Nur Meinungsverschiedenheit oder dauerhafte Kooperationsunfähigkeit? (OLG Koblenz v. 14.11.2018 – 13 UF 413/18)

Die Frage an den Mandanten nach dem Grund der Rücksprache wird in Kindschaftssachen in der Regel mit dem Satz beantwortet, dass ein Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge gewünscht werde. In der sich anschließenden Beratung müssen nicht nur die – häufig fehlenden – Voraussetzungen der doppelten Kindeswohlprüfung näher erläutert, sondern es muss üblicherweise überhaupt erst geklärt werden, worauf sich das Begehren des Mandanten richtet, d.h. ob es letztlich tatsächlich einer Sorgerechtsregelung bedarf oder nur eine zwischen den Eltern zu einem einzelnen Aspekt bestehende Meinungsverschiedenheit die gerichtliche Kompetenzübertragung zu dieser Frage erfordert. Die Abgrenzung ist nicht immer zweifelsfrei möglich, wie auch eine Entscheidung des OLG Koblenz aus dem Jahr 2018 zeigt.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die geschiedenen Eltern über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren neunjährigen Sohn, der im Haushalt der Mutter lebte. Vor dem Hintergrund eines geplanten Umzugs der Mutter zu ihrem rund 200 km entfernt wohnenden neuen Partner stellten die Eltern gegenläufige Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Das Ausgangsgericht gab dem Antrag des Vaters statt. Auf die seitens der Mutter eingelegte Beschwerde hat der Senat die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zeit ab Juli 2019 übertragen.

In seiner Begründung hat der Senat ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der wechselseitigen Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht nur über den Umzug des Kindes zu befinden, sondern es einer Entscheidung über den dauerhaften gewöhnlichen Aufenthalt bedurfte, so dass sich die zu treffende gerichtliche Entscheidung an den Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 BGB und nicht an jenen des § 1628 BGB zu orientieren hatte.

Im Rahmen der sodann durchgeführten Kindeswohlprüfung hat der Senat auf Seiten des Kindes zu beiden Eltern bestehende gleichwertige Bindungen und Neigungen festgestellt, dem Kindeswillen aber keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, nachdem sich in der Anhörung ergeben hatte, dass das Kind die Konsequenzen des Umzugs noch nicht abschätzen konnte. Allerdings wurde die Mutter als Hauptbezugsperson ermittelt, so dass dem Kontinuitätsgrundsatz maßgebliche Bedeutung beizumessen war. Bei dem zu übertragenden Aufenthaltsbestimmungsrecht hat der Senat allerdings eine Einschränkung dahin vorgenommen, dass der Mutter diese Rechtsmacht erst ab Beginn der Sommerferien 2019 eingeräumt wurde. Begründet hat der Senat diese zeitliche Einschränkung damit, dass sich das Kind zum Zeitpunkt der Entscheidung in der vierten Grundschulklasse befand, d.h. einer Klassenstufe, die für die Wahl der weiteren Schullaufbahn besondere Bedeutung besitzt. Im Fall einer Notenverschlechterung folgend aus dem Schulwechsel während oder vor der vierten Klasse hätte dies langfristige Konsequenzen für die schulische Laufbahn des Kindes bedeutet. Da jedoch nach Ende der Grundschulzeit ohnehin ein Umbruch bevorstand, hatte nach Einschätzung des Senats bis zum Ende der Grundschulzeit das Recht der Mutter, mit ihrem neuen Freund zusammenziehen zu können, zurückzutreten, d.h. ihr war das Aufenthaltsbestimmungsrecht erst ab dieser Zeit zu übertragen.

Können Eltern zu einer einzelnen Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung aber für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, kein Einvernehmen erzielen, so kann das Familiengericht nach § 1628 BGB die Entscheidungskompetenz zu der jeweiligen Streitfrage einem Elternteil übertragen. Ebenso wie im Fall des § 1671 Abs. 1 BGB darf es sich bei der begehrten Entscheidungskompetenz nicht nur um eine Angelegenheit des alltäglichen Lebens handeln, für die ohnehin dem Obhutselternteil die Verantwortlichkeit obliegt. Es muss sich vielmehr um eine zu treffende Entscheidung handeln, die letztlich mit gravierenden Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes einhergeht.

Während § 1628 BGB auf die Regelungskompetenz zu einer einzelnen und konkretisierbaren Situation zielt, umfasst die nach § 1671 Abs. 1 BGB zu treffende Sorgerechtsregelung – auch wenn nur ein Teilbereich der elterlichen Sorge zur Entscheidung steht – eine abschließende Regelung zu dem jeweiligen Bereich der elterlichen Sorge, die dem jeweiligen Elternteil dann in der Regel die Entscheidungskompetenz bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes einräumt.

