Online-Dossier: Die große Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Am 1.1.2023 ist das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft getreten. Es bleibt „kein Stein auf dem anderen“, alles ist neu strukturiert, die Paragrafen sind „gewandert“. Neben der grundlegenden Modernisierung des Rechts der Vormundschaft über Minderjährige, der Pflegschaft sowie der Betreuung Volljähriger kommt ein Notvertretungsrecht für Ehegatten in medizinischen Angelegenheiten und die Vorsorgevollmacht erhält mit § 1820 BGB n.F. einen eigenen Paragrafen.

Wir bieten Ihnen – in diesem Online-Dossier für Sie zusammengestellt – in unseren Werken und Datenbanken alle benötigten Arbeitsmittel – von der hilfreichen Synopse bis hin zur profunden Kommentierung, um sich im neuen Recht schnell zurechtzufinden.

FamRB-Aufsätze zum Familienrecht

  • Sarres, Aktuelle Aspekte zur Vorsorgevollmacht, FamRB 2023, 38
  • Kemper, Die große Reform: Das Notvertretungsrecht für Ehegatten kommt, FamRB 2021, 260
  • Bartels, Die große Reform: Primat der Wünsche des Betreuten – die neuen Vorschriften des Betreuungsrechts, FamRB 2021, 204
  • Bartels, Die große Reform: Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht, FamRB 2021, 113

FamRZ-Aufsatzserie zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

  • Böhm, Die Suspendierung von Vorsorgevollmachten nach dem neuen § 1820 Abs. 4 BGB, FamRZ 2022, 1253
  • Krämer, Die neue Funktion der Betreuungsbehörden nach der Reform des Betreuungsrechts, FamRZ 2022, 927
  • Dodegge, Vom Wohl des Betroffenen zu dessen Wünschen und Willen – neue Maßstäbe für die Betreuertätigkeit, FamRZ 2022, 844
  • Reh, Die Auswahl und Typisierung des Betreuers im Lichte des zum 1.1.2023 in Kraft tretenden Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2022, 673
  • Wagner, Neufassung der Art. 7, 15, 17b II und 24 EGBGB durch das Gesetz zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, FamRZ 2022, 405
  • Gottwald, Die neue Prozessfähigkeit bei rechtlicher Betreuung, FamRZ 2022, 331
  • Schneider, Bestimmungsbefugnisse des Betreuers im Lichte der Reform des Betreuungsrechts (insbesondere Aufenthalts- und Umgangsbestimmung, FamRZ 2022, 1
  • Croon-Gestefeld, Das gesetzliche Notvertretungsrecht von Ehegatten und seine kollisionsrechtliche Anknüpfung, FamRZ 2021, 1939
  • Kurze, Reform ist gut – Kontrolle ist besser?, FamRZ 2021, 1934
  • Socha, Die Auskunftspflicht des Betreuers gegenüber Angehörigen nach dem neuen § 1822 BGB, FamRZ 2021, 1861
  • Hoffmann, Der zusätzliche Pfleger nach § 1776 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2021, 1773
  • Veit, Die Rechtsstellung der Pflegeperson nach dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz sowie dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2021, 1501
  • Müller-Engels, Vorsorgevollmacht und Kontrollbetreuung in der Reform – was kommt, was bleibt?, FamRZ 2021, 645
  • Christl, Akzeptanz und Qualität ehrenamtlicher Betreuung in der Reform, FamRZ 2021, 81
  • Socha, Sicherheit statt Sollbruchstelle – der „vorläufige Vormund“ in der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2021, 87
  • Wedel/Kraemer/Hyla, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht aus Sicht der Landesjustizverwaltung Nordrhein-Westfalen, FamRZ 2021, 77
  • Dutta, Handlungsbefugnisse von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge – ein weiterer Versuch für einen neuen § 1358 BGB, FamRZ 2020, 1881
  • Schneider, Die Neuregelung des Betreuungsrechts, FamRZ 2020, 1796
  • Dürbeck, Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts v. 25.9.2020, FamRZ 2020, 1789
  • Münch, Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts: Vermögensverwaltung, FamRZ 2020, 1513

