Covid-19-Testverfahren – Die unendliche Geschichte (AG Mainz v. 4.5.2021 – 34 F 126/21)

Pandemien sind immer auch die Stunde selbsternannter Sachverständiger, die in Zeiten sozialer Netzwerke zudem davon profitieren – ohne zu befürchten, sich mit fundierten Gegenargumenten auseinandersetzen zu müssen – ihre persönliche Meinung als Maßstab allen Denkens weltweit verbreiten zu können. Leider genügt es nicht mehr, den im Netz und der Öffentlichkeit verbreiteten kruden Gedankengängen nur mit einem mitleidigen Lächeln zu begegnen. Wie die Entscheidung des AG Weimar v. 8.4.2021 – 9 F 148/21 und die zeitlich folgenden, inhaltlich hieran angelehnten gerichtlichen Beschlüsse (lesen Sie dazu die Blogbeiträge von Werner Schwamb) gezeigt haben, können fragwürdige Gedankengänge relativ schnell juristische Grundlagen ins Paradoxe verkehren und in Frage stellen. Besonders bedenklich wird diese Entwicklung, wenn Familiengerichte, für die in Kindschaftssachen nach § 155 FamFG der Beschleunigungsgrundsatz gilt und die gerade in Pandemiezeiten ohnehin an den Grenzen ihrer Kapazitäten arbeiten, zusätzlich mit Fragen befasst werden, die durchaus die Rückfrage zulassen, ob es einem beteiligten Elternteil tatsächlich noch um das Kindeswohl geht oder nur die eigene Weltanschauung in den Vordergrund gestellt werden soll.

Das AG Mainz hat sich in seinem Beschluss vom 4.5.2021 – 34 F 126/21 mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Teilnahme eines Kindes an Testverfahren zur Diagnose von Covid-19 eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i.S.d. § 1628 Satz 1 BGB ist.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt erstrebte die Mutter die Alleinentscheidungsbefugnis zu der Frage, ob ihre 2011 geborene Tochter zum Zweck des Schulbesuchs an einem solchen Testverfahren teilnehmen bzw. sie einen Mund-Nasen-Schutz tragen dürfe. Der Kindesvater, zu dem sowohl die Tochter als auch ihr älterer Bruder bereits seit 2019 auf eigenen Wunsch keinen Kontakt mehr unterhielten, beantwortete eine Anfrage seiner geschiedenen Ehefrau negativ, da nach einer von ihm zitierten Internetveröffentlichung, Selbsttests bei ungeübten Kindern zu nicht unerheblichen Verletzungen führen könnten. Gleichzeitig kündigte er der Kindesmutter strafrechtliche Konsequenzen an, sollte sie sich über seine fehlende Einwilligung hinwegsetzen.

Das AG Mainz hat der Kindesmutter die alleinige Befugnis zur Entscheidung betreffend der Teilnahme des Kindes an Testverfahren übertragen, da dies dem Wohl des Kindes entspreche. Zu berücksichtigen sei zunächst, dass das Kind keinen Kontakt zum Vater habe. Zudem seien seit der Änderung des § 28b ISG vom 22.4.2021, Coronatests in allgemeinbildenden Schulen für Schüler und Lehrer verpflichtend bei einer Sieben-Tage-Inzidenz zwischen 100 und 165. Es gelte auch eine Präsenzpflicht für Schülerinnen und Schüler in den rheinland-pfälzischen Schulen. Nach dem aktuellen Stand der Corona-Pandemie könne nicht sicher prognostiziert werden, wann sich die Inzidenz soweit reduziert habe, dass ein Präsenzunterricht auch ohne Tests möglich sei. Es erscheine daher möglich, dass das Kind bis zum Beginn der Sommerferien – bei fehlender Zustimmung des Vaters – den Präsenzunterricht nicht wahrnehmen könne. Es habe bereits eine Klassenarbeit über Videokonferenz schreiben müssen, während die Mitschüler die Arbeit in den Schulräumen hätten schreiben können.

Eine Gesundheitsgefahr durch Verwendung der Teststäbchen sei nicht festzustellen. Aus der Anleitung verschiedener Bundesministerien und Gesellschaften zum Corona-Selbsttest ergebe sich die bedenkenlose Anwendung dieser Tests auch für Kleinkinder. Alle Schulen hätten ein umfangreiches Informationspaket enthalten, das ein Testkonzept zum Einsatz der Selbsttests enthalte.

Die seitens der Mutter begehrte Entscheidungskompetenz betreffe eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. Beurteilungsmaßstab sei dabei der Testzweck, d.h. die Ermöglichung der Teilnahme des Kindes am Präsenzunterricht, die wiederum geeignet sei, nachhaltig Einfluss auf seine schulische und seelische Entwicklung einschließlich seiner sozialen Kompetenzen zu nehmen. Dies gelte umso mehr, wenn das Kind bereits längere Zeit pandemiebedingt nur am Heimunterricht habe teilnehmen dürfen und im Gegensatz zu seinen Mitschülern trotz gesunkener Fallzahlen im Heimunterricht bleiben müsse. Das Kind werde daher im Vergleich zu seinen Mitschülern benachteiligt, was umso schwerer wiege, als es nach den Sommerferien 2021 eine weiterführende Schule besuchen werde.

