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MietRB-Blog

Keine Gesetzgebungszuständigkeit des Landes Berlin für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts (hier: Mietendeckel)

Dr. Olaf Riecke / RA Kai-Uwe Agatsy  Dr. Olaf Riecke / RA Kai-Uwe Agatsy

1. Das Grundgesetz enthält – von der Ausnahme des Art. 109 Abs. 4 GG abgesehen – eine vollständige Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten entweder auf den Bund oder die Länder. Doppelzuständigkeiten sind den Kompetenznormen fremd und wären mit ihrer Abgrenzungsfunktion unvereinbar. Das Grundgesetz grenzt die Gesetzgebungskompetenzen insbesondere mit Hilfe der in den Art. 73 und Art. 74 GG enthaltenen Kataloge durchweg alternativ voneinander ab.
2. Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann (ungebundener Wohnraum), fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht i.S.v. Art.74 Abs. 1 Nr. 1 GG.
3. Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht.

BVerfG, Beschl. v. 25. 3.2021 – 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20, 2 BvL 5/20
(LG Berlin 67 S 109/20, 65 S 76/20, 66 S 95/20)
BGB §§ 535 ff, 556d – 561; GG Art. 73, 74

I. Das Problem:

Am 23.0.2020 trat das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) in Kraft. In der Konsequenz wurde in etwa 1,5 Mio. Mietverhältnissen die Nettokaltmiete „abgesenkt“. Der Regelungsbereich des „Mietendeckel“ ging allerdings deutlich weiter als die Mietpreisbremse der §§ 556d ff. BGB. Er bestand wesentlich aus dem Mietenstopp, einer lageunabhängigen Mietobergrenze im Fall der Wiedervermietung und einem gesetzlichen Verbot überhöhter Mieten. Bereits ab dem 18.6.2019 war es Vermietern „untersagt“, die Nettokaltmiete über die Stichtagsmiete hinaus zu erhöhen. Bei der Miete für erstmals ab dem Jahr 2014 bezugsfertige Neubauten waren das Gesetz nicht anwendbar. Infolgedessen waren die Mieten und die maximal zulässigen Modernisierungserhöhungen beschränkt. In der Praxis war umstritten, ob sich der „Mietenstopp“ des § 3 Abs.1 S.1 MietenWoG Bln „mittelbar“ auf das zivilrechtliche Vertragsverhältnis und somit auf die Mieterhöhung auswirkte.

