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„Nehmen Sie das Kind einfach mit, wenn er bei der Arbeit ist“ – Ist dieser anwaltliche Ratschlag strafbar?

Dr. Susanne Sachs  Dr. Susanne Sachs
Fachanwältin für Familienrecht, Fachanwältin für Erbrecht, Mediatorin

Wenn nach einer Trennung ein Elternteil die bisher gemeinsame Wohnung verlassen möchte, ist die erste Frage, die er an den Anwalt richtet, meist, ob er die gemeinsamen Kinder an den neuen Wohnort mitnehmen darf und ob er den anderen Elternteil vorher fragen muss.

1. Typischer anwaltlicher Ratschlag in der Praxis

In der Praxis lautet der anwaltliche Ratschlag erfahrungsgemäß sehr häufig, man solle das Kind einfach an den neuen Wohnort mitnehmen, wenn der andere Elternteil gerade nicht zu Hause ist. Dieser Ratschlag wird insbesondere dann erteilt, wenn der Elternteil, der ausziehen will, die Kinder bis dahin überwiegend betreut hat. Davon, den anderen Elternteil über dieses Vorhaben zu informieren, wird meist abgeraten, damit dieser sich nicht durch eine einstweilige Anordnung rechtzeitig zur Wehr setzen kann, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Ist der Auszug mit dem Kind oder den Kindern erst einmal vollzogen, dauert es häufig Wochen, bis endlich eine Gerichtsentscheidung bzgl. der Herausgabe des Kindes bzw. des Aufenthaltsbestimmungsrechts getroffen ist. Da die Entscheidung nicht nach dem Schuldprinzip, sondern ausschließlich in Orientierung am Wohl des Kindes gefällt wird, kann der übergangene Elternteil den Umzug seines Kindes, das sich möglicherweise schon am neuen Wohnort eingewöhnt hat, oft nicht mehr rückgängig machen.

2. Strafbarkeit dieses Ratschlags

Meines Erachtens ist ein solcher überraschender, heimlicher Umzug mit dem gemeinsamen Kind ohne Einverständnis des anderen Elternteils strafbar gemäß § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB, womit sich auch ein Anwalt, der einen solchen Ratschlag erteilt, wegen Anstiftung strafbar macht:

Der objektive Tatbestand der Vorschrift setzt voraus, dass einem Elternteil ein Kind mit Gewalt, Drohung oder List entzogen wird. Der Tatbestand der Entziehung ist bei gemeinsamer Sorge jedenfalls dann erfüllt, wenn ein Elternteil das Sorgerecht unter Ausschluss des anderen auf Dauer für sich in Anspruch nimmt. Dies ist in dem oben geschilderten Fall jedenfalls bzgl. des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Fall. Gewalt und Drohung liegen hier ersichtlich nicht vor, meines Erachtens ist hier aber das Tatbestandsmerkmal der „List“ regelmäßig zu bejahen. „List“ ist ein Verhalten, das darauf abzielt, unter geflissentlichem und geschicktem Verbergen der wahren Zwecke der Mittel die Ziele des Täters durchzusetzen. Dies ist nach herrschender Meinung bereits dann anzunehmen, wenn der Täter die Unkenntnis des anderen von seinem Vorhaben ausnutzt (siehe nur Wieck-Noodt in MünchKomm/StGB, § 234 Rz. 38). Wenn ein sorgeberechtigter Elternteil hinter dem Rücken des anderen einen Umzug plant, um dann überraschend auszuziehen, ist aber meines Erachtens genau dies der Fall.

Der subjektive Tatbestand ist bei entsprechender Planung ohne weiteres erfüllt. Auch von einem rechtfertigenden mutmaßlichen Einverständnis des anderen kann hier nicht ausgegangen werden, da der Elternteil, der das Kind überraschend und heimlich mitnimmt, ja gerade davon ausgeht, dass der andere Elternteil nicht einverstanden sein wird, da sonst diese Vorgehensweise nicht erforderlich wäre.

3. Praxishinweis

Wie über jede juristische Frage kann man sicherlich über die Strafbarkeit eines unangekündigten Umzugs mit einem gemeinsamen Kind streiten. Fest steht aber jedenfalls, dass kein Anwalt sich dazu hinreißen lassen sollte, einen entsprechenden Ratschlag zu erteilen, da hier die Annahme einer strafbaren Anstiftung zur Kindesentziehung jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt.

Ein Kommentar

  1. Veröffentlicht 3. Oktober 2016 um 10:03 | Permalink

    Es ist sehr zu begrüßen, dass Sie die Frage der Beihilfe zum Kindesentzug strafrechtlich betrachten. Notwendig wäre es darüber hinaus die Frage auch unter dem Aspekt der ‚Anwaltsethik‘ zu betrachten. Worin besteht der ‚Erfolg‘ unseres Tuns? Im ‚gewonnenen‘ Verfahren, in einem dem Mandantenwunsch entsprechenden Teilergebnis oder in einem dem Mandanteninteresse entsprechenden Gesamtergebnis?

    Die Mediziner haben mit der Diskussion um die ‚Ganzheitsmedizin‘ einen großen Vorsprung. Wir sollten uns bemühen, Versäumtes nachzuholen.
    Jörn Hauß

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