Keine familiengerichtliche Überprüfung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen an Schulen II

Gut einen Monat nach Bekanntwerden des die 3. Gewalt erschütternden Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Weimar v. 8.4.2021 – 9 F 148/21, mit dem es die öffentlich-rechtliche Maskenpflicht und das Abstandsgebot für Schüler in den Schulen über § 1666 Abs. 4 BGB kippen wollte (ablehnende Besprechung Schwamb im Experten-Blog des FamRB; ferner Lies-Benachib, NZFam 2021, 448), hat das Thüringer OLG in Jena am 14.5.2021 – 1 UF 136/21 den Beschluss des AG Weimar aufgehoben, und zwar auf die sofortige Beschwerde des Freistaates Thüringen, die das Amtsgericht nicht für möglich hielt (Rechtsbehelfsbelehrung: „Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar.“), weil es wohl nur § 57 FamFG im Blick hatte (wie wohl auch Gietl, NZFam 2021, 421 in seiner im Übrigen ebenfalls den Weimarer Beschluss ablehnenden Anmerkung).

Das OLG stützt die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde aber auf § 17a Abs. 4 S. 3 GVG und die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum BGH auf § 17a Abs. 4 S. 4, 5 GVG (ansonsten ist die Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen in familienrechtlichen EA-Verfahren gemäß § 70 Abs. 4 FamFG nicht statthaft).

Gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 GVG ist nämlich die Zuständigkeitsbeschwerde nach erfolgloser Rüge der Zulässigkeit des Rechtswegs (§ 17a Abs. 3 S. 2 GVG) statthaft. Das gilt auch, wenn auf die Rüge des Rechtswegs die nach § 17a Abs. 3 S. 2 GVG erforderliche Vorabentscheidung unterbleibt, stattdessen über die Zuständigkeit und sogleich in der Sache mitentschieden wird. Den noch nicht abschließend veröffentlichten Gründen des OLG müsste dann allerdings auch eine Auseinandersetzung damit zu entnehmen sein, dass das AG Weimar ausgeführt hat, innerhalb einer gesetzten Frist habe das Land nicht Stellung genommen, denn wenn es unter diesen Umständen an einer Rüge der Zuständigkeit fehlte, stünde § 17a Abs. 5 GVG einer späteren Berücksichtigung der mangelnden Zuständigkeit entgegen (BGH v. 18.9.2008 – V ZB 40/08, NJW 2008, 3572 = MDR 2008, 1412; Lückemann in Zöller, ZPO, 33. Aufl., zu § 17a GVG Rz. 18 m.w.N.). Dem widerspricht das OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf v. 25.10.2018 – 1 WF 124/18, FamRZ 2019, 379) zwar für den Fall, dass sich der angefochtene Beschluss zur Zuständigkeit überhaupt nicht verhält, was jedoch auf das AG Weimar – bei aller Kritik an seinen diesbezüglichen Gründen – nicht zutrifft.

Das Thüringer OLG sieht im Weiteren den Rechtsweg zu den Familiengerichten als nicht gegeben an und stellt das Verfahren ein ebenso wie das OLG Nürnberg (OLG Nürnberg v. 27.4.2021 – 9 WF 342/21 und v. 28.4.2021 – 9 WF 343/21) in den umgekehrten Fällen von Beschwerden gegen die Nichteinleitung von Verfahren. Eine Verweisung an das Verwaltungsgericht kommt dagegen nicht in Betracht, denn § 17a Abs. 2 GVG gilt jedenfalls für nur von Amts wegen einzuleitende Verfahren nicht (BT-Drucks. 16/6308, 318; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 122 Rz. 10; Lückemann in Zöller, ZPO, 33. Aufl., zu § 17a GVG Rn. 21; Pfälz. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 764, 765; OLG Karlsruhe v. 28.4.2021 – 20 WF 70/21; Schwamb im Experten-Blog des FamRB; Lies-Benachib, NZFam 2021, 448, 449).

Konsequenzen für die Praxis: Damit ist aber auch klar, dass die nun immer häufiger auftretenden Entscheidungen, in denen auf die offensichtlich haltlosen formularmäßigen Anregungen entgegen § 24 FamFG ein Verfahren eingeleitet wird, um es sofort wieder mit einem Beschluss nebst Kostenentscheidung und Wertfestsetzung zu beenden, weil kein Anlass für familiengerichtliche Maßnahmen besteht, ebenfalls verfehlt sind.

Das gilt insbesondere für die Beschlüsse des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen v. 3.5.2021 – 1 F 125/21 und 1 F 128/21), in denen dem darin auch noch namentlich genannten ehemaligen Familienrichter und „Erfinder“ des Formulars zur Anregung solcher Verfahren die Kosten unter Überdehnung von § 81 Abs. 4 FamFG als unbeteiligtem Dritten auferlegt worden sind. Abgesehen davon, dass der Begriff des Dritten im Sinne dieser Vorschrift offensichtlich nicht Personen erfasst, die nur Anderen zur Anregung eines Verfahrens geraten oder Hilfsmaterial dafür zur Verfügung gestellt haben, führt bereits die richtige Anwendung von § 20 Abs. 1 S. 1 FamGKG dazu, dass für anlasslos eingeleitete Verfahren überhaupt keine Kosten zu erheben sind.

Damit erübrigt sich eigentlich schon, zu den teils astronomisch hohen Wertfestsetzungen in verschiedenen Entscheidungen (vgl. AG Essen v. 7.5.2021 – 106 F 83/21 und 106 F 84/21) Stellung zu nehmen, die auch bereits deshalb verfehlt sind, weil die Zahl der (allenfalls in den Blick genommenen, nicht wirklich betroffenen) Kinder nach § 45 Abs. 2 FamGKG dafür nicht ausschlaggebend ist, wenn man von einem Sorgerechtsverfahren ausgeht. Aber auch bei Anwendung der Auffangvorschrift für nichtvermögensrechtliche Angelegenheiten käme allenfalls der geringfügig höhere Wert von 5.000 Euro nach § 42 Abs. 3 FamGKG (bzw. gemäß § 41 FamGKG die Hälfte in EA-Verfahren) in Frage, weil bei diesen Verfahren weder Umfang noch Bedeutung der Sache Anhaltspunkte für einen höheren Wert nach § 42 Abs. 2 FamGKG liefern. Wie bereits in meiner Erwiderung auf einen Kommentar zu meinem ersten Blogbeitrag zum Thema ausgeführt, darf gar nicht erst der Eindruck von „Retourkutsche“ entstehen, was die aufgeheizte Diskussion nur noch weiter verschärfen würde.

