Keine Auskunft gegen das Wohl des Kindes (OLG Düsseldorf v. 9.8.2019 – 8 WF 170/18)

Der Umgang zwischen dem Kind und seinem nicht betreuenden Elternteil wird nicht nur auf Seiten des Elternteils verfassungsrechtlich geschützt, sondern ist ebenso ein höchstpersönliches Recht des Kindes in Ausgestaltung eines eigenen Umgangsanspruchs, der zentraler Bestandteil des Kindswohls ist. Aus unterschiedlichen Gründen kann im Einzelfall die Wahrnehmung von persönlichen Umgangskontakten tatsächlich nicht möglich oder aus rechtlichen Gründen folgend ausgeschlossen sein. Dann muss im Grundsatz gleichwohl dem Elternteil die Möglichkeit verbleiben, Informationen zur Entwicklung des Kindes zu erhalten, soweit die Umsetzung dieses Anspruchs nicht dem Kindeswohl widerspricht. In der Praxis sind die Gerichte immer wieder mit der Frage befasst, ob in bestimmten Fallkonstellationen von einem solchen Widerspruch zum Kindeswohl auszugehen ist. Mit einem besonders tragischen Sachverhalt hat sich aktuell das OLG Düsseldorf auseinandergesetzt.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Kindesvater im Jahr 2011 dem damaligen Säugling wiederholt Mund und Nase so lange zugehalten, dass die Sauerstoffzufuhr unterbrochen wurde bzw. bei der letzten Tat das Kind sogar einen Herzstillstand erlitt. Wegen dieser gefährlichen Körperverletzung wurde der Vater zu einer Freiheitsstrafe und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Aus dem Krankenhaus suchte er Kontakt zur Mutter des Kindes zwecks Informationen über den Entwicklungsstand des Kindes. Diese ermögliche ihm zunächst an zwei Geburtstagen des Kindes einen telefonischen Kontakt, verweigerte dann in der Folge aber weitere Informationen, so dass der Vater gerichtlich den Auskunftsanspruch geltend machte, der ihm erstinstanzlich auch in der Form zuerkannt wurde, dass pro Quartal ein Entwicklungsbericht erstellt werden sollte, ohne dass jedoch die Mutter verpflichtet war, die Adresse bekannt zu geben. Gegen diese Entscheidung legte die Mutter Beschwerde ein, auf die das Oberlandesgericht die Ausgangsentscheidung aufhob und den Antrag des Vaters zurückwies.

Seine Entscheidung begründete der Senat mit dem Hinweis, dass unbeschadet der Frage, ob auf Seiten des Vaters von einem berechtigten Interesse an der Auskunft ausgegangen werden könne, in jedem Fall die von ihm begehrte Auskunftserteilung derzeit dem Wohl des Kindes widerspreche. Der mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Sachverständige halte es im Ergebnis zwar für vertretbar, wenn der Vater halbjährlich die gewünschten Informationen erhalte, doch habe er auf ausdrückliche Nachfrage des Senats ebenso bestätigt, dass eine krisenhafte Verarbeitung des Kindes bei umfassender Einsicht in das Geschehene nicht ausgeschlossen werden könne, wenn es bei Erreichen der notwendigen Verstandesreife begreife, dass sein Vater regelmäßig über seinen Entwicklungsstand in Kenntnis gesetzt worden sei. Wahrscheinlich werde das krisen- oder schockartige Erleben u.U. auch traumaspezifische Symptome hervorrufen. Einen Schutz erhalte das Kind durch die Unterstützung seiner Mutter, nahestehender Bezugspersonen und einer etwaigen ambulanten Psychotherapie. Ebenso werde die kognitive Entwicklung des Kindes ihm die Erfassung ermöglichen, dass alles Nötige zu seinem Schutz getan werde. Diesen Ausführungen des Sachverständigen lasse sich aber auch entnehmen, dass das Kind nicht nur mit den Taten seines Vaters zurecht kommen müsse, sondern auch der Tatsache, dass persönliche Daten gerade an den weitergegeben worden seien, der ihm erhebliche Gewalt zugefügt habe. Dies stelle eine zusätzliche Belastung und einen weiteren Risikofaktor für die psychische Gesundheit des Kindes dar. Der Schutz des Kindes könne daher nur gewährleistet werden, wen die Informationsweitergabe solange zurückgestellt werde, bis sich das Kind selbst dafür oder dagegen entscheiden könne. Die derzeitige Auskunftserteilung widerspreche daher dem Schutz des Kindes und es sei auch kein milderes Mittel als der vollständige Auskunftsausschluss zum Schutz des Kindes gegeben.

Unabhängig davon, ob Auskunftsansprüche auf § 1686 BGB oder § 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt werden, bedarf es jeweils eines berechtigten Interesses an dem Auskunftsanspruch. Dieses wird regelmäßig bejaht, wenn der Anspruchsteller keine andere Möglichkeit hat, um sich über die Entwicklung des Kindes in zumutbarer Weise zu informieren, etwa weil kein Umgang ausgeübt werden kann oder aufgrund zu großer räumlicher Entfernung keine adäquate persönliche Überzeugung von der kindlichen Entwicklung sichergestellt ist. Für den Auskunftsanspruch ist es unerheblich, ob in der Vergangenheit ein regelmäßiges Interesse an dem Kind gezeigt wurde. Allerdings wird der Auskunftsanspruch dann als missbräuchlich anzusehen sein, wenn er letztlich nur Zwecke verfolgt, die dem Kindeswohl abträglich sind, etwa wenn auf diesem Wege Informationen erlangt werden sollen, die aufgrund gerichtlicher Regelung gerade nicht bekannt werden sollen.

Der Auskunftsanspruch richtet sich auf alle für das Befinden und die Entwicklung des Kindes wesentlichen Lebensumstände. Hierbei ist aber der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes Rechnung zu tragen, so dass etwa die Informationen zu höchstpersönlichen Angelegenheiten eines fast volljährigen Kindes nicht mehr der Auskunftserteilung unterfallen.

Eingeschränkt wird der Auskunftsanspruch letzlich durch das Kindeswohl. Dieses ist nicht Maßstab des Auskunftsrechts, sondern bildet lediglich seine Grenze. Die Auskunft darf daher nur dann verweigert werden, wenn es konkrete Anhaltspunkte für die Annahme gibt, dass durch die Auskunft das Kindeswohl beeinträchtigt werden kann und es auch kein milderes Mittel zum Schutz des Kindes gibt.

