Kann ein geschäftsunfähiger Demenzkranker sich scheiden lassen?

Rund 10 % aller Menschen über 65 in Deutschland sind aktuell an Demenz erkrankt. Aufgrund des zunehmenden Lebensalters der Bevölkerung wird dieser Prozentsatz vermutlich noch ganz erheblich ansteigen, da mit zunehmenden Alter auch die Wahrscheinlichkeit einer Demenzerkrankung steigt. Bei den über 85-Jährigen liegt der Anteil bereits bei knapp 1/3 der Bevölkerung. Fachanwälte für Familien- und Erbrecht sind daher immer häufiger mit Rechtsfragen bzw. Rechtsstreitigkeiten konfrontiert, die mit der aus der Erkrankung folgenden tatsächlichen und rechtlichen Hilflosigkeit der Betroffenen ergeben.

Der Kollege Rechtsanwalt Dr. Mathias Schäfer aus Limburg hat wohl aus diesem Grund bereits den hochinteressanten Aufsatz „Der Demenzkranke im Famlienrecht“ in der NZFam 2014, 676 ff., publiziert, mit dem er verschiedenste typische rechtliche Fragen, die sich an die Demenzerkrankung knüpfen, wie etwa ein mögliches Recht zum Umgang mit dem Betroffenen, anspricht. Hier soll nur der Frage nachgegangen werden, ob und ggf. unter welchen Umständen, ein geschäftsunfähiger Demenzkranker sich scheiden lassen kann.

1. Verfahrensrecht

Verfahrensrechtlich ist die Scheidung eines geschäftsunfähigen Demenzkranken zunächst einmal unproblematisch. Der Scheidungsantrag eines Geschäftsunfähigen ist in § 125 Abs. 2 FamFG ausdrücklich geregelt: Mit Genehmigung des Betreuungsgerichts kann der Scheidungsantrag von dem gesetzlichen Vertreter des Geschäftsunfähigen gestellt werden.

2. Scheidungsvoraussetzungen

Weniger klar ist allerdings, unter welchen Umständen man in diesen Fällen von einem Scheitern der Ehe i.S.d. § 1565 Abs. 1 BGB ausgehen kann, das bekanntlich Scheidungsvoraussetzung ist. Üblicherweise wird das Scheitern einer Ehe im Rechtssinne dann angenommen, wenn mindestens einer der beiden Ehegatten die eheliche Gemeinschaft endgültig nicht mehr herstellen will. Es kommt also ganz maßgeblich auf den Willen der Beteiligten bzgl. der Fortsetzung ihrer ehelichen Gemeinschaft an. Ein Geschäftsunfähiger ist aber nicht mehr in der Lage, die Bedeutung einer Trennung und Scheidung intellektuell zu erfassen, die für und gegen eine Trennung und Scheidung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen und entsprechend seiner Einsicht zu handeln. Ein „freier Wille“ bzgl. der Frage, ob er die Ehe fortsetzen will, liegt bei Geschäftsunfähigen also nicht mehr vor (die Definition des „freien Willens“ wurde hier an die Definition des BGH zu § 1896 Abs. 1a BGB angelehnt).

a) Natürlicher Wille des Betroffenen bzgl. der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Allerdings hat auch ein Geschäftsfähiger häufig noch lange einen sog. natürlichen Willen in dem Sinne, dass er gefühlsmäßig noch Zu- bzw. Abneigung zu seinem Ehepartner empfinden kann.