II. Die Entscheidung des Gerichts:
Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung vom 11. Februar 2020 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin vom 22. Februar 2020, Seite 50) ist mit Art. 74 Absatz 1 Nummer 1 i.V.m. Art. 72 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.
Das Grundgesetz geht von einer in aller Regel abschließenden Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern aus. Der Bund hat das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz ihm dieses ausdrücklich zuweist.
Solange und soweit er im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht, entfällt die Regelungsbefugnis der Länder.
Im Übrigen sind die Länder nach Art. 70 und Art. 72 Abs. 1 GG zur Gesetzgebung berufen
Welcher Materie eine gesetzliche Regelung zuzuordnen ist, bemisst sich nach ihrem objektiven Regelungsgehalt.
Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse zuweist. Eine solche Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund findet sich ausweislich Art. 70 Abs. 2 GG vor allem in den Vorschriften über die ausschließliche (Art. 73 und Art. 105 Abs. 1 GG) und die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 74 und Art. 105 Abs.2 GG).
Das Grundgesetz grenzt die Gesetzgebungskompetenzen insbesondere mit Hilfe der in den Art. 73 und Art. 74 GG enthaltenen Kataloge durchweg alternativ voneinander ab. Nach der Systematik der grundgesetzlichen Kompetenzordnung wird der Kompetenzbereich der Länder daher grundsätzlich durch die Reichweite der Bundeskompetenzen bestimmt, nicht umgekehrt. Aus der in Art. 30 und Art. 70 Abs. 1 GG verwendeten Regelungstechnik ergibt sich keine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder.
Die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung ist unverfügbar. Kompetenzen stehen nicht zur Disposition ihrer Träger.
Macht der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch, verlieren die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetzgebung in dem Zeitpunkt („solange“) und in dem Umfang („soweit“), in dem der Bund die Gesetzgebungskompetenz zulässigerweise in Anspruch nimmt (sog. Sperrwirkung). Soweit die Sperrwirkung reicht, entfällt die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Die Sperrwirkung verhindert für die Zukunft den Erlass neuer Landesgesetze und entzieht in der Vergangenheit erlassenen Landesgesetzen die Kompetenzgrundlage, sodass sie nichtig sind beziehungsweise werden.
Die Sperrwirkung i.S.v. Art. 72 Abs. 1 GG setzt voraus, dass bundes- und landesgesetzliche Regelung denselben Gegenstand betreffen. Je nach Reichweite der bundesgesetzlichen Regelung kann der Landesgesetzgeber von der Rechtsetzung also gänzlich ausgeschlossen oder auf bestimmte Teilmaterien und -gegenstände beschränkt werden. Hat der Bund einen Gegenstand abschließend geregelt, tritt die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG für eine Regelung der Länder in diesem Sachbereich unabhängig davon ein, ob diese den bundesrechtlichen Bestimmungen widerstreitet, sie ergänzt oder lediglich (deklaratorisch) wiederholt. Maßgeblich ist, welche Sachverhalte der Bundesgesetzgeber gesehen hat und einer Regelung zuführen wollte.
Wie alle Zuständigkeitsvorschriften des Grundgesetzes gelten die Art. 70 ff. GG „strikt“. Das erfordert eine Auslegung, die dem Wortlaut und dem Sinn der Kompetenznorm gerecht wird und eine möglichst eindeutige vertikale Gewaltenteilung gewährleistet. Ob sich eine Regelung unter einen Kompetenztitel subsumieren lässt, hängt davon ab, ob der dort genannte Sachbereich unmittelbar oder lediglich mittelbar Gegenstand dieser Regelung ist.
Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann (ungebundener Wohnraum), fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Das bürgerliche Recht i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG umfasst neben den fünf Büchern des Bürgerlichen Gesetzbuchs als weitgehend abschließender Regelung wichtiger Kernbestandteile des Privatrechts auch vielfältige Nebengesetze zur Ordnung von Privatrechtsverhältnissen wie etwa das Wohnungseigentumsrecht.
Das Recht der Mietverhältnisse ist seit dem Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 in den §§ 535 ff. BGB geregelt und – ungeachtet zahlreicher Änderungen – ein essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts. Das gilt insbesondere für Mietverhältnisse über Wohnungen (§ 549 BGB).
Das heute vollständig im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte soziale Mietrecht geht auf das Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1149) zurück, mit dem der Gesetzgeber das zersplitterte Wohnraummietrecht reformieren und das bisher im Gesetz zur Regelung der Miethöhe enthaltene Mietpreisrecht für ungebundenen Wohnraum (§§ 558 ff. BGB a.F.) in das Bürgerliche Gesetzbuch überführen wollte (vgl. BTDrucks 14/4553, S. 1, 53 f.).
Dementsprechend hat der Bundesgesetzgeber – insbesondere seit dem Mietrechtsreformgesetz vom 19. Juni 2001 – Gesetze zur Regelung der Miethöhe jeweils allein auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG erlassen.
Das gilt für die – vorliegend besonders bedeutsame – Einführung der Mietpreisbremse (§§ 556d ff. BGB) mit dem Gesetz zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung (Mietrechtsnovellierungsgesetz) vom 21. April 2015 (BGBl I S. 610), das ausweislich der Entwurfsbegründung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt wurde.
Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 1 GG). Er hat damit ein umfassendes Regelungskonzept für die Miete für ungebundenen Wohnraum auf angespannten Wohnungsmärkten geschaffen. Das ergibt sich nicht nur aus dem Regelungsgegenstand, sondern auch aus den jeweiligen Gesetzesbegründungen und hat zur Folge, dass die Länder insoweit von der Gesetzgebungszuständigkeit ausgeschlossen sind.
Schon Regelungsintensität und Häufigkeit dieser bundesgesetzlichen Nachsteuerung legen nahe, dass es sich bei den §§ 556 ff. BGB um eine umfassende und abschließende Regelung handelt. Die §§ 556 ff. BGB enthalten außerdem keine Regelungsvorbehalte, Öffnungsklauseln oder Ermächtigungsvorschriften, die den Ländern den Erlass eigener oder abweichender mietpreisrechtlicher Vorschriften ermöglichen würden. Das ausdifferenzierte Regelungssystem und der Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzrecht machen vielmehr deutlich, dass der Bundesgesetzgeber eine abschließende Regelung treffen wollte.
Die abschließende Regelung der Miethöhe durch die §§ 556 ff., 556d ff. BGB wird auch nicht durch die in § 556d Abs. 2 BGB normierte Verordnungsermächtigung der Länder in Frage gestellt. Sie ändert nichts an der durch die abschließende bundesgesetzliche Regelung bewirkten Sperrwirkung für den Landesgesetzgeber aus Art. 72 Abs. 1 GG.
Die Länder können daher nur innerhalb des engen bundesgesetzlich vorgegebenen Rahmens regelnd tätig werden und sind darauf beschränkt, die Vollziehbarkeit der bundesgesetzlichen Regulierung für ihren Bereich sicherzustellen. Dabei sind sie sogar zum Tätigwerden verpflichtet, wenn die in § 556d Abs. 2 BGB normierten Tatbestandsvoraussetzungen für den Verordnungserlass vorliegen und anderweitige Abhilfemaßnahmen (noch) keine Wirkung zeigen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 18. Juli 2019 – 1 BvL 1/18 u.a. -, Rn. 111; Lehmann-Richter, WuM 2015, S. 204 <205>).
