BGH zum Rechnungszins im Versorgungsausgleich, BGH v. 9.3.2016 XII ZB 540/14

Schickt die um die Versorgungen geprellten Mandantinnen und Mandanten, die Opfer der externen Teilung betrieblicher Anrechte, zu ihren Bundestagsabgeordneten! Die Justiz ist der falsche Adressat. Das ist die Konsequenz der soeben veröffentlichten Entscheidung des BGH zur Wahl des richtigen Rechnungszinses bei der Bewertung betrieblicher Anrechte im Fall externer Teilung ehezeitlich erworbener Anrechte.

Der BGH billigt die Anwendung des sogenannten BilMoG-Rechnungszinses nach § 253 HGB. Die Hoffnung, die Rechtsprechung werde den Opfern der gesetzlich zugelassenen externen Teilung hochwertiger betrieblicher Anrechte helfen ist mit dieser Entscheidung des BGH dahin. Dahin ist aber auch die Ungewissheit und das Abwarten. Die Rechtsprechung ist vielleicht auch nicht zuständig für Fehler des Gesetzgebers.  Schwamb (OLG Frankfurt) schreibt in einem ersten Kommentar:

Es wird jetzt wirklich Zeit, dass der Gesetzgeber die Reparaturarbeiten aufnimmt (sei es bei § 17 oder auch § 29 VersAusglG). Vielleicht beschleunigen diese BGH-Entscheidungen die Entwicklung eines insoweit bislang fehlenden politischen Willens. „Hoffentlich nicht“, werden die einen antworten, „träum weiter“ die anderen.

Wir Anwälte können die Entwicklung beschleunigen, indem wir nun unsere Mandanten an die Politik verweisen. Sie sollten ihre Abgeordneten aufsuchen und dem Ministerium ihr Leid klagen. Die Justiz ist kein Reparaturgesetzgeber. Vielleicht ist das auch gut so.

Versorgungsausgleich BGH entscheidet zum Kapitalverzehr bei laufender Rente, BGH v. 17.2.2016 XII ZB 447/13

Der BGH hat – endlich – die Frage der Auswirkung laufender Rentenleistung auf den im Versorgungsausgleich zu teilenden Kapitalwert entschieden. Die Lektüre der 29 Seiten lohnt und ersetzt ein Grundlagenseminar über die Finanzierung betrieblicher und privater Altersversorgungen. Wer es kürzer mag:

Der durch laufende Rentenzahlung zwischen Ehezeitende und Rechtskraft einsetzende Kapitalwertverlust einer betrieblichen oder privaten Rentenzusage geht zu Lasten der ausgleichsberechtigten Person. Die dadurch – bezogen auf das Ehezeitende – eintretende Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes kann durch § 27 VersAusglG oder den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich korrigiert werden.

 Die praktischen Konsequenzen der Entscheidung sind groß.

  1. Die anwaltliche Vertretung der ausgleichsberechtigten Person sollte alles daransetzen das Versorgungsausgleichsverfahren so schnell wie möglich durchzuführen, um die Verluste des Kapitalwerts so gering wie möglich zu halten. Bezieht die ausgleichsberechtigte Person Trennungsunterhalt ist eine Günstigkeitsprüfung zwischen Versorgungsverlust und Unterhaltsbezug vorzunehmen.
  2. Der anwaltliche Vertreter des Rentenbeziehers sollte bei länger laufenden Versorgungsausgleichsverfahren darauf dringen, zeitnah zum Entscheidungszeitpunkt eine neue Auskunft des Versorgungsträgers einzuholen um zu verhindern, dass die Nichtbeachtung der durch den Rentenbezug eintretenden Minderung des Kapitalwerts eine überproportionale Kürzung der laufenden Versorgung eintritt. Wird kein Trennungsunterhalt geschuldet, kann es ökonomisch sinnvoll sein, das Verfahren zu verzögern um der ausgleichsberechtigten Person so lang wie möglich die ungekürzte Versorgung zu erhalten.
  3. Versorgungsträger werden aus eigenem Interesse in Rentenbezugsfällen das Gericht darauf hinweisen, vor der Entscheidung eine neue Auskunft einzuholen und den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entscheidung anzugeben. Da das Gericht diese neue Auskunft den Beteiligten zuzuleiten hat, entsteht neues Verzögerungspotential.
  4.  Verzögerungspotential entsteht auch aus der nun vermehrt vorzunehmenden Prüfung von § 27 VersAusglG und der Möglichkeiten des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs als Kompensation des halbteilungswidrigen Kapitalverzehrs zu Lasten der ausgleichsberechtigten Person. Der BGH weist zu Recht darauf hin, dass die Vereinbarung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs zum Wegfall der Hinterbliebenenversorgung (§25 Abs. 2 VersAusglG) führen kann. Vor leichtfertiger Flucht in den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich sei daher gewarnt. Außerdem kann man eine ausgleichspflichtige Person nicht zum Vergleich zwingen. Bei der Kompensation der durch den Rentenbezug eintretenden Halbteilungsverluste sollte zu große Ängstlichkeit vermieden werden. In fast allen Rentenbezugsfällen ist auch die ausgleichsberechtigte Person in Rentennähe. Da mit Ausnahme der privaten Renten alle anderen mehr oder minder dynamisch sind, kann die Kompensation auf Rentenvergleichsebene bessere Gerechtigkeit bringen, als auf Kapitalwertebene.
  5. Und eine Bitte an alle Praktiker: Keine Panik. Bei zweijährigem Rentenbezug zerbröselt nicht der Kapitalwert. Dieser ist ausgelegt auf 17 (Männer) bis 22 (Frauen) jährigen Versorgungsbezug. Es bricht also im Normalfall keine Welt zusammen, wenn ein Verfahren zwei Jahre dauert. Liegt aber in Abänderungsfällen zwischen Ehezeitende und der Abänderungsentscheidung ein vieljähriger Versorgungsbezug und besteht ein großer Altersunterschied der Beteiligten, muss korrigierend eingegriffen werden. Zu hoffen ist, dass dies über § 27 VersAusglG immer möglich ist. Eine Tabelle mit den Barwertfaktoren für eine ‚Altersrente im Bezug‘  finden Sie hier: Rentenbarwerte für laufende Renten. Das Ganze kann man auch gut als Grafik verstehen: Rentenbarwerte für Blog.
  6. Übrigens: die Entscheidung zum Rechnungszins wird auch in den nächsten Tagen veröffentlicht. Die Entscheidung muss nur noch zugestellt werden.