Das AG Mainz bewertet in seinem Beschluss nicht nur die Annahme einer Angelegenheit von erheblicher Bedeutung zutreffend, da es mit dem Kindeswohl nicht vereinbar wäre, wenn in der konkreten Streitfrage die Entscheidung unterbliebe, sondern sieht zutreffend die Entscheidungskompetenz – am Maßstab des Kindeswohls (§ 1697a BGB) orientiert – allein bei der Kindesmutter.

Wer betreut – bestimmt auch! (Brandenburgisches OLG v. 24.2.2020 – 13 UF 125/19)

In der Praxis sind diese Fallkonstellationen immer wieder anzutreffen: Der Elternteil, in dessen Haushalt das Kind lebt, ist mit der Ausgestaltung der Umgangskontakte nicht einverstanden, sei es dass der andere Elternteil zu umfangreiche Fernsehzeiten gewährt, eine aus Sicht des anderen Elternteils „ungesunde“ Nahrung ermöglicht oder einfach während des Umgangs Aktivitäten plant, mit denen der Obhutselternteil – aus welchen Gründen auch immer – nicht einverstanden ist. Nicht immer sind die erhobenen Einwände unberechtigt. Nicht selten zeigt sich aber auch, dass die geltend gemachten Bedenken weniger in der berechtigten Sorge um das Kindeswohl wurzeln, sondern eher in der Paarproblematik ihre Begründung finden.

Mit einem entsprechend gelagerten Sachverhalt hat sich aktuell das Brandenburgische OLG befasst:

Der Antragsteller war durch gerichtlichen Vergleich zum Umgang mit seinen beiden Söhnen berechtigt, wobei der Umgang mit dem älteren Sohn von Donnerstag nach der Schule/Hort bis Montag Schulbeginn und mit dem jüngeren Sohn von Freitag nach der Kita bis Sonntag 18.00 Uhr ausgeübt wurde. Die Kinder waren spätestens um 16.00 Uhr von der Schule bzw. Kita abzuholen. Den älteren Sohn hatte der Antragsteller aufgefordert, an den Umgangsfreitagen allein vom Schul-/Hortgebäude zum Kitagebäude seines Bruders zu gehen und dort auf den Vater zu warten. Nachdem das Kind an mindestens einem Freitag etwa 15 Minuten lang vor der verschlossenen Kitatür warten musste, forderte die Antragsgegnerin die Horterzieherin auf, es dem Kind nicht mehr zu erlauben, den Hort zu verlassen, um zur Kita zu gehen. Im gerichtlichen Verfahren forderte der Antragsteller, der Antragsgegnerin aufzugeben, das Verbot gegenüber dem Hort zurückzunehmen.

Der Senat ist in der Beschwerdeinstanz diesem Antragsbegehren gefolgt und hat darauf verwiesen, dass der Antragsteller für die Dauer des festgelegten Umgangs das Recht zur alleinigen Entscheidung über die tatsächliche Umgangsgestaltung hat und eine Einschränkung dieser Befugnis aus Gründen des Kindeswohls nicht in Betracht kommt. Zur Begründung hat der Senat weitergehend ausgeführt, dass die Art und Weise der Abholung des Kindes regelmäßig Bestandteil der Alltagssorge ist. Was aber Gegenstand der Alltagssorge ist, kann nicht gleichzeitig Umgangsmodalität sein. Ist daher ausdrücklich vereinbart, dass der Umgang nach der Schule beginnt, so ist der Moment des Schulschlusses der tatsächliche Beginn der Alltagssorge des Umgangsberechtigten, auch wenn die Umgangsvereinbarung die Formulierung enthalt, dass das Kind „spätestens um 16.00 Uhr“ von der Schule oder der Kita abzuholen ist.

Weitergehend hat der Senat auch keine Notwendigkeit gesehen, familiengerichtlich in die Entscheidungsbefugnis des Antragstellers zu der Frage einzugreifen, wie der Schulweg konkret bewältigt werden soll, da keine Kindeswohlgefährdung vorliegt, d.h. der Senat ist in Übereinstimmung mit den anderen Verfahrensbeteiligten davon ausgegangen, dass der in Rede stehende Schulweg von 800 Meter für einen Achtjährigen normal ist und die hiesigen Witterungsverhältnisse hierbei keine Gesundheitsbeeinträchtigung befürchten lassen.

Auch wenn Eltern die Sorge für ihre Kinder gemeinsam ausüben und damit grundsätzlich das Gesamtvertretungsprinzip gilt, bleibt davon ein mögliches Alleinvertretungsrecht eines Elternteils unberührt. Dieses kann sich kraft Gesetzes ergeben, etwa das Alleinentscheidungsrecht für Angelegenheiten des täglichen Lebens oder im Fall des angeordneten Ruhens der elterlichen Sorge. Daneben kommt ein Notvertretungsrecht in Betracht bei Gefahr in Verzug. Und letztlich kann einem Elternteil durch gerichtlichen Beschluss die Entscheidungsbefugnis für eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung übertragen werden, wenn die Eltern zu dieser Frage kein Einvernehmen erzielen können.

