Karge Worte des Sparsamen – Bundesverfassungsgericht nimmt Beschwerde zu § 17 VersAusglG nicht an (BVerfG v. 9.3.2017 – 1 BvR 963/16)

Ein Bild von Paul Klee ist betitelt: „Karge Worte des Sparsamen“. Es zeigt einen intelligenten Flaschenkopf mit hellwachen Augen und einem im Verhältnis dazu deutlich zu kleinen, verschlossenem Mund. Der Bildtitel erscheint als „Krg Wrt Sp.“ in Buchstaben im Bild.

Mit ebensolcher Kargheit hat das BVerfG am 9.3.2017 (1 BvR 963/16) eine eingelegte Verfassungsbeschwerde wegen der nachteiligen Folgen der externen Teilung eines betrieblichen Anrechts mit einem Ausgleichswert von knapp 50.000 € nicht angenommen. 33 Worte genügten den Verfassungsrichtern dazu.

In den familienrechtlichen Kommunikationsmedien wird eine Mischung von Trübsal, Enttäuschung und rücksichtsvollem Gerichtsbashing betrieben. Viele meinen, das Verfassungsgericht hätte sich doch wenigstens einige Worte der Begründung abringen können.

Zum Glück hat es das nicht. Denn das Bundesverfassungsgericht ist an das BVerfGG gebunden und die Voraussetzungen für die Annahme einer Verfassungsbeschwerde nach § 13 Nr. 8a BVerfGG sind, dass ihr ‚grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt‘ oder eine Grundrechtsverletzung einen ‚besonders schweren Nachteil‘ beim Beschwerdeführer auslöst (§ 93a BVerfGG), falls eine Entscheidung zur Sache versagt wird. Diese Voraussetzungen hat der Beschwerdeführer darzulegen. Er muss also nicht nur darlegen, welches Grundrecht durch eine Gerichtsentscheidung verletzt worden ist, sondern auch die Dimension der Verletzung. Dabei reicht es nicht aus, die verfassungswidrige Ungerechtigkeit einer Norm zu beklagen (das wäre Aufgabe einer Normenkontrollklage). Vielmehr müssen die Grundrechtsverletzung und deren Auswirkungen auf den Beschwerdeführer dargelegt werden (§ 92 BVerfGG).

Das alles macht Verfassungsbeschwerden aufwändig. Die hier nicht zur Entscheidung angenommene Verfassungsbeschwerde erfüllte diese formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nach Ansicht des Gerichts nicht. Deshalb konnte und durfte das BVerfG die Beschwerde nicht zur Entscheidung annehmen.

Vielleicht sind die mit der externen Teilung zusammenhängenden Rechtsprobleme auch noch nicht ausreichend erörtert.

Im Versorgungsausgleich werden bei der internen Teilung ‚Renten‘ dinglich geteilt. Die Forderung eines angemessenen Teilungsergebnisses ist daher in diesen Fällen gerechtfertigt.

Bei der externen Teilung wandelt sich die ‚dingliche Teilung‘ gewissermaßen in einen ‚Wertausgleich‘.

  • Fehlt dem Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen tatsächlich der Spielraum, einen solchen Transfer zu ermöglichen, an den wir uns im Zugewinnausgleich, dem jede dingliche Teilhabe fremd ist, gewöhnt haben und dessen Verfassungswidrigkeit dort nicht bemängelt wird?
  • Könnten wir tatsächlich die betrieblichen Versorgungsträger zur Auskehrung höherer Ausgleichswerte zwingen, als diese für eine Versorgung bilanziert haben, ohne die nächste verfassungsrechtlich bedenkliche Baustelle zu eröffnen?
  • Wir wissen, dass die Kapitalmarktentwicklung dazu geführt hat, dass betriebliche Versorgungssysteme unterfinanziert sind und einen erheblichen finanziellen Nachschussbedarf haben. Können wir aber diesen Nachschussbedarf präemptiv in der Höhe des Ausgleichswerts abbilden, obwohl er erst nachehezeitlich entsteht, wenn nämlich der Mitarbeiter zum Rentenbezieher mutiert und sich dann herausstellt, dass die tatsächlich gebildeten Rückstellungen nicht ausreichend sind? Der dann erforderliche ‚Nachschuss‘ wird von den ‚aktiven Mitarbeitern‘ des Unternehmens nachehezeitlich erwirtschaftet. Da betriebliche Anrechte keine Abänderungsmöglichkeit kennen (§ 32 VersAusglG), kann die ausgleichsberechtigte Person an diesem nachehezeitlichen Nachschuss auch nicht beteiligt werden.

Solange die Diskussion das Ausgleichsergebnis fokussiert, werden die Familienrechtler die Sozialpolitiker und die Frauenrechtler aktivieren, wahrscheinlich aber nicht die Verfassungsrechtler.

Diese könnten sich aber dafür interessieren, ob die in § 17 VersAusglG vorgesehene Schwellgrenze für den Übergang zur internen Teilung nicht willkürlich hoch bemessen ist. Welches Argument rechtfertigt die interne Teilung einer Versorgung oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze und die externe Teilung einer Versorgung mit einem Kapitalwert unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze? Nach der Rechtsprechung des BGH können die Betriebe die durch die Teilung entstehenden Kosten (einschließlich der künftigen Verwaltungskosten) auf die sich scheidenden Ehegatten umlegen (BGH v. 27.06.2012 – XII ZB 275/11, FamRZ 2012, 1546 = FamRB 2012, 307). Ein Kostenargument kann also die Differenzierung nicht rechtfertigen. Dass die ausgleichsberechtigten Ehegatten kleinerer Versorgungswerte der Versorgungshomologität eher abträglich seien als die größerer Versorgungswerte, dürfte Verfassungsrechtler wohl eher zu mildem Lächeln bringen. Das berechtigte Interesse am Ausschluss von Bagatellversorgungen aus den betrieblichen Systemen kann man durch eine moderate Anhebung der Bagatellgrenze bewerkstelligen. Wählte man z.B. für die betriebliche Altersversorgung als Grenzwert 50 % des Durchschnittsentgelts in der gesetzlichen Rentenversicherung als Grenzwert für die interne Teilung (das wären heute rd. 19.000 €), reduzierte man zwar nicht den prozentualen Transferverlust, aber die „besonders schweren Nachteile“ der ausgleichsberechtigten Personen (§ 93a Abs. 2 Nr. 2a BVerfGG).

Das BVerfG hat – aus formalen Gründen – die Beschwerde nicht angenommen. Damit ist die Verfassungsmäßigkeit von § 17 VersAusglG nicht festgestellt. Festzustellen ist aber, dass Verfassungsbeschwerden nicht leichtsinnig eingelegt und gut begründet werden sollten. Das BVerfG ist keine familienrechtliche Superrevisionsinstanz, sondern Verfassungsorgan.

Ich zweifele – wie oben dargestellt – nach wie vor daran, dass die durch § 17 VersAusglG gezogene Grenze für interne und externe Teilung unter Gleichheitsaspekten zu begründen ist (vgl. FS Brudermüller, S. 277). Ein entsprechender Fall muss aber sorgsam ausgesucht und ein Verfahren von vornherein mit der Grundrechtsproblematik „belastet“ werden. Und schließlich muss auch der „besonders schwere Nachteil“ dokumentiert werden. Ab wann ein solcher gegeben ist, ist schwer zu sagen. Aber dafür haben wir ja das Bundesverfassungsgericht. Bessere Richter haben wir nicht und eine bessere Institution zur Klärung solcher Fälle ist uns bislang auch noch nicht eingefallen.