Beiträge aus der Zeitschrift Rpfleger zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

  • Felix, Die Genehmigungstatbestände im neuen Betreuungsrecht (Teil 1), Rpfleger 2022, 541
  • Luther, Jahresgebühren in Betreuungssachen, Rpfleger 2022, 289
  • Harm, Gerichtsgebühren beim sog. Behindertentestament, Rpfleger 2022, 229
  • Hofer, Streit um die Gerichtsgebühren beim sog. Behindertentestament kontra Fürsorge und Aufsicht des Betreuungsgerichts, Rpfleger 2021, 677
  • Harm, Die Reform des Betreuungsrechts – Teil 1: Neues Verfahren zur Wohnungsaufgabe, Rpfleger 2021, 613
  • Harm, Die Entwicklung im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Betreuungsrecht seit 2019 bis Mai 2021 (ohne Vergütungsrecht), Rpfleger 2021, 556
  • Christl , Umsetzung der Reformziele im Vorgriff auf die Betreuungsrechtsreform zum 1.1.2023, Rpfleger 2021, 549
  • Gojowczyk, Zur funktionellen Zuständigkeit für die Abgabe des Betreuungsverfahrens an ein anderes Gericht (§§ 4, 273 FamFG), Rpfleger 2021, 463
  • Felix, Das Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung, Rpfleger 2019, 624

 


 

Aus Erman, BGB Kommentar

online first

Infolge der durch die Reform erfolgten Neustrukturierung sind die Vorschriften im gesamten Abschnitt 3 umnummeriert worden. In seiner Neukommentierung der §§ 1773 bis 1888 BGB erläutert Prof. Dr. Kai Schulte-Bunert eingehend die neuen Regeln zur Vormundschaft. Prof. Dr. Andreas Roth kommentiert die Vorschriften zur Pflegschaft sowie das neue Betreuungsrecht und geht detailliert auf die zahlreichen Änderungen ein.

Titel 1 – Vormundschaft (§§ 1773-1808)

Titel 2 – Pflegschaft für Minderjährige (§§ 1809-1813)

Titel 3 – Rechtliche Betreuung (§§ 1814-1881)

Titel 4 – Sonstige Pflegschaft (§§ 1882-1888)

 

BGB

 


 

Aus Prütting/Helms, FamFG, online:

Insgesamt wurden durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht 43 FamFG-Vorschriften geändert. Bei einigen Vorschriften wurden lediglich die dort erwähnten und durch die Reform geänderten BGB-Vorschriften angepasst. In der Auflistung finden Sie die Normen, die sich vor allem inhaltlich durch die Reform (und dessen „Reparaturgesetz“) geändert haben:

 

FamFG

 


 

 

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Und ewig grüßt das Murmeltier – zum im RefE eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts mitgeregelten Ehegattenvertretungsrecht

Es gibt Gesetzesvorhaben, die werden auf dem Marktplatz geboren. Stellt man sich auf selbigen und befragt Passanten, ob denn im Fall plötzlich eintretender Bewusstlosigkeit eines Ehegatten der andere für ihn über ärztliche Eingriffe entscheiden, Behandlungsverträge abschließen dürfe und ärztliche Informationen entgegennehmen könne, wird man mehrheitlich Zustimmung und Verwunderung gleichzeitig ernten. Die Passanten werden zustimmen, dass Ehegatten über den Gesundheitszustand des anderen informiert werden dürfen und sie füreinander Behandlungsmaßnamen einleiten können, wenn der erkrankte, verunglückte, demente oder sonst geschäftsunfähig gewordene Ehepartner dies nicht mehr entscheiden kann. Verwunderung würde die juristische Information auslösen, dass all das derzeit nicht möglich ist.

