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Notary Shopping – GmbH-Gründung in der Schweiz?

Dr. Johannes Scheller  Dr. Johannes Scheller
Notar in Hamburg

Forum Shopping ist längst Usus. Im Wettbewerb der Rechtsordnungen wird zuweilen auch Notary Shopping betrieben, meist zur Kostenreduktion (im Lichte des GNotKG je nach Stammkapitalhöhe übrigens oftmals eine Chimäre!). Den Bemühungen ist durchwachsener Erfolg zu attestieren, sie betrafen im Gesellschaftsrecht bislang vor allem den Bereich der Anteilsübertragung, weniger gesellschaftsrechtliche Verfassungs- bzw. Organisationsakte. Jüngst hat das KG in seiner Entscheidung vom 24.1.2018 (22 W 25/16, GmbHR 2018, 376 mit Anmerkung Wicke) entgegen der Vorinstanz als erstes deutsches Obergericht nun die Beurkundung der Gründung einer GmbH durch einen im Ausland zugelassenen Notar für formwahrend (§ 2 Abs. 1 GmbHG) erachtet – zwar genüge nicht die Wahrung der meist laxeren ausländischen Ortsform (Art. 11 Abs. 1 Hs. 2 EGBGB gelangt auf gesellschaftsrechtliche Organisationsakte nicht zur Anwendung), wohl aber sei das Erfordernis der notariellen Beurkundung in § 2 Abs. 1 GmbHG substituierbar, sofern die Beurkundung durch einen im Ausland zugelassenen Notar einer Gleichwertigkeitsprüfung standhalte.

Einen Notartourismus wird dieses Judikat aber kaum auslösen: Bei genauer Lektüre der Urteilsgründe zeigt sich, dass es sich um ein Einzelfalljudikat handelt, ganz ungeachtet dessen, dass selbstverständlich in der Schweiz sorgsam zwischen den Notaren der verschiedenen Kantone zu differenzieren ist. Es bezieht sich (nur) auf eine Beurkundung durch einen Notar mit Zulassung in Bern, der das dortige Verfahrensrecht freiwillig an das strengere deutsche Verfahren der Beurkundung von Willenserklärungen angepasst hatte. Ein solches freiwilliges Verfahrens-Upgrade, mit dem Schweizer Notare selbstverständlich gerne werben, kann entgegen der Ansicht des KG die erforderliche Gleichwertigkeit des ausländischen mit dem deutschen Beurkundungsverfahren jedoch nicht herstellen. Es kommt allein darauf an, was das zu beachtende Beurkundungsrecht selbst verlangt, mit allen bei einer Missachtung zu erwartenden Konsequenzen. Wer A sagt, muss auch B sagen: Wenn und weil es bei der Prüfung der persönlichen Gleichwertigkeit nicht auf die deutschen Rechtskenntnisse des ausländischen Notars, sondern auf jene des heimischen Rechts ankommen soll (Indikator hier: Bestehen der Berner Notarprüfung), kann bei der sachlichen Gleichwertigkeit auch nur auf die Vorgaben des ausländischen Rechts abgestellt werden.

Entscheidend gegen eine Substituierbarkeit spricht allerdings bereits prinzipiell, dass der Zweck des Beurkundungserfordernisses in § 2 Abs. 1 GmbHG auch in der „materiellen Richtigkeitsgewähr“ des Gründungsvorgangs liegt (für die Satzungsänderung BGHZ 105, 324, 338). Diese wird auch durch die detaillierten Rechtskenntnisse des Notars erreicht. Im Zusammenspiel mit dem Registergericht soll der Notar nämlich im Zeichen der Rechtssicherheit und der Wahrung von Verkehrsschutzinteressen sicherstellen, dass nur solche GmbHs den Eingang ins Handelsregister finden, die im Einklang mit dem GmbHG gegründet wurden; der Notar prüft dabei umfassend, das Registergericht nur beschränkt, § 9c Abs. 2 GmbHG. Diese Prüfung gelingt aber nur, sofern der beurkundende Notar über ausreichende Kenntnisse des jeweils anwendbaren Rechts verfügt, und zwar (um Rechtssicherheit wenigstens einigermaßen zu wahren) typisiert, nicht nur im konkreten Einzelfall. In diesem Sinne ist der Schweizer Notar seinem deutschen Kollegen nicht gleichwertig. Nun mag man ketzerisch einwenden, es bedürfe keiner außerordentlichen Rechtskenntnisse für eine korrekte GmbH-Gründung, dies sei ein einfacher Standardvorgang, erst recht im Falle der Verwendung des gesetzlichen Musterprotokolls (§ 2 Abs. 1a GmbHG). Ungeachtet dessen, dass jeder Praktiker um die Tücken der richtigen Verwendung des Musterprotokolls weiß, soll dieser Standpunkt für die Einpersonengründung gar nicht bestritten werden; schon bei Zweipersonengründungen (Patt-Situationen!) gilt dies aber nicht mehr, erst recht nicht bei größerem Gesellschafterkreis, der oftmals maßgeschneiderte Satzungen benötigt, die effektive Konfliktvermeidungsregelungen liefern (Cziupka, in: Scholz, 12. Aufl. 2018, § 3 Rz. 120). Und mehr noch: Konsequenterweise müsste auch bei anderen Verfassungsakten eine Substitution möglich sein; es dürfte aber kaum bestritten werden können, dass die Richtigkeitsgewähr bei komplexen Umwandlungsmaßnahmen oder Unternehmensverträgen tiefgehende Kenntnisse des deutschen Rechts verlangt.

