Schadenersatzansprüche: Gemeinschaftsbezogen oder was?

Das Wohnungseigentumsgesetz behandelt in seinem § 10 Abs. 6 Satz 3 die Frage, was bei Rechten gilt, die die Wohnungseigentümer als Miteigentümer des gemeinschaftlichen Eigentums haben, und bei Pflichten, die auf allen Wohnungseigentümern als Miteigentümer des gemeinschaftlichen Eigentums ruhen.

Man könnte insoweit in Anlehnung an § 1011 BGB vertreten, jeder einzelne Wohnungseigentümer sei bei Rechten berechtigt, sie geltend zu machen (siehe auch BGH, Urteil vom 11. Dezember 1992 – V ZR 118/91, unter II 1 a). Und ferner könnte man die Ansicht vertreten, ein Gläubiger sei bei Pflichten berechtigt, jeden Wohnungseigentümer als Gesamtschuldner in Anspruch zu nehmen. Diesen Weg geht das Wohnungseigentumsgesetz aber nicht. Stattdessen unterscheidet es zwischen gemeinschaftsbezogenen Rechten und Pflichten und solchen Rechten und Pflichten, die (bloß) gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind. Diese Unterscheidung macht es notwendig, geht es um das gemeinschaftliche Eigentum und auf dieses bezogene Rechte und Pflichten, zu fragen, ob ein Recht oder eine Pflicht gemeinschaftsbezogen ist.

Der Gesetzgeber hielt diese Unterscheidung für leicht leistbar, da der Begriff in Rechtsprechung, Lehre und Praxis der Verwaltung bekannt sei und von seinem Wortlaut her die Zuordnung der Angelegenheiten, um die es gehe, deutlich mache (BT- Drucksache 16/887, 61 linke Spalte). Gemeinschaftsbezogen seien die Angelegenheiten, für die zum einen gemäß § 21 Abs. 1 WEG (Grundsatz der gemeinschaftlichen Verwaltung) bisher (= vor Änderung der Sichtweise, es gäbe eine rechtsfähige Gemeinschaft der Wohnungseigentümer) eine ausschließliche Verwaltungszuständigkeit der Gesamtheit der Wohnungseigentümer angenommen worden sei und bei deren Geltendmachung sich die Gemeinschaft und ein Wohnungseigentümer „wie Dritte“ gegenüber stünden. Gemeinschaftsbezogen sei insbesondere der Anspruch auf Schadenersatz wegen Verletzung des gemeinschaftlichen Eigentums (BT- Drucksache 16/887, 61 rechte Spalte).

In der Praxis hat sich ungeachtet der Einschätzung des Gesetzgebers die Frage, welches Recht gemeinschaftsbezogen ist, freilich zu einem besonderen Problemfall in der Anwendung des WEG entwickelt. Beinahe zu jedem Recht in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum ist unklar, ob es gemeinschaftsbezogen ist. Für Schadenersatzansprüche galt bislang allerdings als wohl geklärt, dass diese, so wie es der Gesetzgeber auch gewollt hat, gemeinschaftsbezogen sind (siehe nur Hügel/Elzer, WEG, 2. Aufl., § 10 Rz. 243). Und dies gilt nicht nur, wenn ein Wohnungseigentümer oder ein Dritter das gemeinschaftliche Eigentum beschädigt hat, sondern auch dann, wenn es sich um „Wiederherstellungsansprüche“ handelt (BGH, Urteil vom 7.2.2014 – V ZR 25/13, Rz. 17). Solche Ansprüche können zwar in eine Konkurrenz zu dem Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB treten. Aber schon weil die Wahl zwischen Naturalrestitution und Geldersatz gemeinschaftlich getroffen werden müsse, seien Schadenersatzansprüche insgesamt als gemeinschaftsbezogene Rechte anzusehen (BGH, Urteil vom 7.2.2014 – V ZR 25/13, Rz. 17).

Die Bestimmung der Grenze zwischen Beseitigung/Unterlassung und Schadenersatz/ Wiederherstellungsanspruch war und ist freilich problematisch (siehe nur Hügel/Elzer, WEG, 2. Aufl., § 22 Rz. 114a). Ich selbst meinte, dass der Störer im Wohnungseigentumsrecht im Rahmen des Beseitigungsanspruchs entfernen muss, was er selbst unzulässig angebracht oder entfernt hat. Gehe es indessen um durch die unzulässige bauliche Veränderung verursachte Schäden, ginge es um Schadenersatz. Ähnlich liege es, wenn der Störer über die Beseitigung hinaus den alten Zustand wiederherstellen soll, denn darin liegt keine Beseitigung mehr, sondern ein aliud.

