Muss ich ein Wohnrecht ausüben, um es abziehen zu dürfen?

Bei Nutzungen oder Leistungen, die auf die Lebenszeit einer Person beschränkt sind, ist an Stelle des Kapitalwerts der gemeine Wert anzusetzen, wenn der gemeine Wert nachweislich geringer oder höher als der Kapitalwert ist (§ 14 Abs. 4 BewG). Hierbei ist von der Höhe des üblichen, nicht von einem für den Einzelfall geltenden Zinssatz auszugehen. Gewisse Schwankungen sind zudem durch die Vervielfältigungszahlen miterfasst. Seit dem 1.1.1993 gilt nach § 14 Abs. 4 BewG: Der Ansatz eines geringeren oder höheren Werts kann nicht darauf gestützt werden, dass mit einem anderen Zinssatz als 5,5 % oder mit einer anderen als mittelschüssigen Zahlungsweise zu rechnen ist.

Der Ansatz eines vom Kapitalwert abweichenden gemeinen Werts einer Rente kann nicht damit begründet werden, dass der Ablösungsbetrag höher oder niedriger als der Kapitalwert ist. Gründe, die zu einer niedrigeren oder höheren Bewertung führen können, können nur selten angenommen werden. Denkbar sind z.B. die zweifelhafte Zahlungsfähigkeit des Verpflichteten oder die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Nichtausübung eines Rechts. So kann bspw. die Belastung durch Wohnrechte, die am Stichtag noch nicht ausgeübt werden, je nach der größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit der voraussichtlichen tatsächlichen Nichtausübung mit einem hinter dem Kapitalisierungswert zurückbleibenden gemeinen Wert angesetzt werden (RFH v. 13.11.1930 – III 331/30, RStBl. 1931, 63). Der RFH vertrat die Auffassung, die bloße Tatsache einer derzeitigen Nichtausübung würde bei Wohnrechten im Allgemeinen zwar eine abweichende Bewertung nicht rechtfertigen, da der belastete Eigentümer jederzeit mit der tatsächlichen Ausübung rechnen müsse und infolgedessen an der nachhaltigen Nutzung der in Betracht kommenden Räumlichkeiten gehindert sein könne. Bestimmte Umstände, aus denen mit Sicherheit zu schließen sei, dass die Inanspruchnahme für einen längeren Zeitraum nicht erfolge, würden aber den Eigentümer in die Lage versetzen, trotz Bestehens des Rechtes über die Wohnung für eigene wirtschaftliche Zwecke zu verfügen, so dass der Ansatz eines niedrigeren gemeinen Wertes in Frage komme. Wenn der Einzug überhaupt nicht zu erwarten sei, da ihm bspw. aller Voraussicht nach unüberwindbare tatsächliche Hindernisse entgegenstünden, käme sogar ein Ansatz mit 0,- in Betracht (BFH v. 27.5.1992 – VII K 1/89, BStBl. I 1992, 990).

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass nach § 9 Abs. 1 BewG bei jeder Bewertung nach den Vorschriften des BewG der gemeine Wert zugrunde zu legen ist und zwar so, wie § 9 Abs.2 und 3 BewG es im Einzelnen konkretisieren. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG). Wenn die typisierende Anwendung des Bewertungsrechts die besonderen Umstände des Einzelfalls, die auf persönlichen Verhältnissen beruhen, aber nicht berücksichtigt, dann kann es auch nicht darauf ankommen, ob im Einzelfall ein mit dem Kapitalwert zu bewertendes Recht tatsächlich ausgeübt wird (vgl. FG Hessen v. 18.5.2015 – 1 K 119/15, ErbStB 2015, 320, rkr.).

Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn Beteiligte ein mit dem Kapitalwert zu bewertendes Recht, wie bspw. ein Wohnrecht oder ein Nießbrauchsrecht, nur vereinbaren, um eine abzugsfähige Last zu kreieren, wenn dieses Recht also nur zum Schein vereinbart wird, ohne dass der ernsthafte Wille besteht, dieses Recht auch jemals tatsächlich wirksam werden zu lassen. Derartigen missbräuchlichen Gestaltungen wäre richtigerweise mit § 42 AO zu begegnen. Solange gegenüber den Beteiligten durch das FA aber nicht dieser Vorwurf behauptet und belegt werden könnte, würde auch die längere Nichtinanspruchnahme eines mit dem Kapitalwert zu bewertenden Recht durch den Berechtigten für die Bewertung unbeachtlich.