 

Kindeswille gleich Kindeswohl ? (OLG Köln v. 28.3.2019 – 10 UF 18/19)

Dem Praktiker sind diese typischen Besprechungstermine hinlänglich bekannt. Es erscheint ein Elternteil zur Rücksprache und trägt mit Vehemenz vor, dass es einer zwingenden Neuregelung der elterlichen Sorge bedarf. Die für diese Einschätzung benannten Argumente sind wenig überzeugend, so dass letztlich zum alles entscheidenden Argument ausgeholt wird – dem ausdrücklich vom Kind geäußerten Willen. Es heißt, dass das Kind sich nichts anderes wünscht, als dass genau dieser Elternteil künftig die Alleinsorge ausüben soll, und das ja auch nachvollziehbar erscheint, da es ohnehin vor und nach jedem Kontakt mit dem anderen Elternteil weint bzw. massive Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Nicht immer gelingt es, Eltern davon zu überzeugen, dass möglicherweise dieser geäußerte Wille nichts mit der tatsächlichen Willenslage des Kindes zu tun hat und allein der Kindeswille nicht zwingend zu der gewünschten gerichtlichen Entscheidung führen wird.

In diesem Sinn hat auch das OLG Köln in einer aktuellen Entscheidung einen Sorgerechtsantrag zurückgewiesen. Die Eltern stritten über die Alleinsorge für ihre 13-jährige Tochter, die nach dem Sachvortrag der Mutter sich ausdrücklich dafür ausgesprochen hatte, dass künftig die Sorge allein von ihr wahrgenommen werden sollte. Ebenso wie das Ausgangsgericht hat auch die Beschwerdeinstanz den Antrag zurückgewiesen und seine Entscheidung damit begründet, dass mit Blick auf die Frage der Kooperationsbereitschaft der Eltern weder konkret und maßgebende Streitigkeiten zu Angelegenheiten der elterlichen Sorge vorgetragen worden oder auch nur ersichtlich seien. Der elterliche Streit konzentriere sich vielmehr darauf, was für die Haltung der Tochter mit Blick auf ihre derzeitige Weigerung zur Wahrnehmung von Umgangskontakten mit ihrem Vater ursächlich sei. Schwierigkeiten bei der Abstimmung von Sorgerechtfragen würden lediglich befürchtet. Die Mutter verkenne in ihrer Argumentation, dass aus der Beachtlichkeit des Kindeswillens nicht per se folge, dass die elterliche Entscheidungskompetenz und -verantwortung auf das Kind „abgewälzt“ werden dürfe. Der Kindeswille könne nur dann als Argument zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge herangezogen werden, wenn dies auch durch objektive Kindeswohlgründe unterstützt werde. Bei der Bewertung des erklärten Kindeswillens müsse stets berücksichtigt werden, inwieweit dieser Wille stabil sei oder die kindlichen Äußerungen sich schwankend und unentschlossen darstellten, da dies häufig der Ausdruck eines Loyalitätskonflikts sei.

Der unbestimmte Rechtsbegriff des „Kindeswohls“, wie er in der sog. doppelten Kindeswohlprüfung des § 1671 BGB auszulegen ist, wird durch verschiedene Kriterien näher präzisiert, etwa dem Förderungsprinzip, dem Kontinuitätsgrundsatz aber auch dem Kindeswillen. Diese Kriterien sind jeweils auf den Einzelfall bezogen zu prüfen und stehen in ihrer Wertigkeit kumulativ nebeneinander, wobei durchaus eines dieser Kriterien letztlich entscheidungsrelevant werden kann, wenn die Eltern zu keinem der sonstigen Aspekte wesentlich differenzieren.

Dem Kindeswillen wird in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung erhebliche Bedeutung beigemessen, da er Ausdruck einer eigenen Entscheidung des Kindes als Grundrechtsträger ist und seine Willensäußerung als Ausübung seines Rechts auf Selbstbestimmung gesehen wird. In Umsetzung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben sieht daher § 159 FamFG ausdrücklich die Anhörung des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren vor. Allerdings ist der geäußerte Wille des Kindes auch darauf zu prüfen, ob er Ausdruck einer eigengebildeten Meinung oder Ergebnis einer elterlichen Manipulation ist. Der geäußerte Kindeswille, der ersichtlich von unrealistischen Vorstellungen bestimmt wird, wird ebenso wenig Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein können, wie der subjektiv geäußerte Wille, der mit dem objektiven Kindeswohl nicht in Einklang zu bringen ist.

Diese Fragen sind – auch wenn es nicht unbedingt auf die Gegenliebe des Mandanten stößt – offen zu klären, bevor ein Sorgerechtsverfahren eingeleitet wird, in dessen Verlauf ein Kind möglicherweise noch tiefer in einen ohnehin schon bestehenden Loyalitätskonflikt geführt wird.

Nichts ist so, wie es scheint (BGH v. 17.7.2019 – XII ZB 425/18)

Die Vermögenssorge für ein Kind führt in der Praxis eher ein Schattendasein, obgleich sie doch für Eltern ein haftungsrechtliches Minenfeld birgt, wobei den Eltern die sich hieraus ergebenden Risiken oftmals überhaupt nicht bewusst sind bzw. Elternteile durchaus ein Interesse daran haben können, entsprechende Themen nicht näher zu beleuchten, da eine individuelle Elternverantwortung gilt, die es in zumutbaren Grenzen erfordert, auch den anderen Elternteil zu überwachen. Besonders problematisch ist die Handhabung, Kapitalbeträge auf dem Konto eines gemeinsamen Kindes zu „parken“, um etwa Sparerfreibeträge ausnutzen zu können. Hier stellt sich dann bei Kontoabhebungen die Frage, wer tatsächlich Forderungsinhaber gegenüber dem kontoführenden Kreditinstitut ist. Mit dieser Frage hat sich der BGH in einer aktuellen Entscheidung befasst.

In dem konkreten Sachverhalt hatten die Eltern für ihre Tochter ein Sparkonto errichtet, auf dem Geld für sie angespart werden sollte. Der Eröffnungsantrag benannte die Tochter als „1. Kundin“ und ihren Vater als „2. Kunden / gesetzl. Vertreter“. Bis zur Volljährigkeit des Kindes sollte jeder Elternteil für sich allein verfügungsberechtigt sein und das Kind ohne gesonderte Zustimmung der gesetzliche Vertreter Kontoverfügungen vornehmen dürfen. Das Sparbuch wurde auf den Namen der Tochter ausgestellt und den Eltern mit einem an die Tochter – zu Händen der Eltern – adressierten Schreiben übersandt. Einen Freistellungsauftrag im Jahr 2006 unterzeichnete die Tochter als „Kundin“ und die Eltern als „ges. Vertreter“. Das Sparbuch wurde der Tochter nie ausgehändigt. Es erfolgten Einzahlungen aus dem Kindergeld bzw. sonstigen angesparten Beträgen, jedoch nicht aus dem Taschengeld oder von von Dritten stammenden Geldern. 1997 legten die Eltern bei einem anderen Kreditinstitut ein weiteres auf die Tochter lautendes Sparbuch an, dessen Guthaben nach dem Willen der Eltern einem Pflegekind der Familie zustehen sollte. Für seitens des Vaters vom Konto veranlasste Abhebungen nahm ihn seine Tochter auf Rückzahlung in Anspruch. Ihr Antrag wurde zweitinstanzlich zurückgewiesen. Auf ihre Rechtsbeschwerde hat der BGH diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das OLG zurückverwiesen.