Der Bundesgerichtshof kümmert sich um diesen gegebenenfalls lächerlichen Versuch, seiner Rechtsprechung gerecht zu werden, nicht. Stattdessen gibt er jetzt – leider mit einer statt an das Gesetz an einen Aufsatz angelehnten Diktion – lieber seine Rechtsprechung sang und klanglos einfach auf (BGH, Urteil vom 26.10.2018 – V ZR 328/17, Rz. 8). Ich übersetze insoweit wie folgt:

Schadenersatzansprüche, die auf die Verletzung des gemeinschaftlichen Eigentums gestützt werden würden, seien nicht gemeinschaftsbezogen, wenn und soweit sie in Anspruchskonkurrenz zu Beseitigungsansprüchen der Wohnungseigentümer aus dem Miteigentum an dem Grundstück gemäß § 1004 Abs. 1 BGB stünden. Das gelte auch, soweit der Beseitigungsanspruch die Wiederherstellung des vorherigen Zustands umfasse.

Gegen eine Gemeinschaftsbezogenheit spreche entscheidend, dass „andernfalls die an sich erwünschte Möglichkeit der Rechtsverfolgung des einzelnen Wohnungseigentümers erheblich beeinträchtigt wäre“. Bauliche Veränderungen oder ein rechtswidriger Gebrauch (?) des gemeinschaftlichen Eigentums würden häufig nicht alle Wohnungseigentümer gleichermaßen betreffen. Deshalb sei „es nicht erforderlich und auch nicht wünschenswert“, von vornherein die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit der Durchsetzung solcher Ansprüche und dem damit verbundenen Kostenrisiko zu belasten. Vielmehr sei es interessengerecht, dass einzelne Wohnungseigentümer die ihnen zustehenden Ansprüche solange durchsetzen könnten, wie eine gemeinschaftliche Rechtsverfolgung nicht beschlossen worden sei (BGH, Urteil vom 26.10.2018 – V ZR 328/17, Rz. 14).

Diese Sätze mögen richtig oder falsch sein. Sie erleichtern die Arbeit mit der Bestimmung des § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG nicht. Vielmehr besteht jetzt noch mehr als bislang Unsicherheit darin, die Frage zu beantworten, welches Recht – mit den Worten des Bundesgerichtshofes – so gelagert ist, dass „schutzwürdige Belange der Wohnungseigentümer oder des Schuldners an einer einheitlichen Rechtsverfolgung das grundsätzlich vorrangige Interesse des Rechtsinhabers, seine Rechte selbst und eigenverantwortlich auszuüben und prozessual durchzusetzen, deutlich überwiegen und also ein gemeinschaftliches Vorgehen erforderlich ist“. Denn diese Frage wurde bislang und auch zu Recht bei Schadenersatzansprüchen dahingehend beantwortet (und so war wie dargestellt vom historischen Gesetzgeber auch gewollt), dass das Interesse der Wohnungseigentümer an einer einheitlichen Rechtsverfolgung das Interesse des einzelnen Wohnungseigentümers, diesen zu verlangen, überlagert (sehr überzeugend: BGH, Urteil vom 11. Dezember 1992 – V ZR 118/91, unter II 1 b). Wenn es jetzt aber anders sein soll, was gilt für die vielen anderen Rechte, die als gemeinschaftsbezogen angesehen werden? Ist es auch dort nicht immer so, dass es wünschenswert wäre, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer erst dann ins Spiel kommt, wenn eine Mehrheit der Wohnungseigentümer ihren „Einsatz“ wünscht und für richtig hält?

Diese Folgerung – starke Unsicherheit in der Rechtsanwendung – führt zwanglos zu einer dringenden Forderung und Bitte an die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Wohnungseigentumsgesetz, die sich bekanntlich zurzeit darum bemüht, Vorschläge für eine Reform des WEG zu erarbeiten (zur Arbeitsgruppe siehe nur Elzer, MDR 2018, Heft 21 R5): Man möge sich bitte daran machen, den Nutzer (vor allem, aber nicht nur: Wohnungseigentümer, Verwalter, Rechtsanwälte und Richter) deutlich vor Augen zu führen, welche Rechte, aber auch welche Pflichten als gemeinschaftsbezogen anzusehen sind – wenn es denn dieses Begriffs überhaupt bedarf – und was daraus folgt. Kann etwa ein Gläubiger bei einer gemeinschaftsbezogen Pflicht weiterhin den einzelnen Wohnungseigentümern Anspruch nehmen oder aber ist diese durch das Verständnis der Gemeinschaftsbezogenheit geschützt?