Great Expectations!

Große Erwartungen (Originaltitel: Great Expectations) ist ein Roman von Charles Dickens, künftig, leicht modifiziert, nämlich als „berechtigte Erwartungen„, aber auch eine Kategorie im Wohnungseigentumsrecht. Denn bei BGH v. 16.3.2018 – V ZR 276/16 – Rz. 15, ist Folgendes zu lesen:

Wird … in erheblichen Umfang in die Gebäudesubstanz eingegriffen, entsteht bei den übrigen Wohnungseigentümern die berechtigte Erwartung, dass bei dem Umbau des Sonder- und des Gemeinschaftseigentums insgesamt die aktuellen technischen Vorgaben und damit auch die nunmehr geltenden Schallschutzwerte beachtet werden […]. Selbst wenn die übrigen Wohnungseigentümer die im Hinblick auf Veränderungen des Gemeinschaftseigentums gemäß § 22 Abs. 1 WEG erforderliche Zustimmung erteilt haben, kann ihnen aus dem Gebrauch des Gemeinschaftseigentums ein Nachteil im Sinne von § 14 Nr. 1 WEG erwachsen, sofern bei der Bauausführung die derzeitigen Anforderungen an den Schallschutz unterschritten werden und dies nicht ausdrücklich gestattet worden ist. Aber nur grundlegende Um- oder Ausbauten wie etwa ein Dachgeschossausbau begründen eine Pflicht zur Beachtung der aktuellen technischen Anforderungen an den Schallschutz [..].

Ich übersetze eine der Aussagen für den flüchtigen Leser anhand eines kleinen Fallbeispiels und seiner Lösung:

Fall: Wohnungseigentümer Schallschützer stellt den anderen Wohnungseigentümern seinen Wunsch vor, das Dachgeschoss auszubauen. Er erklärt den anderen Wohnungseigentümern, den vorhandenen Aufbau des Bodens zwischen dem Obergeschoss und dem bisherigen Dachboden nicht verbessern zu wollen. Jedenfalls legt er den anderen Wohnungseigentümern seine Bauplanung vor, aus der sich solches nicht ergibt (um der Bestimmtheit des Beschlusses nach § 22 Abs. 1 WEG zu genügen, ist die Vorlage der Planung zwingend und ist die Planung als Anlage des Beschlusses zur Niederschrift und in die Beschluss-Sammlung zu nehmen). Die anderen Wohnungseigentümer stimmen der Planung nach § 22 Abs. 1 WEG zu. Ausdrückliches zum Schallschutz findet sich im Beschluss nicht. Der Beschluss erwächst in Bestandskraft. Wohnungseigentümer Hellhörig, dessen Wohnung unter der Wohnung von Wohnungseigentümer Schallschützer, liegt, verlangt nach 3 Monaten, dass Wohnungseigentümer Schallschützer den Bodenaufbau verändert und verlangt einen Aufbau des Bodens, der die aktuellen technischen Vorgaben und damit auch die nunmehr geltenden Schallschutzwerte beachtet.

Lösung: Wohnungseigentümer Hellhörig hat Recht! Denn die Zustimmung der Wohnungseigentümer ändert nichts daran, dass sie von Wohnungseigentümer Schallschützer verlangen können (wie lange: 3 Jahre – und nach welcher Norm?), entgegen seiner Planungen den Bodenaufbau zu verändern und dabei die aktuellen technischen Vorgaben und damit auch die nunmehr geltenden Schallschutzwerte zu verbessern. Denn die anderen Wohnungseigentümer hatten die berechtigte Erwartung, Wohnungseigentümer Schallschützer würde ungeachtet seiner anders lautenden Planung, die ihnen auch bekannt war oder jedenfalls bekannt sein musste, die derzeitigen Anforderungen an den Schallschutz erfüllen. Ob allerdings für die Dachhaut, die Isolierung, die Stränge usw. etwas anderes gilt, die Wohnungseigentümer Hellhörig auch verbessert sehen will, ist unklar. Gibt es hier auch „berechtigte Erwartungen“?

Diese Sichtweise der Dinge sollte nochmals, zeitnah und gründlich überprüft werden (und soll sie wenigstens für alle Dachausbauten der letzten 30 Jahre gelten?). Jedenfalls ich selbst meine, ich könnte grundsätzlich nicht erwarten, dass mein Gegenüber mir etwas gibt, von dem er mir vorher gesagt hat, er gebe es mir nicht. Ich meine vielmehr, wenn ich etwas haben will, müsste ich das formulieren. Insoweit habe ich durch § 22 Abs. 1 WEG auch ein starkes Druckmittel: Bekomme ich nicht, was ich will, z.B. einen besseren Schallschutz als bislang, verweigere ich meine Zustimmung – denn dafür, nämlich meine Rechte zu wahren, ist die Zustimmung (auch) da. Ich selbst meine ferner, bei dieser Frage ginge es auch um keine Petitesse. Ich meine vielmehr, wir sollten zögern, Verträge („Spiel- und Tummelfeld“ hier u.a.:  die Bestimmungen der §§ 134, 138, 242, 305 ff. BGB, „Kernbereiche“, „Rechtsmissbräuche“, „Verwirkungen“ usw.), aber auch Gesetze „Stück für Stück“ abzutragen und an ihre Stelle – je nach Zeitgeschmack! – unsere Gefühle, unsere (berechtigten und unberechtigten) Erwartungen (wer sagt mir, welche Erwartungen [un]berechtigt sind?) und das, was wir selbst als „Treu und Glauben“ ansehen, zu setzen. Machen wir es aber doch, muss klar gesagt werden, warum das Recht nicht anders gedeutet werden kann – berechtigte Erwartungen sind da als Argument gegebenenfalls etwas „dünn“ – und woraus Pflichten folgen, welche Norm also im Fall Wohnungseigentümer Schallschützer zwänge, auf eigene Kosten das gemeinschaftliche Eigentum zu verbessern.