Zur Begründung hat der Senat hervorgehoben, dass die Einrichtung des Kontos auf den Namen eines anderen für sich genommen noch nicht den Schluss auf einen Vertrag zugunsten Dritter zulasse. Entscheidend sei vielmehr, wer nach der Vereinbarung mit der Bank Kontoinhaber werden solle. Dazu seien neben der im Sparbuch vorgenommenen Eintragung zur Kontoinhaberschaft, die Angaben im Kontoeröffnungsantrag und die Besitzverhältnisse am Sparbuch bedeutsam. Indizielle Bedeutung habe zudem, ob sich der die Kontoeröffnung Beantragende die Verfügungsbefugnis über das Konto vorbehalte, mit welchen Mitteln ein Guthaben angespart werden solle sowie ob und wann demjenigen, auf dessen Namen das Konto angelegt sei, die Existenz des Sparbuchs mitgeteilt werde.

Abweichend von den Fällen einer Sparbuchanlage durch Großeltern für ihre Enkel, komme im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern dem Besitz am Sparbuch keine ebenso starke Indizwirkung zu. Für den Anspruch des Kindes gegen seine Eltern sei das zwischen ihnen bestehende Innenverhältnis maßgeblich. Aus dem Vermögen der Eltern stammende Beträge könnten von ihnen treuhänderisch gebunden dergestalt auf das Konto eingezahlt werden, dass sie sich im Innenverhältnis zum Kind die Verfügung über diese Beträge vorbehielten. Umgekehrt könnten Eltern im Verhältnis zum Kind treuhänderisch gebunden sein bei Sparguthaben, das aus Geldgeschenken Dritter an das Kind stamme. Welchem Vermögen das Sparguthaben im Innenverhältnis zuzuordnen sei, könne für Teilbeträge auch unterschiedlich zu beurteilen sein.

Im Rahmen der Vermögenssorge haben die Eltern die Pflicht, das Vermögen des Kindes ordnungsgemäß zu verwalten und insbesondere kein Kindesvermögen für eigene Zwecke zu verwenden. Es besteht eine fremdnützige Verwaltung, gerichtet auf die Bewahrung des Vermögensstammes zum Nutzen des Kindes. Die Eltern haben für jene Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anwenden, so dass bei der Verletzung dieser Pflichten, Schadensersatzansprüche des Kindes gegen seine Eltern begründet sein können. Von einer den Schadensersatzanspruch begründenden Pflichtverletzung ist etwa dann auszugehen, wenn die Eltern das Kindesvermögen für Aufwendungen genutzt haben, für die sie gegenüber dem Kind keinen Ersatzanspruch hätten, wie etwa die Finanzierung von Haushalts- und Bekleidungsgegenständen, Urlaubsreisen und Geschenken für das Kind.

Heben die Eltern von einem Sparkonto Gelder ab, so bedarf es einer genauen Prüfung – unbeschadet der Tatsache, dass das Konto auf den Namen des Kindes lautet oder die Eltern durchgängig im Besitz des Sparbuches waren – ob bezüglich dieser Kapitalbeträge letztlich eine Forderungsinhaberschaft des Kindes oder der Eltern besteht. Hierbei hat der BGH in seiner Entscheidung aber auch betont, dass die rechtliche Zuordnung von Kapitalbeträgen auf einem Konto auseinanderfallen kann, je nachdem ob es sich um Einzahlungen aus dem Kindesvermögen handelt oder um Beträge, die aus dem elterlichen Vermögen stammen.

Nur Meinungsverschiedenheit oder dauerhafte Kooperationsunfähigkeit? (OLG Koblenz v. 14.11.2018 – 13 UF 413/18)

Die Frage an den Mandanten nach dem Grund der Rücksprache wird in Kindschaftssachen in der Regel mit dem Satz beantwortet, dass ein Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge gewünscht werde. In der sich anschließenden Beratung müssen nicht nur die – häufig fehlenden – Voraussetzungen der doppelten Kindeswohlprüfung näher erläutert, sondern es muss üblicherweise überhaupt erst geklärt werden, worauf sich das Begehren des Mandanten richtet, d.h. ob es letztlich tatsächlich einer Sorgerechtsregelung bedarf oder nur eine zwischen den Eltern zu einem einzelnen Aspekt bestehende Meinungsverschiedenheit die gerichtliche Kompetenzübertragung zu dieser Frage erfordert. Die Abgrenzung ist nicht immer zweifelsfrei möglich, wie auch eine Entscheidung des OLG Koblenz aus dem Jahr 2018 zeigt.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die geschiedenen Eltern über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren neunjährigen Sohn, der im Haushalt der Mutter lebte. Vor dem Hintergrund eines geplanten Umzugs der Mutter zu ihrem rund 200 km entfernt wohnenden neuen Partner stellten die Eltern gegenläufige Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Das Ausgangsgericht gab dem Antrag des Vaters statt. Auf die seitens der Mutter eingelegte Beschwerde hat der Senat die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zeit ab Juli 2019 übertragen.

In seiner Begründung hat der Senat ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der wechselseitigen Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht nur über den Umzug des Kindes zu befinden, sondern es einer Entscheidung über den dauerhaften gewöhnlichen Aufenthalt bedurfte, so dass sich die zu treffende gerichtliche Entscheidung an den Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 BGB und nicht an jenen des § 1628 BGB zu orientieren hatte.

Im Rahmen der sodann durchgeführten Kindeswohlprüfung hat der Senat auf Seiten des Kindes zu beiden Eltern bestehende gleichwertige Bindungen und Neigungen festgestellt, dem Kindeswillen aber keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, nachdem sich in der Anhörung ergeben hatte, dass das Kind die Konsequenzen des Umzugs noch nicht abschätzen konnte. Allerdings wurde die Mutter als Hauptbezugsperson ermittelt, so dass dem Kontinuitätsgrundsatz maßgebliche Bedeutung beizumessen war. Bei dem zu übertragenden Aufenthaltsbestimmungsrecht hat der Senat allerdings eine Einschränkung dahin vorgenommen, dass der Mutter diese Rechtsmacht erst ab Beginn der Sommerferien 2019 eingeräumt wurde. Begründet hat der Senat diese zeitliche Einschränkung damit, dass sich das Kind zum Zeitpunkt der Entscheidung in der vierten Grundschulklasse befand, d.h. einer Klassenstufe, die für die Wahl der weiteren Schullaufbahn besondere Bedeutung besitzt. Im Fall einer Notenverschlechterung folgend aus dem Schulwechsel während oder vor der vierten Klasse hätte dies langfristige Konsequenzen für die schulische Laufbahn des Kindes bedeutet. Da jedoch nach Ende der Grundschulzeit ohnehin ein Umbruch bevorstand, hatte nach Einschätzung des Senats bis zum Ende der Grundschulzeit das Recht der Mutter, mit ihrem neuen Freund zusammenziehen zu können, zurückzutreten, d.h. ihr war das Aufenthaltsbestimmungsrecht erst ab dieser Zeit zu übertragen.

