Gemeinsame elterliche Sorge um jeden Preis? (OLG Frankfurt v. 27.2.2019 – 8 UF 61/19, n.rkr.)

Um die elterliche Sorge wird in familiengerichtlichen Verfahren in zunehmender Häufigkeit und Intensität gestritten. Oft haben Elternteile dabei nicht einmal genaue Vorstellungen darüber, was von ihrem Begehren zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge bzw. der Abweisung eines solchen Antrags tatsächlich umfasst wird. Einschätzungen, die nicht selten auf vermeintlich guten Ratschlägen im Freundes- und Familienkreis beruhen, vermischen typischerweise nicht nur Fragen der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts, sondern sind in vielen Fällen einfach nur rechtlich falsch. Nicht immer können diese Fehlvorstellungen in einem anwaltlichen Beratungsgespräch geklärt und den Elternteilen verdeutlicht werden, dass auch unter Beibehaltung einer gemeinsamen Sorge, die einer Mitwirkung des jeweils anderen Elternteils vorbehaltenen notwendigen Entscheidungsbereiche sich bis zum Eintritt der Volljährigkeit eines Kindes auf eine an einer Hand abzählbare Häufigkeit reduzieren werden, unbeschadet ohnehin der Möglichkeit einer familiengerichtlichen Entscheidung nach § 1628 BGB, sollte partout kein Einvernehmen zu erzielen sein. Im gerichtlichen Verfahren wird ebenso zunehmend dem Sorgerechtsantrag eine mögliche Vollmachtserteilung entgegengehalten, auf die die Gerichte häufig mit einem „Vergleichszwang“ reagieren.

Das OLG Frankfurt hat sich aktuell mit der Frage einer Vollmachtserteilung befasst:

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die Eltern die gemeinsame Sorge durch Jugendamtsurkunde begründet. Der Mutter war in einem 2013 geführten Verfahren bereits das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung übertragen worden. Zwischen den Eltern, die nie einen gemeinsamen Haushalt unterhielten, bestand ein tiefgreifender Kommunikationskonflikt, der auch dazu führte, dass das Kind von der Existenz seines Vaters keine Kenntnis hatte. In einem weiteren Sorgerechtsverfahren wurde zugunsten der Mutter in einer gerichtlich protokollierten Vereinbarung seitens des Vaters eine „unwiderrufliche“ Vollmacht erteilt und von ihm 2017 eine weitere, nun öffentlich beglaubigte, Vollmacht erstellt. Mit dem Vortrag, die bestehende Vollmacht werde von Behörden und Vertragspartnern nicht vorbehaltlos akzeptiert, erstrebte die Mutter die alleinige Sorge, wobei das Ausgangsgericht ihrem Antrag stattgab.

Das OLG Frankfurt hat den Beschluss abgeändert und den Antrag der Mutter zurückgewiesen. Ihr Antrag beschränke sich darauf, ihr eine erleichterte Handhabung der Vertretung des Kindes im Rechtsverkehr zu ermöglichen. Das allein rechtfertige keinen Eingriff in das nach Art. 6 GG geschützte Sorgerecht des Vaters. Die erteilten Vollmachten seien als milderes Mittel im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten. Für den Senat sei maßgeblich, ob ein Widerruf der Vollmacht ernstlich im Raum stehe. In der gerichtlich protokollierten Vollmacht sei es den Eltern erkennbar darum gegangen, den Sorgerechtskonflikt dauerhaft zu lösen. Durch die Erneuerung der Vollmacht habe der Vater deutlich gemacht, dass er an der Vollmachtserteilung festhalten wolle.

Ob in einem Sorgerechtsverfahren eine Vollmachtserteilung Relevanz entfalten kann, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich bewertet, wobei auch danach zu unterscheiden ist, ob das Verhältnis der Eltern zueinander betroffen wird oder es letztlich um die rechtliche Ausgestaltung zwischen den Eltern einerseits und Dritten andererseits geht. Dieser Fall betrifft insbesondere Verfahren nach § 1666 BGB, in denen üblicherweise das Jugendamt Sorgerechtsvollmachten der Eltern oder eines Elternteils akzeptiert, da selbst im Fall des Widerrufs einer solchen Vollmacht dem Jugendamt weitere Mittel zur Verfügung stehen, um einen kurzfristigen Schutz des Kindes bis zu einer dann notwendigen familiengerichtlichen Entscheidung sicherzustellen.

Differenzierter zu bewerten ist die mögliche Vollmachtserteilung im Verhältnis von Elternteilen zueinander, d.h. ob einem Antrag auf Übertragung der alleinigen Sorge mit einer solchen Vollmachtserteilung erfolgreich begegnet werden kann. Hier muss grundlegend berücksichtigt werden, dass es für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge unabdingbare Voraussetzung ist, dass es zwischen den Eltern eine objektive Kooperationsfähigkeit und subjektive Kooperationsbereitschaft gibt, da nur auf dieser Grundlage die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl dienen kann. Eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der elterlichen Verantwortung erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und damit eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern. Eine Vollmacht kann daher bereits dem Grunde nach nur rechtliche Relevanz entfalten, wenn sie auf einer ausdrücklichen elterlichen Vereinbarung beruht.

Wurde bereits vor einem Sorgerechtsantrag dem betreuenden Elternteil eine umfassende Ermächtigung erteilt, so ist für eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge kein Raum, wenn es bis zur Verfahrenseinleitung zu keinen wesentlichen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern bezüglich der Sorgerechtsausübung kam.

Gegen die Entscheidung des OLG Frankfurt wurde Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt (Az. XII ZB 112/19). Die zu erwartende Entscheidung wird zu dieser in der Praxis kontrovers diskutierten Frage Klärung geben.