Die Kläger (Kl.) und die Finanzverwaltung streiten sich darüber, ob ein Gutachten auf den Bewertungsstichtag 1.6.2009 nach der bis zum 30.6.2009 gültigen WertV oder nach der ab dem 1.7.2009 gültigen ImmoWertV zu erstellen ist. Darüber hinaus ist strittig, welcher Bodenrichtwert für das zu bewertende Grundstück in Frage kommt. Im Streitfall sind grundsätzlich zwei Bodenrichtwerte für die Ableitung des Bodenwerts geeignet: ein Straßenwert von 5.500 €/m² und ein Platzwert von 500 €/m².
Während des Klageverfahrens vor dem FG reichte der Kl. zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ein Gutachten vom 25.7.2017 eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ein. Dieses Gutachten ermittelte einen Verkehrswert des Grundstücks zum 1.6.2009 i.H.v. 1.900.000 €. Der Gutachter führte in diesem Gutachten u.a. aus, es sei in Anlehnung an die §§ 192 bis 198 BauGB i.V.m. den Vorschriften der ImmoWertV erstellt worden.
Die Klage vor dem FG wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das FG führte im Wesentlichen aus, das im Klageverfahren eingereichte Gutachten sei nicht geeignet, einen niedrigeren gemeinen Wert des Grundstücks nachzuweisen. Die Erstellung des Gutachtens müsse sich an den Vorschriften des BauGB und der ImmoWertV orientieren. Im Streitfall sei die ImmoWertV, die am 1.7.2010 in Kraft getreten sei, und nicht die zuvor gültige WertV maßgebend. Für die Beurteilung, welche Vorschriften Anwendung fänden, komme es auf den Zeitpunkt der Gutachtenerstellung und nicht den Wertermittlungsstichtag an.
Das im Klageverfahren vorgelegte Gutachten aus dem Jahr 2017 verletze die Vorgaben der ImmoWertV. Es sei insb. bei der Ableitung des Bodenwerts aus dem Bodenrichtwert und i.R.d. Ertragswertermittlung des Gebäudes bei der Herleitung des Liegenschaftszinssatzes nicht plausibel. Die Lücken könnten nicht vollständig durch das Gericht geschlossen werden.
Der BFH hat die Revision für begründet erachtet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG habe zu Unrecht angenommen, dass für die Wertermittlung des Grundstücks auf den Stichtag 1.6.2009 die Vorgaben der ImmoWertV zu beachten sind.
Die WertV war bis zum 30.6.2010 in Kraft und wurde am 1.7.2010 durch die ImmoWertV abgelöst (vgl. § 24 ImmoWertV). Deshalb seien für Bewertungsstichtage bis 30.6.2010 die Vorschriften der WertV und für Bewertungsstichtage ab 1.7.2010 die Vorschriften der ImmoWertV anwendbar (vgl. BFH v. 24.10.2017 – II R 40/15 – Rz. 14, BStBl. II 2019, 21 = ErbStB 2018, 45 [Marfels]). Die in der ImmoWertV klar geregelten Zeitpunkte des Außer-Kraft-Tretens der WertV und des In-Kraft-Tretens der ImmoWertV seien für die Beteiligten eindeutig und machten den zeitlichen Anwendungsbereich der jeweiligen Rechtsverordnung vorhersehbar und bestimmbar.
Der Zeitpunkt der Gutachtenerstellung ist für die zeitliche Anwendung der WertV und der ImmoWertV nicht von Bedeutung (a.A. Mannek in: Stenger/Loose, BewG, § 198 Rz. 60 f.). Würde man auf letzteren abstellen, könnten bei einer Gutachtenerstellung für Bewertungsstichtage bis 30.6.2010 entweder die WertV – solange das Gutachten bis zu diesem Datum erstellt wurde – oder alternativ die ImmoWertV – falls das Gutachten ab dem 1.7.2010 erstellt wurde – und somit unterschiedliche Regelungen zu beachten sein. Dies würde einer vorhersehbaren und rechtssicheren Wertermittlung widersprechen.
Die Sache ist nicht spruchreif. Für den zweiten Rechtsgang hat der BFH aus Gründen der Prozessökonomie darauf hingewiesen, dass Bodenrichtwerte geeignet sind, wenn sie für eine Bodenrichtwertzone ermittelt sind, in der das Grundstück liegt. Dann könne davon ausgegangen werden, dass das Grundstück nach seinen tatsächlichen Eigenschaften und rechtlichen Gegebenheiten, aufgrund gleicher Struktur und Lage im Zeitpunkt der Bodenrichtwertermittlung ein annähernd gleiches Preisniveau aufweist wie die Grundstücke, deren Lagewert für die Bestimmung des Bodenrichtwerts in dieser Zone herangezogen wurde. Im Streitfall seien grundsätzlich zwei Bodenrichtwerte für die Ableitung des Bodenwerts geeignet. In welchem Umfang das Anliegergrundstück jeweils dem Straßen- oder Platzwert zuzuordnen ist, sei i.R. einer Einzelbewertung (vgl. § 194 BauGB) zu entscheiden.
Die Entscheidung hat insb. Bedeutung für zukünftige Neufassungen der Vorschriften zur Verkehrswertermittlung. Derzeit ist die Neufassung der ImmoWertV in Vorbereitung (ImmoWertV 2021, vgl. ausführlich zum Stand des Verfahrens https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/novellierung-des-wertermittlungsrechts.html). Bei der Erstellung von Gutachten wird der Zeitpunkt der Gültigkeit der ImmoWertV 2021 zu beachten sein.
Fazit: Die Entscheidung gibt Rechtssicherheit für zukünftige Neuordnungen der Vorschriften zur Verkehrswertermittlung. Es ist m.E. empfehlenswert, den Gutachter bei der Beauftragung von Gutachten für Bewertungsstichtage nach Inkrafttreten der ImmoWertV 2021 auf die Entscheidung des BFH hinzuweisen.
BFH v. 16.9.2020 – II R 1/18, ErbStB, 2021, 67