Können Eltern zu einer einzelnen Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung aber für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, kein Einvernehmen erzielen, so kann das Familiengericht nach § 1628 BGB die Entscheidungskompetenz zu der jeweiligen Streitfrage einem Elternteil übertragen. Ebenso wie im Fall des § 1671 Abs. 1 BGB darf es sich bei der begehrten Entscheidungskompetenz nicht nur um eine Angelegenheit des alltäglichen Lebens handeln, für die ohnehin dem Obhutselternteil die Verantwortlichkeit obliegt. Es muss sich vielmehr um eine zu treffende Entscheidung handeln, die letztlich mit gravierenden Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes einhergeht.

Während § 1628 BGB auf die Regelungskompetenz zu einer einzelnen und konkretisierbaren Situation zielt, umfasst die nach § 1671 Abs. 1 BGB zu treffende Sorgerechtsregelung – auch wenn nur ein Teilbereich der elterlichen Sorge zur Entscheidung steht – eine abschließende Regelung zu dem jeweiligen Bereich der elterlichen Sorge, die dem jeweiligen Elternteil dann in der Regel die Entscheidungskompetenz bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes einräumt.

 

Keine Diskussion mehr um den Kinderreisepass? (BGH v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18, FamRB 2019, 259)

Wird einem Personensorgeberechtigten widerrechtlich ein Kind vorenthalten, so kann er – gestützt auf § 1632 BGB – die Herausgabe des Kindes gerichtlich geltend machen und ggf. auch nach §§ 88 ff. FamFG vollstrecken. Keine Regelung trifft das Gesetz allerdings zu der Frage, wie es sich mit Gegenständen verhält, die dem persönlichen Gebrauch des Kindes dienen. Hiervon werden nicht nur die persönlichen Dokumente des Kindes erfasst, sondern auch ganz profane Dinge, wie etwa die Bekleidung des Kindes. Bekannt sind jedem Familienrechtler die häufigen Diskussionen darüber, ob und ggf. in welchem Zustand einem Kind anlässlich der Ausübung eines Umgangskontakts Kleidung mitzugeben, aber auch nach Besuchsende zurückzugeben ist.

Bis zum 30.8.2009 galt in diesem Kontext § 50d FGG. Ordnete das Gericht die Herausgabe eines Kindes an, so konnte zugleich durch eine einstweilige Anordnung das Gericht auch die Herausgabe der zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Sachen anordnen. Diese Regelung ist im Zuge des Inkrafttretens des FamFG zum 1.9.2009 ersatzlos entfallen, wobei der Gesetzgeber es verabsäumte, in der Folgezeit eine vergleichbare Regelung zu schaffen. In Rechtsprechung und Literatur wurden daher in der Folgezeit unterschiedliche Meinungen entwickelt, wie dieser Regelungslücke begegnet werden könne. Der BGH hat nunmehr in einer aktuellen Entscheidung (BGH v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18, FamRB 2019, 259) Klarheit zu der maßgeblichen Anspruchsgrundlage eines solchen Herausgabebegehrens geschaffen.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten sich die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern durch Vereinbarung darauf verständigt, dass ihr 2016 geborenes Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter haben sollte. Diese stammte aus Kamerun und hatte in Deutschland Asyl beantragt. Der Reisepass des Kindes befand sich im Besitz des Vaters und wurde von der Mutter zur Herausgabe begehrt. Das erstinstanzliche Gericht folgte ihrem Antrag. Auf die Beschwerde des Vaters wurde die Entscheidung in der zweiten Instanz abgeändert, d.h. der Herausgabeantrag abgelehnt. Auf die Rechtsbeschwerde der Mutter hat der BGH nun diese Entscheidung aufgehoben.

Der BGH ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Herausgabe in analoger Anwendung der § 1632 Abs. 1, § 1684 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden könne, da eine planwidrige Regelungslücke vorliege. Die Erwägung, den Herausgabeanspruch als materiell-rechtliche Vorschrift auszugestalten, habe der Gesetzgeber anlässlich der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge im Jahr 1974 nicht weiter verfolgt, sondern sich mit der Regelung des § 50d FGG abgefunden. Dass diese „Rechtsgrundlage“ dann mit Inkrafttreten des FamFG und der ersatzlosen Streichung des § 50d FGG entfallen sei, habe der Gesetzgeber übersehen. Allerdings müsse sowohl der personensorge- als auch umgangsberechtigte Elternteil in die Lage versetz werden, die gemeinsame Zeit mit dem Kind ungestört und kindeswohldienlich verbringen zu können. Hierzu gehöre, dass ihm die persönlichen Gegenstände des Kindes herausgegeben würden, die das Kind voraussichtlich während seines Aufenthalts bei ihm benötige. Hiermit korrespondiere auch die Wohlverhaltenspflicht nach § 1684 Abs. 2 BGB. Von dieser Regelung umfasst werde auch alles andere, was geeignet sei, das Zusammensein mit dem Kind zu erschweren. Allerdings könne das nur soweit gelten, als der jeweils berechtigte Elternteil für die Ausübung der Personensorge oder des Umgangsrechts auch tatsächlich auf bestimmte Urkunden oder Sachen angewiesen sei. Dies könne etwa daraus folgen, dass das Kind, bei gemeinsamer Sorge, seinen Lebensmittelpunkt bei einem Elternteil habe. Dieser Obhutselternteil benötige dann alle für das Kind wichtigen Dokumente. Einem Herausgabeanspruch könne letztlich aber die berechtigte Besorgnis entgegenstehen, dass der die Herausgabe geltend machende Elternteil unter Verwendung etwa des Reisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreite, wovon auszugehen sei, wenn eine Entführung ins Ausland drohe.

Der BGH hat durch die Entscheidung vom 27.3.2019 eine langjährige Diskussion zur möglichen Anspruchsgrundlage im Zusammenhang mit Herausgabeansprüchen beendet und mit seinem Beschluss der Praxis Rechtssicherheit eröffnet. Besonderes Augenmerk wird in der Praxis aber darauf zu richten sein, dass ein Herausgabeanspruch nicht uneingeschränkt geltend gemacht werden kann. Hier weist der BGH sehr deutlich darauf hin, dass ein solcher Anspruch immer auch an die Frage gekoppelt ist, ob ein Elternteil insbesondere persönliche Dokumente des Kindes überhaupt benötigt, um sein Elternrecht ausüben zu können. Gerade der Reisepass des Kindes wird daher wohl kaum zu überlassen sein, wenn ein Wochenendkontakt im Inland in Rede steht.

 

Gemeinsame elterliche Sorge um jeden Preis? (OLG Frankfurt v. 27.2.2019 – 8 UF 61/19, n.rkr.)

