Buchtipp: Spangenberg, RICHTERGESTALTEN – VON SALOMO BIS SANCHO PANSA

Ernst Spangenberg hat nach einer kurzen schöpferischen Pause ein weiteres Werk aus seinem reichen Erfahrungsschatz als früherer Richter sowie bis heute Schriftsteller und Künstler geschaffen. Dabei handelt es sich keineswegs nur um eine rechtsgeschichtliche Biographie über bedeutende Richtergestalten, sondern auch um eine erwünschte Fortsetzung von „Ein kleines Rechtsproblem bleibt ungelöst“, das der Rezensent hier vor wenigen Jahren besprochen hat:

Buchtipp: Spangenberg, Ein kleines Rechtsproblem bleibt ungelöst

So beginnt das neue Buch, dessen Titelbild „Das Hohe Gericht selbdritt“ auch vom Autor stammt, denn auch mit der Frage an sich selbst „Was habe ich nicht alles während meiner 40 Dienstjahre entschieden: ob eine Frau die Scheidung ihrer Ehe verlangen kann, wenn ihr Mann sie „du alte Mooskuh“ genannt hat, ob ein frei laufender Hund oder ein betrunkener Radfahrer eine größere Gefahr für den Straßenverkehr bilden, …“  Aber was folgt nach mehreren Tausend Entscheidungen nun, fragt der Autor in diesem ersten Kapitel weiter, um uns einen Traum zu präsentieren, der uns tatsächlich an das oben zitierte frühere Werk erinnert. Drei Häftlingen ist es darin gelungen, den Richter auszutricksen, der nicht mehr weiß, wie er den Prozess zu Ende bringen soll. Aus diesem Gefühl der Ohnmacht heraus wendet sich das Buch in einem „Wegweiser“ aus elf Teilen der Frage zu, was einen „guten Richter“ ausmacht. Einfallsreiche Falllösungen werden unterhaltsam präsentiert, ehe es dann in einem zweiten Kapitel tatsächlich weit zurückgeht in die Rechtsgeschichte, wie es der Untertitel des Buchs ja schon verrät. Es werden die verschiedensten Richtergestalten der Literaturgeschichte von der Bibel bis in die neueste Zeit beschrieben und die Originalfundstellen zum vertiefenden Weiterlesen auch jeweils mitgeteilt. Im Anschluss an eine Forderung von Kafka geht es dann im dritten Kapitel „Richter aus alter Zeit“ anhand berühmter Prozesse u. a. gegen Sokrates und Jesus sowie der Hexensachen beim Reichskammergericht nicht mehr nur um die vielfach in ihrer Entscheidungsfreiheit stark eingeschränkten und überforderten Entscheidungsträger, sondern auch um die kritische Würdigung anzuwendenden Rechts von minderer Qualität seit jeher, ohne dass man auf das systematische Unrecht speziell der NS-Zeit extra hinweisen muss, dessen Aufarbeitung nicht Gegenstand dieses Buchs sein konnte.  Ein großer Zeitsprung führt deshalb im 4. Kapitel direkt vom Mittelalter in die Jahre kurz vor Aufnahme der eigenen Richtertätigkeit des Autors mit selbst beobachteten Prozessen in Madrid und bereits als Referendar in Gießen. Soweit sich in der Beschreibung des in Spanien beobachteten Prozesses die verstörende Verwendung des verpönten Begriffs „Zigeuner“ findet, ist das historisch zu sehen und entspringt einem damaligen Zitat des vorurteilsbehaftet tätigen Staatsanwalts gegen die auch in der späten Francozeit weiterhin ausgegrenzten Menschen. Der Gießener Fall ist eine menschliche Tragödie, mit der sich auch die „Richter der Gegenwart“ schwertun.

So münden die Betrachtungen im 5. Kapitel in die immer fortwährende Frage nach der Gerechtigkeit und zurückkommend auf das geschehene Unrecht an Jesus die Feststellung: „Gerechtigkeit auf der Erde dürfen wir von Gott nicht erhoffen. Aber vielleicht im Jenseits?“ Damit wendet sich der Autor abschließend noch den großen Weltreligionen zu. Sie ahnen es, eine Antwort wird es nicht geben, aber doch eine „Schlussfolgerung“, die aber hier nicht verraten wird.

Interesse geweckt? Dann finden Sie das 99 Seiten umfassende kurzweilig zu lesende, im Justus von Liebig Verlag, Gagernstraße 9, 64283 Darmstadt, erschienene Buch mit der ISBN 978-3-87390-509-2, unter www.liebig-verlag.de.