 

Beachtlichkeit des Kindeswillens bei der Sorgerechtsregelung (BVerfG v. 7.12.2017 – 1 BvR 1914/17)

Der „Kindeswille“ wird in Kindschaftsverfahren sehr häufig in die Argumentation eingeführt. Antragsteller und Antragsgegner der jeweiligen Verfahren sind intensiv bemüht, den seitens des Kindes geäußerten Willen darzulegen, und gehen davon aus, dass dieser selbstverständlich maßgeblich für die familiengerichtliche Entscheidung sein wird.

Mit einem Sachverhalt, in dem durch die jeweiligen Vorinstanzen dem geäußerten Kindeswillen ersichtlich zu wenig Bedeutung beigemessen wurde, hat sich aktuell das BVerfG befasst.

Die Eltern hatten wechselseitig die alleinige Sorge für ihr 2008 geborenes Kind beantragt, das personenstandsrechtlich als Junge registriert worden war, nach seinen Äußerungen aber ein Mädchen sein wollte. Diesen Äußerungen des Kindes stand der Vater ablehnend gegenüber. Während des laufenden Sorgerechtsverfahrens wurde dem Vater – ein Tag vor der Einschulung des Kindes – im Eilverfahren die Entscheidungsbefugnis zu der Frage übertragen, ob das Kind in mädchentypischer Kleidung an Schulveranstaltungen teilnehmen sollte. Im Hauptsachverfahren wurde ihm sodann die alleinige Sorge übertragen. Die Beschwerde der Mutter wurde zurückgewiesen, die sodann gegen diese Entscheidung Verfassungsbeschwerde einlegte und u.a. eine Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG rügte.

Das BVerfG hob die Entscheidung der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Zur Begründung führt es u.a. aus, dass in die Sorgerechtsentscheidung der Wille des Kindes einzubeziehen sei, soweit er mit dem Kindeswohl vereinbar sei. Dem Kindeswillen komme mit zunehmendem Alter verstärkt Bedeutung zu als Ausdruck des Rechts zur Selbstbestimmung. Der Argumentation des Beschwerdegerichts widerspreche neben der eigenen gerichtlichen Erwartung, dass sich gerade der Vater „gegen den Willen des Kindes durchsetzen“ werde, auch die Feststellung der Sachverständigen, wonach das Kind beim Vater eine Abweisung mit seinen mädchenorientierten Verhaltensintentionen erlebe und insoweit eine Unsicherheit im Bindungsmuster zum Vater zeige, sowie letztlich der Umstand, dass der Vater in einem Eilverfahren beantragt habe, die Mutter zu verpflichten, das Kind „seinem Geschlecht entsprechend zu kleiden und es zu unterlassen, ihn in mädchentypischer Kleidung in die Öffentlichkeit gehen zu lassen.“ In der Entscheidung werde nicht hinterfragt, welche Auswirkungen es kurz- und mittelfristig für das Kind habe, wenn der Vater dem Wunsch des Kindes zum Tragen von Mädchenkleidung nicht entgegenkomme.

Im Rahmen einer nach § 1671 BGB zu treffenden Sorgerechtsregelung hat sich die gerichtliche Entscheidung am Kindewohl zu orientieren. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls wird in der Rechtsprechung durch verschiedene Kriterien näher präzisiert. Neben dem Kontinuitätsgrundsatz, der Förderungskompetenz oder den Bindungen eines Kindes fließt in die richterliche Bewertung auch der Kindeswille ein, da das Kind selbst Grundrechtsträger ist mit dem Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Als Ausdruck des Rechts auf Selbstbestimmung gewinnt dieser Wille mit zunehmendem Alter des Kindes entsprechend stärkere Bedeutung.

Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der geäußerte Kindeswille in jedem Fall auch streitentscheidend sein wird. Neben dem Risiko einer Manipulation des Kindes muss auch ein etwaiger Loyalitätskonflikt des Kindes, folgend aus seinen Äußerungen, beachtet werden. Bei der Bewertung des geäußerten Kindeswillens ist daher stets zu prüfen, ob dieser Wille eigengebildet und Ausdruck der Selbstbestimmung ist. Dem Gericht obliegt jeweils die Prüfung der Stabilität des Kindeswillens und dessen Kompatibilität mit dem Kindeswohl. Um diese Prüfung im Interesse des Kindes vornehmen zu können, sieht nicht nur die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung eine Anhörung des Kindes ab vollendeten dritten Lebensjahr vor, sondern gibt das Gesetz dem Gericht auch die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands für das Kind sowie weitergehend auch der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Kindschaftsverfahren werden durch den Grundsatz der Amtsermittlung bestimmt. Es ist damit Aufgabe der Gerichte, von Amts wegen die notwendige Kindeswohlprüfung vorzunehmen und die hiermit einhergehenden juristisch nicht zu bewertenden Fragen einer ggf. sachverständigen Begutachtung zuzuführen. Voraussetzung ist allerdings, dass die zur Kindeswohlprüfung im Einzelfall erforderlichen Fragestellungen auch erkannt werden.