Während der Dauer eines Umgangskontakts ist der berechtigte Elternteil damit nicht nur zur Entscheidung über Angelegenheiten des täglichen Lebens berechtigt. Er bestimmt ebenso den Ort an dem der Umgang stattfindet, d.h. den Aufenthaltsort des Kindes, sowie die konkrete Ausgestaltung des Umgangs. Zu beachten sind allerdings die Belange des Kindes, etwa folgend aus gesundheitlichen Einschränkungen, so dass etwaigen Sicherheitsbedenken des anderen Elternteils auch nur in dem Umfang Rechnung zu tragen ist, als sie sich am Kindeswohl orientieren und nicht als rechtsmissbräuchlich zu werten sind.

 

Vollmacht oder Sorgerechtsregelung? (OLG Brandenburg v. 2.10.2019 – 9 UF 174/19)

Die Frage der elterlichen Sorge birgt in kindschaftsrechtlichen Verfahren ein hohes Konfliktpotential. Beide Elternteile nehmen selbstverständlich jeweils für sich in Anspruch, ausschließlich im Interesse des Kindes zu handeln. Nicht selten folgt jedoch aus den ausgetauschten Argumenten, dass vorrangig höchstpersönliche Interessen der Eltern im Vordergrund stehen. Stellvertretend für eine emotional noch längst nicht abgeschlossene Trennung wird auf der Ebene der elterlichen Sorge ein „Schlagabtausch“ durchgeführt, in dem man dem früheren Partner tatsächliche oder vermeintliche persönliche Defizite vorhält, in der Annahme, dass ihn diese Defizite selbstverständlich zur Ausübung der elterlichen Sorge disqualifizierten. Zunehmend ist in den Verfahren zu beobachten, dass Elternteile, die erkannt haben, dass sie dem Sorgerechtsantrag des jeweils anderen rechtlich nicht erfolgreich begegnen können, auf die Erteilung einer Vollmacht zurückgreifen, um so den Antrag zu Fall zu bringen und zumindest formal in der Position des Sorgemitinhabers zu verbleiben.

Mit einer solchen Fallgestaltung hat sich im Herbst 2019 das OLG Brandenburg auseinandergesetzt. Die Eltern stritten über den Fortbestand der gemeinsamen Sorge für ihren 2012 geborenen Sohn, der im Haushalt des Vaters lebt. Auf dessen Antrag wurden ihm erstinstanzlich die Teilbereiche der Gesundheitssorge, der Vermögenssorge sowie die Vertretung in Rechts- und Behördenangelegenheiten übertragen. Gegen diesen Beschluss legte die Mutter Rechtsmittel ein, wobei das OLG die Beschwerde zurückwies. Neben grundlegenden Hinweisen zur mangelnden Kommunikationsfähigkeit und -willigkeit der Eltern, in deren Ausprägung es sogar anwaltlicher Korrespondenz zur Unterzeichnung des Schulzeugnisses bzw. der Vorlage eines Stundenplans bedurfte, nahm der Senat auch Stellung zu der Frage, ob möglicherweise die seitens der Mutter in Rede gebrachte Erteilung einer Vollmacht als milderes Mittel der Konfliktvermeidung gesehen werden könne.

Diese Frage hat der Senat verneint unter Verweis bereits darauf, dass von der Mutter gerade keine Vollmacht zu den streitgegenständlichen Teilbereichen der elterlichen Sorge vorgelegt wurde. Gleichzeitig verwies der Senat darauf, dass eine solche Vollmacht auch jederzeit frei widerruflich sei, während eine gerichtliche Sorgerechtsregelung in ihrer Abänderbarkeit den engen Voraussetzungen des § 1696 BGB unterliege. Hieraus leite sich die Befürchtung ab, dass sich der Elternteil, der die Möglichkeit einer Vollmachtserteilung in den Raum stelle und im Übrigen dem Antrag auf Sorgerechtsübertragung entgegentrete, sich hierdurch rechtliche Vorteile erhoffe, die aber weiteres Konfliktpotenzial bergen könnten. Zudem stelle eine elterliche Sorge, die nur formal aufrecht erhalten bleibe, lediglich eine „leere Hülle“ des Sorgerechts dar.