Es ist daher nachvollziehbar, dass die Politik die wechselseitige Vertretungsbefugnis der Ehegatten dem Ergebnis der Marktplatzumfrage anzupassen gedenkt. Der Referentenentwurf des BMJV zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts nutzt die freigebliebene Hausnummer des § 1358 BGB um ein umfassendes wechselseitiges Vertretungsrecht der Ehegatten zu etablieren, wenn „ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder einer Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge rechtlich nicht besorgen“ kann. Der (gesetzlich als Ehefolge) vertretungsbefugte Ehegatte kann über Untersuchungen, Gesundheitszustand und Heilbehandlungen und andere ärztliche Eingriffe und sogar über freiheitsentziehende Maßnahmen für den anderen Ehegatten entscheiden, sofern die Dauer der Maßnahme im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet. Gleichzeitig werden die Ärzte von ihrer Schweigepflicht unter den Voraussetzungen der Notwendigkeit einer Vertretung entbunden.

Während der Marktplatz-Bürger dem noch verständnisvoll zustimmt, graust es den Familienrechtler: Wer heiratet, gibt sich als Mensch nicht in die Hand seines Gatten. Juristisch bleibt er Individuum. Wenn er möchte, dass seinem Ehegatten eine so weitgehende Kompetenz eingeräumt wird, ist dies auch heute ohne Gesetzesänderung über Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu regeln. Einer gesetzlichen Initiative bedarf es nicht.

Das in § 1357 BGB geregelte Ehegattenvertretungsrecht bei „Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs“ ist völlig ausreichend und schützt den Handel in seinem Vertrauen.

Eines weitergehenden Ehegattenvertretungsrechts bedarf es nicht. In der Ehe begegnen sich zwei selbstständige Rechtssubjekte, deren Entschluss, das Leben gemeinsam zu versuchen, keineswegs ihre Rechtssubjektivität beseitigt. Deutlich wird dies darin, dass das Gesetz als gesetzlichen Güterstand den der Gütertrennung mit Zugewinnausgleich vorsieht. Die Vorstellung des Verschmelzens zweier Personen zu einer „Ehe“, die dann als Rechtsadressat in Betracht, kommt entspricht nicht der gelebten Realität und nicht dem gesetzlichen Verständnis von der Ehe.

Die Verantwortung für Leben und Wohl eines hilfsbedürftigen Bürgers trifft den Staat und nicht den anderen Ehegatten, es sei denn der hilfsbedürftige Ehegatte hätte ausdrücklich ein derartiges Vertretungsrecht gewünscht. Aus der Eheschließung auf Vertretungsmacht zu schließen, ist ein Rückfall in die 60er Jahre. Als ich unverheiratet mit meiner Freundin die erste gemeinsame Wohnung anmietete, gaben wir uns als verheiratet aus und trugen Eheringe von Freunden. Als der Mietvertrag von meiner Frau unterzeichnet werden sollte, habe ich der Vermieterin, einer älteren Bonner Bürgersdame, erklärt, soweit werde es in Deutschland nicht kommen, dass der Mann nicht für seine Frau unterschreiben dürfe. Noch heute verfolgt mich dieser Satz, den die Vermieterin aus dem Mund eines kurz vor dem Examen stehenden Jurastudenten akzeptierte und der meine Frau vor einer Urkundenfälschung schützte.

Von den praktischen Schwierigkeiten der gesetzlichen Vertretungsvermutung will ich gar nicht reden. Sie gilt nämlich dann nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben, dem Vertreter oder dem behandelnden Arzt ein entgegenstehender Wille des Vertretenen oder ein von ihm benannter anderer Vertreter bekannt war oder mehr als drei Monate seit Eintritt der Bewusstlosigkeit oder krankheitsbedingter Unfähigkeit zur eigenständigen Erledigung der Gesundheitsbesorgung vergangen sind. Wie ein Arzt all dies und insbesondere das Zusammenleben der Ehegatten feststellen soll, bleibt im Unklaren.

