Der Verfahrensbeistand – ein Verfahrensbeteiligter zum Schutz des Kindes (OLG Brandenburg v. 30.1.2019 – 13 UF 1/19)

Bereits im Jahr 1998 hatte der Gesetzgeber die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers eingeführt, um auf diesem Weg dem Kind in einem gerichtlichen Verfahren der elterlichen Sorge oder des Umgangsrechts einen eigenen Interessenvertreter zur Seite zu stellen, in dem Bewusstsein, dass oftmals die Interessen der Eltern und jene des Kindes in diesen Verfahren divergieren können, aber auch, um dem Kind die gebotene Beteiligung am Verfahren zu gewährleisten, wie sie von Art. 12 Abs. 3 der UN- Kinderrechtskonvention gefordert wird. Die Tätigkeit der Verfahrenspfleger hatte sich in den folgenden Jahren positiv entwickelt und wurde von den Beteiligten als adäquates Mittel der Förderung kindeswohlspezifischer Belange erkannt. Im Zuge der Einführung des FamFG wurde daher die Bestellung eines „Anwalts des Kindes“ nicht nur beibehalten, sondern auch einer konkreteren gesetzlichen Regelung in § 158 FamFG – nun unter dem Begriff des Verfahrensbeistands – zugeführt. Rund 10 Jahre nach Inkrafttreten des FamFG zeigt sich jedoch, dass die grundsätzlich zu veranlassende Bestellung eines Verfahrensbeistands, selbst in einem der gesetzlich ausdrücklich normierten Regelbeispiele, längst noch nicht von allen Gerichten verinnerlicht ist. Das OLG Brandenburg hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit dieser Thematik befasst und dies zum Anlass genommen, das Ausgangsgericht auf die entsprechenden Obliegenheiten zu verweisen.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern sich Ende 2016 getrennt und die Betreuung ihrer 2013 geborenen Tochter seitdem in der Form eines Wechselmodells praktiziert. Anlässlich der geplanten Einschulung des Kindes konnte kein Einvernehmen über die künftig zu besuchende Schule erzielt werden, so dass die Eltern wechselseitig im Wege eines Eilverfahrens die Übertragung des Schulwahlrechts erstrebten, wobei im Fall der Übertragung auf die Mutter die Fortführung des Wechselmodells nicht mehr gewährleistet gewesen wäre, folgend aus einer praktisch dann zu veranlassenden täglichen Fahrtzeit von 4 Stunden von der Schule zur Mutter.

Das Ausgangsgericht hatte ohne Anhörung des Kindes und ohne Bestellung eines Verfahrensbeistands das Recht der Schulwahl der Mutter übertragen. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde des Vaters hat der Senat die Entscheidung aufgehoben und zurückverwiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat er dargelegt, dass auch in einem Eilverfahren grundsätzlich die Bestellung eines Verfahrensbeistands zu prüfen sei, was insbesondere dann gelte, wenn ein zuvor geregeltes Wechselmodell durch gerichtliche Entscheidung beendet und das Kind in die Obhut nur noch eines Elternteils gegeben werden solle. Werde im konkreten Fall das Schulwahlrecht auf die Mutter übertragen, so sei dadurch die Aufrechterhaltung des Wechselmodells nachhaltig gefährdet. Die Situation des Kindes sei derzeit aber durch ein bereits dauerhaft gelebtes Wechselmodell geprägt mit erheblichen Anhaltspunkten für eine gleichstarke Bindung des Kindes zu beiden Eltern. Die Aufhebung des Wechselmodells durch die zu treffende Eilentscheidung berge damit die Gefahr vermeidbarer Rupturen in dem Beziehungsgefüge des Kinde, das wiederherzustellen sei, wenn in der Hauptsache eine wechselmodellverträgliche Schulwahl dem Vater zugeordnet werde.

