Vollmacht oder Sorgerechtsregelung? (OLG Brandenburg v. 2.10.2019 – 9 UF 174/19)

Die Frage der elterlichen Sorge birgt in kindschaftsrechtlichen Verfahren ein hohes Konfliktpotential. Beide Elternteile nehmen selbstverständlich jeweils für sich in Anspruch, ausschließlich im Interesse des Kindes zu handeln. Nicht selten folgt jedoch aus den ausgetauschten Argumenten, dass vorrangig höchstpersönliche Interessen der Eltern im Vordergrund stehen. Stellvertretend für eine emotional noch längst nicht abgeschlossene Trennung wird auf der Ebene der elterlichen Sorge ein „Schlagabtausch“ durchgeführt, in dem man dem früheren Partner tatsächliche oder vermeintliche persönliche Defizite vorhält, in der Annahme, dass ihn diese Defizite selbstverständlich zur Ausübung der elterlichen Sorge disqualifizierten. Zunehmend ist in den Verfahren zu beobachten, dass Elternteile, die erkannt haben, dass sie dem Sorgerechtsantrag des jeweils anderen rechtlich nicht erfolgreich begegnen können, auf die Erteilung einer Vollmacht zurückgreifen, um so den Antrag zu Fall zu bringen und zumindest formal in der Position des Sorgemitinhabers zu verbleiben.

Mit einer solchen Fallgestaltung hat sich im Herbst 2019 das OLG Brandenburg auseinandergesetzt. Die Eltern stritten über den Fortbestand der gemeinsamen Sorge für ihren 2012 geborenen Sohn, der im Haushalt des Vaters lebt. Auf dessen Antrag wurden ihm erstinstanzlich die Teilbereiche der Gesundheitssorge, der Vermögenssorge sowie die Vertretung in Rechts- und Behördenangelegenheiten übertragen. Gegen diesen Beschluss legte die Mutter Rechtsmittel ein, wobei das OLG die Beschwerde zurückwies. Neben grundlegenden Hinweisen zur mangelnden Kommunikationsfähigkeit und -willigkeit der Eltern, in deren Ausprägung es sogar anwaltlicher Korrespondenz zur Unterzeichnung des Schulzeugnisses bzw. der Vorlage eines Stundenplans bedurfte, nahm der Senat auch Stellung zu der Frage, ob möglicherweise die seitens der Mutter in Rede gebrachte Erteilung einer Vollmacht als milderes Mittel der Konfliktvermeidung gesehen werden könne.

Diese Frage hat der Senat verneint unter Verweis bereits darauf, dass von der Mutter gerade keine Vollmacht zu den streitgegenständlichen Teilbereichen der elterlichen Sorge vorgelegt wurde. Gleichzeitig verwies der Senat darauf, dass eine solche Vollmacht auch jederzeit frei widerruflich sei, während eine gerichtliche Sorgerechtsregelung in ihrer Abänderbarkeit den engen Voraussetzungen des § 1696 BGB unterliege. Hieraus leite sich die Befürchtung ab, dass sich der Elternteil, der die Möglichkeit einer Vollmachtserteilung in den Raum stelle und im Übrigen dem Antrag auf Sorgerechtsübertragung entgegentrete, sich hierdurch rechtliche Vorteile erhoffe, die aber weiteres Konfliktpotenzial bergen könnten. Zudem stelle eine elterliche Sorge, die nur formal aufrecht erhalten bleibe, lediglich eine „leere Hülle“ des Sorgerechts dar.

Mit seiner Entscheidung greift das OLG Brandenburg eine in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur kontrovers diskutierte Frage auf. Während etwa die Oberlandesgerichte Düsseldorf (OLG Düsseldorf v. 7.12.2017 – II-1 UF 151/17, MDR 2018, 154), Nürnberg (OLG Nürnberg v. 4.7.2011 – 7 UF 346/11, MDR 2011, 1237) oder Saarbrücken (Saarl. OLG v. 5.11.2018 – 6 UF 82/18, FamRZ 2019, 985) auch im Fall einer erteilten Sorgeermächtigung die dadurch nicht entbehrlich werdende Kooperationsfähigkeit und -willigkeit beider Elternteile hervorheben, um von einer Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge ausgehen zu können, vertritt das OLG Frankfurt die Auffassung, dass zumindest in jenen Fällen, in denen der ermächtigende Elternteil sich von seiner Erklärung nicht (kurzfristig) lösen möchte und keine unterschiedlichen Entscheidungen in kindbezogenen Belangen zu treffen sind bzw. verlangt werden, die Auflösung der gemeinsamen Sorge unverhältnismäßig erscheint (OLG Frankfurt v. 27.2.2019 – 8 UF 61/18, FamRZ 2019, 1144 = FamRB 2019, 263). Abschließende Klärung wird die Entscheidung des BGH zu der unter dem Az. XII ZB 112/19 anhängigen Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Frankfurt bringen.

 

Grundrente und Versorgungsausgleich

Mit der Grundrente wird ein richtiger Schritt von einem leistungsbasierten zu einem sozialorientierten Rentensystem gemacht. Familienrechtler sollten sich schon jetzt mental auf Arbeit vorbereiten. Die Einführung der Grundrente schafft für hunderttausende Geschiedene Abänderungspotential im Versorgungsausgleich.

Peter Struck soll einmal gesagt haben, kein Gesetz komme so aus den Beratungen des Bundestags heraus, wie es hineingegangen sei (Gesetz zur Einführung der Grundrente). Das wird wohl stimmen, schließlich hatte der Mann Erfahrung. Deswegen sind die nachfolgenden Ausführungen mit Vorsicht zu genießen, weil sie derzeit nicht quantifizierbar sind. Ob 1,3 oder 4 Millionen Rentnerinnen und Rentner von der Reform profitieren, ob der Rentenzuschlag 400 €, etwas mehr oder weniger beträgt, kann man jetzt noch nicht sagen. Da das Projekt „Grundrente“ aber wichtig und längst überfällig ist, ist eins sicher: Auf die Familienrechtler kommt Arbeit zu.