In der Praxisberatung sollte dem Kindeswillen in angemessener Form Rechnung getragen werden. Es ist durchaus verständlich, dass ein Elternteil auf einen ihm gegenüber geäußerten Willen des Kindes Bezug nimmt. Dieser Elternteil sollte allerdings auch darauf hingewiesen werden, in welcher besonderen Lage sich das Kind nach der Trennung seiner Eltern befindet und daher der geäußerte Kindeswille in jedem Fall darauf zu prüfen ist, ob er nicht nur Ausdruck einer Loyalitätsproblematik des Kindes ist. Bleibt der Kindeswille stabil, sollte in der gerichtlichen Auseinandersetzung dann aber darauf geachtet werden, dass er in der gebotenen Form – insbesondere durch Bestellung eines Verfahrensbeistands – in das Verfahren eingebracht und berücksichtigt wird.

Religion versus Erziehungseignung? (OLG Hamm v. 12.5.2017 – 4 UF 94/16)

In einer Zeit, in der Mord und sonstige menschenverachtende Gewalttaten mit einer angeblichen religiösen Motivation und Legitimation begangen werden, ist es zugegebenermaßen nicht immer einfach, sich mit der gebotenen Vehemenz von den üblichen Stammtischrednern und den von ihnen geschürten Ängsten zu distanzieren, wonach alles Fremde für die in ihrem Weltbild negativen Veränderungen verantwortlich sein soll. Menschen, die selbst nicht im Ansatz irgendeinen Bezug zu jener Religion besitzen, die sie mit leeren Worthülsen einer längst vergangen Zeit angeblich vor Gefahren schützen wollen, die von anderen Religionen drohen sollen, nähren den Boden, auf dem Misstrauen und Intoleranz wächst, die geeignet sein können, eine Gesellschaft zu spalten und Grundwerte zu zerstören, die Generationen hart erarbeitet haben.

Religion als Wertequelle einer Gesellschaft kann unterschiedliche Darstellungsformen haben. Ebenso wie sie ggf. dem absolut privaten Bereich vorbehalten bleiben kann, kann es dem Einzelnen ein Bedürfnis sein, die Zugehörigkeit zu einer Religion auch äußerlich zu dokumentieren, etwa durch Einhaltung einer strengen Kleidungsordnung. In einer Gesellschaft, für die die Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG gilt, darf dieses äußerliche „Anderssein“ nicht dazu führen, dass auch in rechtlichen Wertungen mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen wird.

Das OLG Hamm hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit einer Frage dieses Kontextes auseinandergesetzt. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die Eltern um die Sorge für ihre 2006 geborene Tochter, bezüglich derer sie ursprünglich die gemeinsame Sorge vereinbart hatten. Die Mutter war 2011 zum Islam konvertiert und ist auch nach islamischem Recht mit ihrem jetzigen Partner verheiratet. Sie vertritt eine strenge Linie des Islam und trägt eine Vollverschleierung. Der Vater war in Nigeria aufgewachsen und 2004 nach Deutschland gekommen. Während nach dem Sachvortrag der Mutter die frühere Beziehung von Gewalttätigkeiten bestimmt wurde, trat der Vater dieser Darstellung entgegen. Zuletzt gerichtlich vereinbarte Umgänge des Vaters mit dem Kind fanden nicht statt, da die Mutter sie mit unterschiedlichen Gründen absagte. Dem Antrag der Mutter auf Übertragung der alleinigen Sorge trat der Vater mit einem eigenen Antrag entgegen. Die erstinstanzliche Entscheidung, wonach der Mutter die Alleinsorge übertragen wurde, hat die Beschwerdeinstanz bestätigt unter Verweis darauf, dass religiös bedingt zwischen den Eltern keine zu vereinbarenden Wert- und Erziehungsvorstellungen bestünden und damit die für die gemeinsame Sorge notwendige Kommunikationsbasis nicht existiere. Bestätigt hat der Senat auch die Sorgerechtsübertragung gerade auf die Mutter des Kindes, da zu ihren Gunsten wesentliche Kriterien der vorzunehmenden Kindeswohlprüfung sprachen. Zwar sah der Senat die streng islamische Erziehung des Kindes als eher ungünstig, wobei insbesondere aus dem Vorleben der Vollverschleierung Nachteile abgeleitet wurden. Allerdings hat der Senat ebenso festgestellt, dass das im Übrigen normal entwickelte Kind einen positiven Bezug zur Schule besaß und selbst eine hohe berufliche Ausbildung anstrebte. Neben einer den kindlichen Bedürfnissen entsprechenden Freizeitgestaltung wurde auch eine ausreichende soziale Integration festgestellt, wobei das Kind darauf verwies, dass das Tragen eines Kopftuchs in der Schule kein Problem sei, da dies auch von einigen anderen Mitschülerinnen so gehandhabt werde. Der Mutter wurde zudem ein liebevolles und zugewandtes Erziehungsverhalten bestätigt.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass einem Elternteil – bei bereits bestehender gemeinsamer Sorge – nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB die Alleinsorge für ein Kind zu übertragen ist, wenn im Rahmen der sog. großen Kindeswohlprüfung auf erster Stufe festgestellt wird, dass die Aufhebung der bestehenden gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht und sodann auf der zweiten Stufe festgestellt wird, dass gerade die Übertragung der Alleinsorge auf den antragstellenden Elternteil die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung darstellt.

Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge ist dann geboten, wenn zwischen den Eltern die erforderliche Kooperationsfähigkeit und Kooperationswilligkeit als Grundlage der gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge nicht besteht, d.h. sie im Interesse des Kindes nicht in der Lage sind Differenzen zurückzustellen und den jeweils anderen Elternteil als gleichwertigen Bindungspartner des Kindes zu akzeptieren. Eine dem Kindeswohl dienende Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt dabei zwingend voraus, dass die Eltern dem Wohl des Kindes dienende Entscheidungen gemeinsam treffen können.

Soweit darüber hinaus aber auch die Übertragung der Alleinsorge gerade auf den antragstellenden Elternteil die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung darstellen muss, ist der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls durch bestimmte Kriterien näher zu präzisieren. Hierzu gehört etwa die Erziehungseignung eines Elternteils, wobei dessen Religionszugehörigkeit ggf. dieser Eignung entgegenstehen kann, wenn eine repressive Religionslehre in der Umsetzung eines beeinträchtigenden Erziehungsstils negativen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes nimmt. Neben der Erziehungseignung sind aber auch die Bindung des Kindes zu seinen Eltern oder Geschwistern zu bewerten sowie der ggf. seitens des Kindes ausdrücklich geäußerte und autonom gebildete Wille. Neben dem Kontinuitätsgrundsatz, d.h. der Bewertung, welcher Elternteil auch weiterhin eine gleichmäßige Erziehung und Betreuung des Kindes gewährleisten wird, ist letztlich das Förderungsprinzip zu bewerten, d.h. die pädagogische Kompetenz eines Elternteils, dem Kind auf seinem weiteren Lebensweg die notwendige Sicherheit und Orientierung zu geben. Dies sah das Gericht vorliegend bei der Mutter als gegeben an.

In der Praxisberatung muss bei jeder zu treffenden Sorgerechtsregelung das Kindeswohl im Mittelpunkt der durchzuführenden Prüfung stehen. Selbst soweit ein Elternteil sich für eine strenge religiöse Ausrichtung des eigenen Lebens entschieden hat, führt dies ebenso wenig dazu, dass das Kind diese zwingend auch für sein Leben übernehmen muss, noch dass daraus per se eine mangelnde Erziehungseignung eines Elternteils abzuleiten wäre. Die Sicherung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes und seiner sozialen Integration sind allein die Prüfungsmaßstäbe.

Ruhen der elterlichen Sorge oder doch Übertragung der Alleinsorge? (OLG Karlsruhe v. 28.4.2016 – 18 UF 265/15)

Im Zuge des KindRG, das seit dem 1.7.1998 Geltung besitzt, war es wesentliches gesetzgeberisches Anliegen, auch nicht miteinander verheirateten Eltern die Begründung der gemeinsamen Sorge zu ermöglichen. Gleichzeitig wurde bei verheirateten Eltern im Fall der Scheidung nicht mehr von Amts wegen im Verbund über die Sorge entschieden. Zur Herstellung der Alleinsorge bedurfte es nun vielmehr eines ausdrücklichen Antrags. In der Rechtsprechung wurde daher zunächst vielfach die Auffassung vertreten, dass zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge ein Regel-Ausnahme-Verhältnis geschaffen worden sei. Es bedurfte zum damaligen Zeitpunkt – wie auch aktuell im Zusammenhang mit § 1626a BGB – erst einer klarstellenden Entscheidung des BGH, dass es einen solchen Vorrang der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht gibt. Gleichwohl ist in der Praxis unverändert ein Antrag auf Übertragung der Alleinsorge an hohe Hürden geknüpft und wird nicht selten mit dem Argument ausgehebelt, dass es im konkreten Sachverhalt doch gerade keine akute Entscheidungsnotwendigkeit gebe, so dass es auch bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben könne.