Ob in einer Kindschaftssache i.S.d. § 151 FamFG ein Verfahrensbeistand zu bestellen ist, beurteilt sich am Kindeswohl und damit an der Frage, ob es der Bestellung  zur Wahrung der Kindesinteressen bedarf. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn zu befürchten ist, dass die Elterninteressen zu denen des Kindes in Konflikt geraten können. Es genügt allein diese Möglichkeit, so dass es weder eines bereits bestehenden Interessengegensatzes bedarf noch dessen sicherer Vorhersehbarkeit. Erfordert damit die Wahrnehmung des Kindesinteresses die Bestellung eines Verfahrensbeistands, so reduziert sich entsprechend das tatrichterliche Ermessen.

Eine weitergehende Orientierungshilfe bieten die in § 158 Abs. 2 FamFG aufgelisteten Beispiele, bei deren Vorliegen dann auch in der Regel die Bestellung des Verfahrensbeistands erforderlich ist. Neben dem grundlegenden Interessengegensatz zwischen Eltern und Kind ist daher insbesondere in Verfahren nach § 1666 BGB, in Fällen der möglichen räumlichen Trennung des Kindes von seiner Obhutsperson, der Herausgabe des Kindes bzw. dessen Verbleibens und letztlich in Fällen der wesentlichen Umgangsbeschränkung die Bestellung eines Verfahrensbeistands zu veranlassen und zwar so früh wie möglich. Liegt eines dieser Regelbeispiele vor und möchte das Gericht gleichwohl von der Bestellung eines Verfahrensbeistands Abstand nehmen, so muss dies in der Endentscheidung ausdrücklich begründet werden. Hierbei obliegt es dem Gericht, sich nicht nur mit dem möglicherweise in Betracht kommenden Regelbeispiel auseinanderzusetzen, sondern auch dezidiert die Gründe darzulegen, aus denen folgend gleichwohl von der Bestellung Abstand genommen wurde.

Gerade auch mit Blick auf den für Kindschaftssachen geltenden Grundsatz des Vorrang- und Beschleunigungsgebots liegt es im Interesse der Verfahrensbeteiligten selbst zu prüfen, ob im jeweiligen Einzelfall die Bestellung eines Verfahrensbeistands angezeigt ist, um so zu verhindern, dass spätestens in der Beschwerdeinstanz eine Zurückverweisung erfolgt, da die mangelnde Bestellung einen wesentlichen Verfahrensverstoß darstellt. Ebenso sollte von den Gerichten auf eine fachliche Eignung des bestellten Verfahrensbeistands geachtet werden, um einem späteren Ablehnungsantrag entgegen zu wirken. Ggf. kann es angezeigt sein, den Beteiligten bereits frühzeitig – mit entsprechend kurzer Frist zur Stellungnahme – mitzuteilen, wer zum Verfahrensbeistand bestellt werden soll.

Verfahrensbeistand macht den Anwalt entbehrlich (BGH v. 27.6.2018 – XII ZB 46/18)

Mit Einführung des FamFG zum 1.9.2009 hat der Gesetzgeber die bis dahin nach § 50 FGG bestehende Möglichkeit der Beiordnung eines Verfahrenspflegers dem Grunde nach aufrechterhalten, allerdings in dem neu geschaffenen § 158 FamFG den Begriff dahin geändert, dass dem minderjährigen Kind nunmehr zur Wahrnehmung seiner Interessen im Verfahren ein Verfahrensbeistand zu bestellen ist. Mit der veränderten Begrifflichkeit wird auch zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei dem Beistand gerade nicht um einen gesetzlichen Vertreter des Kindes handelt, sondern sich seine Aufgabe darauf konzentriert, als „Anwalt des Kindes“ dessen Interessen festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen.