Geht man davon aus, dass etwa jede dritte Ehe der von der Grundrente profitierenden Personen geschieden wurde, wird auch jeder dritte Versorgungsausgleich nach Inkrafttreten des Grundrentengesetzes abzuändern sein. Denn wenn eine Minirente auch nur geringfügig angehoben wird, ist der eine Abänderung rechtfertigende Wert von 5 % und 1 % der zum Ehezeitende geltenden allgemeinen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV schnell erreicht (§ 225 Abs. 2 FamFG).

Gut, dass die Grundrente den Minirentnern antragslos von der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt werden soll. Dumm, dass die im Versorgungsausgleich ausgleichspflichtigen geschiedenen Gatten sich selbst darum kümmern müssen zu prüfen, ob sie die Abänderung des bei der Scheidung durchgeführten Versorgungsausgleichs beantragen sollen oder nicht. Dabei passieren oft vermeidbare Fehler. Deshalb an dieser Stelle folgende Tipps:

  • Versorgungsausgleiche nach den Versorgungsausgleichsgesetz:

Wurde der Versorgungsausgleich bereits unter Geltung des VersAusglG durchgeführt, ist die Einleitung eines Abänderungsverfahrens meist unproblematisch, weil die Abänderung immer nur das Anrecht betrifft, dessen Abänderung beantragt wird. Allerdings kann man durch einen Abänderungsantrag wegen der Neubewertung von Kindererziehungszeiten oder Einführung der Grundrente die Aufmerksamkeit des durch diese Veränderungen begünstigten Gatten auf Abänderungspotential zu seinen Gunsten beim Anderen lenken. Wer also seinen Anteil an der Grundrente des Geschiedenen fordert, sollte zuvor prüfen, ob bei ihm alles richtig ausgeglichen wurde und sich seither nichts zu seinen Gunsten verändert hat. Der frühpensionierte Beamte wundert sich da manchmal, weil eine Frühpensionierung den Ehezeitanteil erhöht. Der Gegenantrag auf Abänderung verhagelt dann oft das Ergebnis.

  • Versorgungsausgleich nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Recht:

Wurde der Versorgungsausgleich nach altem Versorgungsausgleichsrecht durchgeführt, berechtigt ebenfalls die nachehezeitliche Erhöhung des Ehezeitanteils einer Versorgung zur Stellung eines Abänderungsantrags. Dessen Ergebnis ist aber deutlich tiefgreifender: Alle in der Altentscheidung erfassten Versorgungsanrechte werden dann nach neuem Recht geteilt. Bevor ein solcher Antrag gestellt wird, muss deshalb – Grundrente oder Kindererziehungszeiten hin oder her – das Gesamtergebnis des Abänderungsverfahrens genau geprüft werden.

Das geschieht am besten, indem für den die Abänderung begehrenden geschiedenen Gatten zunächst einmal neue ehezeitbezogene Auskünfte der Versorgungsträger eingeholt werden. Die öffentlich-rechtlichen Versorgungsträger erledigen das in der Regel zügig und kostenfrei. Anhand dieser Auskünfte können die Auswirkungen der Umstellung auf das neue Recht für die Versorgungen des potentiellen Antragstellers verlässlich geprüft werden.

Taucht in der Altentscheidung die Barwertverordnung (BarwertVO) im Text auf, ist Vorsicht geboten. Mit der BarwertVO wurden im alten Versorgungsausgleichsrecht private und betriebliche Versorgungen ‚dynamisiert‘ und dadurch der Halbteilungsgrundsatz massiv zum Nachteil des ausgleichsberechtigten Gatten verletzt. Wessen Versorgung damals mit der BarwertVO pulverisiert wurde, sollte heute nicht leichtfertig einen Abänderungsantrag stellen, nur weil Kindererziehungszeiten oder die Grundrente dem geschiedenen Gatten ein paar Euro mehr aufs Rentenkonto bringen. Das zu späte Erwachen beim Durchrechnen der Auswirkungen der Umstellung des damals durchgeführten Versorgungsausgleichs aufs neue Recht könnte – nicht nur im Karneval – zu Katerstimmung führen.

Wer heute grundrentenverdächtige Mandanten im Scheidungsverfahren betreut, sollte vielleicht die prozessuale Bremse ziehen, um nicht kurz nach Abschluss des Scheidungsverfahrens gleich wieder ein Abänderungsverfahren führen zu müssen. Bei Rentnern muss man sich das indessen versagen, weil der Bezug einer Rente oft zum berüchtigten Kapitalverzehr und damit zu Nachteilen der ausgleichsberechtigten Person führen kann.

High noon in Karlsruhe zu § 17 VersAusglG (zu BVerfG – 1 BvL 5/18; vorangehend: Vorlagebeschluss des OLG Hamm – 10 UF 178/17)

Am 10.3.2020 findet die mündliche Verhandlung vor dem BVerfG über die Verfassungsgemäßheit von § 17 VersAusglG statt. Allen zur Erinnerung: Nach dieser Norm können betriebliche Versorgungen bis zu einem Ausgleichswert von 82.800 € (im Jahr 2020) extern ausgeglichen werden. Aus der betrieblichen Versorgung stünde einem 50-jährigen Mann daraus eine Rente von ca. 650 € monatlich zu. Bei Einzahlung des Ausgleichsbetrages in die Versorgungsausgleichskasse blieben knapp 300 € Garantierente und (Optimisten sterben nicht aus) ca. 375 € über (im Unisextarif der VersAusglK), wenn Gewinne erzielt werden. Ein Verlust von ca. 40 % der Versorgungsvolumens kann man nicht mehr als ‚Petitesse‘ begreifen, zumal die ausgleichspflichtige Person die Hälfte ihrer Versorgung, also 650 € verliert.