Mit seiner Entscheidung greift das OLG Brandenburg eine in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur kontrovers diskutierte Frage auf. Während etwa die Oberlandesgerichte Düsseldorf (OLG Düsseldorf v. 7.12.2017 – II-1 UF 151/17, MDR 2018, 154), Nürnberg (OLG Nürnberg v. 4.7.2011 – 7 UF 346/11, MDR 2011, 1237) oder Saarbrücken (Saarl. OLG v. 5.11.2018 – 6 UF 82/18, FamRZ 2019, 985) auch im Fall einer erteilten Sorgeermächtigung die dadurch nicht entbehrlich werdende Kooperationsfähigkeit und -willigkeit beider Elternteile hervorheben, um von einer Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge ausgehen zu können, vertritt das OLG Frankfurt die Auffassung, dass zumindest in jenen Fällen, in denen der ermächtigende Elternteil sich von seiner Erklärung nicht (kurzfristig) lösen möchte und keine unterschiedlichen Entscheidungen in kindbezogenen Belangen zu treffen sind bzw. verlangt werden, die Auflösung der gemeinsamen Sorge unverhältnismäßig erscheint (OLG Frankfurt v. 27.2.2019 – 8 UF 61/18, FamRZ 2019, 1144 = FamRB 2019, 263). Abschließende Klärung wird die Entscheidung des BGH zu der unter dem Az. XII ZB 112/19 anhängigen Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Frankfurt bringen.

 

Kindeswille gleich Kindeswohl ? (OLG Köln v. 28.3.2019 – 10 UF 18/19)

Dem Praktiker sind diese typischen Besprechungstermine hinlänglich bekannt. Es erscheint ein Elternteil zur Rücksprache und trägt mit Vehemenz vor, dass es einer zwingenden Neuregelung der elterlichen Sorge bedarf. Die für diese Einschätzung benannten Argumente sind wenig überzeugend, so dass letztlich zum alles entscheidenden Argument ausgeholt wird – dem ausdrücklich vom Kind geäußerten Willen. Es heißt, dass das Kind sich nichts anderes wünscht, als dass genau dieser Elternteil künftig die Alleinsorge ausüben soll, und das ja auch nachvollziehbar erscheint, da es ohnehin vor und nach jedem Kontakt mit dem anderen Elternteil weint bzw. massive Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Nicht immer gelingt es, Eltern davon zu überzeugen, dass möglicherweise dieser geäußerte Wille nichts mit der tatsächlichen Willenslage des Kindes zu tun hat und allein der Kindeswille nicht zwingend zu der gewünschten gerichtlichen Entscheidung führen wird.

In diesem Sinn hat auch das OLG Köln in einer aktuellen Entscheidung einen Sorgerechtsantrag zurückgewiesen. Die Eltern stritten über die Alleinsorge für ihre 13-jährige Tochter, die nach dem Sachvortrag der Mutter sich ausdrücklich dafür ausgesprochen hatte, dass künftig die Sorge allein von ihr wahrgenommen werden sollte. Ebenso wie das Ausgangsgericht hat auch die Beschwerdeinstanz den Antrag zurückgewiesen und seine Entscheidung damit begründet, dass mit Blick auf die Frage der Kooperationsbereitschaft der Eltern weder konkret und maßgebende Streitigkeiten zu Angelegenheiten der elterlichen Sorge vorgetragen worden oder auch nur ersichtlich seien. Der elterliche Streit konzentriere sich vielmehr darauf, was für die Haltung der Tochter mit Blick auf ihre derzeitige Weigerung zur Wahrnehmung von Umgangskontakten mit ihrem Vater ursächlich sei. Schwierigkeiten bei der Abstimmung von Sorgerechtfragen würden lediglich befürchtet. Die Mutter verkenne in ihrer Argumentation, dass aus der Beachtlichkeit des Kindeswillens nicht per se folge, dass die elterliche Entscheidungskompetenz und -verantwortung auf das Kind „abgewälzt“ werden dürfe. Der Kindeswille könne nur dann als Argument zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge herangezogen werden, wenn dies auch durch objektive Kindeswohlgründe unterstützt werde. Bei der Bewertung des erklärten Kindeswillens müsse stets berücksichtigt werden, inwieweit dieser Wille stabil sei oder die kindlichen Äußerungen sich schwankend und unentschlossen darstellten, da dies häufig der Ausdruck eines Loyalitätskonflikts sei.

Der unbestimmte Rechtsbegriff des „Kindeswohls“, wie er in der sog. doppelten Kindeswohlprüfung des § 1671 BGB auszulegen ist, wird durch verschiedene Kriterien näher präzisiert, etwa dem Förderungsprinzip, dem Kontinuitätsgrundsatz aber auch dem Kindeswillen. Diese Kriterien sind jeweils auf den Einzelfall bezogen zu prüfen und stehen in ihrer Wertigkeit kumulativ nebeneinander, wobei durchaus eines dieser Kriterien letztlich entscheidungsrelevant werden kann, wenn die Eltern zu keinem der sonstigen Aspekte wesentlich differenzieren.

Dem Kindeswillen wird in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung erhebliche Bedeutung beigemessen, da er Ausdruck einer eigenen Entscheidung des Kindes als Grundrechtsträger ist und seine Willensäußerung als Ausübung seines Rechts auf Selbstbestimmung gesehen wird. In Umsetzung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben sieht daher § 159 FamFG ausdrücklich die Anhörung des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren vor. Allerdings ist der geäußerte Wille des Kindes auch darauf zu prüfen, ob er Ausdruck einer eigengebildeten Meinung oder Ergebnis einer elterlichen Manipulation ist. Der geäußerte Kindeswille, der ersichtlich von unrealistischen Vorstellungen bestimmt wird, wird ebenso wenig Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein können, wie der subjektiv geäußerte Wille, der mit dem objektiven Kindeswohl nicht in Einklang zu bringen ist.