Träte diese Norm in Kraft, würde allen Altehen plötzlich ein gesetzliches Vertretungsrecht beschert, das nur durch Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung abgewählt werden kann.

Ein solches gesetzliches Ehebild ist personaler Unselbständigkeit verhaftet und hat in einem modernen Familienrecht nichts zu suchen, mag es auch noch so sehr der falschen Marktplatzmeinung entsprechen. Nur um derentwillen führen wir ja auch nicht die Errungenschafts- oder Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand ein. Wer heiratet, gibt sich nicht in die Hand des anderen Gatten, nur weil der Standesbeamte durch sein Testat der Eheschließung steuerliche Vor- und sozialrechtliche Nachteile für die Ehegatten auslöst. Meine Bürokolleginnen und Kollegen habe ich früher deutlich häufiger als meine Frau gesehen. Aus gesellschaftlicher Verrechtlichung auf Vertretungsbefugnis zu schließen, läge vielleicht noch näher.

Das Ehegattenvertretungsrecht ist nicht neu. Periodisch taucht es auf und verschwindet wieder. Es ist zu vermuten, dass die in der Tat sinnvolle Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts auch ohne die Reform des Ehegattenvertretungsrechts diskutiert und verabschiedet werden kann. Einer Erweiterung gesetzlicher Vertretungsbefugnis bedarf es nicht, sonst kommen wir wieder auf das Niveau zurück, das bis Mitte der 70er Jahre dem Ehemann die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Ehefrau ermöglichte. Der einzige „Fort“schritt wäre, dass nun auch die Frau den Mann vertreten kann.

Zum Referentenentwurf (Vorsicht: 500 Seiten!) kommen Sie hier.

Neues zur Vertretungsmacht von Ehegatten und zum Arztgeheimnis – § 1358 BGB soll wieder besetzt werden

Der Bundesrat (BR-Drucks. 505/16) hat eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die viele Bürger verwundern wird, weil sie das Anliegen des Bundesrates längst erfüllt wähnen: Ehegatten und Lebenspartner sollen im Fall krankheits- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigung der Handlungs- oder Willensentschließungsfreiheit füreinander handeln und entscheiden dürfen, soweit sie nicht getrennt leben.

Der Wortlaut von Absatz 1 der Norm soll wie folgt lauten:

§ 1358 BGB Beistand unter Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in der Fürsorge dienenden Angelegenheiten

(1) Soweit ein volljähriger Ehegatte auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung die nachgenannten Angelegenheiten nicht besorgen kann und weder einen entgegenstehenden Willen geäußert noch eine andere Person zur Wahrnehmung dieser Angelegenheiten bevollmächtigt hat und kein Betreuer bestellt ist, gilt sein volljähriger Ehegatte als bevollmächtigt,

  1. für den anderen Ehegatten gemäß § 630d Absatz 1 Satz 2 in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, in Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einzuwilligen oder die Einwilligung zu versagen sowie ärztliche Aufklärungen nach § 630e Absatz 4 entgegen zu nehmen,
  2. für den anderen Ehegatten Willenserklärungen in Bezug auf ärztliche Behandlungsverträge, Krankenhausverträge sowie sonstige Verträge abzugeben und entgegenzunehmen, die der medizinischen Versorgung, Pflege, Betreuung oder Rehabilitation dienen, und dessen Rechte gegenüber den Erbringern solcher Leistungen wahrzunehmen,
  3. über Maßnahmen nach § 1906 Absatz 4 in Verbindung mit Absatz 1 und 2 in Bezug auf den anderen Ehegatten zu entscheiden und deren betreuungsgerichtliche Genehmigung einzuholen,
  4. für den anderen Ehegatten Ansprüche, die diesem aus Anlass von Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder damit einhergehender Hilfebedürftigkeit zustehen, geltend zu machen und im rechtlich zulässigen Rahmen an Erbringer von medizinischen Leistungen, Pflege- oder Rehabilitationsleistungen abzutreten oder Zahlung an diese zu verlangen,
  5. zur Wahrnehmung der Angelegenheiten nach Nummer 1 bis 4 die Post des anderen Ehegatten entgegenzunehmen und zu öffnen.