§ 1 i.V.m. § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln regelt ebenfalls die zulässige Miete für ungebundenen Wohnraum und unterfällt dem „bürgerlichen Recht“ i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Da dieser Bereich durch §§ 556 ff. BGB bundesrechtlich abschließend geregelt ist, fehlt dem Land Berlin insoweit die Gesetzgebungskompetenz; etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Staatszielbestimmungen der Verfassung von Berlin.
„Berliner Mietendeckel“ und bundesgesetzliche Mietpreisbremse regeln im Wesentlichen denselben Gegenstand, nämlich den Schutz des Mieters vor überhöhten Mieten für ungebundenen Wohnraum (vgl. Herrlein/Tuschl, NZM 2020, S. 217 <229>).
Die Berliner Regelung verengt dabei die durch die bundesrechtlichen Regelungen belassenen Spielräume der Vertragsparteien (vgl. Farahat, JZ 2020, S. 602 <605 f.>) und führt ein paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene mit statischen und marktunabhängigen Festlegungen ein (vgl. Ackermann, JZ 2021, S. 7,9). § 1 i.V.m. § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln statuiert gesetzliche Verbote i.S.v. § 134 BGB, die die Privatautonomie der Parteien beim Abschluss von Mietverträgen über Wohnraum über das nach §§ 556 ff. BGB erlaubte Maß hinaus begrenzen. Er modifiziert damit die durch das Bundesrecht angeordneten Rechtsfolgen und verschiebt die von diesem angeordnete Austarierung der beteiligten Interessen.
§ 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 2 MietenWoG Bln verbietet die nach § 557 Abs. 1 BGB zulässige Mieterhöhung im laufenden Mietverhältnis beziehungsweise für Neuvermietungen. Durch § 3 Abs. 1 S. 2 MietenWoG Bln sind die nach §§ 557a, 557b BGB zulässigen Staffel- oder Indexmieten auf die zum Stichtag geschuldete Miete eingefroren; eine nach dem Bundesrecht zulässige Staffel- oder Indexmiete wird somit ebenfalls außer Kraft gesetzt. § 7 MietenWoG Bln begrenzt die mieterhöhungsrelevanten Modernisierungsmaßnahmen auf einen Katalog, der enger ist als die Maßnahmen nach § 555b Nr. 1, Nr. 3 bis Nr. 6 BGB; die Erhöhung des Gebrauchswerts der Mietsache oder die Verbesserung der allgemeinen Wohnverhältnisse wird insoweit nicht berücksichtigt. Zudem begrenzt § 7 MietenWoG Bln die zulässige Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen stärker als § 559 Abs. 1 BGB.
Der Anwendungsbereich der Mietpreisregulierung wird durch die Regelungen des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin ausgeweitet, und nach Bundesrecht zulässige Mieterhöhungen werden ebenso wie nach Bundesrecht zulässige Vereinbarungen über die Miethöhe bei Mietbeginn verboten.
Während § 556f S. 2 BGB die Mietpreisbremse auf die erste Vermietung nach umfassender Modernisierung für unanwendbar erklärt, sieht § 1 Nr. 3 Mieten-WoG Bln eine Ausnahme vom Anwendungsbereich nur bei einem Neubau oder der Wiederherstellung von ansonsten dauerhaft unbewohnbarem Wohnraum vor. Damit ist im Ergebnis die Vereinbarung einer nach § 556g Abs. 1 S. 2 BGB wirksamen Miete verboten, weil die nach den §§ 556 ff. BGB zulässige Miete höher liegen kann als die nach § 6 Abs. 1 bis Abs. 3 MietenWoG Bln gestatteten Mietobergrenzen.
Mit diesen Beschränkungen tritt das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin neben das Regelungsregime der Mietpreisbremse gemäß §§ 556d ff. BGB.
Die Berliner sozialpolitischen Zielsetzungen decken sich nahezu vollständig mit jenen, die den Bundesgesetzgeber zum Erlass seiner Regelungen über die höchstzulässige Miete veranlasst haben.
Da die zulässige Miethöhe im BGB abschließend geregelt ist, fehlt dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass von § 1 i.V.m. § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 28 VvB, der ein „Recht auf Wohnen“ als Staatszielbestimmung normiert.