Diese Fragen sind – auch wenn es nicht unbedingt auf die Gegenliebe des Mandanten stößt – offen zu klären, bevor ein Sorgerechtsverfahren eingeleitet wird, in dessen Verlauf ein Kind möglicherweise noch tiefer in einen ohnehin schon bestehenden Loyalitätskonflikt geführt wird.

Nur Meinungsverschiedenheit oder dauerhafte Kooperationsunfähigkeit? (OLG Koblenz v. 14.11.2018 – 13 UF 413/18)

Die Frage an den Mandanten nach dem Grund der Rücksprache wird in Kindschaftssachen in der Regel mit dem Satz beantwortet, dass ein Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge gewünscht werde. In der sich anschließenden Beratung müssen nicht nur die – häufig fehlenden – Voraussetzungen der doppelten Kindeswohlprüfung näher erläutert, sondern es muss üblicherweise überhaupt erst geklärt werden, worauf sich das Begehren des Mandanten richtet, d.h. ob es letztlich tatsächlich einer Sorgerechtsregelung bedarf oder nur eine zwischen den Eltern zu einem einzelnen Aspekt bestehende Meinungsverschiedenheit die gerichtliche Kompetenzübertragung zu dieser Frage erfordert. Die Abgrenzung ist nicht immer zweifelsfrei möglich, wie auch eine Entscheidung des OLG Koblenz aus dem Jahr 2018 zeigt.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die geschiedenen Eltern über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren neunjährigen Sohn, der im Haushalt der Mutter lebte. Vor dem Hintergrund eines geplanten Umzugs der Mutter zu ihrem rund 200 km entfernt wohnenden neuen Partner stellten die Eltern gegenläufige Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Das Ausgangsgericht gab dem Antrag des Vaters statt. Auf die seitens der Mutter eingelegte Beschwerde hat der Senat die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zeit ab Juli 2019 übertragen.

In seiner Begründung hat der Senat ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der wechselseitigen Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht nur über den Umzug des Kindes zu befinden, sondern es einer Entscheidung über den dauerhaften gewöhnlichen Aufenthalt bedurfte, so dass sich die zu treffende gerichtliche Entscheidung an den Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 BGB und nicht an jenen des § 1628 BGB zu orientieren hatte.

Im Rahmen der sodann durchgeführten Kindeswohlprüfung hat der Senat auf Seiten des Kindes zu beiden Eltern bestehende gleichwertige Bindungen und Neigungen festgestellt, dem Kindeswillen aber keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, nachdem sich in der Anhörung ergeben hatte, dass das Kind die Konsequenzen des Umzugs noch nicht abschätzen konnte. Allerdings wurde die Mutter als Hauptbezugsperson ermittelt, so dass dem Kontinuitätsgrundsatz maßgebliche Bedeutung beizumessen war. Bei dem zu übertragenden Aufenthaltsbestimmungsrecht hat der Senat allerdings eine Einschränkung dahin vorgenommen, dass der Mutter diese Rechtsmacht erst ab Beginn der Sommerferien 2019 eingeräumt wurde. Begründet hat der Senat diese zeitliche Einschränkung damit, dass sich das Kind zum Zeitpunkt der Entscheidung in der vierten Grundschulklasse befand, d.h. einer Klassenstufe, die für die Wahl der weiteren Schullaufbahn besondere Bedeutung besitzt. Im Fall einer Notenverschlechterung folgend aus dem Schulwechsel während oder vor der vierten Klasse hätte dies langfristige Konsequenzen für die schulische Laufbahn des Kindes bedeutet. Da jedoch nach Ende der Grundschulzeit ohnehin ein Umbruch bevorstand, hatte nach Einschätzung des Senats bis zum Ende der Grundschulzeit das Recht der Mutter, mit ihrem neuen Freund zusammenziehen zu können, zurückzutreten, d.h. ihr war das Aufenthaltsbestimmungsrecht erst ab dieser Zeit zu übertragen.

Können Eltern zu einer einzelnen Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung aber für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, kein Einvernehmen erzielen, so kann das Familiengericht nach § 1628 BGB die Entscheidungskompetenz zu der jeweiligen Streitfrage einem Elternteil übertragen. Ebenso wie im Fall des § 1671 Abs. 1 BGB darf es sich bei der begehrten Entscheidungskompetenz nicht nur um eine Angelegenheit des alltäglichen Lebens handeln, für die ohnehin dem Obhutselternteil die Verantwortlichkeit obliegt. Es muss sich vielmehr um eine zu treffende Entscheidung handeln, die letztlich mit gravierenden Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes einhergeht.

