Antrag auf Vollverschonung: Wirkungen eines Vorläufigkeitsvermerks im Schenkungsteuerbescheid

Das FG Münster hat mit seinem Urteil vom 13.9.2018 (3 K 1285/18) entschieden, dass ein im Hinblick auf die zu erwartende Neuregelung des ErbStG erlassener Vorläufigkeitsvermerk im Schenkungsteuerbescheid nicht die Möglichkeit einer nachträglichen Wahlrechtsausübung auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG a.F. umfasst.

Zum Sachverhalt: Der Kläger (Kl.) erhielt von seinem Vater V zum 10.10.2012 unentgeltlich Gesellschaftsanteile an mehreren KGs. Die Quote des Verwaltungsvermögens liegt jeweils unterhalb der zulässigen Grenzen, so dass ein Verschonungsabschlag von 100 % möglich war. In der „Anlage Steuerentlastung für Unternehmensvermögen (§§ 13a, 13b ErbStG)“ wurde die Frage zu einer vollständigen Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG a.F. weder mit „ja“ beantwortet noch ein Antrag auf vollständige Steuerbefreiung beigefügt, so dass im Schenkungsteuerbescheid nur jeweils ein Verschonungsabschlag von 85 % angesetzt wurde. Der Bescheid enthielt einen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG. Nach Feststellung der Bedarfswerte der Gesellschafsanteile änderte das FA den Bescheid gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO und formulierte den Vorläufigkeitsvermerk wie folgt:
„Die Festsetzung der Schenkungsteuer ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nummer 2 AO im Hinblick auf die durch das Urteil des BVerfG vom 17.12.2014 – 1 BvL 21/12 angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung in vollem Umfang vorläufig. Sollte aufgrund der gesetzlichen Neuregelung dieser Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen.“
Mit Einspruch beantragte der Kl. den vollen Verschonungsabschlag, da durch den Vorläufigkeitsvermerk dieser Antrag noch gestellt werden könne. Dem gab das FA nur teilweise i.R.d. Fehlerkompensation gem. § 177 AO statt und wies den Einspruch i.Ü. zurück.

Grundsätze zum Verschonungsabschlag: Gemäß §§ 13a Abs. 1, § 13b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 ErbStG (2012) wird u.a. für Mitunternehmeranteile ein Verschonungsabschlag von 85 % gewährt. Nach § 13a Abs. 8 ErbStG a.F. (jetzt ähnlich § 13a Abs. 10 ErbStG) kann der Erwerber unwiderruflich eine Vollverschonung, also die 100 %-ige Freistellung des erworbenen Mitunternehmeranteils wählen, wenn das erworbene Betriebsvermögen u.a. max. zu 10 % aus sog. Verwaltungsvermögen besteht. Das Gesetz regelt nicht, bis wann der Antrag auf Vollverschonung zu stellen ist und ob die Steuerfestsetzung bei einem Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. 3 AO geändert werden kann. Auch in der Gesetzesbegründung heißt es lediglich, dass die Erklärung bis zur (formellen) Bestandskraft der Steuerfestsetzung abzugeben ist.

Unterschiedliche Auffassungen: Die Finanzverwaltung führt in den ErbStR 2012 aus, der Erwerber müsse den Antrag grds. bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft des Steuerbescheides stellen kann (vgl. R E 13a.13 Abs. 2 Satz 2), ohne zu sagen, wann ein Bescheid materiell bestandskräftig wird. Die OFD Karlsruhe (OFD Karlsruhe v. 7.8.2014 – S381.2a/50 – St 341, S033.8/48 – St 311) eröffnet dem Erwerber bei einem Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO die Möglichkeit, auch noch nach Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung die Vollverschonung zu beantragen, während der FinMin. NW (FinMin. NW v. 24.7.2015 und 25.8.2015 – S 3812a – 105 – V A 6) aus einem solchen Vorläufigkeitsvermerk keine Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 AO ableitet. Auch in der Literatur werden hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Voraussetzungen für Änderung nach § 165 Abs. 2 AO sind nicht erfüllt: Gemäß § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann das FA die Festsetzung i.R.d. Umfangs der Vorläufigkeit aufheben oder ändern. Nach Beseitigung der Ungewissheit ist der Vorläufigkeitsvermerk aufzuheben, § 165 Abs. 2 Satz 2 AO. Änderungen nach § 165 Abs. 2 AO sind nach Art und Umfang nur in dem durch die Vorläufigkeit wirksam gesteckten Rahmen zulässig, der ggf. durch Auslegung zu ermitteln ist. Ist ungewiss, ob eine Norm verfassungsgemäß ist, bewirkt der hierauf abhebende Vorläufigkeitsvermerk, dass alle sachlich zusammenhängenden („kohärenten“), zu dem Regelungskomplex gehörenden Rechtsfolgen offengehalten werden sollen. Hier ergibt sich aus dem Vorläufigkeitsvermerk hinreichend klar, dass der Bescheid nur für den Fall offengehalten werden sollte, dass sich die geltende Rechtslage aufgrund einer Entscheidung des BVerfG ändert. Die Vorläufigkeitserklärung ist nicht dahin zu verstehen, dass das ErbStG als verfassungswidrig angesehen wird. Nur bei Gesetzesänderung aufgrund einer BVerfG-Entscheidung ist die Steuerfestsetzung entspr. von Amts wegen zu ändern.
Demnach war die Bestandskraft nicht auch für einen Antrag auf Vollverschonung durchbrochen, da dieser Antrag gerade nicht auf der gesetzlichen Neuregelung, sondern auf dem geltenden Recht basierte. Die (unzutreffende) Auffassung der OFD Karlsruhe hätte zur Folge, dass sämtliche Steuerfestsetzungen mit diesem Vorläufigkeitsvermerk insgesamt – also auch hinsichtlich etwaiger Rechtsfehler in anderen Bereichen des ErbStG offengehalten würden. Hierfür ist kein sachlicher Grund ersichtlich.