Kindschaftsverfahren ist es geradezu immanent, dass die elterlichen Interessen nicht zwingend deckungsgleich mit jenen des Kindes sind. Umso größere Bedeutung kommt daher einem neutralen Verfahrensbeteiligten zu, der dieses Spannungsverhältnis zu Gunsten des Kinds auflöst bzw. ist es ebenso von zentraler Bedeutung, dass die angemessene Interessenvertretung eines Kindes im gerichtlichen Verfahren nicht auf anderem Wege durch einen Elternteil unterlaufen werden kann, indem er einen von seinen Weisungen abhängigen Anwalt mit der Interessenvertretung des Kindes beauftragt.

Die hiermit einhergehende Problemantik hat der BGH in einer aktuellen Entscheidung (BGH v. 27.6.2018 – XII ZB 46/18, FamRB 2018, 394) aufgegriffen: In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern in verschiedenen gerichtlichen Verfahren zu den Fragen der elterlichen Sorge sowie des Umgangs. Das Familiengericht hatte den Kindern in den jeweiligen Verfahren einen Verfahrensbeistand bestellt. Der Absicht des Vaters, zur Interessenvertretung der Kinder für diese einen eigenen Anwalt zu mandatieren, trat die Mutter entgegen. Seitens des Vaters wurde daher familiengerichtlich die Übertragung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge nach § 1628 BGB beantragt, d.h. die Alleinentscheidungsbefugnis zur Beauftragung eines Anwalts. Sein Antragsbegehren blieb in erster und zweiter Instanz erfolglos. Seine Rechtsbeschwerde hat der BGH zurückgewiesen.

Zur Begründung führte der Senat aus, dass die Vertretung des Kindes als sog. Muss-Beteiligten in einem kindschaftsrechtlichen Verfahren prinzipiell den Eltern im Rahmen ihrer unbeschränkten elterlichen Sorge unterliege. Es bedürfe daher regelmäßig nicht der Bestellung eines Ergänzungspflegers. Allerdings seien die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern dem Grunde nach berechtigt, im Namen des Kindes einen Anwalt zu dessen Vertretung im Kindschaftsverfahren zu beauftragen. Könnten die Eltern zu dieser Frage jedoch kein Einvernehmen erzielen, so bedürfe es einer Entscheidung nach § 1628 BGB durch das Familiengericht. Komme das Gericht zu der Überzeugung, dass die Bewahrung des gegenwärtigen Zustands als die bessere Konfliktlösung erscheine, so genüge es, den Antrag zurückzuweisen.

Im Sinn des § 1697a BGB diene es allgemein dem Wohl des Kindes, wenn seine Rechte und Interessen wirksam im Verfahren wahrgenommen würden. Es bedürfe aber dann keiner Beauftragung eines Anwalts, wenn für das Kind bereits ein Verfahrensbeistand bestellt sei, der aufgrund seiner Befugnisse in der Lage sei, die Rechte und Interessen des Kindes geltend zu machen. Dies gelte gerade für auf die Person des Kindes bezogene Verfahren. Nur ausnahmsweise sei die wirksame Vertretung der Kindesinteressen durch den Verfahrensbeistand nicht gewährleistet. Dies gelte etwa dann, wenn in dem jeweiligen Verfahren die nach § 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG ausgeschlossene gesetzliche Vertretung des Kindes notwendig werde.

Das Gesetz enthalte auch keinen Vorrang für einen möglicherweise noch zu beauftragenden Anwalt. Nach § 158 Abs. 5 FamFG solle lediglich dann von der Bestellung eines Verfahrensbeistands Abstand genommen werden, wenn die Interessen des Kindes von einem Anwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten angemessen vertreten würden. Dies setze aber – abgesehen von der notwendigen Angemessenheit der Vertretung – die bereits erfolgte Beauftragung eines Anwalts voraus. Daraus folge aber noch nicht, dass es im Sinne des Kindeswohls liege, einem Elternteil die Beauftragung eines Anwalts zu ermöglichen, um damit etwa auch die Aufhebung der Bestellung des Verfahrensbeistands zu ermöglichen. Gerade bei Interessenkonflikten zwischen den Eltern – wie sie aus einem Verfahren nach § 1628 BGB deutlich würden – liege es nahe, die Interessen des Kindes ausschließlich durch einen Verfahrensbeistand wahrnehmen zu lassen. Die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil könne dagegen dazu führen, dass er im Fall der Beauftragung eines Anwalts – ohne Gewinn für das Kindeswohl – seine Interessen zweifach ins Verfahren einbringen könne. Dies laufe einer am Kindeswohl orientierten Wahrnehmung der Kindesinteressen im Verfahren zuwider. Da im konkreten Fall vor dem Hintergrund des elterlichen Konflikts das Kindeswohl durch den bestellten Verfahrensbeistand besser gewährleistet sei, habe es das Ausgangsgericht im Rahmen der nach § 1628 BGB zu treffenden Entscheidung bei dem bestehenden Zustand der elterlichen Sorge belassen können, indem es den Antrag des Vaters zurückgewiesen habe.