Während § 1628 BGB auf die Regelungskompetenz zu einer einzelnen und konkretisierbaren Situation zielt, umfasst die nach § 1671 Abs. 1 BGB zu treffende Sorgerechtsregelung – auch wenn nur ein Teilbereich der elterlichen Sorge zur Entscheidung steht – eine abschließende Regelung zu dem jeweiligen Bereich der elterlichen Sorge, die dem jeweiligen Elternteil dann in der Regel die Entscheidungskompetenz bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes einräumt.

 

Beachtlichkeit des Kindeswillens bei der Sorgerechtsregelung (BVerfG v. 7.12.2017 – 1 BvR 1914/17)

Der „Kindeswille“ wird in Kindschaftsverfahren sehr häufig in die Argumentation eingeführt. Antragsteller und Antragsgegner der jeweiligen Verfahren sind intensiv bemüht, den seitens des Kindes geäußerten Willen darzulegen, und gehen davon aus, dass dieser selbstverständlich maßgeblich für die familiengerichtliche Entscheidung sein wird.

Mit einem Sachverhalt, in dem durch die jeweiligen Vorinstanzen dem geäußerten Kindeswillen ersichtlich zu wenig Bedeutung beigemessen wurde, hat sich aktuell das BVerfG befasst.

Die Eltern hatten wechselseitig die alleinige Sorge für ihr 2008 geborenes Kind beantragt, das personenstandsrechtlich als Junge registriert worden war, nach seinen Äußerungen aber ein Mädchen sein wollte. Diesen Äußerungen des Kindes stand der Vater ablehnend gegenüber. Während des laufenden Sorgerechtsverfahrens wurde dem Vater – ein Tag vor der Einschulung des Kindes – im Eilverfahren die Entscheidungsbefugnis zu der Frage übertragen, ob das Kind in mädchentypischer Kleidung an Schulveranstaltungen teilnehmen sollte. Im Hauptsachverfahren wurde ihm sodann die alleinige Sorge übertragen. Die Beschwerde der Mutter wurde zurückgewiesen, die sodann gegen diese Entscheidung Verfassungsbeschwerde einlegte und u.a. eine Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG rügte.

Das BVerfG hob die Entscheidung der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Zur Begründung führt es u.a. aus, dass in die Sorgerechtsentscheidung der Wille des Kindes einzubeziehen sei, soweit er mit dem Kindeswohl vereinbar sei. Dem Kindeswillen komme mit zunehmendem Alter verstärkt Bedeutung zu als Ausdruck des Rechts zur Selbstbestimmung. Der Argumentation des Beschwerdegerichts widerspreche neben der eigenen gerichtlichen Erwartung, dass sich gerade der Vater „gegen den Willen des Kindes durchsetzen“ werde, auch die Feststellung der Sachverständigen, wonach das Kind beim Vater eine Abweisung mit seinen mädchenorientierten Verhaltensintentionen erlebe und insoweit eine Unsicherheit im Bindungsmuster zum Vater zeige, sowie letztlich der Umstand, dass der Vater in einem Eilverfahren beantragt habe, die Mutter zu verpflichten, das Kind „seinem Geschlecht entsprechend zu kleiden und es zu unterlassen, ihn in mädchentypischer Kleidung in die Öffentlichkeit gehen zu lassen.“ In der Entscheidung werde nicht hinterfragt, welche Auswirkungen es kurz- und mittelfristig für das Kind habe, wenn der Vater dem Wunsch des Kindes zum Tragen von Mädchenkleidung nicht entgegenkomme.

Im Rahmen einer nach § 1671 BGB zu treffenden Sorgerechtsregelung hat sich die gerichtliche Entscheidung am Kindewohl zu orientieren. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls wird in der Rechtsprechung durch verschiedene Kriterien näher präzisiert. Neben dem Kontinuitätsgrundsatz, der Förderungskompetenz oder den Bindungen eines Kindes fließt in die richterliche Bewertung auch der Kindeswille ein, da das Kind selbst Grundrechtsträger ist mit dem Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Als Ausdruck des Rechts auf Selbstbestimmung gewinnt dieser Wille mit zunehmendem Alter des Kindes entsprechend stärkere Bedeutung.

Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der geäußerte Kindeswille in jedem Fall auch streitentscheidend sein wird. Neben dem Risiko einer Manipulation des Kindes muss auch ein etwaiger Loyalitätskonflikt des Kindes, folgend aus seinen Äußerungen, beachtet werden. Bei der Bewertung des geäußerten Kindeswillens ist daher stets zu prüfen, ob dieser Wille eigengebildet und Ausdruck der Selbstbestimmung ist. Dem Gericht obliegt jeweils die Prüfung der Stabilität des Kindeswillens und dessen Kompatibilität mit dem Kindeswohl. Um diese Prüfung im Interesse des Kindes vornehmen zu können, sieht nicht nur die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung eine Anhörung des Kindes ab vollendeten dritten Lebensjahr vor, sondern gibt das Gesetz dem Gericht auch die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands für das Kind sowie weitergehend auch der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Kindschaftsverfahren werden durch den Grundsatz der Amtsermittlung bestimmt. Es ist damit Aufgabe der Gerichte, von Amts wegen die notwendige Kindeswohlprüfung vorzunehmen und die hiermit einhergehenden juristisch nicht zu bewertenden Fragen einer ggf. sachverständigen Begutachtung zuzuführen. Voraussetzung ist allerdings, dass die zur Kindeswohlprüfung im Einzelfall erforderlichen Fragestellungen auch erkannt werden.

