Keine Steuerpause ab dem 1.7.2016 bei der Erbschaftsteuer

Erbschaftsteuerpause?: In dem Verfahren war zwischen den Beteiligten streitig, ob für Erbfälle ab dem 1.7.2016 (nach Ablauf der Weitergeltungsanordnung aus dem Urteil des BVerfG v. 17.12.2014 (BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50; s. ErbStB 2015, 40 [M. Söffing/Thonemann-Micker]) bis zur Verkündung des „Gesetzes zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ v. 4.11.2016 (BGBI. I 2016, 2464, ErbStAnpG 2016) im Bundesgesetzblatt (am 9.11.2016) eine sog. Erbschaftsteuerpause eingetreten ist.

Nachlass ohne Betriebsvermögen: Die Klägerin (Kl.) ist Alleinerbin nach ihrer im August 2016 verstorbenen Tante. Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus Guthaben der Erblasserin bei einer Bank i.H.v. 167.046 € und der Auszahlung aus einer Lebensversicherung i.H.v. 1.168 €. Unter Berücksichtigung einer Steuerbefreiung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 2016 und eines Freibetrags gem. § 16 Abs. 1 ErbStG 2016 i.H.v. setzte das FA hierfür mit Bescheid vom 1.6.2017 Erbschaftsteuer i.H.v. 6.300 € fest.

Klammernorm § 19 ErbStG?: Die Kl. legte gegen den Erbschaftsteuerbescheid fristgerecht Einspruch ein und beantragte die Aufhebung des Bescheids. Sie vertrat die Auffassung, dass für Erbfälle, die nach Ablauf der Weitergeltungsanordnung aus dem Urteil des BVerfG vom 17.12.2014 bis zur Verkündung des ErbstAnpG 2016 eingetreten seien, kein ErbStG bestanden habe, auf dessen Grundlage Erbschaftsteuer hätte festgesetzt werden können. Das BVerfG habe (BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50) § 13a, § 13b und § 19 Abs. 1 ErbStG 2009 wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG für verfassungswidrig erklärt und gleichzeitig die begrenzte Anwendbarkeit des verfassungswidrigen Gesetzes angeordnet. Da die Feststellung der Verfassungswidrigkeit auch für die Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG 2009 gelte, sei nach dem ausdrücklichen Hinweis des BVerfG auch die Erhebung der Erbschaftsteuer für den Übergang von Privatvermögen nicht ohne Verstoß gegen Art. 3 GG möglich.

Das FG Köln hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das FA habe für den Erbfall vom August 2016 zutreffend Erbschaftsteuer festgesetzt. Das ErbStG 2016 stelle eine wirksame Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Erbschaftsteuer für den im August 2016 eingetretenen Erbfall dar. Dies ergebe sich aus der rückwirkenden Inkraftsetzung des ErbStAnpG 2016 mit Wirkung zum 1.7.2016 (Art. 3 des Gesetzes) und der speziellen Anwendungsregelung in § 37 Abs. 12 ErbStG 2016, wonach die Neuregelungen zur Besteuerung von Betriebsvermögen für alle Erwerbe gelten, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entsteht.

Keine verfassungsrechtlichen Zweifel: Der Senat sei weder im Hinblick auf die gesetzlich angeordnete Rückwirkung noch im Hinblick auf die inhaltlichen Änderungen in Bezug auf die Besteuerung von Betriebsvermögen von der Verfassungswidrigkeit der Regelungen überzeugt. Hinweis: Daher war das Verfahren nicht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und keine Entscheidung des BVerfG einzuholen.

So finde das Rückwirkungsverbot im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gelte nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war. Bei den in der Rspr. des BVerfG anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen handele es sich um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende Gesetzeslage. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl. BVerfG v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1 m.w.N.).

Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen sei gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten. Vertrauensschutz komme insb. dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste, oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden. Der Vertrauensschutz müsse ferner zurücktreten, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern, wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen durfte oder wenn durch die sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (vgl. BVerfG v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1 m.w.N.).