Dies gilt nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben (§ 1567 Absatz 1).

Die Frage, wie das „Getrenntleben“ festzustellen ist, mag Schwierigkeiten auslösen. Das Gesetz knüpft an die Erklärung des Ehegatten oder Lebenspartners an, nicht getrennt zu leben. Das ist vielleicht auch ganz gut und praxisnah. Insbesondere erfüllt eine solche Regelung die Erwartung von Ehegatten und Lebenspartnern, auch „in schlechten Zeiten“ füreinander einstehen zu sollen und auch füreinander einstehen zu können. Einzelheiten sind sicher zu diskutieren – und es wird viel zu diskutieren sein –, aber praktischer wird es allemal.

Kann ein geschäftsunfähiger Demenzkranker sich scheiden lassen?

Rund 10 % aller Menschen über 65 in Deutschland sind aktuell an Demenz erkrankt. Aufgrund des zunehmenden Lebensalters der Bevölkerung wird dieser Prozentsatz vermutlich noch ganz erheblich ansteigen, da mit zunehmenden Alter auch die Wahrscheinlichkeit einer Demenzerkrankung steigt. Bei den über 85-Jährigen liegt der Anteil bereits bei knapp 1/3 der Bevölkerung. Fachanwälte für Familien- und Erbrecht sind daher immer häufiger mit Rechtsfragen bzw. Rechtsstreitigkeiten konfrontiert, die mit der aus der Erkrankung folgenden tatsächlichen und rechtlichen Hilflosigkeit der Betroffenen ergeben.

Der Kollege Rechtsanwalt Dr. Mathias Schäfer aus Limburg hat wohl aus diesem Grund bereits den hochinteressanten Aufsatz „Der Demenzkranke im Famlienrecht“ in der NZFam 2014, 676 ff., publiziert, mit dem er verschiedenste typische rechtliche Fragen, die sich an die Demenzerkrankung knüpfen, wie etwa ein mögliches Recht zum Umgang mit dem Betroffenen, anspricht. Hier soll nur der Frage nachgegangen werden, ob und ggf. unter welchen Umständen, ein geschäftsunfähiger Demenzkranker sich scheiden lassen kann.

1. Verfahrensrecht

Verfahrensrechtlich ist die Scheidung eines geschäftsunfähigen Demenzkranken zunächst einmal unproblematisch. Der Scheidungsantrag eines Geschäftsunfähigen ist in § 125 Abs. 2 FamFG ausdrücklich geregelt: Mit Genehmigung des Betreuungsgerichts kann der Scheidungsantrag von dem gesetzlichen Vertreter des Geschäftsunfähigen gestellt werden.

2. Scheidungsvoraussetzungen

Weniger klar ist allerdings, unter welchen Umständen man in diesen Fällen von einem Scheitern der Ehe i.S.d. § 1565 Abs. 1 BGB ausgehen kann, das bekanntlich Scheidungsvoraussetzung ist. Üblicherweise wird das Scheitern einer Ehe im Rechtssinne dann angenommen, wenn mindestens einer der beiden Ehegatten die eheliche Gemeinschaft endgültig nicht mehr herstellen will. Es kommt also ganz maßgeblich auf den Willen der Beteiligten bzgl. der Fortsetzung ihrer ehelichen Gemeinschaft an. Ein Geschäftsunfähiger ist aber nicht mehr in der Lage, die Bedeutung einer Trennung und Scheidung intellektuell zu erfassen, die für und gegen eine Trennung und Scheidung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen und entsprechend seiner Einsicht zu handeln. Ein „freier Wille“ bzgl. der Frage, ob er die Ehe fortsetzen will, liegt bei Geschäftsunfähigen also nicht mehr vor (die Definition des „freien Willens“ wurde hier an die Definition des BGH zu § 1896 Abs. 1a BGB angelehnt).