Keine Anfechtung einer Erbschaftsannahme wegen Überschuldung des Nachlasses bei „spekulativer“ Annahme (zu OLG Düsseldorf v. 17.10.2016 – I-3 Wx 155/15)

Die Entscheidung, ob man eine Erbschaft annehmen oder ausschlagen soll, ist nicht immer einfach zu treffen. Insbesondere wenn die Erben nur oberflächlichen Kontakt zum Erblasser hatten oder der Erblasser sie schlicht nicht über seine Finanzen informiert hat, kaufen sie mit der Annahme der Erbschaft „die Katze im Sack“. Das Gesetz erleichtert die Entscheidung für die Erben kaum. Die Frist zur Ausschlagung einer Erbschaft ist mit sechs Wochen ab Kenntnis von dem Tod des Erblassers bzw. seiner letztwilligen Verfügung extrem kurz. Wird die Erbschaft nicht innerhalb dieser Frist ausgeschlagen, gilt sie als angenommen. Innerhalb dieser kurzen Zeit ist es aber meist nicht möglich, sich ein vollständiges Bild von dem Nachlass zu machen. Verschärft wird die Problematik dadurch, dass die Banken und Versicherungen den Erben die Auskunft verweigern, wenn sie keinen Erbschein vorlegen können oder nicht zufälligerweise über eine Vollmacht des Erblassers verfügen. Einen Erbschein können die Erben wiederum erst nach Annahme der Erbschaft erhalten. Durchaus nicht selten stellen die Erben daher erst nach der Annahme der Erbschaft fest, dass der Nachlass überschuldet ist, und wollen die Erbschaft wieder loswerden, zumal sie als Erben grundsätzlich auch mit ihrem persönlichen Vermögen für die Nachlassschulden haften. Eine einmal angenommene Erbschaft wieder loszuwerden ist allerdings nicht ganz einfach.

Das Gesetz stellt den Erben zwar die Möglichkeit der Anfechtung der Annahme einer Erbschaft zur Verfügung, wenn sie irrtümlich davon ausgegangen sind, dass der Nachlass nicht überschuldet ist. Ein solcher Irrtum liegt allerdings bereits dann nicht vor, wenn die Erbschaft „spekulativ“ in der Hoffnung angenommen wurde, sie sei nicht überschuldet (OLG Düsseldorf v. 17.10.2016 – I-3 Wx 155/15). Eine Anfechtung wegen Überschuldung des Nachlasses ist also nur dann möglich, wenn die Erben bei der Annahme der Erbschaft davon überzeugt waren, dass der Nachlass nicht überschuldet ist, nicht aber schon dann, wenn die Erben keine Informationen über den Nachlass hatten.

Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 17.10.2016 nun die Möglichkeit einer Anfechtung wegen Überschuldung sogar in einem Fall für ausgeschlossen gehalten, in dem die Erben – jedenfalls angeblich – davon überzeugt gewesen waren, der Nachlass sei schuldenfrei. Zu dieser Überzeugung waren sie dadurch gelangt, dass die Erblasserin ihnen gegenüber zu Lebzeiten mehrfach geäußert hatte, es bestünden keine Verbindlichkeiten mehr, sie müssten sich also wegen der zukünftigen Erbschaft keine Sorgen machen. Das OLG wies die Beschwerde der Erben mit der Begründung zurück, dass diese Aussagen der Mutter ungeeignet gewesen seien, die Überzeugung zu begründen, der Nachlass sei nicht überschuldet. Allenfalls hätte diese Aussage diesbezüglich eine vage Hoffnung begründen können, zumal den Erben die Unzuverlässigkeit der Erblasserin in finanziellen Fragen bekannt gewesen sei. Eine bloße Hoffnung sei aber eben kein rechtserheblicher Irrtum, der zur Anfechtung berechtigt.

Diese Entscheidung ist zwar unsauber begründet, dürfte jedoch im Ergebnis richtig sein. Das OLG vermischt in seiner Argumentation die materiellen Voraussetzungen eines rechtserheblichen Irrtums und Fragen der Feststellungslast. Wären die Erben tatsächlich davon überzeugt gewesen, dass der Nachlass nicht überschuldet ist, und hätte sich dies später als falsch herausgestellt, hätte ein rechtserheblicher Irrtum vorgelegen und nicht eine bloße Hoffnung der Erben. Wirtschaftliches/vernünftiges Denken des Irrenden ist keine Voraussetzung für das Vorliegen eines rechtserheblichen Irrtums. Allerdings müssen die Erben im Zweifel beweisen, dass sie tatsächlich zur verfehlten Überzeugung gelangt sind, dass der Nachlass nicht überschuldet ist. Ein Zweifel daran besteht immer dann, wenn ein objektiver Dritter an Stelle der Erben nicht zu der Überzeugung gelangt wäre, dass der Nachlass schuldenfrei ist, sondern sich allenfalls Hoffnungen in diese Richtung gemacht hätte. In dem von dem OLG Düsseldorf entschiedenen Fall, wäre ein objektiver Dritter auf der Grundlage der Aussagen der Erblasserin nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Nachlass schuldenfrei ist, weil ihre Unzuverlässigkeit in finanziellen Dingen bekannt war. Den Beweis, dass sie – unvernünftigerweise – dennoch davon überzeugt waren, dass der Nachlass schuldenfrei ist, konnten die Erben nicht führen. Die Beschwerde war daher richtigerweise zurückzuweisen.

Zusammenfassung:

  • Die Annahme einer Erbschaft kann angefochten werden, wenn die Erben bei der Annahme irrtümlich davon überzeugt sind, dass der Nachlass schuldenfrei (oder zumindest nicht überschuldet) ist.
  • Die Annahme einer Erbschaft kann nicht angefochten werden, wenn die Erben keine konkreten Vorstellungen von dem Nachlass haben, sondern nur hoffen, dass dieser nicht überschuldet ist.
  • Im Zweifel müssen die Erben beweisen, dass sie tatsächlich zu einer verfehlten Überzeugung gelangt sind und sich nicht nur Hoffnungen gemacht haben. Dieser Beweis ist kaum zu führen, wenn ein objektiver Dritter an Stelle der Erben nicht zu der Überzeugung gelangt wäre, dass der Nachlass schuldenfrei ist.

Hinweis für die Praxis:

Auch wenn die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung einer Erbschaftsannahme sehr hoch sind und eine solche sogar von vornherein ausgeschlossen ist, wenn die Erben bei der Annahme keinerlei Vorstellung von der Zusammensetzung des Nachlasses haben, ist den Erben in solchen Fällen nicht ohne Weiteres zu raten, die Erbschaft vorsorglich auszuschlagen. Selbst wenn sich nach der Annahme herausstellt, dass der Nachlass überschuldet ist, kann eine Haftung der Erben mit ihrem persönlichen Vermögen vermieden werden, indem die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens beantragt wird. Ein solcher Antrag hat auch keine negativen Konsequenzen für die Kreditwürdigkeit der Erben. Vorsicht bei der Annahme einer Erbschaft ist allerdings dann geboten, wenn Immobilienvermögen vorhanden ist, denn für die laufenden Kosten der Immobilien, die nach dem Tod des Erblassers entstehen, haften die Erben auch im Fall eines Nachlassinsolvenzverfahrens persönlich, wenn diese nicht aus dem Nachlass beglichen werden können.