Keine anderen Änderungsnormen: Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nicht möglich, da die Feststellung von Wertansätzen, hier das Nichtüberschreiten der 10 %-Grenze, kein steuerlich rückwirkendes Ereignis ist, zumal der der Feststellung zugrunde liegende tatsächliche Lebensvorgang bereits bei dieser Feststellung eingetreten war. Eine Änderung der Antrags- oder Wahlrechtsausübung ist nur dann möglich, wenn die dadurch zu erzielende Steueränderung den durch die partielle Durchbrechung der Bestandskraft gesetzten Rahmen nicht verlässt. § 351 Abs. 1 AO begrenzt die Anfechtbarkeit und damit auch die durch den Einspruch bewirkte Änderbarkeit eines Änderungsbescheids auf den Umfang der Änderung und stellt damit klar, dass es i.Ü. bei der zuvor eingetretenen Bestandskraft bleibt.

Die Revision wurde nicht zugelassen, aber Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Das FG Münster hat übrigens mit zwei weiteren Entscheidungen in vergleichbaren Fällen die Klagen ebenfalls mit jeweils gleicher Begründung als unbegründet abgewiesen (FG Münster v. 13.9.2018 – 3 K 1727/17, NZB, Az. d. BFH: II B 101/18 und FG Münster v. 13.9.2018 – 3 K 3699/16 Erb, NZB, Az. d. BFH: II B 99/18). Es ist wohl nicht zu erwarten, dass der BFH den NZB stattgibt, da die Entscheidung der allgemeinen Rspr. zum Zeitpunkt der Ausübung von Wahlrechten entspricht.

Konsequenzen: Die Möglichkeit der Änderung eines endgültigen, bestandskräftigen Bescheids auf Grund eines Vorläufigkeitsvermerks hängt von dessen Umfang ab. Bezieht sich die Vorläufigkeit nur auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, hat dies keine Auswirkungen auf den Grundsatz, dass Wahlrechte und Anträge bis zur Bestandskraft des Bescheids zu stellen sind, wenn nach Beseitigung der Ungewissheit durch entspr. Gesetzesänderung sich die Rechtslage hinsichtlich der Wahl- und Optionsrechte nicht geändert hat.
Der Steuerpflichtige hat wegen der Unwiderruflichkeit ein Interesse, den Antrag auf (volle) Optionsverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG erst zu stellen, wenn die Verwaltungsvermögensquote endgültig durch einen Feststellungsbescheid festgestellt wird, was eine gewisse Zeit dauern kann. Beträgt nämlich die Vermögensverwaltungsquote bei mehren Wirtschaftseinheiten zum Teil mehr als 20 %, entfällt bei einem Antrag auf die Optionsverschonung auch insgesamt die Regelverschonung. Die Steuerfestsetzung darf daher materiell-rechtlich nicht bestandskräftig werden. Es muss also Einspruch eingelegt und das Ruhen des Verfahrens beantragt werden, bis über die Verwaltungsvermögensquote endgültig entschieden ist. Erst dann kann endgültig entschieden werden, ob der volle Abschlag beantragt wird, da dann die Steuerfestsetzung in vollem Umfang noch nicht bestandskräftig ist und ausgeübte Optionsrechte geändert werden können.

FG Münster v. 13.9.2018 – 3 K 1285/18, NZB eingelegt, Az. d. BFH: II B 102/18, ErbStB 2019, 35 m. Komm. Uhl-Ludäscher

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