a) Natürlicher Wille des Betroffenen bzgl. der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Allerdings hat auch ein Geschäftsfähiger häufig noch lange einen sog. natürlichen Willen in dem Sinne, dass er gefühlsmäßig noch Zu- bzw. Abneigung zu seinem Ehepartner empfinden kann.

Solange ein geschäftsunfähiger Demenzkranker auf diese natürliche Weise noch Zuneigung zu seinem Ehepartner empfindet, kann seine Ehe nach der Rechtsprechung des BGH mangels Scheitern derselben nicht geschieden werden, es sei denn, dass der andere Ehegatte die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft ablehnt (BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 34/88, FamRZ 1989, 479; v. 7.11.2001 – XII ZR 247/00, FamRZ 2002, 316 = FamRB 2002, 97). Umgekehrt soll konsequenter Weise auch die natürliche Abneigung eines geschäftsunfähigen Demenzkranken gegen seinen Ehegatten ausreichen, um von einem Scheitern der Ehe auszugehen, auch wenn der andere Ehegatte die Scheidung ablehnt (OLG Hamm v. 16.8.2013 – II-3 UF 43/13, FamRZ 2013, 1889 mit Verweis auf die eben zitierten Entscheidungen des BGH).

B) Fehlen jeglichen Willens des Betroffenen bzgl. der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Es fragt sich also nur noch, ob und ggf. unter welchen Umständen die Ehe eines geschäftsunfähigen Demenzkranken geschieden werden kann, wenn er nicht mehr in der Lage ist, irgendeine Art von Willen zu entwickeln. Rechtsanwalt Dr. Schäfer (a.a.O.) meint, in diesen Fällen könne die Ehe nur geschieden werden, wenn der andere Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr fortführen wolle. Dies widerspricht jedoch meines Erachtens der Rechtsprechung des BGH, auf die er sich beruft, denn dort (BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 34/88, FamRZ 1989, 479) heißt es wörtlich:

„Wenn er nicht mehr das Bewußtsein besitzt, in einer Ehe zu leben, jedes Verständnis für die Ehe verloren hat und damit kein eheliches Empfinden mehr aufweist, so hat er einen äußersten Grad von Eheferne erreicht. Ein solcher Zustand jenseits des Zerrüttungsempfindens kann, zumal es auf den Grund für das Scheitern der Ehe nicht mehr ankommt, nicht geringer bewertet werden als der bewußte Verlust der ehelichen Gesinnung. Die Ehe eines geistig so schwer Geschädigten ist daher auf seinen Antrag scheidbar.“

Auch ein geschäftsunfähiger Demenzkranker, der nicht mehr in der Lage ist, einen natürlichen Willen im Hinblick auf den Fortbestand seiner Ehe zu entwickeln, kann also meines Erachtens auf seinen Antrag geschieden werden. Allerdings setzt dies natürlich gemäß § 125 Abs. 2 FamFG voraus, dass sowohl der Betreuer des Betroffenen als auch das Betreuungsgericht der Ansicht sind, dass die Scheidung im Interesse des Betroffenen liegt. Da persönliche Interessen des Demenzkranken hier (mangels noch vorhandenen natürlichen Willens) kaum noch eine Rolle spielen, müsste die Scheidung jedenfalls im wirtschaftlichen Interesse des Betroffenen liegen. Vorstellbar wäre etwa eine Scheidung mit dem Ziel, eine Unterhaltsverpflichtung zu beenden oder einen Zugewinnausgleichanspruch durchzusetzen, um aus dem gesparten bzw. gewonnen Geld die Pflegekosten zu decken. Die Genehmigung des Betreuungsgerichts mit dem Ziel zu beantragen, den Ehegatten von der gesetzlichen Erbfolge auszuschließen bzw. einen Erbvertrag oder eine gemeinschaftliches Testament aus dem Weg zu räumen, dürfte hingegen wenig Aussicht auf Erfolg haben, da es hier ausschließlich um die Interessen der Angehörigen, nicht aber die des Betroffenen selbst geht.