Heute könnte man den Verlust begrenzen und als Zielversorgung des Ausgleichs die gesetzliche Rentenversicherung wählen. Die brächte zwar zum Stichtag ebenfalls nur eine Rente von ca. 360 € monatlich, unterstellt man aber realistisch eine Dynamik der gesetzlichen Rentenversicherung von 2 % (derzeit ist die Dynamik weit größer), errechnet sich für den 50-järigen Ausgleichsberechtigten eine Rentenerwartung von 506 € im Alter von 67 und das, obwohl zusätzlich Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung abgesichert wären.

Der BGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 das Dilemma der Halbteilungsverfehlung durch die vom Gesetzgeber zugelassene Teilung werthaltiger betrieblicher Versorgungen in § 17 VersAusglG erkannt. Gleichwohl hat er die Ergebnisse gebilligt, weil bei gegenläufiger Entwicklung der Zinssätze ein umgekehrter Effekt eintreten könne (BGH v. 22.6.2016 – XII ZB 664/14 Rz. 21, FamRZ 2016, 1654 = FamRB 2016, 380). Die damalige Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist kritisiert worden, weil der Halbteilungsgrundsatz für jede einzelne Ehe zu wahren ist und der im Jahr 2009 geschiedene Ehegatte nicht weniger über die Verfehlung der Halbteilung in seinem Fall empört sein wird, weil der zehn Jahre später geschiedene Ehegatte durch die externe Teilung profitieren kann.

Es ist daher begrüßenswert, dass das OLG Hamm eine verfassungsgerichtliche Entscheidung herbeiführt (Vorlagebeschluss des OLG Hamm v. 17.10.2018 – 10 UF 178/17, FamRZ 2019, 688). Ebenso begrüßenswert ist es, dass das BVerfG die mündliche Verhandlung langfristig und öffentlich angekündigt (Pressemitteilung des BVerfG v. 17.1.2020). Nun muss das BVerfG bei Zulässigkeit eines Vorlagebeschlusses immer mündlich verhandeln (§ 82 Abs. 3 BVerfGG), Vorfreude auf verfassungsgerichtlich durchgesetzten Gerechtigkeitsgewinn ist daher allein gestützt auf die Anberaumung eines mündlichen Verhandlungstermins nicht angezeigt. Die Hürde der Zulässigkeit hat allerdings der Vorlagebeschluss des OLG Hamm erfreulicherweise schon einmal übersprungen. Das lässt hoffen, sollen doch einige die Unzulässigkeit des Antrags gerügt haben.

Die Anwaltschaft sollte nun erst recht in Verfahren, in denen Anrechte aus der betrieblichen Altersversorgung extern geteilt werden sollen und eine Einzahlung des Ausgleichswerts in die gesetzliche Rentenversicherung nicht möglich ist (weil die ausgleichsberechtigte Person schon Altersrentner ist, § 187 SGB VI), Handlungsalternativen genau abwägen, ob das Versorgungsverfahren bis zur Entscheidung des BVerfG ausgesetzt oder der externe Ausgleich akzeptiert wird.

  • Wird vom ausgleichsberechtigten Gatten noch keine Versorgung bezogen, ist die gesetzliche Rentenversicherung immer die richtige Zielversorgung, solange der Rechnungszins der Quellversorgung <=3 % beträgt. Diese erbringt in diesen Fällen eine höhere Altersversorgung als die zu teilende Betriebsrente, wenn man die der Betriebsrente meist fehlende Anwartschaftsdynamik berücksichtigt.
  • Bezieht die ausgleichsberechtigte Person eine Invaliditätsversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, ist die externe Teilung in die gesetzliche Rentenversicherung die richtige Option, weil die Invaliditätsversorgung um die aus den aus dem Ausgleichswert gebildeten Entgeltpunkte angehoben würde und aus der Versorgungsausgleichskasse und fast immer auch bei interner Teilung des Anrechts aus der betrieblichen Versorgung keine Invaliditätsrente gezahlt wird.
  • Bezieht der ausgleichsberechtigte Gatte bereits eine bindend bewilligte Vollrente wegen Alters, betrüge der Versorgungsverlust bei Ausgleich des Betrages in die Versorgungsausgleichskasse ca. 30 % gegenüber der internen Teilung des Anrechts. Es ist daher abzuwägen, ob das Zuwarten und Hoffen auf eine positive Entscheidung des BVerfG den Nachteil des Rentenverlusts aufwiegt. Eine Versorgungsbegründung in der gesetzlichen Rentenversicherung durch externe Teilung eines betrieblichen Anrechts ist in diesen Fällen nicht mehr möglich (§ 187 Abs. 4 SGB VI).

Neues zum Wechselmodell (BGH v. 27.11.2019 – XII ZB 512/18)

In seiner Grundsatzentscheidung vom 1.2.2017 hatte der BGH erstmals zu der Frage der familiengerichtlichen Anordnung eines paritätischen Wechselmodells – auch gegen den erklärten Willen eines Elternteils – Stellung genommen (BGH v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15, FamRB 2017, 136). Rund zwei Jahre nach dieser Entscheidung zeigt sich, dass damit keineswegs das paritätische Wechselmodell ohne Wenn und Aber, allein dem Antrag eines Elternteils folgend, durch gerichtliche Entscheidung umzusetzen ist. Die zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen haben verdeutlicht, dass die Gerichte sehr sorgfältig prüfen, ob die erstrebte Regelung tatsächlich die am Kindeswohl orientiert beste und alternativlose Ausgestaltung der Umgangskontakte darstellt. Auch das Thesenpapier der vom BMJV eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Sorge- und Umgangsrechts zeigt in seinen Ergebnissen ein sehr objektives Bild (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/102919_Thesen_AG_SorgeUndUmgangsrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=2), das schon durch die Wortwahl (z.B. Betreuung statt Umgang) dafür wirbt, den Eltern zu verdeutlichen, dass sie auch nach einer Trennung weiterhin gemeinsam in der Verantwortung für ihre Kinder stehen und die Ausgestaltung dieser Verantwortungsübernahme sich an der veränderten Lebenswirklichkeit der Familien zu orientieren hat.