III. Konsequenzen für die Praxis
1. Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Unwirksamkeit
Die Konsequenzen der Entscheidung sind „mehrschichtig“. Die politisch gewollte „Atempause“ für Mieter in Berlin gibt es nicht (mehr). Alle ausgeklügelten Handlungsempfehlungen für Vermieter (vgl. Brückner, Berliner Mietendeckel, 2. Aufl., S. 145 ff., 176 etwa zur Entgegennahme vorübergehend verringerter Mietzahlungen) haben soweit wie möglich trotz scheinbar wirksamen Berliner Mietendeckels die Rechte der Vermieter gewahrt und müssen künftig nicht mehr umgesetzt werden.
Zunächst besteht für entsprechende landesgesetzliche Regelungen keine Gesetzgebungskompetenz. Der Berliner Mietendeckel ist „ex tunc“ nichtig. Weder die Gesetzgebungskompetenz des Art. 70 Abs.1 GG, des Art. 74 Abs.1 Nr.1 GG noch die abgeschlossenen Regelungen der Mietpreisvorschriften der §§ 556 ff. BGB lassen einen derartigen „Kunstgriff“ zu (Abramenko, AnwBl BE 2019, 418; Brückner, Berliner Mietendeckel, 2. Aufl., S.21), auch wenn dies im Gesetzgebungsverfahren durch die Gutachter anders bewertet wurde (Mayer/Artz, Öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Aspekte eines Mietendeckels für das Land Berlin S.35 ff.). Teilweise ging auch die Instanzrechtsprechung mit einer „konstruierten“ Begründung von der Verfassungsmäßigkeit aus (AG Mitte v. 10.6.2020 -124 C 5060/19, ZMR 2020, 657; s.a. auch LG Berlin v. 31.7.2020 – 66 S 95/20, MDR 2020, 1115 f.; s.a. Weber, ZMR 2020, 825, 826). Diese Auffassungen sind somit obsolet, denn ein zivilrechtliches Vertragsverhältnis kann nicht kraft behördlichen Eingriffs reguliert werden, so dass die Vorschriften der §§ 3 bis 6 MietenWoG Bln keinen (Fort-)Bestand haben. Unabhängig von der Annahme eines rechtlichen „Könnens“ im Vorfeld des Gesetzesentwurfs haben die Argumente gegen das rechtliche „Dürfen“ vollumfänglich gegriffen. Das Mietrecht ist demnach kein Gegenstand des Kompetenztitels „Wohnungswesen“ (Pickert, GE 2019, 954, 955; a.A. Weber, ZMR 2019, 389). Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht (Abramenko, AnwBl BE 2019, 418, 420). § 556d Abs.2 BGB enthält eine Verordnungsermächtigung für die einzelnen Bundesländer. Die Annahme einer eigenen Gesetzgebungskompetenz geht allerdings eindeutig zu „weit“. Der Bundesgesetzgeber leitet seine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs.1 Nr.1 GG ab (zum Gutachten von Papier, GE 2019, 1160). Anders als dies angenommen wurde, lässt sich auch nicht auf der Grundlage von Art. 28 VvB eine landesverfassungsrechtliche Kompetenzgrundlage schaffen (a.A. Weber, ZMR 2020, 389). Dies haben die Gegenstimmen bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsvorhabens „prophezeit“ (Pickert, GE 2019, 954ff.; a.A. Weber, ZMR 2020, 825 ff.). Daraus folgt ab sofort für vergleichbare Gesetzesvorhaben, dass es kein Nebeneinander von zwei „Mietrechtssystemen“ gibt. Aus diesem Grund haben Amtsgerichte und das Landgericht Berlin (ZK 67) aufgrund verfassungsrechtlicher Zweifel Verfahren ausgesetzt, um eine Vorlagefrage zum BVerfG zu formulieren (LG Berlin v.12.3.2020 – 67 S 274/19, ZMR 2020, 510; LG Berlin v. 6.8.2020 – 67 S 109/20, MDR 2020, 1114 = ZMR, 2020, 954). In der Konsequenz wäre auch der limitierte Katalog der Modernisierungsmaßnahmen im Rahmen einer deutlich über den Rahmen des § 555b BGB hinausgehenden Einschränkung erheblich beschnitten worden. Letztendlich überzeugen die zahlreichen Gegenargumente, die das Landesgesetz im Ergebnis sogar handwerklich als „Skandal“ bewertet haben (Häublein, GE 2020, 308 ff.). Das MietenWoG Bln war von Anfang an verfassungsrechtlich chancenlos (s.a. Häublein, ZfPW 2020, 1 ff.). Das Berliner MietenWoG war ein „rustikaler Versuch“, den Anstieg der Preise auf dem Wohnungsmarkt zu verlangsamen (Kingreen, NVwZ 2020, 737, 743). Mit dem Bußgeldtatbestand des § 11 MietenWoG Bln ist der Landesgesetzgeber eindeutig über das zulässige gesetzgeberische Ziel „hinausgeschossen“.