 

Nun schätzt mal schön – Der Versorgungsausgleich in der Zusatzversorgung (BGH v. 8.3.2017 – XII ZB 697/13)

Rechtzeitig vor Ostern sorgt der BGH für Unruhe bei den Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes und kippt einen zentralen Bestandteil ihres Berechnungsmodells: die geschlechtsspezifische Versorgungsbegründung im Versorgungsausgleich. Damit sind fast alle Auskünfte der Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes und der VBL, die nach dem 31.12.2012 erteilt wurden, als Grundlage für den Versorgungsausgleich Makulatur.

Drei Fragen im Zusammenhang mit der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes waren offen:

  1. Ist die Berechnung des Ausgleichswerts auf der Basis der zu teilenden Versorgungspunkte in einen Kapitalwert und die Begründung der Versorgung für die ausgleichsberechtigte Person auf der Basis der aus diesem Kapitalwert resultierenden altersabhängigen Entgeltpunkte zulässig?
  2. Ist es in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes zulässig, geschlechtsspezifische Barwertfaktoren für die Rentenbegründung im Versorgungsausgleich zu benutzen?
  3. Ist es bei der internen Teilung eines Anrechts des ZVK zulässig, vom Pflicht- in den freiwilligen Versicherungszeig zu wechseln?

Die ersten beiden Fragen sind nun beantwortet:

Zu 1.:

In der ZVK des öffentlichen Dienstes sind die Versorgungspunkte die Bezugsgröße. Nach § 5 Abs. 1 VersAusglG wird auf der Basis der jeweiligen Bezugsgröße geteilt und für die ausgleichsberechtigte Person eine Versorgung begründet. Wenn also ehezeitlich 20 Versorgungspunkte (VP) begründet wurden, wären 10 VP für die ausgleichsberechtigte Person zu begründen. So einfach macht es sich und uns die ZVK indessen nicht. Vielmehr werden die ehezeitlich erworbenen VP anhand der biometrischen Daten der ausgleichspflichtigen Person in einen Barwert umgerechnet, dieser wird geteilt und anhand der biometrischen Faktoren der ausgleichsberechtigten Person wird das geteilte Kapital in VP umgerechnet. Das führt für die Beteiligten zu der oftmals als verblüffend empfundenen Erkenntnis, dass die Teilung von 12,64 VP für die ausgleichsberechtigte Person zu einer Versorgung in Höhe von 10,82 VP führt. Falsche Mathematik? Nein, richtige Versicherungsmathematik sagt die ZVK und nun auch der BGH, denn der Versorgungsausgleich müsse für Versorgungsträger kostenneutral abgewickelt werden und deswegen sei es zulässig, wenn unterschiedliches Alter von ausgleichspflichtiger und ausgleichsberechtigter Person zu unterschiedlich hohen Versorgungen führe. Bei jüngeren Ausgleichsberechtigten verweile das Ausgleichskapital länger im Versorgungssystem, erziele Zinserträge und könne daher auch höhere Renten generieren. Deshalb seien die Teilung auf Kapitalwertbasis und deren Umrechnung in Versorgungspunkte zulässig.

Zu 2.:

  1. Die Anwendung geschlechtsspezifischer Barwertfaktoren bei der Umrechnung des Kapitalbetrages in Versorgungspunkte hält der BGH allerdings nicht für zulässig (Rz. 26 ff.). Die Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes seien als Anstalten des öffentlichen Rechts an die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes gebunden. Zwar hätten Frauen eine längere Lebenserwartung als Männer, was versicherungsmathematisch differierende Barwertfaktoren rechtfertige. Letztlich stelle dies aber eine geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen dar, die im Lichte von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu rechtfertigen sei. Dies bedeute allerdings nicht, dass alle Versorgungsausgleiche, die auf der Basis nicht genderneutraler Auskünfte der Zusatzversorgungen durchgeführt worden seien, fehlerhaft seien. Erst solche Versorgungsauskünfte, die nach dem 1.1.2013 erteilt worden seien, könnten vor der Rechtsordnung keinen Bestand haben, weil der Europäische Gerichtshof Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie 2004/113/EG mit Wirkung zum 21.12.2012 für ungültig erklärt habe (Rz. 43) und seitdem fraglich sei, ob die Anwendung geschlechtsspezifischer Barwertfaktoren in der betrieblichen Altersversorgung unionsrechtlich zulässig sei. Da eine solche geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung aber bereits gegen nationales Verfassungsrecht verstoße (Rz. 48), könne sie nur bis zum 31.12.2012 hingenommen werden. Nach diesem Stichtag erteilte Versorgungsauskünfte von öffentlich-rechtlichen Zusatzversicherungen seien grundsätzlich nicht verwertbar. Bis zur Umstellung der Rechnungsgrundlagen durch die Versorgungsträger könnten die Werte geschätzt werden. Ein brauchbares Schätzmodell sei in der Entscheidung des OLG Celle (FamRZ 2014, 305, 308 f.) enthalten.
  2. Nun schätzt mal schön*, will uns der BGH sagen. Das ist aber gar nicht so einfach und dürfte die Familienrechtler ohne besondere Hilfsmittel überfordern.
    • Das OLG Celle hatte in der vom BGH erwähnten Entscheidung die ZVK aufgefordert, alle maßgeblichen alters- und geschlechtsspezifischen Barwertfaktoren für die Stichtage zur Berechnung des Kapitalwerts und des Rentenwerts mitzuteilen und dann folgendes Schema entwickelt (entnommen Hauß/Bührer, Versorgungsausgleich und Verfahren in der Praxis, 2. Aufl., Rz. 952):

      OLG Celle, geschlechtsneutrale Teilungsberechnung

      Barwertfaktor Mann (47)

      Barwertfaktor Frau (42)

      Monatsrente

      148,09 €

      148,09 €

      Jahresrente

      1.777,08 €

      1.777,08 €

      Barwertfaktor (47)

      7,42

      7,434

      Barwert

      13.185,93 €

      13.210,81 €

      Barwert / 2

      6.592,97 €

      6.605,41 €

      Teilungskosten

      – 125,00 €

      – 125,00 €

      Ausgleichswert

      6.467,97 €

      6.480,41 €

      Barwertfaktor (42)

      6,417

      6,436

      Jahresrente

      1.007,94 €

      1.006,90 €

      Monatsrente

      84,00 €

      83,91 €

      Versorgungspunkte (Rente / 4)

      21,00

      20,98

      gemittelte Versorgungspunkte

      20,99

      Der Unterschied zwischen grundgesetzkonformer geschlechtsneutraler und geschlechtsdifferenzierender Berechnungsmethode betrug im Fall des OLG Celle gerade einmal 20 Eurocent (vgl. Hauß, FamRB 2013, 386).