Dass gleichwohl Elternteile unverändert den Bereich des Sorge- und Umgangsrechts als „Spielfeld“ für nicht verarbeitete Trennungsprobleme sehen, zeigt eine aktuelle Entscheidung des BGH vom 27.11.2019. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt war der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei gemeinsamen Kinder gerichtlich zugewiesen worden. Der Umgang der Kinder mit ihrem Vater wurde aufgrund außergerichtlicher Abstimmung praktiziert. Der Vater erstrebte nun das Aufenthaltsbestimmungsrecht und hilfsweise eine Umgangsregelung im Sinn eines paritätischen Wechselmodells. Mit Blick auf seinen Hilfsantrag wurde von Amts wegen ein Umgangsverfahren eingeleitet und der Sorgerechtsantrag in einem gesonderten Verfahren geführt. Erst- und zweitinstanzlich wurde sein Begehren auf Anordnung eines exakt paritätischen Wechselmodells zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgte er dieses Ziel weiter, wobei diese allerdings auch ohne Erfolg blieb.

Der BGH hat in der Begründung seiner Entscheidung darauf verwiesen, dass zwischen einem Sorge- und einem Umgangsrechtsverfahren strikt zu trennen ist, da es sich um jeweils eigenständige Verfahrensgegenstände handelt. Da in dem zur Entscheidung stehenden Verfahren erstmals eine gerichtliche Umgangsregelung erstrebt wurde, beurteilte diese sich am Maßstab der §§ 1684, 1697a BGB. Davon zu unterscheiden ist die frühere familiengerichtliche Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechts an die Mutter, wobei es jedoch im konkreten Verfahren nicht um die Abänderung dieser Sorgerechtsregelung geht, so dass die strengen Abänderungsvoraussetzungen des § 1696 Abs. 1 BGB zur Anwendung kämen.

In Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung betont der BGH, dass die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells auf Seiten des Kindes eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen voraussetzt, wobei auch der vom Kind geäußerte Wille, dem mit steigendem Alter zunehmendes Gewicht zukommt, wesentlich ist. Stehen dem Willen des Kindes allerdings gewichtige Gründe des Kindeswohls entgegen, so überlagern sie diesen. Derartige gewichtige Gründe sah der BGH im Verhalten des Vaters, der seine Umgangszeiten wiederholt ausgedehnt und die Kinder nicht zu der verabredeten Zeit zurückgebracht hatte. Auch seine Reaktionen und Aktionen anlässlich der Übergabe belegten seine Schwierigkeit, sich von den Kindern zu lösen und sie der Mutter zu übergeben. Nach den Feststellungen des BGH vermochte es der Vater weniger als die Mutter, den Kindern zu ihrer Entwicklung Freiräume zu gewähren und eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Statt sie in der Übergabesituation zu unterstützten, filme er die Schwierigkeiten insbesondere eines Kindes, sich vom Vater zu lösen.

Mit seiner aktuellen Entscheidung wiederholt der BGH nicht nur seine grundlegenden Erwägungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen überhaupt gegen den Willen eines Elternteils das paritätische Wechselmodell familiengerichtlich angeordnet werden kann. Er zeigt in seiner Entscheidung ebenso auf, dass eine bestehende sorgerechtliche Regelung zum gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes durch eine (nachfolgende) Umgangsregelung überlagert werden kann, die in etwa zeitgleiche Betreuungsanteile beider Eltern schafft.

 

Weihnachtsgeld für ZVK-Rentner

Noch gerade rechtzeitig vor Weihnachten hat das LG Karlsruhe (LG Karlsruhe v. 22.11.2019 – 6 S 2/19) die letzten Zweifel beseitigt: Rentnerinnen und Rentner der Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes, deren Ehe nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Scheidungsrecht geschieden worden sind, können eine kräftige Rentennachzahlung beanspruchen.

Die Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes haben nämlich die Renten von nach altem Versorgungsausgleichsrecht ausgleichspflichtigen Rentnern überdimensioniert gekürzt. Diese sind in den Alt-Entscheidungen mithilfe der Barwertverordnung dynamisiert und damit erheblich abgewertet worden. Dies hat die Zusatzversorgungskassen jedoch nicht davon abgehalten, die Kürzungen der Versorgungen der Rentner auf der Basis des nicht dynamisierten Nominalwerts vorzunehmen.

Diese Praxis hat der BGH bereits in seinem Urteil vom 10.1.2018 kritisiert und die entsprechende Satzungsbestimmung der Zusatzversorgungskasse (Rheinische Zusatzversorgungskasse) als unwirksam erklärt (BGH v. 10.1.2018 – IV ZR 262/16, FamRZ 2018, 497 = FamRB 2018, 138). Dieses Urteil gilt für alle Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes, weil diese identische Satzungsbestimmungen hatten.

Bereits nach diesen Entscheidungen stünde den ZVK-Rentnern eine Nachzahlung der unberechtigten Kürzungsbeträge über einen nicht verjährten Zeitraum von max. 3 Jahren und 11 Monaten zu. Da die Kürzungen in der Regel um etwa 50 % übersetzt waren, kommt im Einzelfall bei 47 Monaten ein erklecklicher Betrag zustande.

Die VBL hat entsprechende Zahlungsansprüche von Rentnern nur auf deren Antrag und nur ab Februar 2018 reguliert Sie hat die Auffassung vertreten hat, ihre Satzung sei erst ab diesem Zeitpunkt bezüglich dieser Vorschrift unwirksam. Diese etwas merkwürdige Interpretation der Unwirksamkeitsnorm hat bereits das AG Karlsruhe zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung hat nun das LG Karlsruhe mit einem ausführlich und umfassend begründeten Urteil zurückgewiesen. Die ausständigen Renten sind ab Geltendmachung des Zahlungsanspruchs durch den Rentner darüber hinaus zu verzinsen.

Die Berechnung der Rückstände ist nicht ganz einfach. Ein sehr einfach zu handhabendes Berechnungstool finden Sie auf der Homepage des FamRB!

