Was bedeutet der BREXIT für den Familienrechtler?

Großbritannien hat am 23.6.2016 über einen Austritt aus der Europäischen Union (EU) abgestimmt. Die Bürger Großbritanniens haben sich in einem Referendum für einen Austritt aus der EU ausgesprochen (den sog. BREXIT). Die EU ist eine Werte-, aber zu einem gewissen Maß auch eine Rechtsgemeinschaft. Die Umschreibung als „Rechtsgemeinschaft“ trifft zwar im europäischen Familienrecht nur bedingt zu, da die Mitgliedstaaten sich in der vergangenen Jahren sehr schwer damit getan haben, an einer Harmonisierung, also an einer Vereinheitlichung auf europäischer Ebene, mitzuwirken (eine tatsächliche Harmonisierung, also eine Vereinheitlichung materiellen Rechts, gibt es bisher überhaupt nicht). Großbritannien hat sich allerdings dazu „durchgerungen“, die sog. Brüssel IIa-Verordnung, welche die internationale Zuständigkeit in Ehescheidungsangelegenheiten und Fragen der elterlichen Verantwortung regelt, für sich gelten zu lassen. Großbritannien hat sich damit für einen europäischen Ansatz geöffnet – allerdings gelten für Großbritannien weder die Europäische Unterhaltsverordnung noch die sog. Rom-III VO.

Nach der sog. Brüssel IIa-VO gelten bestimmte Zuständigkeitsgrundsätze, die dem eigenem Recht Großbritanniens (der sog. lex fori) nicht alle entsprechen. Nach der Brüssel IIa-VO bestimmt sich die Zuständigkeit in Fragen der elterlichen Verantwortung, also beispielsweise in Sorge- oder Umgangsangelegenheiten, nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes. Diesen Grundsatz kannte das Recht Großbritanniens auch vor Inkrafttreten der Brüssel IIa-VO auch, so dass sich diesbezüglich grundsätzlich nicht viel ändern wird. Allerdings gibt es Sondervorschriften in der Brüssel IIa-VO beispielsweise für den Fall der Kindesentführung, die das sog. Haager Kindesentführungsübereinkommen „ergänzen“. Diese dürften – so die Vermutung des Verfassers – im Verhältnis zu Großbritannien ersatzlos wegfallen. Darüber hinaus spielte auch in Großbritannien für die internationale Zuständigkeit in Kindschaftsangelegenheiten in gewissen Konstellationen die Staatsangehörigkeit des Kindes eine Rolle (genau wie im deutschen Familienrecht) – ob und inwieweit diese „alten“ Regelungen wieder Wirksamkeit erlangen werden, ist schlecht prognostizierbar. Jedenfalls allerdings die „Bestimmbarkeit“ der internationalen Zuständigkeit wird unter dem Austritt aus der EU leiden.

Die Zuständigkeit betreffend die Ehescheidung im Rahmen der Brüssel IIa-VO richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt, der Staatsangehörigkeit oder dem sog. domicile. Vor Inkrafttreten der Brüssel IIa-VO bestimmte allein das dem deutschen Recht unbekannte Anknüpfungskriterium des Domizils die (internationale) Zuständigkeit in Großbritannien. Danach spielt nicht die Staatsangehörigkeit der Beteiligten eine Rolle, sondern die „Zugehörigkeit“ zu einem Rechtsgebiet. Insoweit spricht man von Domizilgebiet, das jeder mit Geburt erwirbt (domicile of origin). Bei Ausscheiden aus der europäischen Union ist damit zu rechnen, dass erneut (auch wenn allerdings nach den bisherigen Vorschriften in der Brüssel IIa-VO das domicile bereits möglicher Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit ist) das für Kontinentaleuropäer etwas schwergängige und in der Auslegung fehleranfällige Prinzip des domicile die internationale Zuständigkeit in Großbritannien bestimmen wird. – Leichter verständliche und bestimmbare Anknüpfungspunkte wie der gewöhnliche Aufenthalt und die Staatsangehörigkeit werden voraussichtlich keine Rolle mehr spielen.

Noch ist Großbritannien in der EU und möglicherweise gibt es Bemühungen in Fragen der internationalen Zuständigkeit in Familiensachen ein Abkommen mit der EU zu schließen. Mit Blick auf die bisherigen Bemühungen Großbritanniens, an Projekten der EU teilzunehmen, dürfte dies allerdings eher unwahrscheinlich sein. Wahrscheinlicher sind ein „Aufleben“ lokaler Bestimmungen und ein „Zurückziehen“ auf alte Positionen. Da grenzüberschreitende Fälle zwischen Deutschland und Großbritannien, beispielsweise mit Blick auf die Ausgleich von Pensionsansprüchen in Großbritannien, bisher bereits zu den komplexesten Konstellationen für den Familienrechtler gehörten, wird die Hinwendung zur lex fori und die Abwendung von den Verordnungen auf EU-Ebene das zu „durchdringende Dickicht“ für den Familienrechtler weiter verstärken. Der Verfasser geht davon aus, dass bei einem Austritt aus der EU das forum shopping, also die Wahl der vorteilhaftesten Rechtsordnung durch frühzeitige Antragstellung, neue Attraktivität gewinnen wird.