Aktualisierung vom 8.6.2021: Inzwischen ist der Beschluss des Thüringer OLG v. 14.5.2021 – 1 UF 136/21 auch vollständig veröffentlicht, und seine Gründe haben es fürwahr in sich. Das im Blog vom 25.5.2021 angesprochene Problem der Anfechtbarkeit des Weimarer Beschlusses gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 GVG (nämlich nur, wenn die Zuständigkeit zuvor beim Amtsgericht gerügt wurde) hat sich nämlich auf geheimnisvolle Weise weiterentwickelt.

Das AG Weimar war, wie hier im Blog am 25.5.2021 ausgeführt, von der Unanfechtbarkeit seines Beschlusses ausgegangen, der ursprünglich auf den 8.4.2021 datiert war. Am Abend des 8.4.2021 war aber, wie jetzt aus den Gründen des Thüringer OLG ersichtlich wird, die vom Amtsgericht ausweislich seiner Gründe noch vermisste Stellungnahme mit einer Zuständigkeitsrüge des Freistaats Thüringen, der am 31.3.2021 um eine Fristverlängerung gebeten hatte, eingegangen. Danach ist der Beschluss des AG Weimar durch eine „Korrektur“ des Erlassvermerks auf den 9.4.2021 umdatiert worden, so dass die Zuständigkeitsrüge des Freistaates Thüringen noch zu beachten gewesen wäre und ein Vorabbescheid darüber nach § 17a Abs. 3 S. 2 GVG ergehen musste, was dann die Anfechtbarkeit gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 GVG erst wieder eröffnet hat. Unter welchen genauen Umständen die Änderung des Erlassdatums des Weimarer Beschlusses zustande gekommen ist, ist noch nicht ganz aufgeklärt. Ausweislich der Gründe des Thüringer OLG ist dagegen sogar noch die Erinnerung eingelegt worden, deren weiteres Schicksal das OLG jedoch nicht mehr abgewartet hat.

Keine familiengerichtliche Überprüfung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen an Schulen

Es lässt einen fassungslos zurück, was diese Pandemie mit zunehmender Dauer alles hervorbringt und nun auch in der 3. Gewalt für Spuren hinterlässt. Aber beginnen wir der Reihe nach. Am 8.4.2021 erlässt das AG – FamG – Weimar (9 F 148/21) ohne mündliche Erörterung eine einstweilige Anordnung gem. §§ 49 ff. FamFG, mit dem es Schulleitungen, deren Vorgesetzten und Lehrern zweier Schulen untersagt vorzuschreiben, dass alle Schüler dieser Schulen Gesichtsmasken tragen, Abstand halten und an Coronaschnelltests teilnehmen; ferner gebietet es, den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten. Vorausgegangen ist die Anregung der Mutter zweier Kinder, ein „Kinderschutzverfahren gem. § 1666 Abs. 1 und 4 BGB“ einzuleiten. Es folgen seitenlange Aufzählungen von Rechtsvorschriften aller Art und Aufzählungen von Studien pro und contra Maskenpflicht sowie zur Zuverlässigkeit von Coronatests. Danach folgen schmale Ausführungen, dass die Familiengerichte gem. § 1666 Abs. 4 BGB vorrangig befugt seien, auch Maßnahmen gegen die Lehrer und Schulleitungen sowie deren Vorgesetzte entgegen bestehender Allgemeinverfügungen zu treffen; der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 VwGO trete dahinter zurück. Die Begründetheit seiner Maßnahmen stützt das AG Weimar auf angebliche Kindeswohlgefährdungen gem. § 1666 Abs. 1 BGB durch Abstand halten, Masken tragen und Testungen. Wie abstrus diese Begründung ist, wird besonders in den Passagen deutlich, in denen sogar die Abstandsregeln als überflüssig angesehen werden und die inzwischen – bis auf wenige Außenseitermeinungen, auf die sich das Gericht stützt – schon zum Allgemeinwissen gehörende Infektionsgefahr durch Aerosole geleugnet wird. Mit teilweise übereinstimmender Begründung hat das AG Weilheim am 13.4.2021 (2 F 192/21) eine ähnliche einstweilige Anordnung erlassen, allerdings – insoweit ausdrücklich in Unterscheidung zum AG Weimar – nur mit Wirkung für das Kind der die Maßnahmen anregenden Eltern und im Wesentlichen beschränkt auf das Verbot, das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen dieses Kindes anzuordnen und es gegenüber den anderen Kindern zu isolieren. Der Fall liegt auch insofern anders, als das Kind persönlich angehört worden ist, Kopfschmerzen und Übelkeit durch das Maskentragen angegeben hat und bis vor kurzem aufgrund eines ärztlichen Attests vom Tragen einer Maske befreit war. Ein auf Verlangen der Schulleitung vorgelegtes neues Attest wurde dann nicht mehr anerkannt. Das AG Weilheim hat sich dann jedoch nicht auf die Beurteilung der Nichtanwendung der Ausnahmevorschrift durch den Schulleiter in diesem Einzelfall beschränkt, sondern § 18 Abs. 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (trotz der bestehenden Ausnahmeregelung) insgesamt für nicht anwendbar erklärt.

Demgegenüber kommen das AG Wittenberg am 8.4.2021 (5 F 140/21 EASO) nach ausführlicher mündlicher Erörterung und das AG München am 18.3.2021 (542 F 2559/21) ohne mündliche Verhandlung jeweils mit ausführlichen, den „Erkenntnissen“ der Formularanregungen auch inhaltlich widersprechenden Gründen zum gegenteiligen Ergebnis. Beide verweisen u.a. darauf, dass die Anregungen auf einheitlichen im Internet abrufbaren Mustern beruhen und jeweils keine individuellen Kindeswohlgefährdungen vorgetragen werden. Die persönlich beim AG Wittenberg angehörte Kindesmutter distanziert sich dann auch von den in dem Formular sogar angestellten Vergleichen der Infektionsschutzmaßnahmen mit Folter. Beide Gerichte kommen zu dem Ergebnis, dass keine „kinderschutzrechtlichen Maßnahmen“ veranlasst sind. Soweit das AG München dies ohne mündliche Erörterung nach Kenntnisnahme des Inhalts der Anregung entscheidet, stellt sich allerdings die Frage, warum es dann unter Geltung von § 24 FamFG ein kostenauslösendes Verfahren eingeleitet und es nicht bei einer Mitteilung nach § 24 Abs. 2 FamFG belassen hat.

