Urlaubsreisen in Coronazeiten (OLG Braunschweig v. 30.7.2020 – 2 UF 88/20)

Das Coronavirus bestimmt seit einigen Monaten unser Leben in allen Facetten. Dinge, die bislang selbstverständlich waren, müssen nun hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt werden. Selbst Alltagsabläufe betreffen regelmäßig nicht mehr nur uns persönlich. Vielmehr müssen wir uns stets vor Augen führen, dass wir durch „Selbstverständlichkeiten“ Risiken für unser soziales Umfeld auslösen oder vergrößern und damit Menschen in ernsthafte gesundheitliche Gefahren bringen können. Dies gilt umso mehr, als nach wie vor zentrale Fragen im Zusammenhang mit dem Virus noch keiner abschließenden Klärung zugeführt werden konnten. Die unverändert bestehende Gefahrenlage erfordert eine ebenso sorgfältige wie kontinuierliche Einhaltung von Schutzmaßnahmen, ohne dabei den Blick für Fragen der Verhältnismäßigkeit zu verlieren.

Kaum ein anderes Rechtsgebiet wird durch die Corona-Problematik so betroffen wie das Familienrecht und hier insbesondere das Kindschaftsrecht. Die Alltagsgestaltung von Kindern im Haushalt ihres Obhutselternteils, aber auch anlässlich der Wahrnehmung von Umgangskontakten beim jeweils anderen Elternteil war bereits ohne Corona ein heftig bestrittenes Feld. Gerade Urlaubsreisen haben immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt über die Fragen, inwieweit der andere Elternteil über das Urlaubsziel oder den genauen Urlaubsablauf informiert sein muss bzw. ob denn der Urlaub bereits dem Grunde nach von seiner Zustimmung abhängig ist.

Hierzu hat die Rechtsprechung bislang die Auffassung vertreten, dass ein Elternteil grundsätzlich über den Ort des Ferienumgangs und die Art der Ferien frei entscheiden und damit auch Urlaubsreisen mit dem Kind unternehmen kann, ohne dies von der Zustimmung des mitsorgeberechtigten Elternteils abhängig zu machen. Unbeschadet der jeweils einzelfallbezogen vorzunehmenden Bewertung wird lediglich eine Grenze gezogen, wenn eine Auslandsreise in ein dem Kind fremdes, in einem anderen Kulturkreis liegendes Land in Rede steht, selbst wenn es das Heimatland des begleitenden Elternteils ist. Gleiches gilt für Reisen in Krisengebiete oder Urlaubsregionen, für die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes vorliegen. In diesen Konstellationen stellt die Urlaubsreise keine Alltagsangelegenheit mehr dar, die der Alleinentscheidungskompetenz jenes sorgeberechtigten Elternteils obliegt, in dessen Obhut sich das Kind – auch aufgrund eines Umgangsrechts – befindet. Vielmehr ist dann von einer Angelegenheit von erheblicher Bedeutung auszugehen, die die Zustimmung des anderen Elternteils erfordert. Kann diese Zustimmung nicht in direkter Abstimmung der Eltern erreicht werden, so bedarf es zu dieser spezifischen Frage einer familiengerichtlichen Entscheidung nach § 1628 BGB, d.h., es ist einem Elternteil die Entscheidungskompetenz diesbezüglich zu übertragen.

Mit einer entsprechenden Problematik hat sich aktuell das OLG Braunschweig befasst, in der es allerdings nicht um Gefahren ging, die den Kindern aus den Besonderheiten des konkreten Urlaubslands drohten, sondern vielmehr aus dem Transport zum Reiseziel. Die Kindesmutter hatte für die Zeit vom 1.8. bis zum 15.8.2020 eine Flugreise nach Mallorca geplant, wobei diese Reise zugleich auch einen gerichtlich geregelten Umgangskontakt des Vaters mit den beiden Kindern überlagerte. In einem Vermittlungsverfahren signalisiert er, dass er mit einer Urlaubsreise in das europäische Ausland durchaus einverstanden sei, wenn von der Benutzung des Flugzeugs Abstand genommen und die Reise mit einem Pkw durchgeführt werde. Das OLG Braunschweig hat ihm im Beschwerdeverfahren die Entscheidungsbefugnis für diese Urlaubsreise übertragen und zur Begründung ausgeführt, dass sich bei Urlaubsreisen die Bedeutung der Angelegenheit aus der Abwägung der sich einerseits für die kindliche Entwicklung bietenden Vorteile und den andererseits bestehenden Nachteilen, d.h. mit der Reise verbundenen Gefahren ergibt, wobei für letztere eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes Indiz sein kann. Auch wenn zwischenzeitlich die Beschränkungen für innereuropäische Flugreisen gelockert sind und zum Stand 30.7.2020 für Mallorca keine Reisewarnung vorlag (was sich zum Zeitpunkt der Einstellung dieses Blogbeitrags bereits geändert hat), verweist das Auswärtige Amt auf unverändert bestehende Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr, folgend aus der Verbreitung von COVID-19. Unter Berücksichtigung der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten zur eindeutigen Identifizierung der Infektionswege des Virus, kann die Infektionsanfälligkeit nicht ausreichend verlässlich prognostiziert bzw. sind keine Prognosen möglich zu einer ggf. erhöhten Ansteckungsgefahr bei Flugreisen. Eine mögliche längere Quarantäne oder das Festsitzen im Ausland stellen eine nicht unerhebliche Belastung für das seelische Wohlbefinden eines Kindes dar, ebenso wie die hieraus folgenden möglichen schulischen Abwesenheitszeiten. Bei der Bewertung, welchem Elternteil die Entscheidungskompetenz zu übertragen war, schied die Kindesmutter aus, da die von ihr gebuchte Reise das auf einer Kindeswohlprüfung beruhende, gerichtlich geregelte Umgangsrecht missachtete und damit nicht kindeswohldienlich war. Noch im Vermittlungstermin hatte sie erklärt, dass sie die Reise auch gegen den Willen des Vaters durchführen werde.

Steigende Infektionszahlen im Zusammenhang mit Urlaubsrückkehrern bestätigen durchaus die Entscheidungsbegründung des OLG Braunschweig. In Ausgestaltung der elterlichen Verantwortung für Kinder sollte daher ebenso selbstverständlich die Frage gerechtfertigt sein, ob auch im Jahr 2020 eine Flugreise zwingende Voraussetzung zur Sicherstellung des Kindeswohls ist. Zumindest dürfte klargestellt sein, dass die Entscheidungskompetenz für eine Flugreise von Kindern während der Corona-Pandemie nicht allein bei einem Elternteil liegt.