Hard cases make bad law

Kuriose Fälle

Diese juristische Maxime gilt in letzter Zeit vor allem für das Familien- und Erbrecht. Der Fall der bereits geschiedenen, alleinerziehenden Frau, die entgegen der Absprache mit ihrem Partner schwanger wurde und von ihrem Anwalt einen Ehevertrag entwerfen ließ, um unbedingt geheiratet zu werden (BVerfG v. 6.2.2001 – 1 BvR 12/92, BVerfGE 103, 89 = FamRZ 2001, 343), bedeutete das Ende der Ehevertragsfreiheit. Die Frau, die in der Empfängniszeit mit anderen Männern außer ihrem Verlobten Geschlechtsverkehr hatte, bei einem Streit entsprechende Andeutungen machte und sich später auf ihr Persönlichkeitsrecht zur Verschweigung ihrer Sexualpartner berief, obwohl sie ihrem Mann ein Kind unterschoben hatte, führte zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen Auskunftsrechte des Ehemanns (BVerfG v. 24.2.2015 – 1 BvR 472/14, BVerfGE 138, 377 = FamRZ 2015, 729 = FamRB 2015, 173). Ähnliches gilt im Erbrecht. Die verfassungsmäßige Verankerung des Pflichtteilsrechts von Kindern betraf das privatschriftliche Testament einer Mutter, die ihren Sohn enterbt hatte. Dieser hatte sie wiederholt tätlich angegriffen und schließlich aus Wut über seine bevorstehende Einweisung in das Landeskrankenhaus erschlagen, ihre Leiche zerstückelt und die Leichenteile im Wald versteckt. Sein Betreuer machte den Pflichtteil geltend und bekam dank des Verfassungsgerichts Recht (BVerfG v. 19.4.2005 – 1 BvR 1644/00 und 1 BvR 188/03, BVerfGE 112, 332 = FamRZ 2005, 872 = FamRB 2005, 204).

Pflichtteilsverzicht nicht gegen Sportwagen

Auch der nunmehrige Fall, in dem das OLG Hamm einen Erbverzicht für sittenwidrig erklärt hat (OLG Hamm, Beschl. v. 8.11.2016 – 10 U 36/15), gehört zu den juristischen Kuriositäten. Ein 17-Jähriger mit erheblichen Schulschwierigkeiten bricht das Gymnasium ab und beginnt bei seinem Vater, der Zahnarzt ist, eine Ausbildung zum Zahntechniker. Er ist von einem Nissan GT-R, einem Supersportwagen mit 570 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 320 km/h, einer Beschleunigung von 2,8 Sekunden von Null auf Hundert und einem Preis von ca. 100.000 Euro so begeistert, dass er zwei Tage nach seinem 18. Geburtstag mit seinem Vater zu einem Notar geht, um dort einen Pflichtteilsverzicht zu beurkunden. Allerdings bekommt er den Pkw erst mit 25, nach Bestehen seiner Gesellenprüfung und der Meisterprüfung zum Zahntechniker jeweils mit der Note eins. Der Sohn möchte seine Mama anrufen, was ihm aber sein Vater beim Notar nicht erlaubt. Bereits am Nachmittag nach der Beurkundung teilt der Sohn dem Notar mit, dass er die Vereinbarung rückgängig machen will. Er bricht die Ausbildung beim Vater ab und zieht zu seiner Mutter. Das OLG Hamm erklärt den Verzicht (zu Recht) für sittenwidrig. Bemerkenswert ist allerdings die Begründung: Die Aussicht auf einen begehrten Sportwagen habe bei dem gerade erst volljährigen Sohn zu einem Rationalitätsdefizit geführt. Zudem lasse die Vereinbarung dem Sohn keine nochmalige Möglichkeit zu einer weiteren beruflichen Umorientierung. Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass Ergebnisse in Abschlussprüfungen jedenfalls nicht ausschließlich von Umständen abhängen, die der Absolvent selber beeinflussen könne.

Geschäftsfähigkeit mit Einschränkungen?

Die schwangere Frau, der gerade 18-Jährige und, wenn es nach Teilen der Literatur geht, der hochbetagte Erblasser, sind zwar gemäß § 2 BGB volljährig und damit unbeschränkt geschäftsfähig, aber letztlich doch nicht so ganz geschäftsfähig. Die Testierfähigkeit, jedenfalls für ein öffentliches Testament, beginnt zwar nach § 2229 Abs. 1 BGB bereits mit der Vollendung des 16. Lebensjahres. Der Minderjährige bedarf zur Errichtung eines Testaments nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters (§ 2229 Abs. 2 BGB), er kann also ohne Anruf bei seiner Mama ein Testament über ein ererbtes großes Vermögen beim Notar errichten. Allerdings dürfte dies insbesondere wenn dies zugunsten einer besonders attraktiven Partnerin oder eines attraktiven Partners erfolgt, im Einzelfall nach der oben dargestellten Rechtsprechung doch zu hinterfragen sein. Aber was gilt dann für das Ja-Wort einer gerade erst volljährig Gewordenen beim Standesbeamten? Oder noch schlimmer: Die ohnehin von den erwachsenen erstehelichen Kindern argwöhnisch beobachtete Eheschließung eines seinen zweiten Frühling genießenden über sechzigjährigen Vaters mit der bildhübschen, erotischen Mittdreißigerin?

Also Fazit: Familienrechtliche Näheverhältnisse sind gefährlich und deshalb zumindest mit besonders deutlichen rechtlichen Warnhinweisen, vielleicht sogar mit Fotos wie auf Zigarettenpackungen, zu versehen. Allerdings weiß man, aus dem vorerwähnten Beispiel, dass diese kaum jemand ernstlich abhalten können.