Nicht nur im Fall der Inhaftierung eines Elternteils kann eine bestehende gemeinsame Sorge zu Handlungshemmnissen führen. Auch in zahlreichen gemischt-nationalen Ehen ergeben sich zunehmend Situationen, in denen ein Elternteil sich zeitweise oder längerfristig in seinem Heimatland aufhält und dort im Fall zu treffender Entscheidungen gerade nicht kurzfristig erreichbar ist, um in Entscheidungen einbezogen werden zu können, oder möglicherweise sogar ganz bewusst seine Erreichbarkeit verhindert. Mit einer sehr spezifischen Fallkonstellation hatte sich das OLG Karlsruhe in einer Entscheidung vom 28.4.2016 auseinander zu setzen: In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hielt sich der Vater des Kindes an nicht näher bekanntem Ort im Irak auf – erkennbar als Mitglied des IS. Der Antrag der Mutter auf Übertragung der Alleinsorge wurde erstinstanzlich zurückgewiesen, wobei das Familiengericht die Auffassung vertrat, dass es einer Sorgerechtsregelung nicht bedürfe, da die elterliche Sorge des Vaters ohnehin ruhe.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass das Ruhen der elterlichen Sorge in seiner Gesamtheit oder in Teilbereichen familiengerichtlich festgestellt wird, wenn ein Elternteil aus tatsächlichen (§ 1674 Abs. 1 BGB) bzw. aus rechtlichen Gründen (§ 1673 BGB) – etwa folgend aus einer Geschäftsunfähigkeit bzw. beschränkten Geschäftsfähigkeit – an der Sorgerechtsausübung gehindert ist oder aber er in die Adoption des Kindes eingewilligt hat (§ 1751 Abs. 1 Satz 1 BGB). Praktische Bedeutung hat die tatsächliche Verhinderung sowohl in den Fällen der Inhaftierung eines Elternteils – wobei sich diese aber nicht nur über einen kurzen Zeitraum erstrecken darf – aber auch dann, wenn ein Elternteil sich im Ausland aufhält und dort tatsächlich nicht erreichbar ist. Für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d.h. das Gericht muss jeweils prüfen, ob die Feststellung des Ruhens auf Teilbereiche der elterlichen Sorge begrenzt werden kann. Unabhängig davon, ob die elterliche Sorge in ihrer Gesamtheit oder lediglich in Teilbereichen ruht, bleibt gleichwohl der an der Ausübung der Sorge verhinderte Elternteil Inhaber des Rechts, so dass bei Wegfall des Verhinderungsgrundes sein Sorgerecht wieder auflebt.

Wird demgegenüber von einem Elternteil die Übertragung der Alleinsorge begehrt, so orientiert sich die im Rahmen der sog. großen Kindeswohlprüfung nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorzunehmende Abwägung an der Frage der objektiven Kooperationsfähigkeit und subjektiven Kooperationswilligkeit der Eltern. Sie setzt jeweils eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus, die es ihnen ermöglicht, ihre Elternverantwortung am Kindeswohl orientiert wahrzunehmen.

In der Praxisberatung sollte durchaus dem Mandanten verdeutlicht werden, dass die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge grundsätzlich im Interesse des Kindes liegt und auch im Rahmen einer bestehenden Partnerschaft unterschiedliche Auffassungen zur Erziehung letztlich im Gesprächswege einer Lösung zugeführt werden müssen. Gleichwohl bedeutet dies jedoch nicht – und dies wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung so auch nicht vorausgesetzt – dass bedingungslos an der gemeinsamen elterlichen Sorge festzuhalten ist. Wenn ein respektvoller Umgang der Eltern nicht mehr zu erwarten ist, steht dies auch der am Kindeswohl orientierten gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge entgegen. Hat sich ein im Ausland lebender Elternteil von der geltenden Rechtsordnung gelöst und stellt er im Fall seiner Rückkehr für das Kind und den jeweils anderen Elternteil eine Gefährdung dar, so ist kein Raum für das Ruhen der elterlichen Sorge.