Revolutionäres von der Kindesunterhaltsbemessung? (zu BGH v. 15.2.2017 – XII ZB 201/16)

Der eine betreut, der andere zahlt, und die Höhe der Zahlung wird aus dem Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils berechnet. Diese Gewissheit gerät nun ins Wanken. Der BGH entscheidet im Fall einer auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen berufstätigen und alleinerziehenden Mutter, dass der Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes aus dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern zu erheben sei. Der barunterhaltspflichtige Elternteil brauche zwar maximal nur den aus seinen Einkünften errechneten Unterhaltsbedarf des Kindes zu befriedigen, die das Kind betreuende Mutter könne aber von ihrem Erwerbseinkommen den die Zahlung des Kindesvaters übersteigenden Tabellenbedarf des Kindes abziehen.

So ganz überraschend kommt das nicht. Leben Eltern zusammen, wird der Bedarf der Kinder im Elternunterhalt schon immer aus dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern berechnet, weil der Lebensstandard der Familie durch die beiderseitigen Elterneinkünfte geprägt wird. Warum dies anders sein soll, wenn eine Trennung vorliegt, ist nicht nachvollziehbar.

Trotzdem wird man sich auch im sonstigen Unterhaltsrecht gründlich mit dieser Entscheidung auseinandersetzen müssen. Die Unterhaltsberechnung für den betreuenden Elternteil fiele nämlich anders aus, wenn man die Berechnungsmethode des BGH für die Bestimmung des Bedarfs des minderjährigen Kindes auf den Unterhaltsbedarf des betreuenden Elternteils ausdehnen würde:

Revolutionaeres

Immerhin ergäbe sich in diesem Fall ein um 54 € (11,25 %) höherer Unterhaltsanspruch des betreuenden Elternteils.

Der BGH lehnt in der Entscheidung die Berücksichtigung eines pauschalen Betreuungsbonus für die betreuende Person ab, weist aber ausdrücklich darauf hin, es könne auch sein, dass die Erwerbseinkünfte des betreuenden Elternteils als überobligatorisch anzusehen seien, entsprechender Vortrag sei jedoch nicht zur Akte gereicht worden.

Die Entscheidung hat in den familienrechtlichen Fachforen bereits heftige Reaktionen ausgelöst. Der Gesetzgeber – soviel steht fest – hat bislang § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht geändert. Was aber beim Wechselmodell für die Bedarfsbestimmung des minderjährigen Kindes gilt (BGH v. 11.1.2017 XII ZB 565/15, FamRZ 2017, 437 = FamRB 2017, 126), sollte doch auch sonst als richtig erwogen werden. Jedenfalls ist nicht ohne weiteres zu erkennen, wieso bei einer Erwerbstätigkeit beider Eltern der Bedarf des Kindes sich nur aus einem Einkommen ableiten soll. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB sagt nur etwas zum Barunterhalt. Deswegen definiert der BGH in der Entscheidung die Aufwendungen des betreuenden Elternteils als Naturalunterhalt, denn der Barunterhalt dürfte bei Doppelverdienern fast nie ausreichen, Wohnen, Sport, Freizeit, Essen und Kleidung des Kindes hinreichend zu finanzieren. Mit dem Einkommen wachsen auch die Bedürfnisse. Im Gesetz steht auch nichts über die Einstufung nach der Düsseldorfer Tabelle.

Man sollte und muss die Diskussion über die Austarierung des Kindesunterhalts offen führen. Erste Ansätze dazu sind gemacht. Sowohl die Struktur der Düsseldorfer Tabelle (dazu Schürmann, FamRB 2017, 27, 29) als auch der nacheheliche (dazu Hauß, FamRB 2017, 121) und der Kindesunterhalt (s. FamRB 2017, 124) werden diskutiert. Gut so.

Stärkung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Elternunterhalt

Der BGH hat in seiner Entscheidung v. 9.3.2016 – XII ZB 693/14 die nichteheliche Lebensgemeinschaft gestärkt. Der unterhaltspflichtige Sohn lebt seit vielen Jahren mit einer Frau zusammen. Aus dieser Beziehung ist ein inzwischen acht Jahre altes Kind hervorgegangen. Da für einen Betreuungsunterhaltsanspruch der Frau aus kindbezogenen Gründen keine Anhaltspunkte vorlagen, hatte die Vorinstanz einen Unterhaltsanspruch der Frau, verneint. Das sah der BGH anders. Ein Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB könne auch aus elternbezogenen Gründen gegeben sein. Solche Gründe lägen offensichtlich vor, weil die unverheirateten Eltern nicht der Fremd-, sondern der Eigenbetreuung des Kindes den Vorrang gegeben hätten, sei diese Entscheidung auch unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen. Der Betreuungsunterhaltsanspruch der Lebensgefährtin rangiere vor dem Unterhaltsanspruch des Vaters.