In der Praxisberatung sollte dem Kindeswillen in angemessener Form Rechnung getragen werden. Es ist durchaus verständlich, dass ein Elternteil auf einen ihm gegenüber geäußerten Willen des Kindes Bezug nimmt. Dieser Elternteil sollte allerdings auch darauf hingewiesen werden, in welcher besonderen Lage sich das Kind nach der Trennung seiner Eltern befindet und daher der geäußerte Kindeswille in jedem Fall darauf zu prüfen ist, ob er nicht nur Ausdruck einer Loyalitätsproblematik des Kindes ist. Bleibt der Kindeswille stabil, sollte in der gerichtlichen Auseinandersetzung dann aber darauf geachtet werden, dass er in der gebotenen Form – insbesondere durch Bestellung eines Verfahrensbeistands – in das Verfahren eingebracht und berücksichtigt wird.

Wirklich kein Elternrecht auf Facebook?

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Bei der elterlichen Erziehungsverantwortung (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) handelt es sich um ein universelles Menschenrecht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 34, 165, 184) bezeichnet die Eltern als „natürliche Sachwalter für die Erziehung der Kinder“. Allerdings scheint dieses Recht auf Facebook, jedenfalls nach dem Tod eines Kindes, wenig wert zu sein. Eine für ihre fünfzehnjährige Tochter sorgeberechtigte Mutter wollte nach ihrem Tod Zugang zu deren Facebook-Account erhalten. Dies wurde ihr verweigert.

Das Kammergericht ging in seinem Urteil vom 31.5.2017 – 21 U 9/16 davon aus, dass § 88 Abs. 3 TKG Facebook zur Verweigerung der Zugangseröffnung verpflichtet. Die elterliche Sorge habe mit dem Tod des Kindes geendet, deshalb käme nur das Recht des Erben am digitalen Nachlass in Betracht, das aber durch die vorgenannte Bestimmung zum Schutz des Fernmelde- bzw. Telekommunikationsgeheimnisses beschränkt werde. Frau Kollegin Dr. Susanne Sachs hat in ihrem Blog-Beitrag vom 19.6.2017 diese Entscheidung für richtig gehalten. Außerdem geht sie davon aus, dass der Zugriff auf die persönliche Kommunikation eines verstorbenen Kindes nach §§ 202, 202a StGB strafbar wäre. Das Lesen von geöffneten Briefen eines verstorbenen Kindes und der Zugang zu seinem Facebook-Account mittels des den Eltern mitgeteilten Passwortes fallen bereits tatbestandmäßig nicht unter diese Strafbestimmungen. Zudem dürfte zusätzlich eine Rechtfertigung durch das Elternrecht vorliegen.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in den 1970er-Jahren (Mephisto-Entscheidung) einen postmortalen Persönlichkeitsschutz generell anerkannt, wenn auch im konkreten Fall verneint. Für die betroffenen Eltern wird es schwer verständlich sein, wieso angesichts zwischenzeitlich veränderter (sozialer) Medien zwar eine intensive Debatte über den digitalen Nachlass geführt wird, das Thema der Fortwirkung der Elternrechte als Teil des Schutzes der Familie über den Tod des Kindes hinaus dagegen nicht einmal ansatzweise diskutiert wird. Ist es wirklich richtig, dass der Tod eines Kindes für die Eltern zum bloßen Nachlassabwicklungsfall wird?

Elternwunsch gleich Kindeswohl? Vegane Ernährung eines Kleinkindes (OLG Frankfurt v. 4.2.2016 – 4 UF 274/15)

Kindschaftsverfahren werden regelmäßig hochemotional geführt. Häufig haben die beteiligten Eltern eine schmerzhafte Trennung hinter sich und sehen sich sodann auch noch mit der Auseinandersetzung zu der Frage konfrontiert, im Haushalt welchen Elternteils künftig das oder die gemeinsamen Kinder leben werden. Nicht immer gelingt es den Eltern, emotionale Betroffenheit auszuklammern und ihr Verhalten konsequent darauf zu richten, was aus objektiver Sicht dem Kindeswohl am besten entspricht. Bestimmte Haltungen zum Erziehungsstil oder der allgemeinen Lebensführung werden nicht selten in einer intakten Beziehung gerade nur wegen dieser Beziehung mitgetragen, so dass deren Ende häufig auch das Ende der Akzeptanz der Erziehungsvorstellungen des anderen Elternteils ist.