Um die elterliche Sorge wird in familiengerichtlichen Verfahren in zunehmender Häufigkeit und Intensität gestritten. Oft haben Elternteile dabei nicht einmal genaue Vorstellungen darüber, was von ihrem Begehren zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge bzw. der Abweisung eines solchen Antrags tatsächlich umfasst wird. Einschätzungen, die nicht selten auf vermeintlich guten Ratschlägen im Freundes- und Familienkreis beruhen, vermischen typischerweise nicht nur Fragen der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts, sondern sind in vielen Fällen einfach nur rechtlich falsch. Nicht immer können diese Fehlvorstellungen in einem anwaltlichen Beratungsgespräch geklärt und den Elternteilen verdeutlicht werden, dass auch unter Beibehaltung einer gemeinsamen Sorge, die einer Mitwirkung des jeweils anderen Elternteils vorbehaltenen notwendigen Entscheidungsbereiche sich bis zum Eintritt der Volljährigkeit eines Kindes auf eine an einer Hand abzählbare Häufigkeit reduzieren werden, unbeschadet ohnehin der Möglichkeit einer familiengerichtlichen Entscheidung nach § 1628 BGB, sollte partout kein Einvernehmen zu erzielen sein. Im gerichtlichen Verfahren wird ebenso zunehmend dem Sorgerechtsantrag eine mögliche Vollmachtserteilung entgegengehalten, auf die die Gerichte häufig mit einem „Vergleichszwang“ reagieren.

Das OLG Frankfurt hat sich aktuell mit der Frage einer Vollmachtserteilung befasst:

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die Eltern die gemeinsame Sorge durch Jugendamtsurkunde begründet. Der Mutter war in einem 2013 geführten Verfahren bereits das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung übertragen worden. Zwischen den Eltern, die nie einen gemeinsamen Haushalt unterhielten, bestand ein tiefgreifender Kommunikationskonflikt, der auch dazu führte, dass das Kind von der Existenz seines Vaters keine Kenntnis hatte. In einem weiteren Sorgerechtsverfahren wurde zugunsten der Mutter in einer gerichtlich protokollierten Vereinbarung seitens des Vaters eine „unwiderrufliche“ Vollmacht erteilt und von ihm 2017 eine weitere, nun öffentlich beglaubigte, Vollmacht erstellt. Mit dem Vortrag, die bestehende Vollmacht werde von Behörden und Vertragspartnern nicht vorbehaltlos akzeptiert, erstrebte die Mutter die alleinige Sorge, wobei das Ausgangsgericht ihrem Antrag stattgab.

Das OLG Frankfurt hat den Beschluss abgeändert und den Antrag der Mutter zurückgewiesen. Ihr Antrag beschränke sich darauf, ihr eine erleichterte Handhabung der Vertretung des Kindes im Rechtsverkehr zu ermöglichen. Das allein rechtfertige keinen Eingriff in das nach Art. 6 GG geschützte Sorgerecht des Vaters. Die erteilten Vollmachten seien als milderes Mittel im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten. Für den Senat sei maßgeblich, ob ein Widerruf der Vollmacht ernstlich im Raum stehe. In der gerichtlich protokollierten Vollmacht sei es den Eltern erkennbar darum gegangen, den Sorgerechtskonflikt dauerhaft zu lösen. Durch die Erneuerung der Vollmacht habe der Vater deutlich gemacht, dass er an der Vollmachtserteilung festhalten wolle.

Ob in einem Sorgerechtsverfahren eine Vollmachtserteilung Relevanz entfalten kann, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich bewertet, wobei auch danach zu unterscheiden ist, ob das Verhältnis der Eltern zueinander betroffen wird oder es letztlich um die rechtliche Ausgestaltung zwischen den Eltern einerseits und Dritten andererseits geht. Dieser Fall betrifft insbesondere Verfahren nach § 1666 BGB, in denen üblicherweise das Jugendamt Sorgerechtsvollmachten der Eltern oder eines Elternteils akzeptiert, da selbst im Fall des Widerrufs einer solchen Vollmacht dem Jugendamt weitere Mittel zur Verfügung stehen, um einen kurzfristigen Schutz des Kindes bis zu einer dann notwendigen familiengerichtlichen Entscheidung sicherzustellen.

Differenzierter zu bewerten ist die mögliche Vollmachtserteilung im Verhältnis von Elternteilen zueinander, d.h. ob einem Antrag auf Übertragung der alleinigen Sorge mit einer solchen Vollmachtserteilung erfolgreich begegnet werden kann. Hier muss grundlegend berücksichtigt werden, dass es für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge unabdingbare Voraussetzung ist, dass es zwischen den Eltern eine objektive Kooperationsfähigkeit und subjektive Kooperationsbereitschaft gibt, da nur auf dieser Grundlage die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl dienen kann. Eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der elterlichen Verantwortung erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und damit eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern. Eine Vollmacht kann daher bereits dem Grunde nach nur rechtliche Relevanz entfalten, wenn sie auf einer ausdrücklichen elterlichen Vereinbarung beruht.

Wurde bereits vor einem Sorgerechtsantrag dem betreuenden Elternteil eine umfassende Ermächtigung erteilt, so ist für eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge kein Raum, wenn es bis zur Verfahrenseinleitung zu keinen wesentlichen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern bezüglich der Sorgerechtsausübung kam.

Gegen die Entscheidung des OLG Frankfurt wurde Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt (Az. XII ZB 112/19). Die zu erwartende Entscheidung wird zu dieser in der Praxis kontrovers diskutierten Frage Klärung geben.

 

 

Der Verfahrensbeistand – ein Verfahrensbeteiligter zum Schutz des Kindes (OLG Brandenburg v. 30.1.2019 – 13 UF 1/19)

Bereits im Jahr 1998 hatte der Gesetzgeber die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers eingeführt, um auf diesem Weg dem Kind in einem gerichtlichen Verfahren der elterlichen Sorge oder des Umgangsrechts einen eigenen Interessenvertreter zur Seite zu stellen, in dem Bewusstsein, dass oftmals die Interessen der Eltern und jene des Kindes in diesen Verfahren divergieren können, aber auch, um dem Kind die gebotene Beteiligung am Verfahren zu gewährleisten, wie sie von Art. 12 Abs. 3 der UN- Kinderrechtskonvention gefordert wird. Die Tätigkeit der Verfahrenspfleger hatte sich in den folgenden Jahren positiv entwickelt und wurde von den Beteiligten als adäquates Mittel der Förderung kindeswohlspezifischer Belange erkannt. Im Zuge der Einführung des FamFG wurde daher die Bestellung eines „Anwalts des Kindes“ nicht nur beibehalten, sondern auch einer konkreteren gesetzlichen Regelung in § 158 FamFG – nun unter dem Begriff des Verfahrensbeistands – zugeführt. Rund 10 Jahre nach Inkrafttreten des FamFG zeigt sich jedoch, dass die grundsätzlich zu veranlassende Bestellung eines Verfahrensbeistands, selbst in einem der gesetzlich ausdrücklich normierten Regelbeispiele, längst noch nicht von allen Gerichten verinnerlicht ist. Das OLG Brandenburg hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit dieser Thematik befasst und dies zum Anlass genommen, das Ausgangsgericht auf die entsprechenden Obliegenheiten zu verweisen.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern sich Ende 2016 getrennt und die Betreuung ihrer 2013 geborenen Tochter seitdem in der Form eines Wechselmodells praktiziert. Anlässlich der geplanten Einschulung des Kindes konnte kein Einvernehmen über die künftig zu besuchende Schule erzielt werden, so dass die Eltern wechselseitig im Wege eines Eilverfahrens die Übertragung des Schulwahlrechts erstrebten, wobei im Fall der Übertragung auf die Mutter die Fortführung des Wechselmodells nicht mehr gewährleistet gewesen wäre, folgend aus einer praktisch dann zu veranlassenden täglichen Fahrtzeit von 4 Stunden von der Schule zur Mutter.