Abstriche bei der Prüfungsqualität des Notars zu tolerieren, hieße, in volkswirtschaftlich sinnwidriger Weise Prüfungskosten auf die ohnehin häufig überlasteten Registergerichte zu übertragen. Dies erwiese sich als erheblicher Störfaktor im wohlgeordneten System der vorsorgenden Rechtspflege, das sich im Registerrecht durch eine Komplementarität von notarieller und registergerichtlicher Prüfung auszeichnet. Die Versagung einer Substitution ist kein Protektionismus, sondern Ausdruck eines erst genommenen Gläubigerschutzes. Und nicht nur das: Die Richtigkeitsgewähr korporativer Akte (Gründung, Satzungsänderungen, Umwandlungen) dient auch den Interessen künftiger Gesellschafter. In diesem Sinne mutet der häufige Einwand geradezu zynisch an, diese seien nicht schutzbedürftig, könnten sie sich doch über die Satzung vor ihrem Beitritt informieren.

Fazit: Eine gelingende Rechtsstandortpflege (Law Made in Germany) verlangt nicht nur ein gutes Rechtsprodukt (= das zu Recht vielgelobte GmbH-Recht); dies ist nur die halbe Miete. Es kommt bei auf Registervollzug ausgerichteten Rechtsakten auch auf die Bewahrung der Einbettung des Rechtsprodukts in ein effektives System vorsorgender Rechtspflege an. Wird dieses durchlöchert, verzerrt dies die Gesamteffizienz eines solchen Systems. Zum Ganzen Cziupka, EWiR 2018, 137.

 

Mehr zum Autor: Dr. Johannes Scheller ist Notar in Hamburg mit den Schwerpunkten Gesellschaftsrecht, Immobilienrecht, Familien- und Erbrecht, Grundlagen des Rechts

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht 20. April 2018 um 15:40 | Permalink

    anders als der Autor halte ich das Urteil des KG für zutreffend und überfällig. Richtigerweise wird man in der Schweiz jedenfalls in den Kantonen, in denen nur Volljuristen nach entsprechender Prüfung als Notare zugelassen werden, von einer Gleichwertigkeit der Beurkundung ausgehen müssen. Dies gilt auch, soweit das Beurkundungsverfahren teilweise die Möglichkeit eröffnet, nicht die gesamte Urkunde zu verlesen. Jedenfalls dort, wo das (kantonale) schweizerische Beurkundungsrecht die Vollverlesung als eine anerkannte Variante der Beurkundung vorsieht (dies ist beispielsweise in Basel-Stadt der Fall), ist kein Grund ersichtlich, weshalb dann, wenn die Parteien diese Beurkundungsvariante wählen, keine Gleichwertigkeit mit dem deutschen Beurkundungsverfahren vorliegen sollte.

    Die Argumentation, bei Freiwilligkeit der vollständigen Verlesung fehle es an den gleichwertigen Konsequenzen der Missachtung, ist ein Zirkelschluss, weil sich eben diese Konsequenzen der Missachtung zwanglos daraus ergeben, dass dann kein gleichwertiges Verfahren angewendet worden wäre, mithin die Auslandsbeurkundung allein deshalb nicht anerkannt werden könnte.

    Auch das Argument, dem schweizerischen Notar fehle die Kenntnis des materiellen deutschen Rechts, erscheint sehr protektionistisch. Niemand wird bezweifeln, dass ein deutscher „Landnotar“ wirksam einen komplexen Anteilskaufvertrag oder eine Spaltung einer GmbH in zwei Aktiengesellschaften beurkunden kann. Ob er indes bei solchen Vorgängen wirklich qualifiziert ist, die materielle Richtigkeit zu prüfen, muss mangels entsprechender Erfahrung doch stark bezweifelt werden.

