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MietRB-Blog

Gesetzesänderung: Coronabedingte Einschränkungen von Mieträumen als Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)

Rechtsanwalt Dr. Rainer Burbulla  Rechtsanwalt Dr. Rainer Burbulla

Am 18.12.2020 hat der Bundestag der geplanten Gesetzesänderung zu § 313 BGB und dem damit verbundenen Eingriff in das Gewerberaummiet- und Pachtrecht zugestimmt. Bei staatlich angeordneten Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie wird nunmehr gesetzlich (widerlegbar) vermutet, dass die Geschäftsgrundlage des Miet-/Pachtvertrages massiv beeinträchtigt ist. Die Rechtsfolgenseite des § 313 BGB soll hingegen unberührt bleiben in der Konsequenz, dass eine Vertragsanpassung nur in angemessenem Umfang begehrt werden kann. Die Änderung von § 313 BGB wird flankiert mit der Statuierung eines Vorrang- und Beschleunigungsgebots in der Zivilprozessordnung. So sollen Streitigkeiten um Vertragsanpassungen schnell gerichtlich geklärt werden. Diese stark umstrittenen Gesetzesänderungen sind Gegenstand dieses Beitrags.

I. Ausgangslage: Covid-19-Abmilderungsgesetz und uneinheitliche Rechtsprechung

Das am 25.03.2020 in Kraft getretene Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivilprozess, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (BGBl. 2020, I, Nr. 14, S. 569, 572 zu Art. 240 EGBGB) regelt nicht (ausdrücklich) den Fall, ob etwaige Einwendungen des Mieters gegen die Mietzahlungspflicht (Mangel, vorübergehende Unmöglichkeit oder eine Störung der Geschäftsgrundlage) ausgeschlossen sind. Diese Frage ist nach der derzeitigen Rechtsprechung sehr streitig (Mietzahlungsansprüche bejahend: LG Frankfurt/M v. 07.08.2020 – 2-05 O 160/20, GE 2020, 1252; LG Heidelberg v. 30.07.2020 – 5 O 66/20, MietRB 2020, 301 (Mettler); LG Zweibrücken v. 11.09.2020 – HK O 17/20, BB 2020, 2450; LG Oldenburg v. 26.10.2020 – 8 O 1268/20, MietRB 2020, 361 (Burbulla). Mietzahlungsan-sprüche verneinend: LG München I v. 05.10.2020 – 34 O 6013/20, MietRB 2021, 8 (Burbulla); LG München I v. 22.09.2020 – 3 O 4495/20, MietRB 2021, 13 (Hoffmann); LG Mönchengladbach v. 05.11.2020 – 12 O 154/20, BeckRS 2020, 30731). Diese Unsicherheiten hat der Gesetzgeber aufgegriffen und hält deshalb eine Regelung für erforderlich, die klarstellt, dass § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) grundsätzlich bei angeordneten öffentlich-rechtlichen Beschränkungen zur Bekämpfung der Folgen der Covid-19-Pandemie Anwendung findet, um „damit an die Verhandlungsbereitschaft der Vertragsparteien zu appellieren“ (BT-Drucks. 19/25322, S. 14 f.) Allgemeine und mietrechtliche Gewährleistungs- und Gestal-tungsrechte sollen – nach wie vor – vorrangig gegenüber § 313 BGB sein, und für Fälle, in denen eine gerichtliche Entscheidung erforderlich ist, wird eine begleitende verfahrensrechtliche Regelung zur Beschleunigung der gerichtlichen Verfahren getroffen, damit schneller Rechtssicherheit erreicht werden kann (BT-Drucks. 19/25322, S. 15 f.).

II. Neuregelungen in Art. 240 § 7 EGBGB

Diese Neuregelungen sollen durch eine Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch erreicht werden.