Einen völlig anderen Weg schlägt das AG Waldshut-Tiengen mit Beschluss vom 13.4.2021 (306 AR 6/21) ein, erklärt den Rechtsweg zum FamG für unzulässig und verweist das Verfahren an das Verwaltungsgericht. Treffend wird dort zwar ausgeführt wird, dass § 1666 Abs. 4 BGB kein Gesetz ist, wonach gem. § 40 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 VwGO ausnahmsweise öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. § 1666 Abs. 4 BGB hat nach den Materialien lediglich den Zweck, im Einzelfall nicht den Zivilrechtsweg gegen (private) Dritte einschlagen zu müssen.

Dazu sei ergänzend darauf hingewiesen, dass de lege lata nach h.M. die Familiengerichte nicht einmal in der besonderen „Verantwortungsgemeinschaft“ mit dem Jugendamt befugt sind, in klaren Fällen von § 1666 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1666a BGB dem öffentlichen Recht zugewiesene jugendhilferechtliche Maßnahmen für die Jugendhilfeträger verbindlich anzuordnen und bei einem darüber bestehenden Konflikt mit Trägern der Jugendhilfe den Beteiligten nur der Verwaltungsrechtsweg bleibt (so ausdrücklich BVerfG v. 24.3.2014 – 1 BvR 160/14 Rz. 50 = ZKJ 2014, 242 m. Anm. Gottschalk; ferner BVerfG v. 22.5.2014 – 1 BvR 2882/13, FamRZ 2014, 1266 Rz. 55; BVerfG v. 17.3.2014 – 1 BvR 2695/13, FamRZ 2014, 1177 Rz. 33 ff.; BVerwG v. 21.6.2001 – 5 C 6.00, FamRZ 2002, 668; OLG Nürnberg v. 17.11.2014 – 11 UF 1097/14, FamRZ 2015, 1211; Lugani in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 1666 Rz. 180, 181; Meysen, NZFam 2016, 580 m.w.N.; a.A. OLG Koblenz v. 11.6.2012 – 11 UF 266/12, NJW 2012, 3108; Fahl, NZFam 2015, 248; Heilmann/Köhler, Praxiskommentar, § 36a SGB VIII Rz. 4–8; krit. auch Heilmann, NJW 2014, 2904, 2908 f. und – vermittelnd – Coester in Staudinger, BGB, § 1666a Rz. 13–22 m.w.N.). Insoweit wird auch gesetzgeberischer Bedarf gesehen (Coester in Staudinger, BGB, § 1666a Rz. 23; Meysen, NZFam 2016, 580, 585). Über den dafür nicht geschaffenen § 1666 Abs. 4 BGB öffentlich-rechtliche Vorschriften auszuhebeln, ist aber jedenfalls nicht einmal in diesen Fällen eine Option.

Die Konsequenz der Verweisung an das Verwaltungsgericht, die das AG Waldshut-Tiengen aus seiner richtigen Erkenntnis zieht, ist allerdings nicht zutreffend, denn § 17a GVG gilt jedenfalls für nur von Amts wegen einzuleitende Verfahren nicht (BT-Drucks. 16/6308, 318; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 122 Rn. 10; Lückemann in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 17a GVG Rz. 21; Pfälz. OLG v. 26.7.1999 – 3 W 161/99, FamRZ 2000, 764, 765). Es fehlt nämlich insoweit schon am „beschrittenen Rechtsweg“ i.S.v. § 17a GVG als Voraussetzung einer Verweisung oder Abgabe.

Konsequenzen für die Praxis: Statt einer Verweisung ist deshalb nach dem bereits erwähnten § 24 FamFG zu prüfen, ob überhaupt ein Verfahren einzuleiten ist. Folgt das Gericht der Anregung nach § 24 Abs. 1 FamFG nicht, wofür in den besprochenen Fällen, die der Sache nach gar keine „Kinderschutzverfahren“ sind (s.o.), sehr viel spricht, hat es nach § 24 Abs. 2 FamFG denjenigen, der die Einleitung angeregt hat, darüber – formlos – zu unterrichten, soweit ein berechtigtes Interesse an der Unterrichtung ersichtlich ist. Dies dürfte bei einer Anregung von Eltern allerdings regelmäßig der Fall sein.

Soweit dagegen insbesondere das AG Weimar – einem dahinter offenbar steckenden Netzwerk folgend – seine Zuständigkeit für eine Anordnung gegenüber sämtlichen Kindern zweier Schulen mit abwegiger Begründung bejaht hat, besteht Veranlassung darauf hinzuweisen, dass in der Vergangenheit schon aus geringeren Anlässen Verfahren gegen Richter geführt worden sind, die sich einer offensichtlich nicht gegebenen Zuständigkeit berühmt haben (vgl. „Fall Görgülü“ OLG Naumburg v. 6.10.2008 – 1 Ws 504/07, NJW 2008, 3585). Nach Presseberichten prüft die Erfurter Staatsanwaltschaft auf Strafanzeigen gegen den Weimarer Richter, ob sie ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung einleitet, während bundesweit weitere Anregungen derselben Machart die deutschen Familiengerichte überfluten. Das AG Hannover hat deshalb auf seiner Homepage Amtsgericht Hannover (niedersachsen.de) eine Pressemitteilung hinterlegt, dass es in den mehr als 100 Fällen mit nahezu gleichlautenden Anregungen keine Verfahren einleitet, weil nach Auffassung der Richterinnen und Richter des Familiengerichts des AG Hannover eine konkrete Kindeswohlgefährdung i.S.v. § 1666 BGB nicht ersichtlich ist.