3. Praxistipp

Ähnlich wie bei Umgangs- und Sorgerechtsverfahren, bei denen um Kinder gestritten wird, hat man auch in Verfahren, in denen demente Menschen im Mittelpunkt stehen, meiner Erfahrung nach die besten Erfolgsaussichten, wenn man sich immer die Interessen des Betroffenen aus dessen Sicht vor Augen hält und aus dieser Warte heraus argumentiert. Jedenfalls in Betreuungsverfahren geht es nicht nur menschlich, sondern auch rein rechtlich betrachtet ausschließlich um die Interessen der Betroffenen und nicht um diejenigen ihrer Angehörigen.

Geburt und Tod als Herausforderungen des Familienrechts

Der BGH hat aktuell entschieden, dass eine Patientenverfügung, in der die verfügende Person lediglich angibt, wenn aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, keine „für sich genommen hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung“ darstelle. Einer solchen Patientenverfügung komme insoweit keine bindende Wirkung zu (BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16).

Das Sterben ist unendlich mühsam und die Lebenden sollten sich lebzeitig gut beraten lassen, wie sie frei bestimmend ihr Geschick in vertraute Hände legen, wenn sie selbst ihren freien Willen nicht mehr äußern können. Die komatöse Frau in dem vom BGH entschiedenen Fall ging wohl davon aus, mit Ihrer Formulierung Klarheit geschaffen zu haben. Das Gericht entschied anders und verwies den Fall an das Landgericht zur weiteren Aufklärung zurück. Die Gerichte entscheiden nicht darüber, ob lebenserhaltende Maßnahmen beendet werden. Sie übertragen allenfalls die Entscheidungsbefugnis auf einen Betreuer, also eine dritte Person. Hat dieser aber seinen Entschluss über das weitere Vorgehen bereits dem Gericht offengelegt, verfügt dieses mit der Entscheidung über Leben und Tod des Patienten. Man kann daher den Anspruch der Richter auf Eindeutigkeit der Willenserklärung verstehen. Genauso kann man den Sterbenden verstehen, der meinte, sein Wunsch, lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen, sei unmissverständlich formuliert. Sterben ist eben einfach unendlich mühsam. Die Seniorenrechtler werden die Entscheidung des BGH lesen und viele Patientenverfügungen umformulieren müssen, damit ihnen auch gefolgt werden kann.

Auch die Geburt und ihre rechtliche Zuordnung fesselt die Familienrechtler. Auf dem Deutschen Juristentag (DJT) 2016, der vom 13. bis 16. September in Essen stattfinden wird, steht das Abstammungsrecht auf dem Prüfstand. Wer sich in die Möglichkeiten der medizinisch assistierten Zeugung und Geburt vertieft, erkennt auch hier, wie unendlich schwierig die Geburt für Juristen sein kann. Ein Kind kann sechs Elternteile haben: die Leihmutter, die Eispenderin, die Mitochondrienspenderin, den Samenspender und die beiden Wunscheltern. Kein Wunder, dass das Gesetz mit der rechtlichen Zuordnung Schwierigkeiten hat. In seinem Gutachten zum DJT hat Professor Dr. Tobias Helms mit großer Klarheit die juristische und ethische Dimension der Reproduktionsmedizin ausgelotet und Konsequenzen des Gesetzgebers gefordert. Das ist eine Sommerlektüre der besonderen Art: spannend, anregend und fortbildend.