Der BGH meint es offensichtlich mit der Lebensstandardgarantie für das seinen Eltern gegenüber unterhaltspflichtige Kind ernst. Die Entscheidung v. 9.3.2016 schützt den Lebensstandard unverheirateter pflichtiger Kinder, die zugleich selbst Eltern sind. Der Betreuungsunterhalt ist ein Anspruch des Kindes. Er wird für Kinder verheirateter Eltern und unverheirateter Eltern gleichermaßen in deren Interesse gewährt. Gut, dass der BGH elternbezogene Gründe für die Verlängerung des Betreuungsunterhalts über das 3. Lebensjahr hinaus aus der von den Eltern gelebten Lebenssituation heraus vermutet hat. So bleibt es den Eltern zukünftig erspart, ihre konkrete Lebensgestaltung mit der mehr oder minder neurotischen Veranlagung und Verhaltensweisen ihrer Kinder zu rechtfertigen. Es reicht wahrscheinlich aus, wenn die Eltern erklären, durch stärkere häusliche Präsenz eine optimale Kindererziehung anzustreben. Wer wollte ihnen diesen Plan verwehren?

Auch dass der BGH die unterhaltsrechtliche Gleichstellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht vollzogen hat, ist zu begrüßen. Das Ziel, die konkrete Lebensgestaltung des unterhaltspflichtigen Sohnes zu schützen, gelingt besser über den Schutz der vereinbarten Lebens- und Erziehungsweise, als die Nichtverheirateten unter den von diesen ja offensichtlich nicht gewollten Schutzschirm der Ehe zu sperren. Nicht nur die Ehe ist ein Vertrag der Ehegatten. Auch die nichteheliche Lebensgemeinschaft kennt vereinbarte Rechte und Pflichten, die auch gegenüber unterhaltsbedürftigen Verwandten Vorrang haben müssen, weil die gelebte Solidarität einer Familie eben Vorrang vor der durch Blutsverwandtschaft begründeten Rechtsbeziehung hat. ‚From Status to Contract‘ lautete der Titel des 7. Regensburger Symposions für Europäisches Familienrecht im Jahr 2004. Folgt man der Presseerklärung des BGH zur heutigen Entscheidung, sind wir einen kleinen Schritt auf diesem richtigen Weg vorangekommen.

Elternunterhalt in Lebensgemeinschaft – zur Verhandlung des BGH am 9.3.2016 – XII ZB 693/14

Beim XII. Senat geht es am 9.3.2016 um Elternunterhalt (XII ZB 693/14). Der unterhaltspflichtige Sohn lebt in langjähriger Lebensgemeinschaft mit einer Frau, einem gemeinsamen (7) und zwei weiteren Kinder (12 und 14), die seine Lebensgefährtin aus ihrer ersten Ehe in die Lebensgemeinschaft eingebracht hat. Die Lebensgefährtin erzielt nur geringes Einkommen weit unterhalb des Sozialhilfeniveaus.

Es geht um die Fragen,

  • ob die Lebensstandardgarantie des Elternunterhalts (BGH FamRZ 2002, 1698) auch die Berücksichtigung der finanziellen Unterstützung des unterhaltspflichtigen Kindes für die Lebensgefährtin umfasst und, wenn diese Frage verneint wird,
  • ob nicht wenigstens die Wohnmehrkosten gegenüber dem Alleinlebenden unter die Lebensstandardgarantie gefasst werden können.

Die Vorinstanz (OLG Nürnberg – 7 UF 988/14) hatte beide Fragen verneint. Mangels Existenz eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs könne die faktische Unterhaltsleistung an die Lebensgefährtin und deren Kinder nicht dem gesetzlichen Unterhaltsanspruch des Vaters entgegengehalten werden.

Nimmt man die Lebensstandardgarantie allerdings ernst, lässt sich dieser fränkische moralisch-juristische Rigorismus aus zwei Gründen nicht halten:

  • Lebte der Sohn allein in einer überdimensionierten Wohnung, müssten die gegenüber dem Selbstbehalt erhöhten Wohnkosten auch unterhaltsrechtlich berücksichtigt werden. Warum gilt das dann nicht, wenn er die ‚zu teure Wohnung‘ mit seinen Liebsten teilt?
  • Es könnte sein (der SV gibt dazu nichts her), dass ein Sozialhilfeanspruch der Lebensgefährtin und ihrer Kinder im Hinblick auf die bestehende Bedarfsgemeinschaft verneint wird. Dann aber geht der Unterhaltsanspruch in Höhe des sozialhilferechtlichen Bedarfs nicht auf den Sozialhilfeträger über (§ 94 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI). Der von Sozialhilfeleistungen entlastete Sozialhilfeträger kann sich ja wohl nicht über die Entlastung freuen, sie unterhaltsrechtlich aber ignorieren. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens gilt auch für Sozialhilfeträger.