Aktualisierung vom 22.4.2021: Inzwischen hat das VG Weimar mit Beschluss vom 20.4.2021 (8 E 416/21 We) in einem Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO dem Beschluss des Weimarer Familiengerichts zur Frage der Zuständigkeit mit etwa derselben Begründung wie hier und folgendem Satz deutlich widersprochen: „Der Beschluss ist als ausbrechender Rechtsakt (VGH München v. 16.4.2021 – 10 CS 21.1113) offensichtlich rechtswidrig.“

In der Sache weist das VG die Eilanträge der Antragsteller kostenpflichtig zurück, setzt sich dabei ausführlich mit deren Angriffen auf die den Schulbetrieb betreffende Allgemeinverfügung des Freistaates Thüringen auseinander und hält diese auf der Basis des Infektionsschutzgesetzes i.V.m. § 2 Abs. 2, § 38 Abs. 5 ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO (vgl. dazu Thüringer Oberverwaltungsgericht v. 17.3.2021 – 3 EN 93/21, juris) zur Eindämmung des Coronavirus für rechtmäßig. Bei der Interessenabwägung wiege das öffentliche Interesse am Schutz von Leben und Gesundheit einerseits der Personen im Nähebereich der Antragsteller (z. B. sonstige Familienmitglieder oder Freunde) und andererseits der Mitschülerinnen und Mitschüler und der gesamten Bevölkerung höher als das Interesse der Antragsteller, von den ihnen auferlegten Maßnahmen vorläufig verschont zu bleiben. Durchgreifende gesundheitliche Bedenken, die gerade auch bei jüngeren Kindern im Grundschulalter generell gegen eine Tragepflicht von Mund-Nasenschutz sprechen könnten, seien nicht zu erkennen (so auch OVG Münster v. 9.3.2021 – 13 B 266/21.NE, juris Rz. 53 ff.).

Aktualisierung vom 7.5.2021: Inzwischen befassen sich die Oberlandesgerichte mit den Beschwerden von Eltern gegen die ihren Anregungen nicht folgenden Entscheidungen der Familiengerichte. Aus Pressemitteilungen der Oberlandesgerichte Karlsruhe und Nürnberg ist zu entnehmen, dass diese es genauso sehen wie vom Verfasser hier vertreten. Beide heben daher die erstinstanzlichen Beschlüsse insoweit auf, als Verweisungen an die Verwaltungsgerichte erfolgten, weil diese Verfahrensweise bei Amtsverfahren nicht in Frage komme. Am Ende der Karlsruher Pressemitteilung wird auf § 24 FamFG hingewiesen. Das OLG Nürnberg hat das „Verfahren“ eingestellt und die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.

Verbesserung des Kinderschutzes durch Änderung des Familienverfahrensrechts? (BT-Drucks. 360/20)

Am 24.6.2020 hat das Land Baden-Württemberg einen Gesetzesantrag im Bundesrat eingereicht (Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht). Grundlage des Gesetzesantrags ist der Abschlussbericht der von der Landesregierung Baden-Württemberg eingesetzten Kommission Kinderschutz im Zusammenhang mit dem „Staufener Missbrauchsfall“.

Der Entwurf zielt auf eine Verbesserung des Kinderschutzes, indem vor allem die §§ 160 bis 166 FamFG Modifizierungen zugeführt werden sollen. Im Wesentlichen sind folgende Änderungen vorgesehen:

  • Die nach § 158 Abs. 2 FamFG „in der Regel“ zu veranlassende Bestellung eines Verfahrensbeistands soll bei den dort genannten Fallkonstellationen nun immer erfolgen.
  • In § 159 Abs. 2 FamFG soll die Anhörung eines unter 14-jährigen Kindes nicht nur zur Ermittlung seiner Neigungen und Bindungen erfolgen, sondern auch, wenn Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB geführt werden, wobei sich das Gericht zudem einen persönlichen Eindruck von dem Kind und ggf. auch seiner üblichen Umgebung zu verschaffen hat, wenn dies als sachdienlich erachtet wird.
  • Nach einem neu einzuführenden § 160a FamFG soll das Gericht, soweit es nach den Umständen veranlasst ist, auch dritte Personen persönlich anhören.
  • In Modifizierung zu § 162 Abs. 1 FamFG, soll das Gericht in Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB mit dem Jugendamt die Umsetzung und Umsetzbarkeit geplanter Maßnahmen erörtern, wobei die Beteiligung des Jugendamts an diesen Verfahren auch die ausreichende und umfassende Information über entscheidungserhebliche Tatsachen umfassen soll.
  • Nach der für § 163 Abs. 3 FamFG vorgesehenen Modifizierung soll das Gericht auch die beratende und unterstützende Beiziehung eines Sachverständigen anordnen können und
  • nach der für § 166 Abs. 2 FamFG geplanten Änderung soll das Gericht in angemessenen Zeitabständen überprüfen, ob eine getroffene Anordnung umgesetzt wurde und die Maßnahme wirksam ist.

So sehr jede Maßnahme, die der Verbesserung des Kinderschutzes dient, ausdrücklich zu begrüßen ist, hinterlassen die in dem vorab dargestellten Gesetzesantrag vorgesehenen Änderungen nicht zwingend den Eindruck, dass die in der Realität bestehenden Problemfelder tatsächlich erkannt wurden.

Die Bestellung eines Verfahrensbeistands für ein Kind in einem Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB ist dem Grunde nach eine Selbstverständlichkeit, da in diesen Verfahren typischerweise ein elterliches Fehlverhalten zur Prüfung steht und damit ein zwangsläufiger Loyalitätskonflikt des Kindes. Es versteht sich nicht nur von selbst, dass es hierdurch zu einem Widerstreit des Interesses des Kindes zu dem seiner Eltern kommt, sondern auch, dass nur durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands die Interessen des Kindes gewahrt werden können.

Nach § 159 Abs. 2 FamFG ist das unter 14-jährige Kind persönlich anzuhören, wenn seine Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind. Sowohl das BVerfG als auch der BGH – etwa in der Entscheidung vom 27.11.2019 (BGH v. 27.11.2019 – XII ZB 511/18, FamRB 2020, 59) – haben in ständiger Rechtsprechung betont, dass Neigungen, Bindungen und der Kindeswille gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind, deren Ermittlung die Anhörung eines auch unter 14-jährigen Kindes erfordert. Wenn diese Vorgaben bereits für jedes streitige Sorgerechtsverfahren gelten, so muss dies erst Recht in einem Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB gelten, in dem in intensivster Form das Kindeswohl auf dem Prüfstand steht. Dass darüber hinaus die Anhörung eines Kindes zudem Ausdruck der Gewährung rechtlichen Gehörs ist, muss eigentlich nicht gesondert betont werden. Bei konsequenter Anwendung bereits bestehender gesetzlicher Vorgaben – selbstredend vor dem Hintergrund der Kenntnis einer flankierend existenten höchstrichterlichen Rechtsprechung – bedarf es daher keiner Modifikation des § 159 Abs. 2 FamFG.

Auch die Zielsetzung der geplanten Korrektur des § 166 Abs. 2 FamFG erschließt sich nicht wirklich. Bereits jetzt sieht das Gesetz als verfahrensrechtliches Pendant zu § 1696 Abs. 2 BGB eine gerichtliche Prüfung kindesschutzrechtlicher Maßnahmen in angemessenen Zeitabständen vor. Es bedarf daher auch in diesem Kontext keiner gesetzlichen Modifikation, sondern allein einer konsequenten Umsetzung bereits bestehender Regelungen.