Der Gesetzgeber hat nach Auffassung des FG Köln mit Verkündung des ErbStAnpG 2016 am 9.11.2016 – rückwirkend – eine umfassende Rechtsgrundlage für die Besteuerung von Erbfällen und Schenkungen ab dem 1.7.2016 geschaffen, die den Anforderungen der Rspr. des BVerfG an eine verfassungsgemäße Besteuerung von Betriebs- bzw. Unternehmensvermögen genügt. Durch die Anordnung der Rückwirkung auf Erbfälle und Schenkungen ab dem 1.7.2016 habe der Gesetzgeber insb. auch dafür Sorge getragen, dass, unabhängig von der Auslegung der Fortgeltungsanordnung in der Entscheidung des BVerfG v. 14.12.2014, nach dem 30.6.2016 keine Erbschaftsteuerpause eingetreten ist.

Die Regelung in Art. 3 ErbStAnpG 2016 und die Regelung des § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG 2016 verstießen zudem nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Zwar handele es sich hierbei um Regelungen, denen in formaler Hinsicht echte Rückwirkung zukommt. Diese Rückwirkung sei aber zulässig. Dies gelte ausdrücklich auch für das Betriebsvermögen, soweit die Erwerber ggü. der bisherigen Rechtslage schlechtergestellt werden (a.A. wohl Crezelius, ZEV 2016, 541, 542; Wachter, GmbHR 2017, 1, 6 f.). Wenn auch die Möglichkeit einer steuerfreien Übertragung auch für Großvermögen erhalten bleibt, kann das Gericht zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu der Überzeugung gelangen, dass der Gesetzgeber mit dem ErbStAnpG 2016 die Vorgaben des BVerfG verfehlt hat und das neue ErbStG aufgrund der Verschonungsregelungen zum Betriebsvermögen weiterhin gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

Auch wenn es im Streitfall ausschließlich um den Übergang von Privatvermögen geht, konnte die Zulässigkeit der echten Rückwirkung im Hinblick auf die neugestalteten Verschonungsvorschriften für Betriebsvermögen nicht unbeantwortet bleiben. Zwar bejaht das FG Köln die Klammerwirkung des § 19 ErbStG und somit wären grundsätzlich sämtliche Erwerbe von einer Steuerpause betroffen. Da das FG Köln die echte Rückwirkung der gesetzlichen Neuregelung aber für zulässig erachtet, hat die Einstufung des § 19 ErbStG als Klammernorm in dieser Frage der Rückwirkung rechtlich keine Konsequenz.

Keine inhaltlichen Änderungen mehr bei den Vorschriften zur rückwirkenden Anwendung nach dem 30.6.2016: Beim ErbStAnpG 2016 kam es zwar zur Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat. Als Ergebnis des Vermittlungsverfahrens wurden auch die Verschonungsregelungen als solche noch einmal geändert. Unberührt hiervon blieben aber die Regelungen zur rückwirkenden Anwendung ab dem 1.7.2016. Insoweit wurde niemals Änderungsbedarf gesehen. Die Regelungen über die Anwendbarkeit der Neuregelungen spätestens für Erwerbe ab 1.7.2016 waren vielmehr im gesamten Gesetzgebungsverfahren von Anfang an unstreitig (vgl. Hardt, EFG 2017, 1963).

Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Ausdrücklich offengelassen hat das FG die Frage, ob die erbschaftsteuerliche Behandlung des Unternehmensvermögens nach neuem Recht aufgrund der höchst komplexen Regelungen unkalkulierbar und deshalb wegen Normenunbestimmtheit und -unklarheit verfassungswidrig sei (z.B. Seer/Michalowski, GmbHR 2017, 609). Diese Frage vermochte der Senat zum jetzigen Zeitpunkt keinesfalls mit der Sicherheit zu bejahen, die es für eine Vorlage an das BVerfG bedürfte.

FG Köln v. 8.11.2018 – 7 K 3022/17, Rev. eingelegt, Az. d. BFH: II R 1/19

Mehr zum Thema: Guerra/Mühlhaus, Ist die geplante Rückwirkung des neuen Erbschaftsteuergesetzes auf den 1.7.2016 verfassungswidrig?, ErbStB 2016, 230; M. Söffing/Thonemann-Micker, Das BVerfG zur Erbschaftsteuer: Same Procedure as Every Time, ErbStB 2015, 40.

 

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