Die damit einhergehende Problematik potenziert sich, wenn ein Elternteil zu Fragen der Ernährung oder der Gesundheitsfürsorge im Allgemeinen Vorstellungen verfolgt, die bei objektiver Betrachtung Risiken für ein ihm anvertrautes Kind befürchten lassen. Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich das OLG Frankfurt in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt, in der es um die Frage der elterlichen Sorge ging vor dem Hintergrund einer streng veganen Ernährung eines Kleinkindes, die letztlich zu wiederholten kinderärztlichen Gefährdungsmeldungen u.a. wegen Wachstumsverzögerungen führte, bzw. einem Erziehungskonzept ohne erzieherische Vorgaben, sondern allein orientiert an den natürlichen Bedürfnisvorgaben des Kindes. In dieser Situation begehrte der Kindesvater, in dessen Obhut sich zum Zeitpunkt der Trennung das zweijährige Kind befand, das Recht der Gesundheitsfürsorge sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Gegenläufig verfolgte die Mutter mit ihrem Antrag die alleinige elterliche Sorge in ihrer Gesamtheit.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass bei bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge und nicht nur vorübergehender Trennung der Eltern die Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge oder deren Übertragung in ihrer Gesamtheit gem. § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB geltend gemacht werden kann. Steht bei nicht verheirateten Elternteilen die elterliche Sorge der Mutter nach § 1626a Abs. 3 BGB zu, so eröffnet § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB dem Vater die Möglichkeit zur Erlangung der alleinigen Sorge. In beiden Konstellationen bedarf es einer sog. großen Kindeswohlprüfung.

Im ersten Schritt erfolgt die Prüfung, ob die Aufhebung oder Nichtherstellung der gemeinsamen Sorge im Interesse des Kindes liegt, wobei nach geltender höchstrichterlicher Rechtsprechung es bezüglich der gemeinsamen Sorge keinen Vorrang gegenüber der Alleinsorge gibt. Entscheidend ist vielmehr, ob zwischen den Eltern eine tragfähige soziale Beziehung besteht, die ihnen die gemeinsame Ausübung der elterlichen Verantwortung ermöglicht. Es bedarf daher einer objektiven Kooperationsfähigkeit und einer subjektiven Kooperationswilligkeit, um im Interesse des Kindes regelungsbedürftige Fragen gemeinsam zu entscheiden.

Kann eine solche tragfähige Beziehung nicht festgestellt werden, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gerade auf den antragstellenden Elternteil sich als die dem Kindeswohl beste Entscheidung darstellt. Der unbestimmte Begriff des Kindeswohls wird dabei von mehreren Kriterien näher präzisiert. Ein wesentlicher Aspekt ist der Kontinuitätsgrundsatz, d.h. die Frage, welcher Elternteil auch künftig eine möglichst einheitliche, stabile und gleichmäßige Erziehung und Betreuung des Kindes wird gewährleisten können. Ebenso bedeutsam ist der Förderungsgrundsatz, d.h. inwieweit ein Elternteil aufgrund eigener pädagogischer Kompetenz dem Kind in seiner weiteren Entwicklung die notwendige Sicherheit und Orientierung geben kann. Hierbei spielt es eine Rolle, ob dieser Elternteil ein tragfähiges Erziehungskonzept hat, er als Betreuungsperson stabil und verlässlich ist und letztlich ihm auch eine Bindungstoleranz attestiert werden kann. Gerade der Bindungstoleranz kommt eine wesentliche Bedeutung zu, d.h. der Fähigkeit eines Elternteils, spannungsfreie Kontakte des Kindes mit dem jeweils anderen Elternteil nicht nur zuzulassen, sondern in eigener Person auch zu fördern. Ebenso bedeutsam sind die Bindungen des Kindes sowohl zu seinen Eltern als auch zu Geschwistern oder engen Bezugspersonen des sozialen Umfeldes. Letztlich darf auch der Kindeswille nicht außer Betracht bleiben, der mit zunehmendem Alter des Kindes auch Ausdruck einer sich verstärkenden Selbstbestimmung ist. Die vorab dargestellten Kriterien stehen nicht kumulativ nebeneinander. Sie sind jeweils einzelfallbezogen mit entsprechender Gewichtung zu prüfen, um die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung zu finden.

Im Fall des OLG Frankfurt hatte das Familiengericht dem Vater unter Zurückweisung des Antrags der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge zur alleinigen Ausübung übertragen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter blieb vor dem OLG ohne Erfolg, da die Bereitschaft, eigene Ernährungs- und Erziehungsvorstellungen den Bedürfnissen des Kindes anzupassen, bei der Mutter nicht vorhanden sei.

In der Praxisberatung sollte darauf geachtet werden, dass im Mittelpunkt jeder zu treffenden Entscheidung das Kindeswohl steht. Dieses muss nicht immer deckungsgleich sein mit den Wünschen und Vorstellungen eines Elternteils. Zu Beginn jeder Mandatierung sollte immer die umfassende Erörterung stehen, worauf sich das eigentliche Interesse eines Elternteils richtet. Dies muss nicht immer zwingend die formale Position einer Sorgerechtsinhaberschaft sein.