Gerade aus den Erkenntnissen zum „Staufener Missbrauchsfall“ muss die nicht von der Hand zu weisende Reformnotwendigkeit allerdings schon zu einem deutlich früheren Zeitpunkt ansetzen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass

  • in dem dem Staufener Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalt gegen den einschlägig vorbestraften und erst im Februar 2014 aus der Haft entlassenen Lebensgefährten der Mutter bereits im Frühjahr 2016 erneut wegen Kinderpornographie ermittelt und festgestellt wurde, dass er sich häufig in der Wohnung seiner Partnerin aufhielt, in der auch deren siebenjähriger Sohn lebte. Obgleich die Strafvollstreckungskammer seinen Antrag auf Wohnung bei der Lebensgefährtin im August 2016 zurückwies, wurde erst im Februar 2017 eine Wohnsitzüberprüfung durch die Polizei vorgenommen und auch erst einen Monat später das Jugendamt hierüber in Kenntnis gesetzt.
  • noch im Beschwerdeverfahren, d.h. im Sommer 2017 das Jugendamt keine Kenntnis über das gegen den Lebensgefährten bereits im Jahr 2016 geführte Ermittlungsverfahren besaß, aufgrund dessen auch Anklage gegen ihn erhoben worden war. Obgleich die Akten dem Oberlandesgericht bereits vor dem Anhörungstermin vorlagen, war dem Beschluss der Beschwerdeinstanz nicht zu entnehmen, dass diese Strafakten Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren und in irgendeiner Form in die Senatsentscheidung eingeflossen waren.

Der zwingende Reformbedarf setzt daher nicht erst im familiengerichtlichen Verfahren ein durch Korrektur von Vorschriften, die lediglich konsequent im Sinn einer bestehenden Rechtsprechung umgesetzt werden müssten. Bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt bedarf es der verbesserten Zusammenarbeit der einzelnen Akteure, die dem Schutz von Kindern verpflichtet sind. Wünschenswert wäre eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit sowohl auf der Ebene zwischen Polizei und Jugendamt aber auch im Verhältnis zwischen Polizei und Jugendamt einerseits und dem Familiengericht andererseits. Aber auch länderübergreifend wäre eine verstärkte Kooperation wünschenswert. Zwar existieren in einzelnen Bundesländern besondere Verwaltungsvorschriften zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter, doch wird in der Praxis Kritik an der Tatsache geübt, dass im Verhältnis der Bundesländer keine einheitliche Konzeption existiert.

Insoweit bringt vielleicht der am 9.10.2020 vom Bundesrat auf den Weg gebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Datenübermittlung bei Kindeswohlgefährdungen (BR-Drucks. 476/20) schon etwas, dessen Ziel es ist, mögliche Ursachen für Übermittlungsdefizite zwischen Familiengerichten, Staatsanwaltschaften und Jugendämtern zu beseitigen.

Kein Entzug der elterlichen Sorge auf Vorrat (Schleswig-Holsteinisches OLG v. 16.4.2019 – 10 UF 13/19)

Kindeswohlgefährdungen nehmen in der öffentlichen Diskussion immer stärkere Bedeutung ein. Dies steht nicht nur vor dem Hintergrund einer steigenden Anzahl solcher Gefährdungen, sondern auch einer deutlich verstärkten Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Gefahren, denen Kinder ausgesetzt sind. Gerade die Jugendämter stehen unter einem erheblichen Druck. Den steigenden Fallzahlen können sie in der Regel nicht mit einem gleichermaßen gestiegenen Personalbestand begegnen. Auch wird die Bewertung von Gefährdungssituationen immer stärker durch verfassungsrechtliche Grundfragen überlagert, d.h. Jugendamtsmitarbeiter, die in der Regel über eine sozialpädagogische Ausbildung verfügen, sollen immer häufiger spezifische juristische Fragen – typischerweise auch unter besonderem Zeitdruck – adäquat bewerten können. Die eingeleiteten familiengerichtlichen Verfahren werden in der Ausgangsinstanz in erheblichem Maß durch den persönlichen Eindruck der Eltern bestimmt, den diese nicht nur in der mündlichen Verhandlung, sondern auch in ihren bisherigen Kontakten mit dem Jugendamt hinterlassen haben. Die gerichtliche Entscheidung bezüglich der zum Schutz der Kinder erforderlichen Maßnahmen und den gleichzeitig zu wahrenden Elternrechten ist nicht selten eine Gratwanderung.

Mit den sich daraus ergebenden Problemen zum Umfang kindesschutzrechtlicher Maßnahmen hat sich das OLG Schleswig in einer aktuellen Entscheidung befasst. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte das Jugendamt wegen einer unzureichenden Versorgungssituation die im Haushalt der alleinsorgeberechtigten Mutter lebenden Kinder in Obhut genommen. In dem eingeleiteten familiengerichtlichen Verfahren hatte das Jugendamt auf die mangelnde Förderung der Kinder durch die Mutter verwiesen und ebenso darauf, dass mit ihr, folgend aus ihrer Unzuverlässigkeit, eine konstruktive Zusammenarbeit nicht möglich sei. Das Ausgangsgericht hat der Mutter – nach eingeholtem Sachverständigengutachten zur Frage der Erziehungsfähigkeit beider Elternteile und der Prüfung, ob einer Kindeswohlgefährdung auch mit ambulanten Hilfen begegnet werden kann – die elterliche Sorge vollumfänglich entzogen. Gegen diese Entscheidung legt die Mutter Beschwerde ein.

