Kein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch für Arme?

In einem kürzlich beendeten Verfahren hatte das OLG Köln über einen sog. familienrechtlichen Ausgleichsanspruch zu entscheiden (OLG Köln v. 11.2.2021 – 14 UF 88/20). Dieser Anspruch spielt in der Praxis insbesondere dann eine Rolle, wenn der betreuende Elternteil während der Minderjährigkeit seines Kindes im eigenen Namen für das Kind Unterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil geltend gemacht hat und das Kind im Lauf des Verfahrens volljährig wird. In diesem Fall wird das Unterhaltsverfahren grundsätzlich auch rückwirkend unzulässig, da der betreuende Elternteil aufgrund der Volljährigkeit des Kindes dessen Ansprüche nicht mehr im eigenen Namen geltend machen kann. Das Kind muss in diesen Fällen also grundsätzlich seine Unterhaltsansprüche auch bezüglich der Vergangenheit selbst im eigenen Namen geltend machen. Dies ist aber häufig nicht gewollt. Die Rechtsprechung behilft sich in diesen Fällen grundsätzlich damit, dass hier im Rahmen einer tatsächlichen Vermutung angenommen wird, dass der betreuende Elternteil den Kindesunterhalt vorgestreckt hat (irgendwer muss ja den Lebensunterhalt des Kindes tatsächlich bezahlen). In diesen Fällen soll dem vorstreckenden Elternteil selbst ein Ausgleichsanspruch gegen den eigentlich barunterhaltsverpflichteten Elternteil zustehen, den er im Rahmen des bereits anhängigen Kindesunterhaltsverfahrens sodann geltend machen kann.

Im dem vom OLG nun entschiedenen Fall lag genau dieser Sachverhalt vor. Das dem Ganzen zugrundeliegende Kindesunterhaltsverfahren war bereits im Jahr 2017 eingeleitet worden, als das Kind noch 15 Jahre alt war. Nach knapp drei Jahren Verfahrensdauer wurde die Mutter im Jahr 2020 endlich zur Zahlung des Mindestunterhalts für das Kind verpflichtet. Da aber das Kind genau zwei Tage (!) vor der Verkündung der Entscheidung „unbemerkt“ 18 geworden war, legte die Kindesmutter gegen die Entscheidung Beschwerde ein, mit der (insoweit berechtigten) Begründung, der gesamte Antrag sei zwei Tage vor Verkündung der Entscheidung unzulässig geworden. Der Vater stellte daraufhin die Begründung seines Anspruchs dahin gehend um, dass er ihn nunmehr auf den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch stützte. Der Sohn hatte ihm seinen Unterhaltsanspruch zudem sicherheitshalber abgetreten. Das OLG wies den Antrag ab.

Zunächst wies das OLG noch richtigerweise darauf hin, dass Unterhaltsansprüche gemäß § 400 BGB nicht abtretbar sind. Das Bedenkliche an dieser Entscheidung ist jedoch, dass das OLG auch den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch für nicht begründet hielt – und zwar aus dem einzigen Grund, weil der Vater bereits bei Einleitung des Verfahrens in „prekären finanziellen Verhältnissen“ gelebt hatte. Diese Annahme stützte das OLG in erster Linie auf die Unterlagen zur Verfahrenskostenhilfe, die der Vater eingereicht habe. Das OLG war der Auffassung, unter diesen finanziellen Umständen könne eine Vermutung, dass der Vater tatsächlich Leistungen im Wert des Mindestunterhalts an sein Kind erbracht hatte, nicht gelten.

Diese Entscheidung hat nun zur Folge, dass der ohnehin bereits unter dem Existenzminimum lebende Vater nun sogar noch auf den unzweifelhaft ursprünglich bestehenden Kindesunterhaltsanspruch verzichten muss und darüber hinaus die Verfahrenskosten jedenfalls insoweit zu tragen hat, als es den Verfahrensbevollmächtigten der Mutter betrifft. Ob dies wirklich ein sinnvolles Ergebnis ist, darf bezweifelt werden.

Für die Praxis hat diese Entscheidung zumindest für den OLG-Bezirk Köln die Konsequenz, dass in derartigen Fällen kein Rechtsanwalt auf Verfahrenskostenhilfebasis noch vernünftigerweise einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend machen kann. Die ohnehin bereits bestehende Hilflosigkeit der sozial Schwächeren im Hinblick auf eine angemessene rechtliche Vertretung ihrer Interessen wird damit zementiert.

Ist der VKH-Prüfungstermin tot?

Mit zwei aktuellen Entscheidungen scheint sich die Rechtsprechung vom VKH-Prüfungstermin gem. § 118 Abs. 1 Satz 2 ZPO komplett verabschieden zu wollen:

Zum einen der BGH (Beschl. v. 12.7.2016 – VIII ZB 25/15, MDR 2016, 1108): Er weist richtigerweise darauf hin, dass ein Fall der entschuldigten Säumnis nur dann vorliegen kann, wenn die Säumnis ursächlich auf die Mittellosigkeit des betroffenen Beteiligten zurückzuführen ist. Im entschiedenen Fall hatte sich ein Kollege jedoch dazu hinreißen lassen, trotz fehlender Entscheidung über seinen VKH-Antrag (der sich in der Beschwerde beim OLG befand) die Sach- und Rechtslage zu erörtern. Wenngleich er am Ende der Sitzung keinen Antrag gestellt habe und somit säumig gewesen sei, habe er aber durch seine Beteiligung an der Erörterung bereits eine Terminsgebühr nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 3 VV-RVG, Nr. 3104 VV-RVG ausgelöst. Damit sei er ohne Rücksicht auf die Mittellosigkeit seines Mandanten tätig geworden, die damit nicht mehr ursächlich für die Säumnis gewesen sei, sodass auf den sprechenden Antrag der Gegenseite ein Versäumnisurteil hätte ergehen müssen. Danach darf im VKH-Erörterungstermin über alles geredet werden, nur nicht über die Sach- und Rechtslage und daher auch nicht über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung.

Zum anderen das OLG Koblenz (Beschl. v. 16.3.2016 – 11 UF 731/15, FamRZ 2016, 1386): Wegen einer noch ausstehenden Entscheidung über einen bereits eingereichten VKH-Antrag hatte die Anwältin des Betroffenen dem Gericht angekündigt, zum nächsten Termin nicht zu erscheinen. Nach wenngleich nicht unumstrittener Ansicht des OLG Koblenz hätte in diesem Fall keine Versäumnisentscheidung ergehen dürfen, vielmehr hätte der Termin nach § 337 ZPO vertagt werden müssen, weil die Säumnis durch die Mittellosigkeit des Antragstellers bedingt und somit entschuldigt war.

Welcher Anwalt mag jetzt überhaupt noch zum VKH-Prüfungstermin erscheinen? Weder kann sein Erscheinen erzwungen noch ein Ordnungsgeld für sein Nichterscheinen verhängt werden. Und in der Sache selbst kann – wie man sieht – auch nichts passieren!