    • Die Gerichte könnten nun recht einfach die Bewertungen vornehmen, wenn die Träger der Zusatzversorgungen nicht ein Geheimnis um Ihre Barwertfaktoren machten. Diese werden nämlich nicht veröffentlicht. Würden sie veröffentlicht, könnte man sehr einfach und auch sehr schnell ein Programm zur geschlechtsneutralen Kalkulation der Werte entwickeln, das den Gerichten die Möglichkeit böte, anhand der Berechnungsparameter der ZVK einen geschlechtsneutralen Ausgleich vorzunehmen. Solange die Parameter allerdings Geheimsache sind, muss man nun in allen Fällen die Versorgungsträger zwingen, neue Auskünfte zu erteilen oder ihnen mit wilden Schätzungen drohen. Das alles kostet Geld der Versorgungsträger und Zeit der Mandanten. Schade.
    • Besteht jetzt Abänderungspotential um bei 180.000 Scheidungen pro Jahr zehntausende genderpolitisch fehlerhaft durchgeführten Versorgungsausgleiche zu korrigieren? Wohl kaum. Das Beispiel des OLG Celle zeigt, wie gering der versicherungsmathematische Unterschied genderpolitischer Korrektheit materiell ausfällt. Bevor die Anwaltschaft nun die Abänderungsmaschine anwirft, sollte man kurz die Reaktion der Zusatzversorgungen abwarten. Diese täten gut daran, nun endlich ihre Barwertfaktoren zu veröffentlichen und so eine einfache Möglichkeit der Prüfung und Neuberechnung zu schaffen, ganz ohne neue Auskünfte und ohne lange Stauzeiten.

Zu 3.:

Die Frage, ob ein interner Ausgleich vorliegt, wenn der Versicherungszweig in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes gewechselt wird, und ein Anrecht statt in der Pflicht- in der freiwilligen Versicherung begründet wird (z.B. in der eZVK Hessen), ist noch nicht beantwortet. Sie weist auch über das Zusatzversorgungssystem hinaus, weil auch der BVV und viele private Versorgungen einen für die ausgleichsberechtigte Person regelmäßig nachteiligen Tarifwechsel vornehmen. Es bleibt zu hoffen, dass der BGH mit ähnlich beeindruckender Rigidität wie im obigen Beschluss das System eines gerechten Ausgleichs der ehezeitlichen Versorgungen vor der schleichenden Demontierung durch die Versorgungsträger schützt.

* Leichte Abwandlung eines Satzes des ehemaligen Bundespräsidenten Heuss, der als Manövergast der Bundeswehr 1958 die Generalität in scherzend ironischer Art mit dem Satz konfrontierte: „Nun siegt mal schön!“

Revolutionäres von der Kindesunterhaltsbemessung? (zu BGH v. 15.2.2017 – XII ZB 201/16)

Der eine betreut, der andere zahlt, und die Höhe der Zahlung wird aus dem Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils berechnet. Diese Gewissheit gerät nun ins Wanken. Der BGH entscheidet im Fall einer auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen berufstätigen und alleinerziehenden Mutter, dass der Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes aus dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern zu erheben sei. Der barunterhaltspflichtige Elternteil brauche zwar maximal nur den aus seinen Einkünften errechneten Unterhaltsbedarf des Kindes zu befriedigen, die das Kind betreuende Mutter könne aber von ihrem Erwerbseinkommen den die Zahlung des Kindesvaters übersteigenden Tabellenbedarf des Kindes abziehen.

So ganz überraschend kommt das nicht. Leben Eltern zusammen, wird der Bedarf der Kinder im Elternunterhalt schon immer aus dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern berechnet, weil der Lebensstandard der Familie durch die beiderseitigen Elterneinkünfte geprägt wird. Warum dies anders sein soll, wenn eine Trennung vorliegt, ist nicht nachvollziehbar.

Trotzdem wird man sich auch im sonstigen Unterhaltsrecht gründlich mit dieser Entscheidung auseinandersetzen müssen. Die Unterhaltsberechnung für den betreuenden Elternteil fiele nämlich anders aus, wenn man die Berechnungsmethode des BGH für die Bestimmung des Bedarfs des minderjährigen Kindes auf den Unterhaltsbedarf des betreuenden Elternteils ausdehnen würde:

Revolutionaeres

Immerhin ergäbe sich in diesem Fall ein um 54 € (11,25 %) höherer Unterhaltsanspruch des betreuenden Elternteils.

Der BGH lehnt in der Entscheidung die Berücksichtigung eines pauschalen Betreuungsbonus für die betreuende Person ab, weist aber ausdrücklich darauf hin, es könne auch sein, dass die Erwerbseinkünfte des betreuenden Elternteils als überobligatorisch anzusehen seien, entsprechender Vortrag sei jedoch nicht zur Akte gereicht worden.

Die Entscheidung hat in den familienrechtlichen Fachforen bereits heftige Reaktionen ausgelöst. Der Gesetzgeber – soviel steht fest – hat bislang § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht geändert. Was aber beim Wechselmodell für die Bedarfsbestimmung des minderjährigen Kindes gilt (BGH v. 11.1.2017 XII ZB 565/15, FamRZ 2017, 437 = FamRB 2017, 126), sollte doch auch sonst als richtig erwogen werden. Jedenfalls ist nicht ohne weiteres zu erkennen, wieso bei einer Erwerbstätigkeit beider Eltern der Bedarf des Kindes sich nur aus einem Einkommen ableiten soll. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB sagt nur etwas zum Barunterhalt. Deswegen definiert der BGH in der Entscheidung die Aufwendungen des betreuenden Elternteils als Naturalunterhalt, denn der Barunterhalt dürfte bei Doppelverdienern fast nie ausreichen, Wohnen, Sport, Freizeit, Essen und Kleidung des Kindes hinreichend zu finanzieren. Mit dem Einkommen wachsen auch die Bedürfnisse. Im Gesetz steht auch nichts über die Einstufung nach der Düsseldorfer Tabelle.

Man sollte und muss die Diskussion über die Austarierung des Kindesunterhalts offen führen. Erste Ansätze dazu sind gemacht. Sowohl die Struktur der Düsseldorfer Tabelle (dazu Schürmann, FamRB 2017, 27, 29) als auch der nacheheliche (dazu Hauß, FamRB 2017, 121) und der Kindesunterhalt (s. FamRB 2017, 124) werden diskutiert. Gut so.

22. Deutscher Familiengerichtstag in Brühl

Der 22. Deutsche Familiengerichtstag wird vom 28. Juni. bis 1. Juli 2017 traditionsgemäß in der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl stattfinden.

Der diesjährige Familiengerichtstag fällt mit dem 40. Jahrestag des am 1. Juli 1977 in Kraft getretenen 1. Eherechtsreformgesetzes zusammen. Zum Auftakt der Veranstaltung soll dieses Ereignis in einem Festakt gebührend gewürdigt werden – war es doch zugleich der Anlass zur Gründung des Deutschen Familiengerichtstags. An den nächsten Tagen folgen die Plenarvorträge „Konflikt von Erziehungsleitbildern“ (Prof. Dr. Michael Coester) sowie „Paralleljustiz im Familienrecht“ (Prof. Dr. Mathias Rohe). Zum Abschluss wird Prof. Dr. Markus Rothschild einen Blick auf die „Familie in der Rechtsmedizin“ ermöglichen, woran sich eine Plenardiskussion anschließt.