Der Senat ändert die Ausgangsentscheidung insoweit ab, als der Mutter nur Teilbereiche der elterlichen Sorge entzogen werden. Zur Begründung verweist der Senat auf den zu wahrenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach ein vollständiger Sorgerechtsentzug nicht zulässig ist, wenn zur Gefährdungsabwendung die Entziehung einzelner Sorgerechtsbereiche genügt. Zu den einzelnen Teilbereichen der elterlichen Sorge führt der Senat sodann jeweils aus, inwieweit es im konkreten Fall tatsächlich eines Eingriffs in die elterliche Sorge bedarf, etwa hinsichtlich der Sicherung der Gesundheitsfürsorge oder der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen. Gleichzeitig verweist er darauf, dass es auch Teilbereiche der elterlichen Sorge im konkreten Fall gibt, bezüglich derer weder Unstimmigkeiten bestehen noch es einen Klärungsbedarf gibt. In diesem Fall würde der Entzug der elterlichen Sorge in diesen Bereichen einen unverhältnismäßigen und unzulässigen Vorratsbeschluss darstellen. Zudem verweist der Senat auf das Recht der Umgangsbestimmung, bei dem eine gerichtliche Umgangsentscheidung als milderes Mittel vorrangig ist und der Entzug des Bestimmungsrechts daher erst dann in Betracht kommt, wenn es trotz der familiengerichtlichen Regelung zu einer kindeswohlgefährdenden Situation käme. Ebenso stellt der Senat klar, dass die Pflegeperson, in deren Obhut sich künftig die Kinder aufhalten werden, gesetzlich berechtigt ist, Angelegenheit des täglichen Lebens eigenständig wahrzunehmen, so dass es auch hierzu keiner gerichtlichen Regelung bedarf.

Das Schleswig-Holsteinische OLG hat in seiner Entscheidung uneingeschränkt eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung umgesetzt. Das aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG folgende Elternrecht auf Pflege und Erziehung der Kinder ist ein natürliches Recht der Eltern, das sie grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Leitende Richtschnur ist allerdings das Kindeswohl. Insoweit obliegt dem Staat ein Wächteramt, das einfachrechtlich in § 1666 BGB ausgestaltet wird. Zum Schutz eines Kindes sind danach familiengerichtliche Maßnahmen einzuleiten, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, d.h. eine gegenwärtige Gefahr, so dass bei weiterer Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes entweder bereits eingetreten oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Zur Annahme dieser hinreichenden Wahrscheinlichkeit bedarf es konkreter Verdachtsmomente bzw. muss der für das Kind drohende Schaden erheblich sein. Im Rahmen der sodann durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf es der Feststellung, dass die familiengerichtlich einzuleitenden Maßnahmen zur Gefahrenabwehr geeignet und erforderlich sind, d.h. es dürfen insbesondere keine niederschwelligeren Maßnahmen im konkreten Fall ausreichend sein. Zudem muss der gerichtliche Eingriff unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände zumutbar sein, so dass neben der Schwere des Eingriffs auch dessen Folgen abzuwägen sind.

Homeschooling – nicht zwingend kindeswohlgefährdend (OLG Düsseldorf v. 25.7.2018 – 2 UF 18/17)

Das Thema Schulverweigerung ist vielschichtig zu betrachten. Es umfasst nicht nur die von Kindern ausgehende Verweigerung, für die schlechte Zensuren oder Probleme mit Mitschülern – etwa bei Mobbing – ursächlich sein können. Eine Schulverweigerung kann ebenso von den Erziehungsberechtigten ausgehen, die bewusst die Unterrichtung in staatlichen Schulen ablehnen, da sie mit den dort vermittelten Lerninhalten keine Übereinstimmung herstellen, etwa folgend aus spezifischen religiösen oder weltanschaulichen Vorstellungen.

Das OLG Düsseldorf hat sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 mit dieser Thematik auseinandergesetzt und ist – abweichend von dem erstinstanzlichen Beschluss – zu der Bewertung gelangt, dass in dem konkreten Fall die Schulverweigerung keine Kindeswohlgefährdung darstellt, die ein familiengerichtliches Eingreifen erfordern würde.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt war der Mutter eines 2005 geborenen Kindes durch das Amtsgericht aufgegeben worden, ihren Sohn an einer öffentlichen Schule oder anerkannten Ersatzschule anzumelden, ihn einer Beschulung zuzuführen und für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Gegen diese Entscheidung legte sie Beschwerde ein, die zur Aufhebung der Ausgangsentscheidung führte.

Zwei seitens des Senats in Auftrag gegebene Gutachten gelangten zu dem Ergebnis, dass der Entwicklungsstand des Kindes in wesentlichen Bereichen als normgerecht einzustufen und in jeder Hinsicht altersgemäß war. Zur gleichen Einschätzung gelangte der Senat nach Anhörung des Kindes sowie der weiteren Beteiligten. Er hob hervor, dass das Kind ein normgerechtes Bindungserleben und -verhalten besaß. In Bezug auf die Mutter wurde eine positive und tragfähige Beziehung bestätigt bzw. hinsichtlich des bestehenden Freundeskreises waren alterskonforme Kontakte festzustellen. In seine Entscheidung bezog der Senat weitergehend ein, dass die Mutter glaubhaft versicherte, dass ihr Sohn einen weitergehenden Schulabschluss durch Ablegung einer sog. Nichtschülerprüfung anstrebe und er auf diese Prüfung durch einen spezifischen Lerndienst vorbereitet werde. Letztlich hatte sie sich bereit erklärt, den Sohn zum nächstmöglichen Zeitpunkt einer schulpsychologischen Testung unterziehen zu lassen und das Jugendamt über deren Ergebnis zu unterrichten.

Folgend aus der Kulturhoheit der Bundesländer wird auf der Grundlage der jeweiligen Landesverfassungen die Schulpflicht in jedem Bundesland einfachgesetzlich geregelt. Einheitlich ist in allen Bundesländern der Besuch einer Grundschule bzw. einer weiterführenden Schule verpflichtend vorgesehen. Lediglich hinsichtlich der Dauer der Vollzeitschulpflicht bestehen zwischen den Bundesländern minimale Differenzen. Die Schulpflicht dient nicht allein der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags, der in diesem Rahmen auch das elterliche Erziehungsrecht begrenzt, so dass bei einer Kindeswohlgefährdung auch Maßnahmen nach § 1666 BGB ergriffen werden können. In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass die allgemeine Schulpflicht in ihrer Zielsetzung darauf ausgerichtet ist, Kindern und Jugendlichen die Grundlagen einer verantwortlichen Staatsbürgerschaft zu vermitteln, d.h. ihnen die Voraussetzungen zu geben, verantwortungsbewusst an demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilzuhaben und mitzuwirken.

Einer von Eltern in Anspruch genommenen Schulverweigerung wurde daher jeweils eine Absage erteilt, wenn durch diese Verweigerung Kindern nicht nur die Möglichkeit der umfassenden Wissensvermittlung auf der Grundlage eines regelmäßigen Schulbesuchs genommen wurde, sondern auch die Möglichkeit der persönlichen Entwicklung als Teilhaber einer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Hierbei hat das Bundesverfassungsgericht in besonderem Maße auch die Integrationsaufgabe öffentlicher Schulen hervorgehoben, um der Entstehung religiös oder weltanschaulich motivierter „Parallelgesellschaften“ entgegenzuwirken, die dadurch entstehen können, dass Kindern und Jugendlichen der Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen verschlossen wird.

Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der EGMR in einer aktuellen Entscheidung vom 10.1.2019 bestätigt unter Verweis darauf, dass sorgerechtliche Maßnahmen durchaus berechtigt sind, wenn Kinder statt des Besuches einer Schule in einem quasi „symbiotischen Familiensystem“ unterrichtet und hierdurch gleichzeitig sozial isoliert werden (EGMR v. 10.1.2019 – 18925/15).

Nehmen Eltern daher für sich in Anspruch, eine Beschulung ihrer Kinder außerhalb einer öffentlichen oder anerkannten privaten Schule durchzuführen, so kann hieraus nicht per se eine Kindeswohlgefährdung abgeleitet werden. Es bedarf vielmehr einer einzelfallbezogenen Prüfung, in die nicht nur die jeweils vermittelten Lerninhalte einzubeziehen sind, sondern auch genau zu beleuchten ist, ob in irgendeiner Form die freie Persönlichkeitsentwicklung des Kindes eingegrenzt wird.

Ungeahnte Folgen eines Sorgerechtsverfahrens (AG Bad Hersfeld v. 27.10.2017 – 63 F 290/17 SO)

Streben Eltern ein Kindschaftsverfahren an, weil sie eine gerichtliche Regelung zu Fragen der elterlichen Sorge oder des Umgangsrechts wünschen, so bedenken sie in der Regel nicht, dass die Gerichte an die gestellten Anträge nicht gebunden sind, sondern für sie der Amtsermittlungsgrundsatz in diesen Verfahren gilt. Dies bedeutet, dass die jeweiligen „Anträge“ der Verfahrensbeteiligten für die Gerichte lediglich eine Anregung darstellen. Die Gerichte müssen letztlich auf der Grundlage der schriftsätzlich erteilten Informationen von Amts wegen nicht nur prüfen, welche Entscheidung im konkreten Einzelfall die am Kindeswohl orientierte beste Regelung darstellt, sondern gegebenenfalls auch erlangte Informationen aufgreifen, um weitergehend zu prüfen, ob der sich hieraus ergebende Lebenssachverhalt auf eine Kindeswohlgefährdung deutet, die die Eltern entweder in dieser Form bislang nicht erkannt haben oder aber zu deren Beseitigung sie entweder nicht in der Lage oder nicht willens sind.

Das AG Bad Hersfeld hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit einer solchen Problematik befasst: Im konkreten Fall hatten die Eltern in einem zunächst streitigen Sorgerechtsverfahren letztlich Einvernehmen darüber erzielt, dass bezüglich des gemeinsamen 10-jährigen Sohnes der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen werden und es im Übrigen bei der gemeinsamen elterlichen Sorge bleiben sollte. Anlässlich seiner Anhörung schilderte das Kind, dass ihm unter anderem zwei Videospiele zur Verfügung stünden („Grand Theft Auto 5“ sowie „Call of Duty“), für die eine Altersfreigabe erst ab 18 Jahren besteht. Das AG hat, entsprechend dem Antrag der Eltern, eine Regelung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht getroffen. Darüber hinausgehend hat es die Eltern aber auch verpflichtet, fortwährend sicherzustellen, dass dem Kind keine Spiele zugänglich sind, die das Kindeswohl gefährden, selbst wenn seitens des Kindes geltend gemacht wird, dass es durch diese Maßnahmen zum Außenseiter seiner Gruppe werde. Seine Entscheidung leitet das Gericht aus der Überlegung ab, dass in den seitens des Kindes genannten Spielen die Charaktere kriminelle Handlungen begingen und die Spiele selbst von Gewaltszenen bestimmt würden, etwa einer nicht umgehbaren Folterszene. Werde ein Film oder Spiel mit einer sog. Einstufung „USK ab 18“ versehen, so beruhe dies auf einer sachverständigen Einschätzung, dass diese Medien Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht zugänglich zu machen seien. Die seelische Entwicklung eines 10-jährigen Kindes werde bereits bei bloßer Ansicht und erst recht beim Durchleben der Spielszenen massiv gefährdet. Eltern hätten daher sicherzustellen, dass einem Kind derartige Spiele nicht (mehr) zur Verfügung gestellt würden. Der Einwand eines Elternteils, dass solche Spiele auch von vielen anderen Kindern im Alter des eigenen Kindes gespielt würden, sei rechtlich nicht beachtlich.

Grundsätzlich ist die Pflege und Erziehung eines Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG originäre Aufgabe der Eltern, wobei zudem aus Art. 8 EMRK die staatliche Achtung des Familienlebens folgt. In dieses verfassungsrechtlich garantierte Elternrecht darf der Staat jedoch eingreifen, wenn Gründe des Kindeswohls dies dringend erfordern. Dieses staatliche Wächteramt wird einfachgesetzlich durch § 1666 BGB konkretisiert. Danach hat das Familiengericht Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung einer Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes erforderlich sind, soweit die Eltern zur Abwendung dieser Gefahr nicht willens oder in der Lage sind. § 1666 Abs. 3 BGB sieht in einer enumerativen Auflistung mögliche Maßnahmen in der Form von Ver- und Geboten vor, die seitens des Gerichts angeordnet werden können, um einer Kindeswohlgefährdung zu begegnen. Dieser Katalog möglicher Auflagen ist nicht abschließend. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung (BGH v. 23.11.2016 – XII ZB 149/16, FamRB 2017, 48) vielmehr darauf hingewiesen, dass auch andere zur Gefahrenabwehr geeignete Weisungen in Betracht kommen, die, wenn sie wesentlich in Grundrechte eines Betroffenen eingreifen und nicht durch den Katalog des § 1666 Abs. 3 BGB umfasst sind, aber einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfen.

