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AG Dieburg zum Beginn der Widerrufsfrist und den Anforderungen an die Erklärung des Widerrufs im Fernabsatz

Dr. Matthias Böse  Dr. Matthias Böse
Rechtsanwalt und Fachanwalt Gewerblicher Rechtsschutz

Vom AG Dieburg stammt eine Entscheidung, die sowohl für Verbraucher, als auch für Versandhändler interessant sein dürfte. Gleich zwei Fragen konnten hier geklärt werden

1. Anforderungen an eine Widerrufserklärung

Durch die Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie sind die Anforderungen an eine Widerrufserklärung gestiegen. Genügte bisher die simple Verweigerung der Annahme einer Sendung, um einen konkludenten Widerruf anzunehmen, so verlangt das Gesetz nun mehr, in § 355 Abs. 1 S. 2 f. BGB heißt es nun:

Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen.

Im Fall des AG Dieburg war es so, dass der Käufer fünf Pakete eines Erfrischungsgetränkes bestellte und dem Lieferanten nach dem Ausladen des dritten Paketes mitteilte, dass er die Annahme der weiteren zwei Pakete verweigere. Diese wurden daraufhin an den Verkäufer zurückgesandt. Rund 2 Monate später forderte der Händler zur Bezahlung der zurückgesandten zwei Pakete, woraufhin der Verbraucher nochmals einen Widerruf erklärte.

Das AG Dieburg hält, dem Wortlaut der Norm zu recht, die Ablehnung der Annahme der Pakete nicht für eine ausreichende Widerrufserklärung:

Entgegen § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. ist eine bloße Rücksendung der Ware nicht mehr ausreichend. Entsprechendes gilt daher auch für die Verweigerung der Annahme der Ware, durch die alleine die Anforderungen des § 355 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 BGB an einen Widerruf nicht erfüllt werden.“

Erst die Mitteilung des Kunden zwei Monate später könnte einen solchen Widerruf darstellen.

2. Beginn der Widerrufsfrist

Der Beginn der Widerrufsfrist lässt sich § 356 Abs. 2 BGB entnehmen. Alle dort genannten Fälle haben zur Voraussetzung, dass der Verbraucher oder ein von ihm benannter Dritter, der nicht Frachtführer ist, die erste Ware erhalten hat. Auch bezüglich der noch nicht ausgeladenen zwei Pakete nimmt das AG Dieburg ein „Erhalten“ im Sinne der Norm an:

„Ob auf Grund der Lieferung in fünf Paketen § 356 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, b oder c BGB Anwendung findet, kann hingegen dahinstehen, da der Kl. am 21.8.2015 alle fünf Pakete im Sinne dieser Vorschrift erhalten hat und deshalb die Frage, ob es sich um eine oder mehrere Lieferungen handelte, ohne Belang ist. Unter Erhalt der Ware i.S.d. § 356 Abs. 2 BGB ist der „physische Empfang” (vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, 73. Aufl. 2014, § 356 n.F. Rdnr. 4; Christmann, in: Bamberger/Roth, BeckOK, Stand: 1.11.2014, § 356 Rdnr. 5) bzw. der „physische Besitz” (vgl. Begr. des Gesetzesentwurfs, BT-Drs. 17/12637, S. 61) der Ware zu verstehen. Entscheidend soll demnach sein, ob der Verbraucher in der Lage ist, die Ware zu untersuchen (vgl. Grüneberg, a.a.O., § 356 n.F. Rdnr. 4, § 438 Rdnr. 15). … Demnach kann der Unternehmer im Falle eines Kaufvertrags den Zeitpunkt als entscheidend für den Fristbeginn vorsehen, in dem der Verbraucher oder ein von ihm benannter Dritter die Ware „in Besitz genommen” hat.
Eine Inbesitznahme durch den Kl. lag auch hinsichtlich der beiden abgelehnten Pakete vor, da dieser mit der Anweisung an den Paketboten, die Pakete zurückzuschicken, von seiner Sachherrschaft i.S.d. § 854 Abs. 1 BGB Gebrauch gemacht hat. „In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung, d.h. von der zusammenfassenden Wertung aller Umstände des jeweiligen Falls entsprechend den Anschauungen des täglichen Lebens, ab” (BGH, U. v. 2.12.2011 – V ZR 119/11 [= MMR 2012, 417]). Erforderlich ist ferner, dass die Sachherrschaft von einem entsprechenden Besitzwillen des Besitzers getragen wird (BGH, a.a.O.). Ausgehend von diesem Maßstab spricht das Gesamtbild der Verhältnisse dafür, dass der Kl. hinsichtlich aller fünf Pakete bereits eine tatsächliche Sachherrschaft ausüben konnte. Dies folgt vor allem daraus, dass es alleine in seiner Entscheidung lag, ob er die Pakete behalten oder zurückschicken möchte. Insofern hatte er die Möglichkeit, über alle Pakete zu verfügen und den Inhalt zu überprüfen, obwohl der Paketbote diese einzeln aus dem Lieferwagen zur Haustür des Kl. transportierte. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kl. die zwei nicht angenommenen Pakete nicht gesehen hat. Denn bei lebensnaher Betrachtung kann es für die auf tatsächlichen Gründen beruhende Sachherrschaft des Kl. über die Ware als solche keinen Unterschied machen, ob der Lieferant alle fünf Pakete vor der Haustür abstellt und der Kl. diese möglicherweise begutachtet und näher kontrolliert oder ob er lediglich drei annimmt und hinsichtlich der anderen erklärt, diese nicht behalten zu wollen. Denn für die Annahme einer tatsächlichen Sachherrschaft ist nicht erforderlich, dass der Kl. die Sache berührt, in den Händen hält oder in einen abgesicherten Bereich wie z.B. seine Wohnung verbringt und damit seine Herrschaftsposition sichert. Vielmehr ist ausreichend, wenn er eine solche Position innehält, über die Sache als solche tatsächlich zu verfügen. Dies war ihm möglich. Denn der tatsächliche Rücktransport durch den Lieferanten zeigt, dass er über die Gegenstände als solche verfügen konnte.
Dass der Kl. die beiden Pakete nicht annehmen wollte, ist für das Vorliegen eines Besitzwillens nicht schädlich. Denn dieser muss nicht auf den Erwerb bestimmter Sachen bezogen sein, vielmehr ist ein genereller Besitzwille ausreichend (BGH, U. v. 24.6.1987 – VI ZR 397/86). Ein solcher war hinsichtlich der Lieferung der Bekl. zumindest bis zur Erklärung, die Ware nicht vollumfänglich annehmen zu wollen, vorhanden. I.Ü. bezieht sich der Besitzwille nicht auf das Behalten der Gegenstände, sondern auf die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache (BGH, a.a.O.). Letztere bestand darin, dass der Kl. den Lieferanten anweisen konnte, die Ware wieder mitzunehmen, und in der Entscheidungsmöglichkeit über die Frage, in welcher Art und Weise mit den beiden Paketen zu verfahren ist.“

Gerade die Annahme des Gerichts, der Verbraucher hätte in dieser Situation über alle – auch die nicht angenommenen – Pakete tatsächlich in einer solchen Weise verfügen können, dass er in der Lage war, die Ware zu untersuchen, ist streitbar. Die praktische Lebenserfahrung zeigt, dass Lieferdienste keine Prüfung des Inhalts von Sendungen zulassen, bevor nicht die Annahme der Sendung erfolgt ist. Zutreffend führt das Gericht aber aus, dass dies dazu führen würde, dass findige Verbraucher durch die Verweigerung der Annahme einer Teilsendung gem. § 356 Abs. 2 lit b) BGB sich ein Widerrufsrecht von einem Jahr und 14 Tagen ab Vertragsschluss verschaffen könnten (§ 356 Abs. 3 S. 2 BGB).

AG Dieburg, Urt. v. 4.11.2015 – 20 C 218/15 (21)

 

Mehr zum Autor: Dr. Matthias Böse ist Rechtsanwalt und Fachanwalt Gewerblicher Rechtsschutz in der Kanzlei Franz LLP.

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