Nach § 158 Abs. 1 FamFG hat das Gericht dem minderjährigen Kind grundsätzlich einen Verfahrensbeistand zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen in dem Verfahren erforderlich ist. Dies ist immer dann der Fall, wenn zu befürchten ist, dass die Elterninteressen in Konflikt zu den Interessen des Kindes geraten können. In § 158 Abs. 2 FamFG hat der Gesetzgeber enumerativ Regelbeispiele aufgelistet, bei deren Vorliegen in der Regel von der Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands auszugehen ist. Dies betrifft u.a. Sachverhaltskonstellationen in denen es um die räumliche Veränderung des Kindes geht, sei es dass es aus der Obhut einer bestimmten Person gebracht oder gerade dort belassen werden soll. Aber auch hochstreitige Kindschaftsverfahren, in denen das Umgangsrecht in seinem grundlegenden Bestand in Rede steht, bzw. generell Verfahren, in denen erhebliche Gegensätze zwischen den Interessen der gesetzlichen Vertreter und dem Kind selbst bestehen, gelten als Regelfall für die Bestellung eines Verfahrensbeistands.

Möchte das Gericht, obgleich ein Regelbeispiel im Sinn des § 158 Abs. 2 FamFG vorliegt, von der Bestellung eines Verfahrensbeistands Abstand nehmen, so muss es diese Entscheidung ausdrücklich begründen. Allerdings eröffnet der Gesetzgeber mit § 158 Abs. 5 FamFG die Möglichkeit von einer Bestellung abzusehen oder eine bereits erfolgte Bestellung aufzuheben, wenn eine angemessene Interessenvertretung des Kindes durch einen Rechtsanwalt oder einen anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten sichergestellt wird. Zu beachten ist aber, dass in der Gesetzesbegründung bereits hervorgehoben wurde, dass die Ausgestaltung als „Soll-Vorschrift“ dem Gericht gerade auch die Möglichkeit eröffnet, an einer bereits veranlassten Bestellung festzuhalten, insbesondere dann, wenn keine angemessene Vertretung des Kindes zu erwarten ist, weil die Eltern oder ein Elternteil den Anwalt mit der Zielrichtung beauftragt haben, die Interessen des Kindes in einer ihren eigenen Interessen entsprechenden Weise wahrzunehmen.

Die Entscheidung des BGH stellt zwei Problembereiche in den Fokus: Entsprechend den Vorgaben in der Gesetzesbegründung muss das Gericht jeweils prüfen, ob eine angemessene Interessenvertretung des Kindes auch im Fall der Beauftragung eines eigenen Anwalts für das Kind gewährleistet ist. Darüber hinausgehend bedarf es aber auch einer noch intensiveren gerichtlichen Prüfung der Angemessenheit, wenn bereits ein Verfahrensbeistand bestellt wurde und dieser nun durch einen Anwalt „ersetzt“ werden soll, d.h. ein unliebsamer Verfahrensbeistand, gegen den kein Befangenheitsantrag möglich ist, auf diesem Weg aus dem Verfahren gedrängt werden soll.