Kein Entzug der elterlichen Sorge auf Vorrat (Schleswig-Holsteinisches OLG v. 16.4.2019 – 10 UF 13/19)

Kindeswohlgefährdungen nehmen in der öffentlichen Diskussion immer stärkere Bedeutung ein. Dies steht nicht nur vor dem Hintergrund einer steigenden Anzahl solcher Gefährdungen, sondern auch einer deutlich verstärkten Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Gefahren, denen Kinder ausgesetzt sind. Gerade die Jugendämter stehen unter einem erheblichen Druck. Den steigenden Fallzahlen können sie in der Regel nicht mit einem gleichermaßen gestiegenen Personalbestand begegnen. Auch wird die Bewertung von Gefährdungssituationen immer stärker durch verfassungsrechtliche Grundfragen überlagert, d.h. Jugendamtsmitarbeiter, die in der Regel über eine sozialpädagogische Ausbildung verfügen, sollen immer häufiger spezifische juristische Fragen – typischerweise auch unter besonderem Zeitdruck – adäquat bewerten können. Die eingeleiteten familiengerichtlichen Verfahren werden in der Ausgangsinstanz in erheblichem Maß durch den persönlichen Eindruck der Eltern bestimmt, den diese nicht nur in der mündlichen Verhandlung, sondern auch in ihren bisherigen Kontakten mit dem Jugendamt hinterlassen haben. Die gerichtliche Entscheidung bezüglich der zum Schutz der Kinder erforderlichen Maßnahmen und den gleichzeitig zu wahrenden Elternrechten ist nicht selten eine Gratwanderung.

Mit den sich daraus ergebenden Problemen zum Umfang kindesschutzrechtlicher Maßnahmen hat sich das OLG Schleswig in einer aktuellen Entscheidung befasst. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte das Jugendamt wegen einer unzureichenden Versorgungssituation die im Haushalt der alleinsorgeberechtigten Mutter lebenden Kinder in Obhut genommen. In dem eingeleiteten familiengerichtlichen Verfahren hatte das Jugendamt auf die mangelnde Förderung der Kinder durch die Mutter verwiesen und ebenso darauf, dass mit ihr, folgend aus ihrer Unzuverlässigkeit, eine konstruktive Zusammenarbeit nicht möglich sei. Das Ausgangsgericht hat der Mutter – nach eingeholtem Sachverständigengutachten zur Frage der Erziehungsfähigkeit beider Elternteile und der Prüfung, ob einer Kindeswohlgefährdung auch mit ambulanten Hilfen begegnet werden kann – die elterliche Sorge vollumfänglich entzogen. Gegen diese Entscheidung legt die Mutter Beschwerde ein.

Der Senat ändert die Ausgangsentscheidung insoweit ab, als der Mutter nur Teilbereiche der elterlichen Sorge entzogen werden. Zur Begründung verweist der Senat auf den zu wahrenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach ein vollständiger Sorgerechtsentzug nicht zulässig ist, wenn zur Gefährdungsabwendung die Entziehung einzelner Sorgerechtsbereiche genügt. Zu den einzelnen Teilbereichen der elterlichen Sorge führt der Senat sodann jeweils aus, inwieweit es im konkreten Fall tatsächlich eines Eingriffs in die elterliche Sorge bedarf, etwa hinsichtlich der Sicherung der Gesundheitsfürsorge oder der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen. Gleichzeitig verweist er darauf, dass es auch Teilbereiche der elterlichen Sorge im konkreten Fall gibt, bezüglich derer weder Unstimmigkeiten bestehen noch es einen Klärungsbedarf gibt. In diesem Fall würde der Entzug der elterlichen Sorge in diesen Bereichen einen unverhältnismäßigen und unzulässigen Vorratsbeschluss darstellen. Zudem verweist der Senat auf das Recht der Umgangsbestimmung, bei dem eine gerichtliche Umgangsentscheidung als milderes Mittel vorrangig ist und der Entzug des Bestimmungsrechts daher erst dann in Betracht kommt, wenn es trotz der familiengerichtlichen Regelung zu einer kindeswohlgefährdenden Situation käme. Ebenso stellt der Senat klar, dass die Pflegeperson, in deren Obhut sich künftig die Kinder aufhalten werden, gesetzlich berechtigt ist, Angelegenheit des täglichen Lebens eigenständig wahrzunehmen, so dass es auch hierzu keiner gerichtlichen Regelung bedarf.

Das Schleswig-Holsteinische OLG hat in seiner Entscheidung uneingeschränkt eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung umgesetzt. Das aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG folgende Elternrecht auf Pflege und Erziehung der Kinder ist ein natürliches Recht der Eltern, das sie grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Leitende Richtschnur ist allerdings das Kindeswohl. Insoweit obliegt dem Staat ein Wächteramt, das einfachrechtlich in § 1666 BGB ausgestaltet wird. Zum Schutz eines Kindes sind danach familiengerichtliche Maßnahmen einzuleiten, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, d.h. eine gegenwärtige Gefahr, so dass bei weiterer Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes entweder bereits eingetreten oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Zur Annahme dieser hinreichenden Wahrscheinlichkeit bedarf es konkreter Verdachtsmomente bzw. muss der für das Kind drohende Schaden erheblich sein. Im Rahmen der sodann durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf es der Feststellung, dass die familiengerichtlich einzuleitenden Maßnahmen zur Gefahrenabwehr geeignet und erforderlich sind, d.h. es dürfen insbesondere keine niederschwelligeren Maßnahmen im konkreten Fall ausreichend sein. Zudem muss der gerichtliche Eingriff unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände zumutbar sein, so dass neben der Schwere des Eingriffs auch dessen Folgen abzuwägen sind.