    Nach meiner Erfahrung wird die Auslandsbeurkundung in weit überwiegendem Umfang durch qualifizierte deutsche Juristen vorbereitet, vielfach sind alle Seiten qualifiziert anwaltlich vertreten. Die Schweizer Notare, die derartige Geschäfte regelmäßig beurkunden, dürften auch inhaltlich in aller Regel über mindestens ausreichende Kenntnisse des materiellen deutschen Rechts verfügen.

    Schließlich und endlich weist das Kammergericht in seiner Entscheidung sehr zutreffend darauf hin, dass auch niemand bezweifelt, dass ein deutscher Notar Urkunden nach ausländischem Recht errichten kann („Einigkeit besteht grundsätzlich darin, dass es der Territorialitätsgrundsatz nicht verbietet, dass der Notar eine Beurkundung vornimmt, die einen ausländischen Bezug hat (ausländische Beteiligte, ausländische Belegenheit, zB Grundstück, Geschäftsanteile) oder bei der ausschließlich eine Verwendung im Ausland vorgesehen ist (zB Verkaufsvollmacht über ein ausländisches Grundstück). Das deutsche Recht geht grundsätzlich von der freien Notarwahl für Ausländer aus.“
    (BeckOGK/Gößl BeurkG § 2 Rn. 25, beck-online).

    Warum sollte das bei Vergleichbarkeit von Stellung und Vorbildung dann für ausländische Notare anders sein?

  2. Avatar Dr. Johannes Cziupka
    Veröffentlicht 8. Mai 2018 um 23:54 | Permalink

    Unsere Ansichten divergieren wohl vor allem in einem Punkt: Sie plädieren für eine konkrete Betrachtung des jeweiligen Beurkundungsverfahrens, möchten mithin die Substitutionsfrage der persönlichen und verfahrensrechtlichen Gleichwertigkeit anhand des Einzelfalls entscheiden; dagegen lege ich eine abstrakte Betrachtungsweise nahe.

    Eine Substitution verlangt bekanntlich, dass eine (aus nationaler Sicht) fremde Rechtserscheinung (nämlich hier: die Beurkundung durch einen in der Schweiz zugelassenen Notar, dessen Beurkundungsverfahren iprechtlich zwingend seinem heimischen Schweizer Recht entstammen muss) den Anforderungen des Tatbestands der einschlägigen (verständig ausgelegten) Sachnorm (hier: § 2 Abs. 1 GmbHG) genügt. Dies ist bereits der Fall, wenn bei einer funktionalen Betrachtung Gleichwertigkeit besteht; bei dieser Überprüfung sind Kollisionsrechtlicher (und zuweilen Rechtsanwälte, die an der Schweizer Grenze offenbar gute Erfahrungen mit entsprechend spezialisierten Nachbarnotaren gemacht haben) durchaus geneigt, großzügig zu verfahren; dogmatisch überzeugt dies, zumal nur Gleichwertigkeit, nicht aber Identität festzustellen sein muss.

    Allerdings stellt sich diese in der Tat konkret zu beantwortende Frage erst auf zweiter Stufe; „Vorfrage“ jeder Ãœberprüfung der Gleichwertigkeit ist stets, ob die jeweilige Sachnorm überhaupt „substitutionsoffen“ ist, d.h., ob sie dahin ausgelegt werden kann, dass sie sich für fremde Rechtserscheinungen überhaupt offen zeigt (vgl. nur Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 67). Versperrt sie sich gegen eine Substituierbarkeit, bleibt kein Raum mehr für eine Gleichwertigkeitsprüfung.

    So verhält es sich in Bezug auf Beurkundungserfordernisse bei Organisationsakten, wie der Gründung der GmbH. Neben den im Blog bereits erwähnten Argumenten spricht dafür auch die dadurch ermöglichte Sicherstellung eines effizienten Registerverfahrens: Prüfkosten der Registergerichte stiegen unverhältnismäßig, sofern bei der registergerichtlichen Prüfung jeweils im Einzelfall festzustellen wäre, ob der konkrete im Ausland zugelassene Notar über eine hinreichende Expertise im deutschen Gesellschaftsrecht verfügt und ein die deutschen Beurkundungszwecke weitgehend erreichendes Verfahren angewandt hat, ob dieser mithin die so oft betonte „materielle Richtigkeitsgewähr“ bieten kann. Erforderlich ist mithin eine Typisierung (s. auch Wicke, GmbHR 2018, 380 [381]). Das Kriterium „in Deutschland zugelassener Notar“ erlaubt diese, ist leicht festzustellen und rechtssicher zu handhaben.

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