1. Statuierung einer tatsächlichen Vermutung in Art. 240 § 7 EGBGB

So soll Art. 240 § 7 EGBGB zum einen klarstellen, dass die Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in der besonderen Situation der Covid-19-Pandemie grundsätzlich anwendbar sind; zum anderen wird unter bestimmten Voraussetzungen eine tatsächliche Vermutung dafür geschaffen, dass sich bei staatlich angeordneten Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ein Umstand im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Miet- oder Pachtvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat (BT-Drucks. 19/25322, S. 19 f.).

2. Erhebliche Einschränkungen und Aufhebung der Verwendbarkeit der Miet-/Pachträume

Nach Auffassung des Gesetzgebers muss die Verwendbarkeit der Miet-/Pachträume aufgehoben oder jedenfalls erheblich eingeschränkt sein, wobei ausdrücklich als typisches Beispiel die vollständige Aufhebung infolge einer Schließungsverfügung genannt ist (BT-Drucks. 19/25322, S. 20 f.). Die Vermutung ist widerleglich, z.B. in Fällen, in denen der Mietvertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem eine pandemieartige Ausbreitung des Coronavi-rus SARS-Covid 2 in der breiten Öffentlichkeit bereits absehbar war. Dann ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein solcher Mietvertrag in Kenntnis einer möglicherweise bevorstehenden tiefgreifenden Veränderung des Wirtschaftslebens geschlossen wurde.

3. Normatives Merkmal der Risikoverteilung

Das sog. normative Merkmal von § 313 Abs. 1 BGB, dass also dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann, wird – ausweislich der Gesetzesbegründung – von der Vermutungsregelung nicht erfasst. Allerdings sei davon auszugehen, dass ohne entsprechende vertragliche Regelungen Belastungen infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie regelmäßig Fehler der Sphäre des Mieters noch des Vermieters zuzuordnen sind. Weiter heißt es in der Gesetzesbegründung:

„Im Rahmen der Zumutbarkeit wird hier von Bedeutung sein, wie stark sich die staatlichen Beschränkungen auf den Betrieb des Mieters auswirken. Ein Indiz für eine starke Beeinträchtigung kann in erheblich zurückgegangenen Umsätzen z. B. im Vergleich zum Vorjahreszeitraum liegen. Zu berücksichtigen sein wird auch, ob der Mieter öffentliche oder Zuschüsse erhalten hat, mit denen er die Umsatzausfälle infolge staatlicher Beschränkungen jedenfalls teilweise kompensieren kann, und ob er Aufwendungen erspart hat, weil er etwa Kurzarbeit angemeldet hat oder der Wareneinkauf weggefallen ist. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. § 313 BGB gewährt keine Überkompensation.“

III. Zivilprozessuales Vorrang-Beschleunigungsgebot

Parallel mit den materiell-rechtlichen Änderungen (§ 313 BGB) ist eine Änderung der Zivilprozessordnung mit der Einführung eines Vorrang- und Beschleunigungsgebots verbunden. So wird mit Art. 1 betreffend das Gesetz zur Änderung der Zivilprozessordnung für Verfahren über die Anpassung der Miete oder Pacht wegen staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie im Interesse der Gewerbetreibenden ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot statuiert. Dieses Gebot gilt nicht nur für Verfahren, in denen der Mieter eine Anpassung der Miete nach § 313 BGB einklagt, sondern findet auch Anwendung, wenn der Mieter die Anpassung der Miete als Einrede gegen die Zahlungsklage des Vermieters erhebt oder andere Anspruchsgrundlagen, wie etwa die Mietänderung für die Anpassung der Miete im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie herangezogen werden. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass Streitigkeiten um Mietanpassungen vor Gericht schnell geklärt werden. So beinhaltet das Gebot insbesondere eine vorrangige Terminierung und enge Fristsetzung (BT-Drucks. 19/25322, S. 15.).