Auf die 24 Arbeitskreise wartet ein weit gefächertes Spektrum familienrechtlicher Themen, die sowohl aktuelle Fragen aus der Alltagspraxis betreffen als auch Entwicklungen in veränderten Familienstrukturen aufgreifen. Einen Schwerpunkt bildet wiederum das Unterhaltsrecht, bei dem u.a. Fragen von Obliegenheiten, Einkommensbereinigung, eines Verzichts sowie erneut die Probleme beim Elternunterhalt behandelt werden sollen. Auch sehr grundsätzliche Überlegungen zur Zukunft des traditionellen Residenzmodells und des Verhältnisses von Pflege und Unterhalt werden Gegenstand der Beratungen sein. Im Focus der Praxis steht immer wieder die Rolle von Kindern in familiären Konflikten. Die Themen reichen vom Elternverhalten, der Umgangsverweigerung bis zu den Folgen innerfamiliärer Gewalt und notwendigen Reformen bei Sorge- und Umgang. Besondere Herausforderungen ergeben sich aus den Migrationsbewegungen der letzten Jahre mit ihren interkulturellen Einflüssen. Darüber hinaus gehören auch dieses Jahr wieder Probleme des Versorgungsausgleichs, des Güterrechts, des internationalen Rechts sowie verfahrensrechtliche Fragen zum Programm der Arbeitskreise. Weitere Einzelheiten zu den Arbeitskreisen finden sich auf der Homepage des DFGT.

Der Deutsche Familiengerichtstag bietet ein interdisziplinäres Forum für alle mit dem Familienrecht befassten Professionen, um in den Arbeitskreisen zu diesen und weiteren Themen Empfehlungen an Rechtsprechung, Rechtsberatung und Gesetzgebung zu erarbeiten. Vollständiges Programm und Anmeldung unter www.dfgt.de, E-Mail: info@dfgt.de oder Deutscher Familiengerichtstag e.V., c/o HS Bund, Willy-Brandt-Straße 1, 50321 Brühl; Telefon: 02232/929-9116; Fax: 02232/929-9011; Anmeldeschluss ist der 22. Mai 2017 (Eingang).

Wird durch die Beschleunigungsbeschwerde alles besser und schneller? (KG Berlin v. 31.1.2017 – 13 WF 12/17)

Ein zentrales gesetzgeberisches Anliegen im Zuge der Neueinführung des FamFG war das in § 155 FamFG verankerte Vorrang- und Beschleunigungsgebot. In Verfahren, die den Aufenthalt eines Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, soll hierdurch sichergestellt werden, dass nicht allein aus der Verfahrensdauer folgend Fakten geschaffen werden. Dem soll durch geeignete verfahrensfördernde Maßnahmen entgegen gesteuert werden. Hierzu gehört insbesondere, dass spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattfindet und eine Verlegung des Termins nur aus zwingenden Gründen zulässig ist. Gerade in Umgangsrechtsverfahren hat diese enge zeitliche Vorgabe besondere Bedeutung, da häufig nur im Zusammenhang mit einer zeitnahen gerichtlichen Entscheidung auch die Entfremdung zwischen einem Kind – insbesondere wenn es jünger und daher sein Zeitempfinden auch entsprechend anders ausgestaltet ist – und dem nicht betreuenden Elternteil vermieden werden kann.

Problematisch war allerdings immer auch die Frage, wann eine Verfahrensdauer noch angemessen ist und welche konkreten Möglichkeiten die Verfahrensbeteiligten haben, um einen zügigen Verfahrensfortgang zu erwirken. Mangels konkreter Regelungen hierzu behalf sich die Praxis bis zum Jahr 2011 mit der sog. Untätigkeitsbeschwerde, die immer dann erhoben werden konnte, wenn eine unzumutbare Verfahrensverzögerung vorlag, die letztlich einen Rechtsverlust für den unmittelbar Betroffenen bedeutet hätte. Bereits im Jahr 2010 hatte aber der EGMR schon festgestellt, dass in Deutschland kein wirksamer Rechtsbehelf bei überlangen Verfahren existierte, so dass die Bundesrepublik unter Frist aufgefordert wurde, einen solchen Rechtsbehelf einzuführen. Zum 3.12.2011 trat daher das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren in Kraft, mit dem nun den Verfahrensbeteiligten die Geltendmachung einer „angemessenen Entschädigung“ bei überlangen gerichtlichen Verfahren eröffnet wurde, sofern zuvor eine „Verzögerungsrüge“ erhoben worden war. Dieser Rechtsbehelf wies jedoch keinerlei präventiven Schutz auf, d.h. es wurde lediglich die Kompensation für eine lange Verfahrensdauer eröffnet, ohne dass allerdings ein wirksamer Rechtsbehelf dahin gehend bestanden hätte, bereits im Verfahren selbst auf die zügige Verfahrensfortführung Einfluss zu nehmen. In seinem Urteil vom 15.1.2015 hat daher der EGMR erneut die geltende Gesetzeslage als nicht mit Art. 8, 13 EMRK vereinbar bewertet und den nationalen Gesetzgeber aufgefordert, einen den supranationalen Vorgaben entsprechenden Rechtsbehelf gegen Verfahren mit überlanger Verfahrensdauer zu schaffen, um den Verfahrensbeteiligten nun die Möglichkeit zu eröffnen, bereits im Verfahren selbst eine überlange Dauer rügen zu können.

Zum 15.10.2016 ist daher mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des FamFG die in § 155b Abs. 1 FamFG verankerte Beschleunigungsrüge, ein eigenständiger präventiver Rechtsbehelf bei Verfahrensverzögerungen, eingeführt worden. Damit eröffnet sich nunmehr für die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zur Rüge, dass die bisherige Verfahrensdauer nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 FamFG entspricht. Die dafür maßgeblichen Umstände sind im Einzelnen darzulegen. Das Gericht ist sodann gehalten, spätestens innerhalb eines Monats über diese Rüge zu entscheiden und ggf. geeignete Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung zu ergreifen. Hilft das Ausgangsgericht der Rüge nicht ab, so ist gegen die ablehnende Entscheidung Beschwerde möglich (Beschleunigungsbeschwerde, § 155c FamFG).

In einer aktuellen Entscheidung vom 31.1.2017 hat sich nun das KG Berlin mit einer Beschleunigungsbeschwerde auseinandergesetzt. Hintergrund waren hochstreitige Auseinandersetzungen der Eltern zum Umgangsrecht der Mutter mit den gemeinsamen Kindern. Gegen die aus ihrer Sicht verzögerte Verfahrensführung hatte sie Beschleunigungsrüge erhoben, der jedoch das Ausgangsgericht nicht abhalf. Auch die von ihr eingelegte Beschleunigungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Das KG Berlin hat in seiner Begründung darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet habe, eine Verfahrenshöchstdauer festzusetzen, da das Beschleunigungsgebot kein Selbstzweck sei, sondern vielmehr dazu diene, dass Entscheidungen nicht durch Zeitablauf faktisch präjudiziert würden. Es sei stets am konkreten Einzelfall orientiert ein objektiver Prüfungsmaßstab anzulegen. Im konkreten Sachverhalt konnte dann auch der Antragstellerin dezidiert entgegen gehalten werden, dass die von ihr gerügte Verletzung des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes nicht dadurch eingetreten war, dass das Gericht verfahrensfördernde Verfügungen verabsäumt hatte, sondern vielmehr sie selbst nicht nur den Umgang zu den Kindern abgebrochen hatte, sondern auch wiederholte von ihr eingereichte Ablehnungsgesuche gegen die Abteilungsrichterin dazu geführt hatten, dass erst verspätet – nach Entscheidung über diese Gesuche – die Akten an den Sachverständigen weitergeleitet werden konnten. Neben terminlichen Verschiebungen aus nachweislich dringenden beruflichen Abwesenheiten des Antragsgegners waren zudem neue tatsächliche Umstände – folgend aus streitigen Auseinandersetzungen der Familien in Anwesenheit der Kinder – für die Verfahrensverzögerung maßgeblich, da letztere seitens des Sachverständigen sodann neu bewertet werden mussten.

