Nach dem Wohnungseigentumsgesetz können die Wohnungseigentümer dort über einen Gegenstand einen Beschluss fassen, wo ihnen das Gesetz die dafür notwendige Beschlusskompetenz einräumt. Solche Beschlusskompetenzen sind zwar über das gesamte Gesetz verstreut. Der Autonomie der Wohnungseigentümer, ihre eigenen Geschicke zu bestimmen, sind aber auch deutliche Grenzen gesetzt.
Dem Gesetzgeber war diese Enge bewusst. Aus diesem Grunde räumt das Gesetz den Wohnungseigentümern die Möglichkeit ein, zu vereinbaren, dass es weitere Beschlusskompetenzen geben soll. Dies folgt zum einen aus der Bestimmung des § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG. Und zum anderen werden diese Vereinbarungen ausdrücklich in § 23 Abs. 1 WEG genannt. Denn diese Regelung geht von „Angelegenheiten“ aus, die nach einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer durch Beschluss entschieden werden können.
Vereinbarungen, die den Wohnungseigentümern über die gesetzlichen Beschlusskompetenzen hinaus privatautonom bestimmte Beschlusskompetenz geben, nennt man üblicherweise „Öffnungsklausel“. Mit einer solchen Vereinbarung nehmen die Wohnungseigentümer wissend und wollend in Kauf, dass eine Entscheidung, für die das Gesetz annimmt, sie müsse wegen ihrer Bedeutung und Wichtigkeit von allen Wohnungseigentümern gemeinsam getroffen werden, etwa, ob man das Sondereigentum zum Wohnen oder nicht Wohnen gebrauchen und nutzen kann, ob es am gemeinschaftlichen Eigentum ein Sondernutzungsrecht geben soll oder wer das gemeinschaftliche Eigentum erhalten muss, nur von einer Mehrheit getroffen wird. Eine Öffnungsklausel ist mithin im Einzelfall gefährlich und kann ohne weiteres dazu führen, dass die Rechte einzelner Wohnungseigentümer gegenüber dem Interesse der Mehrheit der Wohnungseigentümer zurücktreten müssen. Dass aber ist ihr Ziel und Zweck. Und es ist von Gesetzes wegen so gewollt. Diese Möglichkeit ist durch den Bundestag demokratisch legitimiert und vom Willen des Volkes getragen.
Ungeachtet dessen hat der Bundesgerichtshof den Anwendungsbereich allgemeiner Öffnungsklauseln gleich in mehreren Entscheidungen beschnitten. Das letzte dieser Judikate ist BGH, Urteil vom 12. April 2019 – V ZR 112/18 (die weiteren sind dort nachlesbar). Es ging darum, ob Wohnungseigentümer, gestützt auf eine allgemeine Öffnungsklausel, also einer solchen Öffnungsklausel, die den Wohnungseigentümern für sämtliche denkbaren Angelegenheiten, die man eigentlich vereinbaren müsste, eine Beschlusskompetenz gibt, bestimmen können, dass kurzzeitige Vermietungen eines Wohnungseigentums untersagt werden. Der Karlsruher Sachenrechtssenat verneint diese Frage. Um die „Einhaltung fundamentaler inhaltlicher Schranken“ zum Schutz der Minderheit sicherzustellen, gäbe es Eingriffe, die der Zustimmung jedes Wohnungseigentümers bedürften. Dies ergebe sich aus einer verfassungskonformen Auslegung einer allgemeinen Öffnungsklausel (Anmerkung des Verfassers: kann man bloße Binnenverträge, mit denen Menschen ihre eigenen Geschicke privatautonom und nur für ihren Kreis bestimmen, wirklich verfassungskonform auslegen?). Die Ansicht, die Wohnungseigentümer hätten mit der Vereinbarung einer allgemeinen Öffnungsklausel vorab in jegliche Änderung der Gemeinschaftsordnung eingewilligt, sei falsch. Eine allgemeine Öffnungsklausel sei zwar als solche nicht zu beanstanden. Aus ihr könne aber nicht auf eine Zustimmung der Wohnungseigentümer zu allen künftig denkbaren Regelungen geschlossen werden. Denn die Gewährung rechtlicher Gestaltungsmacht trage ihre „Beschränkung auf das gebotene Maß als immanente Schranke“ in sich.
Es ist zu fragen, ob diese Überlegungen die Dinge womöglich verkehren und ins falsche Licht rücken. Denn grundsätzlich ist es ja so, dass jeder Wohnungseigentümer bei den Gegenständen, die man vereinbaren muss, zustimmen muss. Vereinbart man aber eine Öffnungsklausel, will man gerade, dass es nicht auf die Zustimmung aller Wohnungseigentümer ankommen soll. Wünscht man, dass nur bestimmte Regelungen auf Grundlage einer Öffnungsklausel bestimmt werden können, bestimmt man eine spezielle Öffnungsklausel (ihr Sinn und Zweck ist es, nur bestimmte Gegenstände dem Beschluss zu öffnen). Bestimmt man aber eine allgemeine Öffnungsklausel, sollen gerade alle denkbaren Gegenstände beschlussoffen sein. Wer hier ausgelegt, es sei nicht so, hat keinen festen Boden unter den Füßen.