In der Praxisberatung sollte umfassend auch über die verfahrensrechtlichen Grundsätze eines Kindschaftsverfahrens informiert werden und zwar nach Möglichkeit nicht erst dann, wenn bereits das Mandat zur gerichtlichen Regelung erteilt wurde. Den Verfahrensbeteiligten sollten die Prinzipien des Amtsermittlungsgrundsatzes vor Augen geführt werden, d.h., es sollte ihn verdeutlicht werden, dass das Gericht auch auf der Grundlage im Lauf des Verfahrens erlangter Informationen letztlich von Amts wegen Ge- und Verbote anordnen kann, die möglicherweise so von ihnen nicht bedacht und wohl auch nicht gewünscht sind. Soweit in dem konkret entschiedenen Sachverhalt des AG Bad Hersfeld sich die Mutter sogar dahin eingelassen hat, dass sie ihrem 10-jährigen Sohn ohne gerichtliche Entscheidung ein erst ab 18 Jahren zugelassenes Videospiel nicht untersagen könne, wäre auch bereits außergerichtlich ein deutlicher Hinweis auf grundlegende Fragen der Erziehungseignung nicht fehl am Platz gewesen.

Löschung zwangsvernetzter Apps zur Abwehr von Kindeswohlgefährdungen (AG Bad Hersfeld v. 22.07.2016 – F 361/16 EASO)

Wohl kaum ein anderer Begriff wie der der Kindeswohlgefährdung ist in der familiengerichtlichen Praxis mit so viel negativen Emotionen aber auch häufiger Unsicherheit bei der Frage verbunden, ob getroffene Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, der bestehenden Gefährdung entgegenzuwirken und wie sich die Lebenswelt des Kindes durch diese Maßnahme künftig bestimmt. Nicht selten wird allein das zu schützende Kind – statt des Schädigers – belastet und in seiner kindlichen Entwicklung eingeschränkt durch Maßnahmen, die seinem Schutz dienen sollen.

Dass zur kindlichen Entwicklung nicht nur der regelmäßige Kontakt mit Gleichaltrigen gehört, sondern auch die Nutzung neuester technischer Kommunikationsmittel, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Gerade die sich hieraus ergebenden uneingeschränkten Kontaktmöglichkeiten bergen jedoch in einem zunehmend unkontrollierbaren Datenaustausch ebenso nur noch schwer kontrollierbare und beherrschbare Gefahren für Kinder. Für Eltern ist es daher auch zunehmend schwieriger, nicht nur mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten, sondern auch – bei gleichzeitiger Vertrauenssicherung gegenüber dem Kind – mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl eine Kontrolle darüber zu halten, mit wem und mit welchem Inhalt das Kind Daten austauscht.

Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich das AG Bad Hersfeld umfassend in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt, in der es um die Frage ging, wie konkret ein Elternteil sexuellen Belästigungen der beiden Töchter mittels der Messenger-App „WhatsApp“ entgegenwirken kann bzw. welche konkreten Handlungen von den Eltern in dieser Situation zu verlangen sind. Das Gericht hat in seinem Beschluss dem betreuenden Vater Auflagen erteilt, durch die er nicht nur verpflichtet wurde, einen physisch-realen Kontakt des Belästigers zu den Kindern zu unterbinden, sondern auch jeglichen virtuellen Kontakt, indem er die auf Zwangsvernetzung beruhende App von den Smartphones zu entfernen und diesen abgesicherten Zustand mittels geeigneter Kontrollen der Geräte laufend aufrecht zu erhalten hatte. Daneben wurde er verpflichtet, in regelmäßigen Abständen mit den Kindern den aktuellen Stand der Smartphones zu besprechen und die Geräte gemeinsam mit seinen Töchtern auf gespeicherte Apps und etwaig auftretende Ungereimtheiten zu prüfen.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass nach § 1666 Abs. 1 BGB als ultima ratio Eingriffe in die Personensorge erfolgen können, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes nachhaltig gefährdet ist und die Eltern nicht willens oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Von einer Kindeswohlgefährdung im Sinn dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn entweder die Gefahr bereits konkret besteht oder zumindest so nahe bevorsteht, dass eine erhebliche Schädigung des Kindeswohls mit ziemlicher Sicherheit voraussehbar ist. Neben den Fällen der tatsächlich missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge ist vor allem das unverschuldete Versagen der Eltern von hoher praktischer Bedeutung. Der Entzug der Personensorge insgesamt oder in Teilbereichen kommt gleichwohl jedoch nur dann in Betracht, wenn andere niederschwelligere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder bereits zuverlässig abgeschätzt werden kann, dass sie zur Gefahrenabwehr nicht ausreichend sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet in diesem Kontext seine besondere Ausprägung. Die Gerichte haben bei der Auswahl der in Betracht kommenden Maßnahmen jeweils zu prüfen, ob diese zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und auch zumutbar sind. Erforderlich in diesem Sinn sind daher Maßnahmen nur dann, wenn aus den zur Zielerreichung geeigneten Maßnahmen das mildeste Mittel gewählt wird, das die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigt. Das Gesetz differenziert weitergehend danach, ob sich die zum Schutz des Kindes zu treffenden Maßnahmen gegen die sorgeberechtigten Eltern richten oder die Gefährdung von einem Dritten ausgeht. Sollen Maßnahmen gegenüber den Eltern selbst ergriffen werden, so werden in § 1666 Abs. 3 BGB konkrete Beispiele aufgelistet, durch die der Kindeswohlgefährdung begegnet werden kann, d.h. diese Beispiele präzisieren in gewisser Weise den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da sie dem Eingriff in die elterliche Sorge vorgelagert sind. Folgt demgegenüber die Kindeswohlgefährdung aus dem Verhalten eines Dritten, so sieht § 1666 Abs. 4 BGB vor, dass auch unmittelbar diesem gegenüber Schutzmaßnahmen veranlasst werden können. In dieser Konstellation ist ein doppelter Kindesschutz möglich. Einerseits haben die Eltern die Möglichkeit, gestützt auf das GewSchG, gerichtlichen Rechtsschutz einzufordern, etwa durch ein Näherungsverbot. Parallel wird zudem das Familiengericht von Amts wegen tätig und trifft die zur Abwehr der Gefährdung notwendigen Maßnahmen, die sich auf Ermahnungen, Verhaltensgebote und -verbote sowie auf Umgangsverbote richten können. Im äußersten Fall kann aber auch ein Wohnungswechsel angeordnet werden.

In der Praxisberatung ist es wichtig, Eltern die mit gerichtlichen Maßnahmen zum Schutz des Kindes konfrontiert werden, umfassend darüber aufzuklären, dass das gerichtliche Eingreifen auch als Chance für sie zu verstehen ist. Nur durch ein konstruktives Zusammenwirken von Eltern, Gericht und Jugendamt ist ein effektiver Kindesschutz zu gewährleisten, aber auch zu verhindern, dass weitere Eingriffe in das Elternrecht erforderlich werden.