In der Praxisberatung sollten die Mandanten umfassend über die gesetzlichen Neuregelungen zur Sicherstellung der gebotenen Verfahrensbeschleunigung informiert werden. Bei der Bewertung, ob die vorzutragenden Umstände allerdings tatsächlich eine Rüge begründen können, muss aber auch ein gewisses Augenmaß gewahrt werden. Stets ist zu berücksichtigen, inwieweit der eigene Mandant durch seine Mitarbeit zur Verfahrensbeschleunigung oder -verzögerung selbst beigetragen hat. Auch nicht jede kritische Anmerkung des Richters muss zwingend ein Ablehnungsgesuch nach sich ziehen. Häufig ist eine Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz schneller zu erreichen als eine Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch, wobei gerade die Beschwerdegerichte regelmäßig auch deutliche Worte für eine nicht der gebotenen Objektivität entsprechende Verfahrensführung finden. Neben der gebotenen konsequenten Kontrolle der zeitlichen Abläufe eines Kindschaftsverfahrens muss stets ebenso bedacht werden, dass auch die Gerichte gelegentlich mit ihrer tatsächlichen personellen Ausstattung häufig an ihre Grenzen stoßen.

Elternunterhalt und Altersvorsorge (zu BGH v. 18.1.2017 – XII ZB 118/16)

Bei der Berechnung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit im Elternunterhalt spielt neben dem Einkommen des Kindes dessen Kreditbelastung und monatliche Altersvorsorgerückstellung eine große Rolle. Da die selbst bewohnte Immobilie in den seltensten Fällen bereits vollständig schuldenfrei ist, summieren sich die Tilgung des Immobilienkredits und die Altersvorsorgerückstellungen zu ansehnlichen Abzugsposten. Das ging dem OLG Hamm (OLG Hamm v. 9.7.2015 – II-134 UF 70/15, FamRZ 2015, 1974 = FamRB 2016, 7) zu weit. Sie meinten Volkes Stimme zu interpretieren, wonach das Eigenheim die beste Altersvorsorge sei, weswegen sie die Tilgungsleistungen für die selbst bewohnte Immobilie auf die im Elternunterhalt großzügig mit 5 % des Bruttoeinkommens bemessene Altersvorsorgerückstellung anrechnen wollten.

Das konnte und durfte nicht gut gehen. Der BGH hatte nämlich schon vor geraumer Zeit entschieden, die selbst bewohnte Immobilie sei kein Altersvorsorgevermögen (BGH v. 7.8.2013 – XII ZB 269/12, FamRZ 2013, 1554 = FamRB 2013, 310), weil die im Elternunterhalt geltende Lebensstandardgarantie (BGH v. 23.10.2002 – XII ZR 266/99, FamRZ 2002, 1698 = FamRB 2003, 3) die Annahme einer Verwertungsobliegenheit nach Abschluss der Erwerbsphase zur Erreichung angemessenen Alterseinkommens verböte. Die Logik gebietet dann aber, Tilgungsleistungen zum Erwerb eines Eigenheims nicht der Altersvorsorge zuzurechnen, wenn das Eigenheim selbst keine Altersvorsorge ist.

Dieser Linie ist der BGH nun treu geblieben und hat entschieden, dass neben den Zinsen auch die Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnvorteils vom Einkommen des Elternunterhaltspflichtigen abzuziehen sind, ohne dass dies die Befugnis zur Bildung eines zusätzlichen Altersvorsorgevermögens schmälert. Nur der den Wohnvorteil dann noch übersteigende Tilgungsanteil sei als Vermögensbildung zu Lasten des Unterhaltsberechtigten im Rahmen der sekundären Altersvorsorge auf die Altersvorsorgequote von 5 % des Bruttoeinkommens des Elternunterhaltspflichtigen anzurechnen.

Die danach zulässigen monatlichen Altersvorsorgerückstellungen betragen 5 % des sozialversicherungspflichtigen und 25 % des nicht sozialversicherungspflichtigen Bruttoerwerbseinkommens (BGH v. 30.8.2006 – XII ZR 98/04, FamRZ 2006, 1511 = FamRB 2006, 327). Das kann recht viel sein (bei einem Einkommen von 100.000 € immerhin 833 € monatlich). Kommen noch die Tilgungsleistungen dazu, findet erhebliche Vermögensbildung zu Lasten des Elternunterhaltsanspruchs statt.

Die Essenz der Entscheidung lautet: Solange Zins und Tilgung für die selbst bewohnte Immobilie deren Wohnvorteil nicht übersteigen, kann die pauschal berechnete Altersvorsorgerücklage ungekürzt vom unterhaltspflichtigen Einkommen abgezogen werden. 

Der erfreuliche Nebeneffekt verblüfft: Der Wohnvorteil spielt nun solange keine Rolle mehr, solange Zins und Tilgung nicht höher als der Wohnvorteil sind. Nur bei ‚negativem Wohnvorteil‘ wird der Tilgungsüberschuss auf die Altersvorsorge angerechnet. Paradoxerweise werden nun die Sozialhilfeträger darum wetteifern, den Wohnvorteil (OLG Hamm v. 9.7.2015 – II-134 UF 70/15, FamRZ 2015, 1974 = FamRB 2016, 7) so niedrig wie möglich anzusetzen, während sie derzeit noch versuchen, den Wohnvorteil so hoch wie möglich zu treiben.

Erfreulich ist auch, dass der BGH Kosten einer Risikolebensversicherung und einer Krankenhaustagegeldversicherung unterhaltsrechtlich berücksichtigen will. Das muss dann auch für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gelten.

Und auch bei der Berechnung der Einkünfte von Kind und Schwiegerkind bleibt der BGH sich selbst treu: Das Einkommen ist fiktiv unter Geltung von Steuerklasse IV/IV zu berechnen und der Splittingvorteil nach § 270 AO zu verteilen (BGH v. 17.6.2015 – XII ZB 458/14, FamRZ 2015, 1594 = FamRB 2015, 333). Das ist kompliziert, aber zu schaffen.

Wechselmodell – rotes Tuch oder Chance?

Kaum eine Debatte des Familienrechts wird mit so viel Inbrunst, Emotion und Leidenschaft geführt wie die Diskussion um das Wechselmodell. Nun hat der BGH entschieden, dass ein solches auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann, wenn es dem Kindeswohl am besten entspricht (BGH v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15). Eingefleischte Gegner des Wechselmodells werden dem BGH vorwerfen, keine Kinder zu haben, zu wenig basisbezogen das Kindeswohl zu werten oder die aus dem Wechselmodell resultierenden Streitigkeiten als einen die Gerichte der ersten Instanzen überschwemmenden Tsunami zu menetekeln. 