Solange ein geschäftsunfähiger Demenzkranker auf diese natürliche Weise noch Zuneigung zu seinem Ehepartner empfindet, kann seine Ehe nach der Rechtsprechung des BGH mangels Scheitern derselben nicht geschieden werden, es sei denn, dass der andere Ehegatte die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft ablehnt (BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 34/88, FamRZ 1989, 479; v. 7.11.2001 – XII ZR 247/00, FamRZ 2002, 316 = FamRB 2002, 97). Umgekehrt soll konsequenter Weise auch die natürliche Abneigung eines geschäftsunfähigen Demenzkranken gegen seinen Ehegatten ausreichen, um von einem Scheitern der Ehe auszugehen, auch wenn der andere Ehegatte die Scheidung ablehnt (OLG Hamm v. 16.8.2013 – II-3 UF 43/13, FamRZ 2013, 1889 mit Verweis auf die eben zitierten Entscheidungen des BGH).

B) Fehlen jeglichen Willens des Betroffenen bzgl. der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Es fragt sich also nur noch, ob und ggf. unter welchen Umständen die Ehe eines geschäftsunfähigen Demenzkranken geschieden werden kann, wenn er nicht mehr in der Lage ist, irgendeine Art von Willen zu entwickeln. Rechtsanwalt Dr. Schäfer (a.a.O.) meint, in diesen Fällen könne die Ehe nur geschieden werden, wenn der andere Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr fortführen wolle. Dies widerspricht jedoch meines Erachtens der Rechtsprechung des BGH, auf die er sich beruft, denn dort (BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 34/88, FamRZ 1989, 479) heißt es wörtlich:

„Wenn er nicht mehr das Bewußtsein besitzt, in einer Ehe zu leben, jedes Verständnis für die Ehe verloren hat und damit kein eheliches Empfinden mehr aufweist, so hat er einen äußersten Grad von Eheferne erreicht. Ein solcher Zustand jenseits des Zerrüttungsempfindens kann, zumal es auf den Grund für das Scheitern der Ehe nicht mehr ankommt, nicht geringer bewertet werden als der bewußte Verlust der ehelichen Gesinnung. Die Ehe eines geistig so schwer Geschädigten ist daher auf seinen Antrag scheidbar.“

Auch ein geschäftsunfähiger Demenzkranker, der nicht mehr in der Lage ist, einen natürlichen Willen im Hinblick auf den Fortbestand seiner Ehe zu entwickeln, kann also meines Erachtens auf seinen Antrag geschieden werden. Allerdings setzt dies natürlich gemäß § 125 Abs. 2 FamFG voraus, dass sowohl der Betreuer des Betroffenen als auch das Betreuungsgericht der Ansicht sind, dass die Scheidung im Interesse des Betroffenen liegt. Da persönliche Interessen des Demenzkranken hier (mangels noch vorhandenen natürlichen Willens) kaum noch eine Rolle spielen, müsste die Scheidung jedenfalls im wirtschaftlichen Interesse des Betroffenen liegen. Vorstellbar wäre etwa eine Scheidung mit dem Ziel, eine Unterhaltsverpflichtung zu beenden oder einen Zugewinnausgleichanspruch durchzusetzen, um aus dem gesparten bzw. gewonnen Geld die Pflegekosten zu decken. Die Genehmigung des Betreuungsgerichts mit dem Ziel zu beantragen, den Ehegatten von der gesetzlichen Erbfolge auszuschließen bzw. einen Erbvertrag oder eine gemeinschaftliches Testament aus dem Weg zu räumen, dürfte hingegen wenig Aussicht auf Erfolg haben, da es hier ausschließlich um die Interessen der Angehörigen, nicht aber die des Betroffenen selbst geht.

3. Praxistipp

Ähnlich wie bei Umgangs- und Sorgerechtsverfahren, bei denen um Kinder gestritten wird, hat man auch in Verfahren, in denen demente Menschen im Mittelpunkt stehen, meiner Erfahrung nach die besten Erfolgsaussichten, wenn man sich immer die Interessen des Betroffenen aus dessen Sicht vor Augen hält und aus dieser Warte heraus argumentiert. Jedenfalls in Betreuungsverfahren geht es nicht nur menschlich, sondern auch rein rechtlich betrachtet ausschließlich um die Interessen der Betroffenen und nicht um diejenigen ihrer Angehörigen.