Elternunterhalt im Doppelpack (zu BGH v. 20.3.2019 – XII ZB 365/18, FamRB 2019, 212)

Wenn die Eltern beider zusammenlebenden Ehegatten unterhaltsbedürftig werden, stellt sich die Frage, ob die zeitlich zuerst entstehende Unterhaltspflicht gegenüber einem Elternteil aus dem Familienunterhalt zu begleichen, also vorab vom unterhaltspflichtigen Einkommen abzuziehen ist oder aber ob die Grundsätze der Berechnung des Elternunterhalts aus den Entscheidungen BGH v. 28.7.2010 – XII ZR 140/07, FamRZ 2010, 1535 = FamRB 2010, 295 und BGH v. 5.2.2014 – XII ZB 25/13, FamRZ 2014, 538 = FamRB 2014, 123 für die einzelnen unterhaltspflichtigen Kinder isoliert anzuwenden sind.

Der BGH entscheidet konsequent, dass die in der zitierten Entscheidung aufgestellten Berechnungsgrundsätze auch dann Anwendung finden, wenn beide Ehegatten ihren Eltern gegenüber unterhaltspflichtig sind.

Es ist nicht sehr überraschend, dass der BGH das Berechnungsschema zur Ermittlung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit gegenüber den Eltern nicht wechselt, wenn beide Ehegatten ihren jeweiligen Eltern gegenüber unterhaltspflichtig sind. Das Berechnungsmodell des BGH geht davon aus, dass der Familie ein individueller Selbstbehalt zu verbleiben hat, um ihren Lebensstandard zu sichern. Jenseits dessen bedarf es keiner zusätzlichen Einkommensreservation (vgl. schon Hauß, Elternunterhalt: Grundlagen und Strategien, 5. Aufl., Rz. 441).

Da die Berechnung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit von auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Kindern in der Praxis aufwendig ist, bedient man sich in der Praxis sinnvollerweise einer „Rechenhilfe“. Eine solche steht in einer einfachen Variante unter www.famrb.de/Materialien zur Verfügung und wurde nunmehr auch insoweit ergänzt, dass bei verheirateten Kindern die Leistungsfähigkeit beider Ehegatten angezeigt wird.

 

 

 

Pflegebedürftigkeit und Familienunterhalt – ‚Rat zur Scheidung‘? (Anm. zu BGH v. 27.4.2016 – XII ZB 485/14)

Nicht nur Eltern werden pflegebedürftig. Auch Ehegatten können – betagt oder jung – pflegebedürftig werden. Dann ist die Frage, wer für die erhöhten Kosten der Pflege aufkommt.

Liegt dauerhafte Erwerbsunfähigkeit oder Erwerbsminderung vor, kommt die Gewährung von Grundsicherung (§§ 43 ff. SGB XII) in Betracht. Die deckt aber nicht die Pflegekosten und den gesamten Lebensbedarf ab. Einen Beitrag zu den Pflegekosten leistet die Pflegeversicherung. Der Rest ist unterhaltsrechtlich oder schließlich sozialhilferechtlich aufzubringen.

Mit der Höhe des vom Ehegatten zu leistenden Unterhalts hatte sich nun der BGH zu befassen. Seine Entscheidung, dem unterhaltspflichtigen Ehegatten sei der ‚eheangemessene Selbstbehalt‘ zu belassen (derzeit 1.200 €), lässt ein wenig aufatmen. Dass der Halbteilungsgrundsatz als Begrenzung nicht gelten kann, wenn die Ehegatten nicht getrennt leben, liegt auf der Hand. Verstehen sie ihre Beziehung noch als Ehe, führt die getrennte Unterbringung nicht zum Trennungsunterhalt. Das geschuldete Maß ehelicher Solidarität ist höher.

Die Beratungssituation der Anwaltschaft wird indessen nicht viel einfacher.

Was rät man einer berufstätigen und gut verdienenden Mutter von drei noch minderjährigen Kinder, deren im Wachkoma liegender Mann über keine ausreichende eigene Rente verfügt, um den pflegerischen Bedarf zu decken?

Sicher kann man eine Erhöhung des Selbstbehalts an der einen oder anderen Stelle durchsetzen. Hier ist argumentatives Geschick der Anwaltschaft gefragt.

Aber müsste man nicht sogar zur Scheidung raten, um die Restfamilie abzusichern?

Unterhaltsrechtlich würde man die Leistungsfähigkeit auf Halbteilung begrenzen, wenn nicht sogar noch deutlich weiter reduzieren können, weil ein ehelicher Bezug der Pflegebedürftigkeit nicht erkennbar ist. Oft wird nicht realisiert, dass auch das Vermögen des unterhaltspflichtigen verheirateten Gatten zur Sicherung des Pflege- und Lebensbedarfs einzusetzen ist.

Der Versorgungsausgleich könnte zugunsten des pflegebedürftigen Ehegatten auf solche Versorgungen beschränkt werden, aus denen ihm Leistungen unmittelbar zufließen. Das ist die gesetzliche Rentenversicherung, die auch im Invaliditätsfall aus übertragenen Entgeltpunkten in eine Rente zahlt (§ 76 Abs. 1 SGB XII). Die meisten betrieblichen, berufsständischen oder privaten Altersversorgungen reduzieren die Leistungen in Invaliditätsfällen auf eine reine Altersversorgung. Also gilt es, den Versorgungsausgleich so durchzuführen, dass ein Maximum an Invaliditätsleistungen beim Gatten ankommt. Der Versorgungsausgleich wird daher stets zu Lasten der Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung gehen. Stirbt die pflegebedürftige Person vor Ablauf von 36 Monaten Leistungsbezugs aus dem übertragenen Anrecht, könnte eine Anpassung der Kürzung erfolgen (§ 37 VersAusglG).

Güterrechtlich könnte man erwägen, eine Ausgleichsforderung der pflegebedürftigen Person zu stunden (§ 1382 BGB). Das ist insbesondere möglich, wenn sich dadurch die Wohnverhältnisse der Kinder verschlechtern würden.

Letztendlich führen solche Beratungssituationen in einen Grenzbereich anwaltlicher Tätigkeit. Jeder hofft, solche Situationen vermeiden zu können.

Der Gesetzgeber könnte helfen. Pflegebedürftigkeit ist kein familiär abzusicherndes Risiko. Es kommt nicht aus der Ehe und sollte in modernen demokratischen Staaten diese nicht belasten. Es wäre Zeit, die Halbherzigkeit der Pflegeversicherung zu beseitigen und sie um staatliche Leistungen zu ergänzen, die den pflegerischen Bedarf vollständig abdecken, wenn die bedürftige Person aus eigenem Einkommen und Vermögen dazu nicht in der Lage ist. Das wäre eine Familienpolitik, die die Familie fördert. Der finanzielle Aufwand wäre gering. Die Betroffenen könnte – wie von ihnen fast immer gewünscht – weiter verheiratet bleiben und der Anwaltschaft bliebe ein Beratungskonflikt erspart.