IV. Kritik und Bewertung

Die gesetzlichen Neuregelungen sind stark umstritten und wurden vor allem von Immobilienverbänden stark kritisiert. Das Hauptargument ist, dass sich an der bisherigen rechtlichen Praxis im Ergebnis wenig ändern wird, umgekehrt allerdings mit einer stärkeren Einbeziehung der Gerichte zu rechnen ist (Burbulla in: ESV-Interview vom 16.12.2020 unter https://esv.info/aktuell/dr-rainer-burbulla-auch-der-derzeit-geltende-313-bgb-ermoeglicht-durchaus-sachgerechte-loesungen/id/111755/meldung.html).

1. Nach wie vor: Einzelfallprüfung

Die Kritik ist berechtigt. Denn durch die „kosmetische Rechtsänderung“ (BFW-Präsident Andreas Ibel) steht in der Tat zu befürchten, dass nicht wenige (Einzelhandels-)Mieter in ihrer allgemeinen Rechtsauffassung bestärkt und vermehrt Vertragsanpassungen gerichtlich durchsetzen werden (Burbulla in: ESV-Interview vom 16.12.2020 unter https://esv.info/aktuell/dr-rainer-burbulla-auch-der-derzeit-geltende-313-bgb-ermoeglicht-durchaus-sachgerechte-loesungen/id/111755/meldung.html). Da sich auch nach den Neuregelungen jedoch auf der Rechtsfolgenseite her nicht viel ändert – und dies ausdrücklich auch nach den Vorgaben in der Gesetzesbegründung – bleibt es bei der erforderlichen Einzelfallprüfung, bei der auch Umsatzzuwächse von Mietern infolge des Online-Handels, staatlichen Überbrückungshilfen, Rücklagen etc. zu berücksichtigen sind.

2. Bewertung des normativen Merkmals der Risikoverteilung

Interessant wird in diesem Zusammenhang nunmehr die Frage sein, wie die gesetzliche und vertragliche Risikoverteilung von den Gerichten bewertet wird, die für die Zumutbarkeit für das Festhalten am unveränderten Vertrag entscheidend ist. Zwar soll dieses sog. normative Merkmal des § 313 Abs. 1 BGB von der Vermutungsregelung nicht erfasst werden (BT-Drucks. 19/25322, S. 21 und vorstehend unter II. 3.), allerdings soll nunmehr davon auszugehen sein, dass ohne entsprechende vertragliche Regelungen Belastungen infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie regelmäßig weder der Sphäre des Mieters noch des Vermieters zuzuordnen sind. Im Ergebnis geht der Gesetzgeber damit – entgegen der bisherigen Rechtsprechung – von einer „neutralen vertraglichen Risikoverteilung“ aus. Wenngleich der erklärte Wille des Gesetzgebers nicht bindend ist, so könnte dieser Umstand für eine teleologische Auslegung dahingehend sprechen, dass die vertragliche Risikoverteilung zumindest bei der Bewertung der Zumutbarkeit nicht überwiegt oder gar zurücktritt. Anknüpfungspunkt für eine solche Auslegung besteht im Gesetzestext darin, dass „schwerwiegende“ Folgen vermutet werden.

V. Fazit

Die gesetzlichen Neuregelungen mögen „gut gemeint“ sein. Zwingend erforderlich sind sie nicht, da auch auf der Grundlage des bisherigen § 313 Abs. 1 BGB zielführende Ergebnisse zu erreichen waren und diesen und diese auch von den Gerichten erreicht wurden (Burbulla in: ESV-Interview vom 16.12.2020 unter https://esv.info/aktuell/dr-rainer-burbulla-auch-der-derzeit-geltende-313-bgb-ermoeglicht-durchaus-sachgerechte-loesungen/id/111755/meldung.html). Es bleibt abzuwarten, ob die Gerichte bei der bisherigen restriktiven Linie verbleiben oder aber die Intention des Gesetzgebers stärker berücksichtigen und eher Mietanpassungen (im Einzelfall) annehmen. Entscheidend wird hierbei sein, wie die Gerichte nunmehr das normative Tatbestandsmerkmal der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilung bewerten.

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