2. Zivilrechtliche Konsequenzen der Entscheidung für die Mietverträge
Infolge der erklärten Nichtigkeit der Vorschriften der §§ 3 ff. MietenWoG Bln konnte weder ex tunc noch ex nunc eine Änderung der bestehenden Vertragsverhältnisse kraft öffentlich-rechtlicher Vorschriften eintreten. Die teils vertretene gesetzliche Unwirksamkeit von Mieterhöhungsverlangen gem. § 134 Abs.1 BGB ist gegenstandslos. Entgegen der teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung bleiben die Mieterhöhungsverlangen vor und nach dem Stichtag des 18.06.2019 nach BGB uneingeschränkt wirksam (LG Berlin 65 S 76/20, MietRB 2020, 176 (Agatsy) = ZMR 2020, 945). Der Anspruch auf die Zustimmung zur ortsüblichen Vergleichsmiete resultiert aus §§ 558 ff. BGB. Der Landesgesetzgeber hat somit auch nicht mittelbar das Recht, in das laufende zivilvertragliche Verhältnis einzugreifen. Die verfassungsrechtlichen Zweifel haben im Ergebnis durchgegriffen. Demnach war die Annahme konsequent, dass die Frage der Mietpreishöhe einzig nach dem BGB zu beurteilen ist. Den systematischen Vorrang der mietrechtlichen Vorschriften der §§ 556 ff. BGB hat das Landgericht Berlin (ZK 65) herausgestellt und für die Frage der Mieterhöhung und somit für die nach dem BGB zulässige ortsübliche Vergleichsmiete darauf abgestellt, dass die Vertragsänderung ausschließlich nach den Vorschriften des BGB zu bewerten ist. Zwar konnte bislang dahinstehen, ob § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln eine etwaige Sperrwirkung erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes entfalten konnte (AG Tempelhof-Kreuzberg v. 28.4.2020 – 4 C 118/19, IMR 2020, 289). Allerdings ist auch diese Frage im Zusammenhang der Ermittlung der Vergleichsmiete endgültig erledigt. Aufgrund der ex tunc eintretenden Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelung des § 6 MietenWoG Bln entfällt sowohl die unzulässige Limitierung möglicher Modernisierungsmaßnahmen im Sinne des § 555b BGB als auch deren gedeckelte Maximalumlage. Bereits der BGH hat konsequent darauf abgestellt, dass die Vorschriften des MietenWoG Bln auf die zivilrechtlichen Mieterhöhungen keine Wirkung entfalten (BGH v. 29.4.2020 – VIII ZR 355/18, MietRB 2020, 226 [Kunze] = MDR 2020, 1112 = ZMR 2020, 632). Somit ist es wieder zulässig, eine zulässige Modernisierungsumlage von bis zu 8 % pro Jahr einzufordern. Mietvertragsabschlüsse unterliegen keiner „Beschränkung“.
Beraterhinweis
Falls die Mieter die Miete abgesenkt haben bestehen „Mietrückstände“. Die Fälligkeit der rückständigen Salden tritt mit sofortiger Wirkung ein. Daher ist den Mietern nahezulegen, die Rückstände zügig zu begleichen. Allerdings ist zweifelhaft, ob bei einem entsprechenden kündigungsrelevanten Rückstand unverzüglich gekündigt werden kann. Denn die Mieter durften auf den Fortbestand der gesetzlichen Regelungen vertrauen und haben sich an „geltendes“ Recht gehalten. Auch Mieterhöhungen nach den § 558 ff. BGB und § 559 ff. BGB sind nun wieder möglich. Die Mieten dürfen in laufenden Verträgen damit um bis zu 15 % in 3 Jahren steigen, wenn die ortsübliche Miete noch nicht erreicht ist (Schmid/Harz/Riecke, Mietrecht, BGB § 558 Rn.29; BGH v. 17.4.2019 – VIII ZR 33/18, MietRB 2019, 196 (Kunze) = ZMR 2019, 661 Rn.20). Beim Abschluss neuer Mietverträge gilt die Mietpreisbremse des Bundes. Bei Modernisierungen dürfen 8 % der (bereinigten, vgl. BGH, Urt. v. 11. 11. 2020 – VIII ZR 369/18) Kosten auf die Jahresmiete umgelegt werden, wobei die Miete innerhalb von 6 Jahren maximal um 3 €/m² erhöht werden darf. Unabhängig davon gelten auch die Vorschriften über die „Mietpreisbremse“ uneingeschränkt fort.

3. Fazit

Das BVerfG hat den gesetzgeberischen „Resetknopf“ gedrückt. Zivilrechtlich bleibt alles wie bisher und die aktuell bestehende Rechtsunsicherheit ist zumindest „vorläufig“ Rechtsgeschichte.

 

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