Es hat nicht einmal ein Jahr gedauert, bis der BGH Gelegenheit hatte, die Entscheidung des BVerfG vom 26.5.2020 umzusetzen (BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18, FamRB 2020, 261). Es ist nicht überraschend, dass der BGH in der Frage, wie der grundrechtlich geschützte Halbteilungsgrundsatz im Versorgungsausgleich bei externer Teilung einer Versorgung durchzusetzen ist, der Entscheidung des BVerfG folgt: Eine grundrechtswidrige Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes liegt dann vor, wenn der Versorgungsertrag aus dem Ausgleichswert den Versorgungsertrag aus der Quellversorgung um mehr als 10 % unterschreitet. Ist dies der Fall, hat der Versorgungsträger der Quellversorgung entweder den Ausgleichswert auf ein hinreichendes Niveau zu erhöhen oder die interne Teilung vorzunehmen.
Im Versorgungsausgleich muss daher umgedacht werden. Galt bisher der Grundsatz, dass der Kapitalwert einer Versorgung insbesondere im Fall ihrer externen Teilung genauestens zu prüfen sei, gilt nun – praxisnäher – der Grundsatz, dass die Versorgungsleistung der Zielversorgung die Messlatte für Grundrechtskonformität ist.
Allerdings wird die Entscheidung die Debatte eröffnen, was denn unter dem Begriff der „Versorgungsleistung“ zu verstehen ist.
Die reine Höhe der monatlichen Rentenzahlung kann es nicht sein. Eine betriebliche Altersversorgung, deren Ehezeitanteil eine Rente i.H.v. 100 € monatlich im Ehezeitende für einen 50-jährigen Mann beträgt, und die eine 1 %-ige Leistungsdynamik aufweist, bleibt in Ihren Leistungen meilenweit hinter einer Rente der DRV zurück, die ebenfalls im Ehezeitende 100 € Monatsrente aufweisen würde. Während die betriebliche Rente bei Renteneintritt im Alter 67 noch immer lediglich 100 € betrüge, würde sich die in der gesetzlichen Rentenversicherung anzunehmende Dynamik von 2 % zu einem Versorgungsergebnis bei Renteneintritt i.H.v. 140 € errechnen. Diese Rentendifferenz vergrößert sich bis zum Tod der berechtigten Person wegen der unterschiedlichen Dynamik von betrieblicher und gesetzlicher Rentenversicherung. Aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielte der Versicherte bei einer Rente im Ehezeitende von 100 € Altersrente von insgesamt mehr als 42.000 € bis zum Tod, der betrieblich Versicherte erhielte nicht einmal 30.000 €. Nimmt man Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung hinzu, differiert das Volumen der Versorgungserwartung um fast 50 %.
Leider ist die Berechnung der Leistung einer Versorgung auf der Basis der Summe der zukünftigen Rentenleistungen nicht ganz banal. Für alle, die es genau wissen wollen sei die dazu erforderliche mathematische Formel präsentiert:
Rentenvolumen = {[(1 + Leistungsdynamik in %)Leistungszeit – 1] / Leistungsdynamik in %} x Rente im Renteneintritt x 12
Ein solches „Ungetüm“ einer mathematischen Formel ist praktisch unzumutbar, weshalb im Programm Kapitalwertkontrolle 2021 dieser Rechenarbeit juristengerecht mit wenigen Eingaben transparent erledigt wird. Und bevor allgemeines Wehklagen über unsere obersten Gerichte ausbricht sei darauf hingewiesen, dass die Berechnung der Barwerte von Versorgungen und ihre korrespondierenden Kapitalwerte nicht einfacher war. Der einzige Unterschied war der, dass in der Praxis diese Berechnung leichtsinniger Weise nie kontrolliert, sondern den Versorgungsträgern erleichtert jede Zahl abgenommen wurde.
Damit muss es nun nicht vorbei sein. Spätestens seit Januar 2018 ist die Deutsche Rentenversicherung für alle Fälle der externen Teilung die richtige Zielversorgung. Lediglich bei Rentnerscheidungen oder großen Altersunterschieden zwischen den Ehegatten oder bei einem Rechnungszins von mehr als 3 %, der zur Ermittlung der Kapitalwerte vom Quellversorgungsträger angewandt wurde, wäre eine genaue Prüfung des Versorgungsergebnisses für die ausgleichsberechtigte Person erforderlich.
Zum Glück hat der BGH in seiner Entscheidung in analoger Anwendung von § 220 Abs. 4 FamFG eine Auskunftsverpflichtung des Quellversorgungsträger über die Rentenerwartung der ausgleichsberechtigten Person im System der Quellversorgung etabliert. Das hilft aber bedauerlicherweise bei einem großen Altersunterschied der Ehegatten nicht wirklich weiter. Denn nicht einmal die nominelle Höhe der Summe aller Versorgungsleistungen definiert die Leistungsfähigkeit einer Versorgung, sondern die aus ihr resultierende Kaufkraft. Deshalb ist dieser Korrekturfaktor bei großem Altersunterschied der Ehegatten zusätzlich zu berücksichtigen. 100 € Rente im Ehezeitende haben bei Annahme einer 2 %-igen Geldentwertung pro Jahr zehn Jahre später lediglich noch eine Kaufkraft von 82 €. Damit wäre indessen die vom BVerfG gebilligte maximal 10 %-ige Differenz zwischen einem Versorgungsertrag aus Quell- und Zielversorgung bereits überschritten.
Für die Familienrechtler wird durch die beiden Entscheidungen von BVerfG und BGH nicht alles leichter, aber für alle Betroffenen ist es leichter verständlich geworden. Es ist nämlich haptisch begreifbar, wenn ich die Leistungen einer Versorgung in den zur Auszahlung gelangenden Versorgungsvolumen ausdrücke. Unter einer Rentenleistung bis zum Lebensende von 29.000 € kann ich mir konkret vorstellen, ca. 3.600 Maß Bier trinken zu können. Mit Entgelt- oder Versorgungspunkten, Steigerungszahlen oder Prozentpunkten einer Bemessungsgrundlage kann sich kein Betroffener einen konkreten Konsum vorstellen.
Familienrechtlich wird man nun meist lediglich noch kontrollieren müssen, mit welchem Rechnungszins der Ausgleichswert berechnet worden. Liegt er über 3 %, wird keine bestehende Zielversorgung ein adäquates Versorgungsniveau bieten können. Liegt er darunter, ist die Deutsche Rentenversicherung die richtige Zielversorgung. Diese einfache Gleichung trifft nur in den Rentnerfällen nicht zu.
In jedem Fall hilft aber sowohl bei der Berechnung und Kontrolle der Kapital- und damit der Ausgleichswerte als auch beim Vergleich der aus den verschiedenen Versorgungen resultierenden Versorgungsvolumen das Programm Kapitalwertkontrolle 2021 auf der Homepage des FamRB unter www.famrb.de/muster_formulare.html kostenlos nebst Erläuterungstext herunterladen können.