Angehörigen-Entlastungsgesetz tritt zum 1.1.2020 in Kraft

Alle Kinder pflegebedürftiger Eltern können aufatmen. Der Bundesrat hat dem Angehörigen-Entlastungsgesetz zugestimmt. Die Konsequenzen sind erfreulich:

  • Es kommt zukünftig für die Heranziehung von Kindern zum Elternunterhalt weder auf deren Vermögen noch auf das Einkommen des Schwiegerkindes an.
  • Ab 1.1.2020 können alle Kinder, deren Jahreseinkommen unter 100.000 € brutto liegt, die Unterhaltszahlungen für ihre Eltern einstellen. Lediglich in den Fällen, in denen eine gerichtliche Entscheidung zur Zahlung laufenden Unterhalts ergangen ist, sollten die betroffenen Kinder dem Sozialhilfeträger die Einstellung der Zahlung schriftlich ankündigen und auf Bestätigung durch den Sozialhilfeträger beharren, keinen Unterhalt mehr zu schulden.
  • Lediglich in den Fällen, in denen ein Sozialhilfeträger aus einer erteilten Einkommensauskunft des unterhaltspflichtigen Kindes weiß, dass das Einkommen des Kindes über 100.000 € liegt, besteht die Unterhaltsverpflichtung eventuell fort.
    • Allerdings wird in diesen Fällen die Unterhaltsverpflichtung reduziert, weil die Leitlinienkonferenz der Oberlandesgerichte den Selbstbehalt bereits vor Verabschiedung dieses Gesetzes heraufgesetzt hat (statt wie bisher 1.800 €/ 3.240 €). Die Leitlinienkonferenz der Oberlandesgerichte konnte jedoch noch nicht das Inkrafttreten des Gesetzes berücksichtigen, weil zum Zeitpunkt der Sitzung der Leitlinienkonferenz das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.1.2020 noch ungewiss war.
    • Da aber der Gesetzgeber mit den Angehörigen-Entlastungsgesetz deutlich gemacht hat, dass er eine Heranziehung von Kindern zum Elternunterhalt dann für unangemessen hält, wenn das Einkommen des Kindes unter 100.000 € pro Jahr liegt, ist der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt an diese Grenze ab 1.1.2020 anzupassen. Unterhaltsrechtlich ist das Nettoeinkommen maßgeblich. Es erscheint daher aus heutiger Betrachtung ein Selbstbehalt von 4.500 – 4.700 € für das Kind und von etwa 8.100 € bei Zusammenleben Verheirateter angemessen. Die Anhebung des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts auf dieses Niveau sichert, dass nicht nur sozialrechtlich eine 100.000 €-Grenze besteht, sondern diese Grenze angemessen unterhaltsrechtlich abgebildet wird.
  • Da das Gesetz eine gesetzliche Vermutung enthält, dass das Einkommen unterhaltspflichtiger Angehöriger die Grenze von 100.000 € nicht übersteigt, entfällt für die Zeit ab 1.1.2020 auch eine unterhaltsrechtliche und sozialrechtliche Auskunftsverpflichtung. In den Fällen, in denen ein Sozialhilfeträger aus einer vor 2020 erfolgten unterhaltsrechtlichen Auskunft keine positive Kenntnis über ein Überschreiten der Einkommensgrenze hat, können allenfalls „hinreichende Anhaltspunkte“ aus Presse, Funk und Fernsehen, der Angehörigkeit zu einer bestimmten einkommensstarken Berufsgruppe (Vorstandsvorsitzender eines DAX-Konzerns) für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze herangezogen werden. Lediglich in diesen Fällen wird das Kind noch Auskunft über die Höhe seines Einkommens zu erteilen haben.

Wir haben uns in der Vergangenheit sehr intensiv mit dem Elternunterhalt auseinandergesetzt und dazu beigetragen, dass der Elternunterhalt von Sozialhilfeträgern und der Rechtsprechung halbwegs sozialverträglich ausgestaltet worden ist. Wir haben uns seit mehr als zwei Jahren intensiv darum bemüht, das jetzt vollzogene Gesetzesvorhaben zu unterstützen. Wir haben immer vertreten, dass es eine berechtigte Erwartungshaltung von Bürgern ist, dass ein Sozialstaat seine Bürger vor unverantworteten Risiken in Schutz nimmt. Niemand kann etwas für Behinderung und Krankheit von Angehörigen. Deshalb ist es gut, dass vor diesem – gesellschaftlich zu verantwortenden – Risiko dass Angehörigen-Entlastungsgesetz weitgehenden Schutz bietet. Lesen Sie zum Thema auch den Blog-Beitrag von VorsRiOLG a.D. Heinrich Schürmann, der auch die über den Elternunterhalt hinausreichenden Folgen im Sozialrecht beleuchtet.

Angehörigen-Entlastungsgesetz passiert Bundesrat

Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien verabredet, von einem Rückgriff gegenüber Kindern von pflegebedürftigen Eltern bis zu einem Einkommen von 100.000 Euro abzusehen. Der erst im Sommer vorgelegte Gesetzesentwurf ist über dieses Ziel weit hinaus gegangen und erweitert den Regressausschluss auf alle Leistungen des SGB XII. Dass die Neuregelung zudem noch (ausgenommen sind nur die Hilfen zum Lebensunterhalt für minderjährige Kinder) alle Ansprüche auf Kindesunterhalt einschließt, ist besonders bemerkenswert. Die parlamentarische Beratung dauerte kaum mehr als zwei Monate. In dieser Zeit gab es in der Sache kaum einen Widerspruch. Dass das Anfang November mit großer Mehrheit angenommene Gesetz auch die Zustimmung des Bundesrates finden würde, war gleichwohl nicht sicher. Zwar hatte der Sozialausschuss die Zustimmung empfohlen, der Finanzausschuss sich hingegen für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses ausgesprochen. Dies ist aufgrund der absehbaren Mehrbelastungen für die Landes- und Kommunalhaushalte verständlich. Umso erleichterter können die von der Neuregelung unmittelbar Betroffenen sein, dass der Bundesrat auf ein Vermittlungsverfahren verzichtet und mit einer Entschließung nur eine nochmalige Prüfung der allzu optimistischen Folgenabschätzung eingefordert hat.