Das Ausgangsgericht hatte ohne Anhörung des Kindes und ohne Bestellung eines Verfahrensbeistands das Recht der Schulwahl der Mutter übertragen. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde des Vaters hat der Senat die Entscheidung aufgehoben und zurückverwiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat er dargelegt, dass auch in einem Eilverfahren grundsätzlich die Bestellung eines Verfahrensbeistands zu prüfen sei, was insbesondere dann gelte, wenn ein zuvor geregeltes Wechselmodell durch gerichtliche Entscheidung beendet und das Kind in die Obhut nur noch eines Elternteils gegeben werden solle. Werde im konkreten Fall das Schulwahlrecht auf die Mutter übertragen, so sei dadurch die Aufrechterhaltung des Wechselmodells nachhaltig gefährdet. Die Situation des Kindes sei derzeit aber durch ein bereits dauerhaft gelebtes Wechselmodell geprägt mit erheblichen Anhaltspunkten für eine gleichstarke Bindung des Kindes zu beiden Eltern. Die Aufhebung des Wechselmodells durch die zu treffende Eilentscheidung berge damit die Gefahr vermeidbarer Rupturen in dem Beziehungsgefüge des Kinde, das wiederherzustellen sei, wenn in der Hauptsache eine wechselmodellverträgliche Schulwahl dem Vater zugeordnet werde.

Ob in einer Kindschaftssache i.S.d. § 151 FamFG ein Verfahrensbeistand zu bestellen ist, beurteilt sich am Kindeswohl und damit an der Frage, ob es der Bestellung  zur Wahrung der Kindesinteressen bedarf. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn zu befürchten ist, dass die Elterninteressen zu denen des Kindes in Konflikt geraten können. Es genügt allein diese Möglichkeit, so dass es weder eines bereits bestehenden Interessengegensatzes bedarf noch dessen sicherer Vorhersehbarkeit. Erfordert damit die Wahrnehmung des Kindesinteresses die Bestellung eines Verfahrensbeistands, so reduziert sich entsprechend das tatrichterliche Ermessen.

Eine weitergehende Orientierungshilfe bieten die in § 158 Abs. 2 FamFG aufgelisteten Beispiele, bei deren Vorliegen dann auch in der Regel die Bestellung des Verfahrensbeistands erforderlich ist. Neben dem grundlegenden Interessengegensatz zwischen Eltern und Kind ist daher insbesondere in Verfahren nach § 1666 BGB, in Fällen der möglichen räumlichen Trennung des Kindes von seiner Obhutsperson, der Herausgabe des Kindes bzw. dessen Verbleibens und letztlich in Fällen der wesentlichen Umgangsbeschränkung die Bestellung eines Verfahrensbeistands zu veranlassen und zwar so früh wie möglich. Liegt eines dieser Regelbeispiele vor und möchte das Gericht gleichwohl von der Bestellung eines Verfahrensbeistands Abstand nehmen, so muss dies in der Endentscheidung ausdrücklich begründet werden. Hierbei obliegt es dem Gericht, sich nicht nur mit dem möglicherweise in Betracht kommenden Regelbeispiel auseinanderzusetzen, sondern auch dezidiert die Gründe darzulegen, aus denen folgend gleichwohl von der Bestellung Abstand genommen wurde.

Gerade auch mit Blick auf den für Kindschaftssachen geltenden Grundsatz des Vorrang- und Beschleunigungsgebots liegt es im Interesse der Verfahrensbeteiligten selbst zu prüfen, ob im jeweiligen Einzelfall die Bestellung eines Verfahrensbeistands angezeigt ist, um so zu verhindern, dass spätestens in der Beschwerdeinstanz eine Zurückverweisung erfolgt, da die mangelnde Bestellung einen wesentlichen Verfahrensverstoß darstellt. Ebenso sollte von den Gerichten auf eine fachliche Eignung des bestellten Verfahrensbeistands geachtet werden, um einem späteren Ablehnungsantrag entgegen zu wirken. Ggf. kann es angezeigt sein, den Beteiligten bereits frühzeitig – mit entsprechend kurzer Frist zur Stellungnahme – mitzuteilen, wer zum Verfahrensbeistand bestellt werden soll.

Kein Zwang zur Beratung (KG v. 30.1.2019 – 13 UF 161/18)

Kindschaftsrechtliche Verfahren werden häufig nicht nur durch fehlerhafte rechtliche Vorstellungen von Eltern bestimmt, sondern auch durch eine mangelnde Kommunikation bzw. Kommunikationsfähigkeit zwischen ihnen. Nicht selten werden diese Probleme in einem gerichtlichen Verfahren offengelegt und Eltern zeigen sich bereit – vor allem im Interesse des Kindes -, diese Defizite unter fachlicher Hilfe anzugehen, so dass ggf. die Verfahren mit der erklärten Bereitschaft der Eltern zur Inanspruchnahme angebotener Beratungsmöglichkeiten beendet werden können. Gleichwohl bleibt aber ein bestimmter Anteil von Verfahren, in denen die Eltern sukzessive in eine Hochkonflikthaftigkeit geraten sind, die jeder vergleichsweisen Regelung entgegensteht. Mit der Frage, ob in einer solchen Konstellation dann auch durch gerichtliche Entscheidung die Inanspruchnahme einer Beratung verpflichtend auferlegt werden kann, hat sich aktuell das KG befasst.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die Eltern ursprünglich bezüglich ihrer gemeinsamen Tochter ein Wechselmodell praktiziert. Aufgrund zunehmender dysfunktionaler Elternkommunikation und einer misstrauischen Grundhaltung beider Elternteile wurde dieses Betreuungsmodell beendet und dem Vater auf seinen Antrag das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter übertragen. Bezüglich der Umgangskontakte der Mutter in den Ferien und an den Feiertagen konnte zwischen den Eltern keine Regelung gefunden werden. Das angerufene Familiengericht hat in seinem Beschluss nicht nur eine Umgangsregelung getroffen, sondern auch angeordnet, dass beide Elternteile jeweils an einem Kurs „Kind im Blick“, einem ähnlichen Kurs oder einer Beratung teilnehmen, darauf gerichtet, sie zu lehren, den Kontakt zum anderen Elternteil im Sinne des Kindes zu gestalten, und über die Teilnahme dem Gericht einen schriftlichen Nachweis vorlegen.