Kein Familienrechtler würde heute noch den Satz formulieren, ‚Kinder gehören zur Mutter‘. Trotzdem entspricht dies unserer Familientradition und unserem Vorverständnis. Man merkt es bei sich selbst. Da kommt eine Frau und berichtet, sie habe nach Streitigkeiten mit dem Mann die Wohnung verlassen und die beiden Kinder (5 und 7 Jahre alt) beim Mann zurückgelassen. Man wird skeptischer, aufmerksamer vielleicht sogar misstrauisch und achtet auf Zwischentöne. Umgekehrt wäre man in der Erwartungshaltung bestätigt und gelassen. Alles liefe nach ‚Drehbuch‘.

Vor wenigen Tagen verbreitete die Presse die Meldung, Deutschlands Frauen trügen von allen OECD-Ländern den geringsten Teil zum Familieneinkommen bei. Das liegt an vielem, aber auch daran, dass Kinder ‚Frauensache‘ sind und diese sich für die Kinder opfern. Alles andere erregt Misstrauen. So wie auch das Doppelresidenz- oder Wechselmodell.

Viele im Zusammenhang mit dem Wechselmodell stehenden Fragen aus dem Sozial- und Steuerrecht sind nach wie vor ungeklärt. Auch weiss man nicht so ganz routiniert, wie der Unterhalt zu berechnen sei. Wenn beide Eltern hälftig betreuen, schmilzt dann die Barunterhaltspflicht, weil ja betreut wird (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB)? Die Sparsamen unter uns fragen sich, ob die betreuungsbedingten Verdiensteinbußen und die Erfüllung der Barunterhaltsverpflichtung durch Betreuung (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB) nun Schäubles schwarze Null gefährden

All denen sei versichert: Das Abendland wird nicht untergehen. Und die Kinder? Die verkraften ein Wechselmodell genauso gut oder schlecht wie eine übersorgende gluckenhafte Mutter, einen arbeitssüchtigen Vater oder umgekehrt. Sie leben auch in der intakten Familie mit unterschiedlichen Erziehungsstilen, die sie aus Kindergarten und Schule ohnehin gewohnt sind. Jedenfalls verkraften Kinder ein Wechselmodell besser als streitende Eltern, und sei es auch nur, sie stritten ums Besuchsrecht. Der BGH schreibt völlig zu Recht in die Entscheidung, dass das Wechselmodell höhere Anforderungen an Eltern und Kind stellt als das Alleinresidenzmodell.

Das Wechselmodell stellt aber auch hohe Anforderungen an die damit befassten Juristinnen und Juristen. Es wird in mehr Fällen praktiziert, als von der Rechtsprechung entschieden werden, weil es meist einvernehmlich gehandhabt wird und diese Fälle beschäftigen nicht die Justiz. Da aber, wo Eltern sich nicht einigen können, welches Modell der Kinderbetreuung sie nach der Trennung praktizieren wollen, haben Kinder das Recht darauf, dass wir uns als Juristen vorurteils- und vorverständnisfrei damit beschäftigen und Lösungen finden. Die Randprobleme Unterhalt, Sozial- und Steuerrecht werden wir doch wohl in den Griff bekommen. Juristinnen und Juristen waren immer kreativ. Wir sollten aber vermeiden, zu hohe Anforderungen an die vom BGH geforderte Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Eltern zu stellen und bei tatsächlichen Konflikten zu schnell das Wechselmodell als konkrete Falllösung aussondern. Wir würden den Rosenkrieger mit dem Residenzrecht adeln, falls wir nicht sehr genau analysieren, wer zündelt und zankt und damit dem Kind schadet.

Kinderehenverbot – Der Gesetzentwurf

Das BMJV hat mit Datum v. 17.2.2017 den (innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgestimmten) ‚Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen‘ zur Stellungnahme bis zum 22.2.2017 an ‚Fachkreise und Verbände‘ versandt. Viel möchte das Ministerium wohl nicht lesen und hören. Für eine Stellungnahme zu einem 29 Seiten starken Entwurf nebst Begründung ist die Zeit provokant kurz. Immerhin müssen sich ‚Fachkreise und Verbände‘ intern abstimmen. Der Schluss liegt also nahe, dass die Regierungsfraktionen einer Fachdiskussion entgehen möchten und der Bitte um eine Stellungnahme die Hoffnung hinterlegt ist, diese möge unterbleiben.

Es liegen ja auch schon reichlich Stellungnahmen vor. Vom Deutschen Familiengerichtstag über den Deutschen Juristinnenbund bis zum Deutschen Anwaltverein ist das Gesetzesvorhaben einhellig abgelehnt worden, weil es eines neuen Gesetzes nicht bedarf, um minderjährige Ehegatten zu schützen. Das Deutsche Strafrecht verbietet sexuellen Missbrauch generell und Geschlechtsverkehr mit Personen unter 14 Jahren auch dann, wenn sie verheiratet sind. Schulpflicht besteht für Personen bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres und Jugendämter können Minderjährige wirksam schützen und fördern, auch wenn sie verheiratet sind.

Das Gesetz sieht u.a. vor,

  • die Ehemündigkeit generell an die Volljährigkeit zu koppeln und den Genehmigungsvorbehalt bei Eheschließung minderjähriger Personen in § 1303 Abs. 2 BGB zu streichen;
  • dass Ehen von Personen, die im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet haben, ‚Nichtehen‘ und daher nichtig sind;
  • dass Ehen von Minderjährigen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, auf Antrag durch das Familiengericht aufgehoben werden können (§ 1316 BGB-E). Antragsberechtigt sind der minderjähriger Ehegatte und die Verwaltungsbehörde, die in diesen Fällen den Antrag stellen muss, es sei denn, der zwischenzeitlich volljährig gewordene Ehegatte gibt zu erkennen, dass er die Ehe fortsetzen will;
  • dass das Voraustrauungsverbot, das eine rituelle Eheschließung vor der standesamtlichen verbietet und das 2009 als Beschränkung der Religionsfreiheit aufgehoben wurde, wieder eingeführt wird.

Das Vorhaben der Regierung folgt wohl eher einem Empörungsritual als den Geboten wirksamen Minderjährigenschutzes. Wir lassen Jugendliche ab Vollendung des 16. Lebensjahres bei Kommunal- und Landtagswahlen wählen, nehmen sie ab Vollendung des 17. Lebensjahres in die Bundeswehr auf und konstatieren die stets früher eintretende Geschlechtsreife. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch im Rest der Welt. In einigen dieser Länder ist aber außerehelicher Geschlechtsverkehr (mit Todesdrohung) strafbar. Vielleicht ist es verständlich, wenn man sich dann für den ehelichen Geschlechtsakt statt Schafott entscheidet. Warum solche Ehen unter Jugendlichen unter den Generalverdacht eines Verstoßes gegen den ordre public gestellt werden und die Verwaltungsbehörde einen Eheaufhebungsantrag stellen muss, ist schwer verständlich.

Der Entwurf geht davon aus, dass kein ‚Erfüllungsaufwand‘ für den Haushalt entsteht. Das dürfte indessen ein frommer Wunsch bleiben. 481 Kinderehen sind nach der Gesetzesbegründung nichtig (S. 15). 481 Ehegatten verlieren damit einen Unterhaltsanspruch und werden sozialhilfebedürftig. Das wäre nicht dramatisch. 5 Millionen Euro ist der Minderjährigenschutz sicher wert.