Im Übrigen: Die berechtigten Erwartungen sollen als BGH-Hauptaussage wohl vor allem für den, der keine Zustimmung hatte, in „erheblichen Umfang“ in die Gebäudesubstanz einzugreifen, zur Folge haben, dass er das gemeinschaftliche Eigentum in Bezug auf den Schallschutz gemäß aktuellen technischen Vorgaben auf eigene Kosten verbessern muss. Dieser Erwartung zuzustimmen, fällt bestimmt vielen leichter. Indes: Als Rechtsfolge einer unberechtigten baulichen Veränderung (gegebenenfalls sogar einer berechtigten, aber nachteiligen Gebrauchsänderung in Bezug auf das Sondereigentum?) soll man nicht nur Unterlassung, Wiederherstellung und Schadenersatz, sondern eben auch eine Verbesserung des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen können? Ist das kein Angriff auf bisherige rechtliche Strukturen und ein Friedensbruch mit §§ 249 ff. BGB? Und nochmals: was wäre die Anspruchsgrundlage?

Der Leser von  Charles Dickens kennt gegebenenfalls Pips Ende – der Hauptfigur in Great Expectations: Seine Erwartungen enden im Wesentlichen mit dem Tode seines Gönners Magwitch. Allerdings versöhnt er sich mit Joe – und selbst mit Estella. Man kann daher nicht ausschließen, dass auch die berechtigen Erwartungen wieder enden und sich frische Lösungen mit WEG und allgemeiner Dogmatik besser harmonieren.

 

Viva la Revolución?

Nach Wikipedia ist eine Revolution ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt. Der Wandel kann friedlich oder gewaltsam vor sich gehen. Eine Revolution von oben – auch nach Wikipedia – beschreibt grundlegende Reformen vonseiten der Herrschenden. Solche Revolutionen – Revolutionen von oben – finden sich im Wohnungseigentumsrecht häufig. Bedeutsame Beispiele sind etwa die BGH-Entscheidungen vom 20.09.2000 – V ZB 58/99 zur Frage, ob es eine Beschlusskompetenz gibt, ein Sondernutzugsrecht zu gewähren, vom 23.08.2001 – V ZB 10/01 zu konstitutiven Bedeutung der Bekanntgabe des Beschlussergebnisses, vom 25.09. 2003 – V ZB 21/03 zur Reichweite des § 16 Abs. 2 WEG oder vom 02.06.2005 – V ZB 32/05 zur Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Alles keine Ruhmesblätter. Wir haben sie aber überlebt und – zum Teil – festgestellt, dass es gar nicht so schlimm war.

Möglicherweise haben wir es jetzt wieder mit so einer grundlegenden Reform vonseiten der WEG-Herrschenden zu tun. In einer „Nebenbeibemerkung“ könnte nämlich zu lesen sein, in der Zustimmung zu einer baulichen Veränderung könne zugleich die Gewährung eines Sondernutzungsrechts liegen (BGH, Urteil vom 13.01.2017 – V ZR 96/16, Rz. 30 ff. und Leitsatz 2). Wäre es so, wäre das freilich ein hier zu würdigender „Paukenschlag“. Denn stets müssten nun die Wohnungseigentümer und müsste der Verwalter als Versammlungsleiter prüfen, ob in der baulichen Veränderung – für eine Modernisierung kann nichts anderes gelten – zugleich ein Sondernutzungsrecht liegt. So liegt es zwar nicht beim Einbau eines Personenaufzugs (hier irrt der BGH), da dessen Errichtung tatsächlich noch nichts dazu sagt, wer den Personenaufzug später (allein) gebrauchen darf. So liegt es der Sache nach aber etwa bei der Anbringung von Schildern, da die Fläche, an denen sie befestigt werden, eben nur von dem „bauwilligen“ Wohnungseigentümer (respektive seinem Schild) gebraucht wird.

Kann dieses Denken indes richtig sein? Kann es wahr sein, dass eine BGH-Rechtsprechung dazu führt, dass das, was von Gesetzes wegen beschlossen werden kann, dennoch nichtig sein kann? Ich selbst meine – man merkt das natürlich –, es könne nicht richtig sein. Ich wehre mich dagegen, das Gesetz gleichsam zu kastrieren. Ich meine, wer bauen darf, darf dabei dann eben auch die Bauteile oder Flächen allein gebrauchen, an denen er baut. Alles anderes ist für mich selbst eher sinnfrei. Es kann doch nicht sein, dass sich eine – durchaus fragwürdige – Rechtsprechung baulichen Veränderungen in den Wege stellen können kann. Ich hoffe daher – auch hier –, Karlsruhe bliebe eher konservativ und führte aus, hat es dazu mal wieder Gelegenheit, man verstehe es falsch und verdrehe das Gedachte/Gemeinte/Gewollte. Denn Karlsruhe habe eigentlich – wenn überhaupt – nur etwas zur Beschlussersetzung sagen wollen, nicht aber zu baulichen Veränderungen. Eine solche kann zwar seiner Ansicht sehr wohl auf eine Vereinbarung zielen, das ist aber ein anderer Irrtum, dem auch ein anderes Mal nachzugehen ist.