Neu: Rechnungszinsänderung im Versorgungsausgleich

Für die Bewertung betrieblicher Altersversorgungen im Versorgungsausgleich ist der Rechnungszins von maßgebendem Einfluss. Seit langem wird dieser als deutlich zu hoch angesehen, weil seine Anwendung bei der Kapitalisierung von Betriebsrenten zu einer massiven Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes bei der externen Teilung führt. Die Versorgungsausgleichskasse rechnet mit einem Zinssatz von 1,25%, die Betriebe derzeit mit 3,83%. Eine betriebliche Anwartschaft mit einem Ehezeitanteil von 500 € monatlicher Rente für einen 45 Jahre alten Mann hätte unter Anwendung des ‚BilMoG-Zinses‘ (§ 253 HGB) einen Kapitalwert von ca. 43.600 € (ReZins 3,83%, HR + IR, Rententrend 1%, Altersgrenze 67). Dieser Kapitalbetrag begründet in der Versorgungsausgleichskasse eine reine (statische) Altersrente von maximal 260 €.

Das soll nun noch schlimmer werden. Die Rentenberaterin Dagmar Nienhaus (Heiligenhaus) weist darauf hin, dass im ‚Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie‘ die Berechnungsmethode des BilMoG-Zinses verändert wurde. Ab 2016 müssen Pensionsrückstellungen mit dem neuen Rechnungszins bilanziert werden, für das Jahr 2015 besteht Wahlfreiheit.

Die Konsequenzen für den Versorgungsausgleich sind schlimm. Im obigen Beispiel vermindert sich durch Anwendung des neuen Zinssatzes von 4,27% der Kapitalwert auf 38.435 € und damit der Rentenertrag in der Versorgungsausgleichskasse auf maximal 230 €. Ab mit dem Betrag in die gesetzliche Rentenversicherung (DRV)! Dort bekäme man mit 67 Jahren wenigstens 256 € bei einer Dynamik von realistischen 2% und zusätzlich eine Invaliditäts- und Hinterbliebenenabsicherung, die die VA-Kasse nicht gewährt.

Es bleibt zu hoffen, dass sich der BGH der ausgleichsberechtigten Personen erbarmt. Er hat über die Bewertungszinssätze zu entscheiden (XII ZB 615/13; XII ZB 415/14; XII ZB 447/14; XII ZB 468/14) und angekündigt, dies auch in Bälde zu tun. Die BilMoG-Zins-Anhänger argumentieren damit, dieser sei das Ergebnis einer über nunmehr 10 Jahre (statt bisher 7) laufenden Markbeobachtung. Er sinke deswegen langsamer als der reale Rechnungszins, steige aber auch wieder langsamer, wenn die Marktzinsen sich erholten. Der ausgleichsberechtigten Person, die heute geschieden wird, nutzt das nichts. Der BGH wird sich entscheiden müssen, ob er im VA Einzelfallgerechtigkeit oder Durchschnittsgerechtigkeit über einen 30-Jahres-Zeitraum präferiert.

Den heute Geschiedenen muss die obwaltende Halbteilungspraxis, wonach 500 gleich 260 ist, wie das Hexeneinmaleins aus Goethes Faust vorkommen:

Du musst verstehn!
Aus eins mach Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex,
Mach Sieben und Acht,
So ist´s vollbracht;
Und neun ist Eins,
Und Zehn ist keins,
Das ist das Hexen-Einmaleins!

Jörn Hauß

Startgutschrift in der ZVK

Beim IV. Senat (IV ZR 9/15 und IV ZR 168/15) geht es am 9.3.2016 um die leidige Startgutschrift in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Dieses Thema ist seit 2002 so umstritten, wie kaum ein anderes. Die ‚rentenfernen Jahrgänge‘ (Geburtsjahr ab 1947) erhielten bei der Umstellung des Versorgungssystems eine Startgutschrift. Der Streit um deren richtige Berechnung blockierte zwischen 2007 und 2013 bereits schon einmal zig-tausende Versorgungsausgleiche. Es ist zu befürchten, dass Ähnliches wieder bevorsteht. Beim Ausgleich werthaltiger Ansprüche aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes, in denen die Startgutschrift eine Rolle spielt, sollte man vielleicht erst einmal die jetzige Entscheidung abwarten.

P.S. Mittlerweile liegt eine Pressemitteilung des BGH vor.