Die ‚Heimatländer‘ der Geflüchteten und Vertriebenen werden sich aber nicht an unserem ordre public und der verordneten Nichtigkeit der Personalstatusentscheidung orientieren. Der minderjährige Ehegatte, der aus der Nichtigkeit seiner Ehe die Konsequenz selbstbestimmter Lebensführung zieht, sollte besser nicht ins Heimatland zurückkehren. Dort wird ihm Verfolgung drohen, wenn er des Ehebruchs geziehen wird. Den 481 Kindern aus nichtiger Ehe werden wir Asyl gewähren müssen wegen staatlich verursachter Nachfluchtgründe, wenn sie nach Nichtigkeit ihrer Ehe sich einem anderen Partner zuwenden. Auch das ist nicht schlimm.

Schlimm ist, dass wir den Grundrechtsschutz des Art. 6 GG nur für Ehen reservieren, die unserem rechtskulturellen Verständnis entsprechen. Da schimmert gefährlich der von der national-völkischen Fraktion erfundene ‚Kulturvorbehalt‘ als Grundrechtsbegrenzung durch.

Zwangsehen und Minderjährigenehen müssen wir nicht hinnehmen. Wir können sie durch Gerichte aufheben oder scheiden lassen. Sie aber verachtend zu ignorieren, ihnen jede rechtliche Wirkung abzusprechen, schützt niemanden, sondern gefährdet unsere Rechtskultur.

Auskunftsansprüche in Ergänzung des persönlichen Umgangs (BGH v. 14.12.2016 – XII ZB 345/16)

Die Frage von Umgangskontakten und generell der Teilhabe des nicht betreuenden Elternteils an der persönlichen Entwicklung eines Kindes ist für viele Elternteile nach der Trennung ein zentrales Thema. Auch wenn es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleibt, obliegt gleichwohl dem betreuenden Elternteil die Befugnis, über die Alltagsangelegenheiten allein zu entscheiden. Die in der Regel bis zur Trennung stattfindenden gemeinsamen Gespräche und Abstimmungen der Eltern auch zu diesen Alltagsangelegenheiten gibt es nicht mehr, so dass sich häufig aus der Alltagszuständigkeit letztlich auch ein Informationsvorsprung eines Elternteils ergibt, aus dem sich faktisch dann auch die Weichenstellung für grundlegende Fragen – etwa die der Schulwahl – ableitet. Viele nicht betreuende Elternteile fühlen sich durch die Reduzierung allein auf Umgangskontakte letztlich aus dem Leben des Kindes ausgegrenzt. Hierbei wird häufig nicht bedacht, dass neben den Umgangskontakten auch Auskunftsansprüche zu den persönlichen Verhältnissen sowie zur grundlegenden Entwicklung des Kindes geltend gemacht werden können.

Mit wesentlichen in diesem Kontext bestehenden Fragen hat sich der BGH in einer aktuellen Entscheidung auseinandergesetzt. Das gemeinsame Kind der beteiligten Eltern lebte bereits längerfristig in einer Pflegefamilie, nachdem den Eltern u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und das Jugendamt zum Ergänzungspfleger bestimmt worden war. Beide Elternteile hatten Umgangskontakte mit dem Kind, wobei der Vater gegenüber der Mutter, den Pflegeltern und dem Jugendamt Auskunftsansprüche in der Form detaillierter monatlicher Berichte geltend machte. In den Vorinstanzen wurden Auskunftsansprüche gegenüber der Mutter und den Pflegeeltern – in halbjährlicher Form – zuerkannt. Auf die Rechtsbeschwerde des Vaters hat der BGH erkannt, dass dem Vater gegenüber der Mutter ein Auskunftsanspruch nach § 1686 BGB zusteht. Der Anspruch setzt nicht voraus, dass der auskunftsverpflichtete  Elternteil die Obhut über das Kind ausübt. Grundsätzlich kommt daher auch ein auf Umgangskontakte beschränkter Elternteil als Anspruchsgegner in Betracht. Zudem hat der BGH entschieden, dass nicht nur ein Elternteil zur Auskunft verpflichtet sein kann, sondern ggf. auch das Jugendamt, wenn es als Ergänzungspfleger teilweise Sorgerechtsinhaber ist, vor allem jedoch mit Blick auf die ihm obliegende Aufsicht im Rahmen des bestehenden Fürsorgeverhältnisses für das in Vollzeitpflege befindliche Kind über die zur Auskunftserteilung erforderlichen Informationen verfügt. Darüber hinaus hat der BGH entschieden, dass typischerweise etwa Auskunft zu erteilen ist über das schulische Fortkommen, die gesundheitliche Situation oder die soziale Entwicklung des Kindes, jedoch keine detaillieren Angaben zum Tagesablauf, ärztliche Unterlagen oder Informationen zur vermögensrechtlichen Situation geschuldet werden. Ob Fotos vorzulegen sind, soll sich am Einzelfall entscheiden.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass ein Elternteil, dem nicht die persönliche Betreuung eines Kindes obliegt, unabhängig von der bestehenden Regelung der elterlichen Sorge, Auskunftsansprüche geltend machen kann, um sich über die Entwicklung und die wesentlichen Lebensumstände des Kindes zu informieren. Durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters vom 4.7.2013 wurde erstmals auch dem nur leiblichen Vater ein solcher Auskunftsanspruch zuerkannt. Unabdingbare Voraussetzung eines jeden Auskunftsanspruchs ist aber, dass er dem Kindeswohl nicht widerspricht.

Durch die Auskunft soll dem nicht betreuenden Elternteil die Möglichkeit gegeben werden, sich über das Befinden und die Entwicklung des Kindes in Kenntnis zu setzen. Der Auskunftsanspruch besteht neben dem Umgangsanspruch und kann unabhängig von diesem geltend gemacht werden. Allerdings muss der die Auskunft begehrende Elternteil ein berechtigtes Interesse an den geforderten Informationen haben. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn er keine andere Möglichkeit hat, um sich über die Entwicklung des Kindes in zumutbarer Weise zu informieren. Dies kann etwa auch anlässlich der Umgangskontakte erfolgen. Dem berechtigten Interesse steht es entgegen, wenn mit dem Auskunftsanspruch missbräuchliche Zwecke verfolgt werden, etwa der Sorgeberechtigte überwacht oder ein geheim zu haltender Aufenthalt des Kindes ermittelt werden soll.

Durch die Umsetzung des Auskunftsanspruchs soll der berechtigte Elternteil Informationen über die Entwicklung des Kindes sowie seine Lebensumstände erhalten. Hierzu gehören in jedem Fall die Darstellung der persönlichen Interessen, der schulische Werdegang sowie der Gesundheitszustand, wobei zu letzterem jedoch keine detaillierten Unterlagen vorzulegen sind. Zudem ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass mit zunehmendem Alter eines Kindes auch dessen Privat- und Intimsphäre zu respektieren ist und damit Informationen zu höchstpersönlichen Angelegenheiten nicht mehr zu erteilen sind.

In der Praxisberatung sollte dem Auskunftsanspruch verstärkte Bedeutung beigemessen werden. Ein Elternteil, der umfassend über die persönliche Situation seines Kindes in Kenntnis gesetzt wird und an dessen Entwicklung sowohl durch regelmäßige Umgänge als auch darüber hinausgehend erteilte Informationen teilnehmen kann, wird sich aus dem Leben des Kindes nicht als ausgegrenzt fühlen. Streitigkeiten um Teilbereiche der elterlichen Sorge lassen sich auf diesem Wege möglicherweise auch umgehen.