Schöner Schein – Oder der erbschaftsteuerliche Wert von Gegenleistungen

Nach § 7 Abs. 3 ErbStG werden Gegenleistungen, die nicht in Geld veranschlagt werden können, bei der Feststellung, ob eine Bereicherung vorliegt, nicht berücksichtigt.

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Eine freigebige Zuwendung liegt vor, wenn die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Dies ist der Fall, wenn die Zuwendung weder in rechtlichem Zusammenhang mit einer Gegenleistung noch zur Erfüllung einer Verbindlichkeit. Die Bereicherung muss objektiv unentgeltlich sein.

§ 7 Abs. 3 ErbStG zielt ausschließlich auf das objektive Merkmal der Unentgeltlichkeit der Zuwendung. Bei der Feststellung dieser Frage sind Gegenleistungen, die nicht in Geld veranschlagt werden können nicht zu berücksichtigen. Auch dann also, wenn sich der Bedachte zur Erbringung einer Gegenleistung verpflichtet, die eben nicht in Geld veranschlagt werden kann, liegt eine reine Schenkung und nicht etwa eine gemischte Schenkung vor; die Gegenleistung, deren Wert nicht in Geld veranschlagt werden kann, führt nicht zu einer, die Bereicherung des Bedachten mindernden, gemischten Schenkung.

Eine Leistung kann insbesondere dann nicht „in Geld veranschlagt“ werden, wenn sie aus Sicht des ErbStG noch gar nicht entstanden ist. Bedeutung hat dies vor allem im Zusammenhang mit familienrechtlichen Ansprüchen (Eheschließung, elterliche Zustimmung zur Eheschließung, Einwilligung in die Ehescheidung, Scheidungsbereitschaft).

Beispiel:
F schloss mit ihrem Ehemann M einen Ehe- und Erbvertrag. Danach verpflichtete sich M zum Ausgleich des bisher erwirtschafteten Zugewinns der F einen Geldbetrag von 310.000 DM zu zahlen sowie ein Grundstück und Miteigentumsanteile an weiteren Grundstücken zu übertragen. Der Güterstand der Zugewinngemeinschaft wurde nicht beendet, sondern dahingehend modifiziert, dass im Falle der Scheidung kein weiterer Ausgleich erfolgen und bei Beendigung des Güterstandes durch Tod eines Ehegatten bestimmte Vermögensteile unberücksichtigt bleiben sollten.

Lösung:
Der Schenkungsteuer unterliegt als Schenkung unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). F wurde durch die Zuwendungen aufgrund des Ehe- und Erbvertrages dem Vermögen des M objektiv bereichert. Die Zuwendungen des M führten zu einer Vermögensmehrung bei F. Die Bereicherung erfolgte auch endgültig, da F die Zuwendungen unabhängig von einem erst künftig möglicherweise entstehenden (Zugewinnausgleichs-)Anspruch behalten durfte. Auch stand F am jeweils maßgeblichen Stichtag kein Anspruch auf Zugewinnausgleich gegen ihren M zu. Die Zugewinnausgleichsforderung konnte nämlich erst mit der Beendigung des gesetzlichen Güterstandes entstehen (§ 1378 Abs. 3 BGB). F und M haben durch den Ehe- und Erbvertrag den gesetzlichen Güterstand gerade nicht beendet, sondern – wenn auch stark modifiziert und eingeschränkt – weiter fortgeführt.

Für die Praxis gilt daher:
Sollten Ausgleichszahlungen, welche die Freibeträge überschreiten und nicht in der steuerfreien Übertragung des Familienwohnheims gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG bestehen, allenfalls aufschiebend bedingt für den Scheidungsfall versprochen und ausgeführt werden. Dies gilt besonders bei Verträgen von Verlobten, die noch nicht über die Freibeträge für Ehegatten verfügen können.