Mit seiner Denkweise bestimmt der Bundesgerichtshof daher wohl das Ende allgemeiner Öffnungsklauseln, beraubt sie aber jedenfalls im Wesentlichen ihres Anwendungsbereichs – und macht auch speziellen Öffnungsklauseln womöglich den Garaus. Zwar behauptet der V. Zivilsenat nicht, es gebe keine Regelungen, die man noch auf eine allgemeine Öffnungsklausel stützen könnte. Der Weg versperrt ist künftig aber solchen Regelungen, die man nicht als „geboten“ ansieht. Was „geboten“ ist, müssen im Zweifel aber für die Wohnungseigentümerschafe Richter gleichsam als deren gute Hirten bestimmen (man muss kein großer Augur sein, um anzunehmen, dass diese auch meinen werden, künftig könnten auch keine Sondernutzungsrechte mehr auf Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel bestimmt werden).
Wer diesen Weg begrüßt, muss wissen, dass in ihm eine ungezierte Einschränkung der Privatautonomie der Wohnungseigentümer liegt. Wenn es in der Presse gern heißt, der Bundesgerichtshof habe die Rechte des Bürgers gestärkt, muss man diese Aussage jedenfalls in diesem Fall bezweifeln. Die Entwicklung sollte man daher kritisch hinterfragen und begleiten. Ferner ist zu überlegen, ob in der anstehenden Reform des Wohnungseigentumsgesetzes nicht gegengesteuert werden sollte. Sieht man es in Berlin anders, könnte man hingegen schauen, ob man Öffnungsklauseln verbietet und dort, wo man es als angemessen ansieht, die gesetzlichen Beschlusskompetenzen – wenigstens behutsam – erweitert.
Die hier geäußerten Bedenken gelten im Übrigen nicht nur dem Wohnungseigentumsrecht, sondern auch dem Gesellschaftsrecht. Denn auch dort werden Satzungen überprüft und auch dort meint man, der Richter wisse letztlich besser als die Vertragschließenden, was für diese gut ist. Es gibt eben überall gute Hirten.
2 Kommentare
Die Kritik ist einerseits dogmatisch konsequent, kann aber deshalb nicht restlos überzeugen, weil sie von einer zumindest wertungsmäßig falschen Prämisse ausgeht. Gemeint ist die Prämisse, dass eine in der Teliungserklärung enthaltene Öffnungsklausel einen „Binnenvertrag, mit denen Menschen ihre eigenen Geschicke privatautonom und nur für ihren Kreis bestimmen“ darstelle. Nein, die Teilungserklärung stammt (typischerweise, in ca. 99,9 % aller Fälle) vom Bauträger bzw. dem von ihm beauftragten Notar und die Käufer/Wohnungseigentümer nehmen sie hin, weil sie keine andere Wahl haben, wenn sie die Wohnung kaufen wollen. Die vom Bauträger stammende Teilungserklärung erhält nur aufgrund der Regelung (um nicht zu sagen der Fiktio)n des § 8 Abs. 2 WEG in Verbindung mit der Grundbucheintragung den Charakter einre Vereinbarung. Der Sache nach beruht die Öffnungsklausel also nicht auf einer prvatautonomen, bewussten Entscheidung der Wohnugnseigentümer, sondern wurde ihnen vorgegeben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht so verkehrt, dass Richter als „gute Hirten“ gröbste Auswüchse verhindern.
RA Dr. David Greiner, Tübingen
Die von Dr. Greiner genannten Gründe sind wichtig. Sie überzeugen aber eher nicht. Warum?
Richtig ist, dass die Gemeinschaftsordnung in der Regel vom Bauträger stammt. Richtig ist aber auch, dass niemand vom Bauträger kaufen muss und jeder der kauft, der Gemeinschaftsordnung gleichsam zustimmt. Meinten die Wohnungseigentümer, die Gemeinschaftsordnung sei fehlerhaft, können sie selbst diese im Übrigen jederzeit ändern. Dafür braucht es keine Hirten. Schließlich gibt es auch die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG. Belassen es daher die Wohnungseigentümer bei einer Öffnungsklausel, dürfte diese in aller Regel ihrem Willen entsprechen. Wenigstens bislang war sie ja auch sinnvoll und ein Instrument, zu dem man raten konnte.
Dr. Oliver Elzer