Auf die Beschwerde des Vaters gegen die Anordnung zur Inanspruchnahme der Beratung hat das KG die Anordnung ersatzlos aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass für die angeordnete Verpflichtung zu einer Kursteilnahme keine gesetzliche Grundlage bestehe. Werde durch gerichtliche Entscheidung eine Anordnung getroffen, die der Umsetzung der Loyalitätsverpflichtung gem. § 1684 Abs. 2 BGB dienen soll, so könne diese Anordnung allein auf § 1684 Abs. 3 Satz 2 BGB gestützt werden. Eine solche Anordnung, die zwingend in das Persönlichkeitsrecht der Eltern eingreife, sei nicht mit Zwangsmitteln durchsetzbar. Auch wenn das bei einer bloßen Beratungsauflage nicht in Rede stehe, dürften die Eltern aber nicht zu einer Therapie verpflichtet werden, selbst wenn dies der Schlüssel zu einer nachhaltigen, im Interesse des Kindes erforderlichen Verhaltensänderung sei. Im konkreten Fall habe nicht nur der Vater durchgängig zum Ausdruck gebracht, dass er eine solche Beratung ablehne, sondern auch das Jugendamt den Besuch des Kurses nicht für ein geeignetes Setting erachtet, um den eskalierten Elternkonflikt zu bearbeiten.

Nach § 18 Abs. 3 Satz 3 BGB haben sowohl Eltern als auch andere Umgangsberechtigte bzw. Personen, in deren Obhut sich eine Kind befindet, einen ausdrücklichen Anspruch auf Beratung und Unterstützung bei der Ausübung des Umgangsrechts. Diese Beratung kann bei einem Träger der Jugendhilfe, d.h. insbesondere bei einem Jugendamt oder einem sonstigen freien Träger in Anspruch genommen werden. Folgend daraus, dass diese Beratung und Unterstützung ausdrücklich als Anspruch auf eine staatliche Leistung ausgestaltet ist, wird in der Rechtsprechung gleichermaßen abgeleitet, dass im Umkehrschluss ein Elternteil dann aber gerade auch nicht gegen seinen Willen zu der Inanspruchnahme einer solchen Beratung verpflichtet werden kann, zumal die Ausgestaltung der Loyalitätsverpflichtung in § 1684 Abs. 2 BGB als Unterlassungspflicht formuliert ist und nicht als Handlungspflicht. Darüber hinausgehend hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung durchgängig klargestellt, dass einem Elternteil zwar aufgegeben werden kann, eine Therapie für ein Kind aufzunehmen bzw. eine bereits begonnene Therapie fortzuführen. Davon abzugrenzen ist allerdings die Therapieverpflichtung des Elternteils selbst. Eine solche ist mangels rechtlicher Grundlage nicht zulässig.

Das KG hat in seiner Entscheidung eine bestehende einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung zur Inanspruchnahme von Beratungen fortgeführt, allerdings zutreffend ebenso nachhaltig an die Eltern appelliert, sich zu vergegenwärtigen, dass die Inanspruchnahme der Beratung letztlich vor allem im Interesse des Kindes liegt, d.h. gerade hochkonflikthafte elterliche Beziehungen massiven Einfluss auf die spätere Lebensführung des Kindes haben und zu erheblichen psychischen Belastungen führen können. Dieser Appell des KG kann nur unterstützt werden, da leider Eltern noch zu selten in ihren Auseinandersetzungen erkennen können, dass ihr vermeintlich am Kindeswohl orientiertes Verhalten in der Regel tatsächlich mit dem Kindeswohl nicht in Einklang zu bringen ist.

Auch Auswandern will gelernt sein (OLG Brandenburg v. 6.11.2018 – 13 UF 174/17)

Eine zunehmende gesellschaftliche Mobilität hinterlässt auch in familiengerichtlichen Verfahren ihre Spuren. Nach der Trennung von Eltern kommt es immer häufiger dazu, dass ein Elternteil – sei es aus privaten oder beruflichen Gründen – seinen Wohnort verlegen muss. Insbesondere wenn aus der Ehe oder Beziehung hervorgegangene Kinder im Haushalt dieses Elternteils leben, hat eine örtliche Veränderung nicht nur Auswirkungen auf die Frage, wie künftig Umgangskontakte mit dem jeweils anderen Elternteil sichergestellt werden können. Im schlechtesten Fall kann ein solcher Ortswechsel zum völligen Abbruch persönlicher Kontakte führen. Familiengerichtliche Verfahren, in denen es um die Auswanderung eines Elternteils geht, bedürfen daher einer besonders intensiven Bewertung der Belange aller Beteiligten.

Das OLG Brandenburg hat sich in seinem Beschluss vom 6.11.2018 sowohl mit der Problematik des beabsichtigten Umzugs eines Elternteils samt Kind ins Ausland als auch der in diesen Fällen notwendigen Entscheidung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht auseinandergesetzt: Bezüglich des gemeinsamen 2005 geborenen Kindes erstrebten die geschiedenen Eltern wechselseitig die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, wobei der Vater eine Auswanderung nach Andorra beabsichtigte und die Tochter auf ihren Wunsch dorthin mitnehmen wollte.

Der Senat hat die erstinstanzliche Entscheidung, durch die der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wurde, bestätigt. In seiner Entscheidung ging das OLG davon aus, dass eine Fortführung der gemeinsamen Sorge nicht möglich war. Im Rahmen der sodann zu treffenden Entscheidung über den künftigen Aufenthalt des Kindes hat der Senat die Kindeswohlkriterien abgewogen und unter Heranziehung des Kontinuitätsgrundsatzes sich für einen Verbleib des Kindes in seinem bisherigen Umfeld ausgesprochen, da dort die Beziehungen zu den zwischenzeitlich volljährigen Geschwistern ebenso gewährleistet waren, wie die Aufrechterhaltung der engeren Bindung zur Mutter. Eine seitens des Vaters vorgetragene Alkoholabhängigkeit der Mutter konnte im Rahmen einer sachverständigen Bewertung nicht bestätigt werden. Entscheidungsrelevant war zudem jedoch für den Senat die Tatsache, dass bei dem Vater ökonomische Mindeststandards nicht gewährleistet waren, d.h. er weder seinen Unterhaltspflichten nachgekommen noch zur Zahlung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss in der Lage war. Trotz Hinweises des Senats hatte er sich nicht zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen erklärt. Einen angekündigten Arbeitsvertrag hatte er nicht vorgelegt. Zudem war sein Sachvortrag widersprüchlich, soweit er einerseits vortrug, Eigentümer einer Immobilie in Andorra zu sein, gleichzeitig jedoch einen dort bestehenden Mietvertrag behauptete.

