprachliche Korrespondenz beschränkt. Die Neurobiologie kann vielmehr heute erklären, dass jeder Kuss, jeder Handschlag und jeder Körperkontakt ein Informationsaustausch ungeahnten Ausmaßes verursacht, dessen Resultat nicht auf die Psyche allein beschränkt bleibt, sondern unmittelbar die genetisch kodierte Funktion der Zellen beeinflusst. So kann die Wissenschaft nachweisen, dass Fehler im menschlichen Genom durch solch postnatalen Kontakte larviert („verdeckt“) und funktional repariert werden können, weil die bei den Eltern bereits erfolgte verhaltenskontrollierte Reparatur des Defekts an das Kind weitergegeben wird, nicht durch ‚Vererbung‘ sondern durch den bei jedem Körperkontakt über das Mikrobiom vermittelten Datenaustausch. Das funktioniert neurobiologisch allerdings nur beim Kontakt zwischen Kindern und ihren leiblichen Eltern, weil nur die Eltern neben einem genetischen Defekt auch das erfolgreiche Larvierungsmuster erworben haben. Stief- und Pflegeeltern versagen dabei, weil ihnen der zu larvierende genetische Defekt fehlt. Deswegen kam der Referent zu dem Schluss, dass die Verweigerung von Umgangskontakten zwischen Kindern und ihren leiblichen Eltern Körperverletzung am Kind sei.

Nach dem Genom-Project, das das menschliche Genom entschlüsselt, hat die Forschung das Human Brain Project in Angriff genommen. Darin wird das menschliche Hirn kartographiert und nachgewiesen, dass wir derzeit nur einen winzigen Bruchteil unseres intellektuellen Potentials nutzen und an welcher Stelle des Hirns das zu lokalisieren ist. Jetzt entzaubert die Neurobiologie unsere Vorstellung vom eigenverantwortlich handelnden ‚Freien Menschen‘ und führt Aggressivität, Duldsamkeit, Liebe und Sexualität, Faulheit und Dummheit auf biochemische Prozesse zurück, die in Formeln und chemischen Reaktionsketten ausgedrückt werden können.

Ist das das Ende der Autonomie? Natürlich nicht. Sie zu ermöglichen und zu fördern, sollten wir Familienrechtler aber vielleicht nicht allzu forsch Umgangskontakte verweigern und damit den Kindern die Möglichkeit nehmen, genetisch kodierte Defizite zu reparieren. Biochemisch gesprochen scheinen Umgangskontakte zwischen Eltern und Kindern letzteren zu helfen, Herr ihrer Defizite zu werden und damit tatsächlich autonom zu entscheiden.