In der Öffentlichkeit werden die praktischen Konsequenzen des Gesetzes vor allem unter dem Aspekt des Unterhalts für pflegebedürftige Eltern wahrgenommen (lesen Sie dazu den Blog-Beitrag von Rechtsanwalt Jörn Hauß). Es beseitigt endlich einen Wertungswiderspruch zwischen den Leistungen der sozialen Grundsicherung und den im Pflegefall erbrachten Hilfen, der den Betroffenen kaum zu vermitteln und bereits Gegenstand eines Petitionsverfahrens war. Seine Folgen reichen jedoch sehr viel weiter, da es vor allem auch die Eltern behinderter Kinder von zusätzlichen Verpflichtungen entlasten will. Das Gesetz verlagert ganz bewusst die finanzielle Verantwortung für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung auf die staatliche Solidargemeinschaft. Obwohl sich am Wortlaut des § 2 SGB XII nichts ändert, gilt das Dogma vom Nachrang der Sozialhilfe künftig nicht mehr. Die angestrebte Entlastung von finanzieller Verantwortung erleichtert die Fortführung der in den Wechselfällen des Lebens aus persönlicher Verbundenheit praktizierten familiären Solidarität, ohne sie als rein finanzielle Leistung auch dann noch zu erzwingen, wenn vom Familienverband nicht mehr geblieben ist, als eine inhaltsleere Hülle.

Welche weiteren Folgen eine so umfassende Umgestaltung des traditionellen Hilferechts auslösen wird, lässt sich noch nicht übersehen. Die unmittelbaren Auswirkungen für die vom Elternunterhalt bereits jetzt betroffenen Kinder liegen aber schon jetzt auf der Hand:

Liegt der Gesamtbetrag der Einkünfte unter 100.000 Euro, gehen die nach dem SGB XII erbrachten Sozialleistungen vom 1. Januar 2020 an nicht mehr auf den Leistungsträger über, während es bis zu diesem Zeitpunkt bei der bisherigen Rechtslage verbleibt. Zu beachten ist zudem, dass es künftig allein auf die Einkommensverhältnisse des unterhaltspflichtigen Kindes ankommt. Eigenes Vermögen und Einkommen des Ehegatten haben auf den Anspruchsübergang keinen Einfluss. Besteht bereits ein Titel über den laufenden Unterhalt, sollte der Leistungsträger zu einem Verzicht auf die Rechte aus diesem Titel aufgefordert werden.

Auch für die rund 5 % der Bevölkerung, die ein über dem Grenzbetrag liegendes Einkommen erreichen, wird sich einiges ändern – die bisherigen Maßstäbe des Unterhaltsrechts sind Makulatur. Denn der Zweck des Gesetzes, Familien wirksam zu entlasten und den Familienfrieden zu wahren, darf nicht dadurch in sein Gegenteil verkehrt werden, dass bei einem nur geringfügig höheren Einkommen ein geringerer Betrag für die eigene Lebensführung verbleibt, als einem Pflichtigen mit geringerem Einkommen zugestanden wird. Das Gesetz legt einen Bruttobetrag zugrunde, aus dem sehr unterschiedliche Nettoeinkommen folgen können. Der angemessene Eigenbedarf für einen Alleinstehenden dürfte jedoch nicht unter 4.500 Euro sinken – allerdings ohne dessen Verwendung im Regelfall zu überprüfen. Dies erspart die vielfach als unwürdig und unangebracht empfundene Kontrolle und Bewertung der Lebensführung des Unterhaltspflichtigen. Überlegungen, ob der Aufwand für das Auto zu hoch ausfällt, die Kosten einer Implantatversorgung noch angemessen sind oder die Haltung eines Reitpferds bereits den Luxusaufwendungen zuzurechnen sei, sollten daher der Vergangenheit angehören.

Wie sich die Rechtsprechung zu den wenigen verbliebenen Fällen des Elternunterhalts verhalten wird, lässt sich unter diesen weitreichenden Veränderungen nicht vorhersagen. Sicher ist aber, dass solche Veränderungen nicht in der Düsseldorfer Tabelle für 2020 berücksichtigt werden konnten und die Gesetzesänderungen im Angehörigen-Entlastungsgesetz die dort genannten Beträge überholt hat.

Grenzen der elterlichen Antragsbefugnisse (OLG Koblenz v. 3.6.2019 – 7 UF 234/19)

Die elterliche Sorge umfasst auch die Vertretung des Kindes in einem gerichtlichen Verfahren. Während für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen § 1629 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 BGB klare Regelungen enthält, ergeben sich im Zusammenhang mit kindschaftsrechtlichen Fragestellungen, insbesondere bei Umgangsregelungen, in der Praxis häufig Abgrenzungsprobleme zur Aktivlegitimation eines Elternteils. Die Regel ist jedoch, dass Anträge durch den Obhutselternteil gestellt werden, ohne dass es zu einer vertieften Prüfung kommt, ob er hierzu rechtlich tatsächlich befugt ist.

Mit dieser Fragestellung hat sich das OLG Koblenz aber jetzt in einer aktuellen Entscheidung auseinandergesetzt. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die Eltern sich außergerichtlich auf eine Umgangsregelung des Vaters mit den beiden gemeinsamen Kindern geeinigt. Danach war er berechtigt, den Umgang an den ungeraden Wochenenden wahrzunehmen. In den Ferien waren die Kinder nur für kurze Zeiträume bei ihm. Später begehrte die Mutter eine Neuregelung sowohl für die Wochenenden als auch die Ferienzeiten. Zur Begründung führte sie an, dass sie – folgend aus der veränderten familiären Situation einer Arbeitskollegin – nun an den geraden Wochenenden arbeiten müsse und die Betreuung der Kinder durch den Vater auch in den Ferien benötige. Das Familiengericht hat den Antrag der Mutter zurückgewiesen mit der Begründung, dass sie kein eigenes Antragsrecht zur gerichtlichen Regelung des Umgangs habe.

