Streben Eltern ein Kindschaftsverfahren an, weil sie eine gerichtliche Regelung zu Fragen der elterlichen Sorge oder des Umgangsrechts wünschen, so bedenken sie in der Regel nicht, dass die Gerichte an die gestellten Anträge nicht gebunden sind, sondern für sie der Amtsermittlungsgrundsatz in diesen Verfahren gilt. Dies bedeutet, dass die jeweiligen „Anträge“ der Verfahrensbeteiligten für die Gerichte lediglich eine Anregung darstellen. Die Gerichte müssen letztlich auf der Grundlage der schriftsätzlich erteilten Informationen von Amts wegen nicht nur prüfen, welche Entscheidung im konkreten Einzelfall die am Kindeswohl orientierte beste Regelung darstellt, sondern gegebenenfalls auch erlangte Informationen aufgreifen, um weitergehend zu prüfen, ob der sich hieraus ergebende Lebenssachverhalt auf eine Kindeswohlgefährdung deutet, die die Eltern entweder in dieser Form bislang nicht erkannt haben oder aber zu deren Beseitigung sie entweder nicht in der Lage oder nicht willens sind.
Das AG Bad Hersfeld hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit einer solchen Problematik befasst: Im konkreten Fall hatten die Eltern in einem zunächst streitigen Sorgerechtsverfahren letztlich Einvernehmen darüber erzielt, dass bezüglich des gemeinsamen 10-jährigen Sohnes der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen werden und es im Übrigen bei der gemeinsamen elterlichen Sorge bleiben sollte. Anlässlich seiner Anhörung schilderte das Kind, dass ihm unter anderem zwei Videospiele zur Verfügung stünden („Grand Theft Auto 5“ sowie „Call of Duty“), für die eine Altersfreigabe erst ab 18 Jahren besteht. Das AG hat, entsprechend dem Antrag der Eltern, eine Regelung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht getroffen. Darüber hinausgehend hat es die Eltern aber auch verpflichtet, fortwährend sicherzustellen, dass dem Kind keine Spiele zugänglich sind, die das Kindeswohl gefährden, selbst wenn seitens des Kindes geltend gemacht wird, dass es durch diese Maßnahmen zum Außenseiter seiner Gruppe werde. Seine Entscheidung leitet das Gericht aus der Überlegung ab, dass in den seitens des Kindes genannten Spielen die Charaktere kriminelle Handlungen begingen und die Spiele selbst von Gewaltszenen bestimmt würden, etwa einer nicht umgehbaren Folterszene. Werde ein Film oder Spiel mit einer sog. Einstufung „USK ab 18“ versehen, so beruhe dies auf einer sachverständigen Einschätzung, dass diese Medien Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht zugänglich zu machen seien. Die seelische Entwicklung eines 10-jährigen Kindes werde bereits bei bloßer Ansicht und erst recht beim Durchleben der Spielszenen massiv gefährdet. Eltern hätten daher sicherzustellen, dass einem Kind derartige Spiele nicht (mehr) zur Verfügung gestellt würden. Der Einwand eines Elternteils, dass solche Spiele auch von vielen anderen Kindern im Alter des eigenen Kindes gespielt würden, sei rechtlich nicht beachtlich.
Grundsätzlich ist die Pflege und Erziehung eines Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG originäre Aufgabe der Eltern, wobei zudem aus Art. 8 EMRK die staatliche Achtung des Familienlebens folgt. In dieses verfassungsrechtlich garantierte Elternrecht darf der Staat jedoch eingreifen, wenn Gründe des Kindeswohls dies dringend erfordern. Dieses staatliche Wächteramt wird einfachgesetzlich durch § 1666 BGB konkretisiert. Danach hat das Familiengericht Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung einer Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes erforderlich sind, soweit die Eltern zur Abwendung dieser Gefahr nicht willens oder in der Lage sind. § 1666 Abs. 3 BGB sieht in einer enumerativen Auflistung mögliche Maßnahmen in der Form von Ver- und Geboten vor, die seitens des Gerichts angeordnet werden können, um einer Kindeswohlgefährdung zu begegnen. Dieser Katalog möglicher Auflagen ist nicht abschließend. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung (BGH v. 23.11.2016 – XII ZB 149/16, FamRB 2017, 48) vielmehr darauf hingewiesen, dass auch andere zur Gefahrenabwehr geeignete Weisungen in Betracht kommen, die, wenn sie wesentlich in Grundrechte eines Betroffenen eingreifen und nicht durch den Katalog des § 1666 Abs. 3 BGB umfasst sind, aber einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfen.
In der Praxisberatung sollte umfassend auch über die verfahrensrechtlichen Grundsätze eines Kindschaftsverfahrens informiert werden und zwar nach Möglichkeit nicht erst dann, wenn bereits das Mandat zur gerichtlichen Regelung erteilt wurde. Den Verfahrensbeteiligten sollten die Prinzipien des Amtsermittlungsgrundsatzes vor Augen geführt werden, d.h., es sollte ihn verdeutlicht werden, dass das Gericht auch auf der Grundlage im Lauf des Verfahrens erlangter Informationen letztlich von Amts wegen Ge- und Verbote anordnen kann, die möglicherweise so von ihnen nicht bedacht und wohl auch nicht gewünscht sind. Soweit in dem konkret entschiedenen Sachverhalt des AG Bad Hersfeld sich die Mutter sogar dahin eingelassen hat, dass sie ihrem 10-jährigen Sohn ohne gerichtliche Entscheidung ein erst ab 18 Jahren zugelassenes Videospiel nicht untersagen könne, wäre auch bereits außergerichtlich ein deutlicher Hinweis auf grundlegende Fragen der Erziehungseignung nicht fehl am Platz gewesen.