Die Entscheidung des OLG Brandenburg stimmt mit den in der Rechtsprechung des BGH entwickelten Kriterien zur Kindeswohlprüfung im Fall der beabsichtigten Auswanderung eines Elternteils überein. In seiner Grundsatzentscheidung vom 28.04.2010 hat der BGH betont, dass zentraler Maßstab der gerichtlichen Entscheidung das Kindeswohl ist (BGH v. 28.4.2010 – XII ZB 81/09, FamRZ 2010, 1060 = FamRBint 2010, 51). Zwar hat das Gericht auch die sich gegenüberstehenden jeweiligen Elternrechte in seine Entscheidung einzubeziehen, doch richtet sich letztlich die zutreffende Entscheidung allein daran aus, wie sich eine Auswanderung letztlich auf das Kindeswohl auswirkt. Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung zu den persönlichen Umständen des Kindes, in die etwa seine Resilienz mit Blick auf die notwendigen Anpassungsprozesse im Fall einer Auswanderung ebenso einzubeziehen sind, wie die Tatsache, dass das Kind durch die Auswanderung möglicherweise einen Elternteil nicht mehr so häufig sieht oder gar für den Fall, dass das Gericht eine Auswanderung des Kindes untersagt, es seine bisherige Hauptbezugsperson verliert. Bei der Bewertung des Kindeswohls hat selbstredend auch der Kindeswille in die Abwägung einzufließen. Zentrales Prüfungskriterium ist in diesem Kontext aber die Frage, ob der Kindeswille im konkreten Fall auch mit dem Kindeswohl vereinbar ist.

 

Homeschooling – nicht zwingend kindeswohlgefährdend (OLG Düsseldorf v. 25.7.2018 – 2 UF 18/17)

Das Thema Schulverweigerung ist vielschichtig zu betrachten. Es umfasst nicht nur die von Kindern ausgehende Verweigerung, für die schlechte Zensuren oder Probleme mit Mitschülern – etwa bei Mobbing – ursächlich sein können. Eine Schulverweigerung kann ebenso von den Erziehungsberechtigten ausgehen, die bewusst die Unterrichtung in staatlichen Schulen ablehnen, da sie mit den dort vermittelten Lerninhalten keine Übereinstimmung herstellen, etwa folgend aus spezifischen religiösen oder weltanschaulichen Vorstellungen.

Das OLG Düsseldorf hat sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 mit dieser Thematik auseinandergesetzt und ist – abweichend von dem erstinstanzlichen Beschluss – zu der Bewertung gelangt, dass in dem konkreten Fall die Schulverweigerung keine Kindeswohlgefährdung darstellt, die ein familiengerichtliches Eingreifen erfordern würde.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt war der Mutter eines 2005 geborenen Kindes durch das Amtsgericht aufgegeben worden, ihren Sohn an einer öffentlichen Schule oder anerkannten Ersatzschule anzumelden, ihn einer Beschulung zuzuführen und für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Gegen diese Entscheidung legte sie Beschwerde ein, die zur Aufhebung der Ausgangsentscheidung führte.

Zwei seitens des Senats in Auftrag gegebene Gutachten gelangten zu dem Ergebnis, dass der Entwicklungsstand des Kindes in wesentlichen Bereichen als normgerecht einzustufen und in jeder Hinsicht altersgemäß war. Zur gleichen Einschätzung gelangte der Senat nach Anhörung des Kindes sowie der weiteren Beteiligten. Er hob hervor, dass das Kind ein normgerechtes Bindungserleben und -verhalten besaß. In Bezug auf die Mutter wurde eine positive und tragfähige Beziehung bestätigt bzw. hinsichtlich des bestehenden Freundeskreises waren alterskonforme Kontakte festzustellen. In seine Entscheidung bezog der Senat weitergehend ein, dass die Mutter glaubhaft versicherte, dass ihr Sohn einen weitergehenden Schulabschluss durch Ablegung einer sog. Nichtschülerprüfung anstrebe und er auf diese Prüfung durch einen spezifischen Lerndienst vorbereitet werde. Letztlich hatte sie sich bereit erklärt, den Sohn zum nächstmöglichen Zeitpunkt einer schulpsychologischen Testung unterziehen zu lassen und das Jugendamt über deren Ergebnis zu unterrichten.

Folgend aus der Kulturhoheit der Bundesländer wird auf der Grundlage der jeweiligen Landesverfassungen die Schulpflicht in jedem Bundesland einfachgesetzlich geregelt. Einheitlich ist in allen Bundesländern der Besuch einer Grundschule bzw. einer weiterführenden Schule verpflichtend vorgesehen. Lediglich hinsichtlich der Dauer der Vollzeitschulpflicht bestehen zwischen den Bundesländern minimale Differenzen. Die Schulpflicht dient nicht allein der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags, der in diesem Rahmen auch das elterliche Erziehungsrecht begrenzt, so dass bei einer Kindeswohlgefährdung auch Maßnahmen nach § 1666 BGB ergriffen werden können. In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass die allgemeine Schulpflicht in ihrer Zielsetzung darauf ausgerichtet ist, Kindern und Jugendlichen die Grundlagen einer verantwortlichen Staatsbürgerschaft zu vermitteln, d.h. ihnen die Voraussetzungen zu geben, verantwortungsbewusst an demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilzuhaben und mitzuwirken.

Einer von Eltern in Anspruch genommenen Schulverweigerung wurde daher jeweils eine Absage erteilt, wenn durch diese Verweigerung Kindern nicht nur die Möglichkeit der umfassenden Wissensvermittlung auf der Grundlage eines regelmäßigen Schulbesuchs genommen wurde, sondern auch die Möglichkeit der persönlichen Entwicklung als Teilhaber einer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Hierbei hat das Bundesverfassungsgericht in besonderem Maße auch die Integrationsaufgabe öffentlicher Schulen hervorgehoben, um der Entstehung religiös oder weltanschaulich motivierter „Parallelgesellschaften“ entgegenzuwirken, die dadurch entstehen können, dass Kindern und Jugendlichen der Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen verschlossen wird.

Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der EGMR in einer aktuellen Entscheidung vom 10.1.2019 bestätigt unter Verweis darauf, dass sorgerechtliche Maßnahmen durchaus berechtigt sind, wenn Kinder statt des Besuches einer Schule in einem quasi „symbiotischen Familiensystem“ unterrichtet und hierdurch gleichzeitig sozial isoliert werden (EGMR v. 10.1.2019 – 18925/15).

Nehmen Eltern daher für sich in Anspruch, eine Beschulung ihrer Kinder außerhalb einer öffentlichen oder anerkannten privaten Schule durchzuführen, so kann hieraus nicht per se eine Kindeswohlgefährdung abgeleitet werden. Es bedarf vielmehr einer einzelfallbezogenen Prüfung, in die nicht nur die jeweils vermittelten Lerninhalte einzubeziehen sind, sondern auch genau zu beleuchten ist, ob in irgendeiner Form die freie Persönlichkeitsentwicklung des Kindes eingegrenzt wird.