Das OLG Koblenz hat die Ausgangsentscheidung aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen. Zur Begründung führt der Senat aus, dass die derzeit bestehende außergerichtliche Umgangsregelung mit Zwangsmitteln nicht durchsetzbar sei, so dass sich die Mutter nicht darauf verlassen könne, dass der Vater die Kinder zu den vereinbarten Zeiten auch tatsächlich zu sich nehme. Die Ablehnung einer gerichtlichen Umgangsregelung beeinträchtige sie daher in ihren Rechten. Die Antragsbefugnis der Mutter sei auch nicht zu verneinen, da sie mit ihrem Antrag allein den Umfang und die Ausgestaltung des Umgangsrechts nach § 1684 Abs. 3 BGB erstrebe, d.h. den Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Kinder, des Umgangsberechtigten und des Aufenthaltselternteils. Zudem sei die bisherige Umgangsregelung zumindest bezüglich der Ferien unvollständig. Dem Wunsch der Mutter auf Tausch der Umgangswochenenden könne nicht die Berechtigung abgesprochen werden, da sich mit Blick auf ihre Berufstätigkeit andernfalls Betreuungslücken ergäben.

Erstmals mit dem zum 1.7.1998 in Kraft getretenen KindRG und der Neuregelung des Umgangsrecht, wurde in § 1684 Abs. 1 BGB ein eigenes subjektives Recht des Kindes auf Umgang eingeführt, korrespondierend mit der Umgangspflicht der Eltern. Die bis dahin bereits in § 1634 Abs. 2 BGB a.F. statuierte Regelungsbefugnis des Familiengerichts zum konkreten Umfang der Umgangsbefugnis und der Ausübung des Umgangs wurde in § 1684 Abs. 3 BGB übernommen. § 1684 Abs. 1 BGB konkretisierte damit den verfassungsunmittelbaren Anspruch des Kindes auf Umgang mit seinen Eltern, d.h. es wurde ein höchstpersönliches Recht des Kindes statuiert, so dass sich gleichermaßen auch die Frage ergab, ob ein Elternteil befugt ist, dieses höchstpersönliche Recht des Kindes im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Diese Frage hat der BGH in einer Entscheidung vom 14.05.2008 verneint und für den Fall einer bestehenden Interessenkollision die Notwendigkeit der Bestellung eines „Verfahrenspflegers“, d.h. eines Ergänzungspflegers gesehen (BGH v. 14.5.2008 – XII ZB 225/06, FamRB 2008, 237). Dieser Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass der betreuende Elternteil das originäre höchstpersönliche Recht des Kindes auf Umgang im eigenen Namen, d.h. in gewillkürter Verfahrensstandschaft, geltend machen wollte.

Davon zu trennen sind jedoch jene Fallkonstellationen, in denen es gerade nicht um das Umgangsrecht des Kindes selbst nach § 1684 Abs. 1 BGB geht, sondern vielmehr um die konkrete Ausgestaltung eines dem Grunde nach unstreitigen Umgangs, insbesondere etwa, wenn eine außergerichtliche Regelung existiert und es lediglich um deren mögliche Modifikation geht, weil sich Veränderungen in der persönlichen Sphäre der unmittelbar Beteiligten, d.h. der Eltern oder des Kindes, ergeben haben und zwischen den Beteiligten hierzu keine einvernehmliche Regelung gefunden werden kann. Eine dann erforderliche gerichtliche Regelung beurteilt sich nach § 1684 Abs. 3 BGB. Für den antragstellenden Elternteil geht es in dieser Situation nicht darum, ein höchstpersönliches Recht des Kindes im eigenen Namen geltend zu machen, so dass ihm auch nicht die Aktivlegitimation für einen solchen Antrag zu versagen ist. Denn die in § 1684 Abs. 1 BGB als höchstpersönliches Recht des Kindes statuierte Umgangspflicht steht einer eigenen subjektiven Rechtsposition des Obhutselternteils nicht entgegen, wenn es nicht um die grundsätzliche Verpflichtung des anderen Elternteils zum Umgang geht, sondern um die tatsächliche Ausgestaltung des Umgangsrechts.

Kindererziehungszeiten für Bundesbeamte (Änderung des § 50a BeamtVG)

Etwas verspätet reagiert der Bund mit einer Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes auf die sozialpolitisch motivierte versorgungsrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder (Art. 9 des Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetzes – BesStMG). Der Kindererziehungszuschlag galt bislang nur für nach 1991 geborene Kinder und wurde nur dann gewährt, wenn der Beamte aus der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Kinder keinen Kindererziehungszuschlag erhalten konnte.

Nunmehr sollen Beamten auch Kindererziehungszeiten für vor 1991 geborene Kinder gewährt und zwar im gleichen Umfang, wie auch in der gesetzlichen Rentenversicherung, auf deren Regelung in § 70 SGB VI verwiesen wird. 30 Monate „Dienstzeit“ wird als Kindererziehungszeit für jedes vor 1992 geborene Kind gewährt, für jeden Monat 0,0833 Entgeltpunkte, also maximal 2,5 EP und damit derzeit 75,08 € pro Kind (2,5 x 33,03).

Wer meint, nun im Versorgungsausgleich massenhaft Abänderungsverfahren einleiten zu können, sollte die Lage nüchtern prüfen.

  • Beamte, die einen Rentenanspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben, haben auch bisher schon in der gesetzlichen Rentenversicherung Kindererziehungszuschläge erhalten. Eine doppelte Zuteilung von Kindererziehungszeiten ist aber ausgeschlossen (§ 50a Abs. 1 BeamtVG).
  • Der Höchstruhegehaltssatz von 71,75% des ruhegehaltsfähigen Einkommens kann auch durch Kindererziehungszeiten nicht überschritten werden (§ 50a Abs. 6 BeamtVG).

Ein Abänderungspotential besteht daher sicher nur in wenigen Fällen. Zwar bedeutet ein Zuschlag von 30 Monaten Dienstzeit bei einem Versorgungserwerb von 0,1495 % pro Monat einen nicht unerheblichen Versorgungszuschlag, bei einem vor 1992 geborenen Kind reicht das aber fast nie aus, um das Abänderungspotential von 5 % des Ausgleichswerts (§ 226 Abs. 3 FamFG) zu erreichen. Beamtenpensionen sind meist höher als Renten. Deshalb braucht es fast immer zwei Kinder um die Abänderungsschwelle zu überschreiten.