Nur Meinungsverschiedenheit oder dauerhafte Kooperationsunfähigkeit? (OLG Koblenz v. 14.11.2018 – 13 UF 413/18)

Die Frage an den Mandanten nach dem Grund der Rücksprache wird in Kindschaftssachen in der Regel mit dem Satz beantwortet, dass ein Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge gewünscht werde. In der sich anschließenden Beratung müssen nicht nur die – häufig fehlenden – Voraussetzungen der doppelten Kindeswohlprüfung näher erläutert, sondern es muss üblicherweise überhaupt erst geklärt werden, worauf sich das Begehren des Mandanten richtet, d.h. ob es letztlich tatsächlich einer Sorgerechtsregelung bedarf oder nur eine zwischen den Eltern zu einem einzelnen Aspekt bestehende Meinungsverschiedenheit die gerichtliche Kompetenzübertragung zu dieser Frage erfordert. Die Abgrenzung ist nicht immer zweifelsfrei möglich, wie auch eine Entscheidung des OLG Koblenz aus dem Jahr 2018 zeigt.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die geschiedenen Eltern über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren neunjährigen Sohn, der im Haushalt der Mutter lebte. Vor dem Hintergrund eines geplanten Umzugs der Mutter zu ihrem rund 200 km entfernt wohnenden neuen Partner stellten die Eltern gegenläufige Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Das Ausgangsgericht gab dem Antrag des Vaters statt. Auf die seitens der Mutter eingelegte Beschwerde hat der Senat die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zeit ab Juli 2019 übertragen.

In seiner Begründung hat der Senat ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der wechselseitigen Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht nur über den Umzug des Kindes zu befinden, sondern es einer Entscheidung über den dauerhaften gewöhnlichen Aufenthalt bedurfte, so dass sich die zu treffende gerichtliche Entscheidung an den Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 BGB und nicht an jenen des § 1628 BGB zu orientieren hatte.

Im Rahmen der sodann durchgeführten Kindeswohlprüfung hat der Senat auf Seiten des Kindes zu beiden Eltern bestehende gleichwertige Bindungen und Neigungen festgestellt, dem Kindeswillen aber keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, nachdem sich in der Anhörung ergeben hatte, dass das Kind die Konsequenzen des Umzugs noch nicht abschätzen konnte. Allerdings wurde die Mutter als Hauptbezugsperson ermittelt, so dass dem Kontinuitätsgrundsatz maßgebliche Bedeutung beizumessen war. Bei dem zu übertragenden Aufenthaltsbestimmungsrecht hat der Senat allerdings eine Einschränkung dahin vorgenommen, dass der Mutter diese Rechtsmacht erst ab Beginn der Sommerferien 2019 eingeräumt wurde. Begründet hat der Senat diese zeitliche Einschränkung damit, dass sich das Kind zum Zeitpunkt der Entscheidung in der vierten Grundschulklasse befand, d.h. einer Klassenstufe, die für die Wahl der weiteren Schullaufbahn besondere Bedeutung besitzt. Im Fall einer Notenverschlechterung folgend aus dem Schulwechsel während oder vor der vierten Klasse hätte dies langfristige Konsequenzen für die schulische Laufbahn des Kindes bedeutet. Da jedoch nach Ende der Grundschulzeit ohnehin ein Umbruch bevorstand, hatte nach Einschätzung des Senats bis zum Ende der Grundschulzeit das Recht der Mutter, mit ihrem neuen Freund zusammenziehen zu können, zurückzutreten, d.h. ihr war das Aufenthaltsbestimmungsrecht erst ab dieser Zeit zu übertragen.

Können Eltern zu einer einzelnen Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung aber für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, kein Einvernehmen erzielen, so kann das Familiengericht nach § 1628 BGB die Entscheidungskompetenz zu der jeweiligen Streitfrage einem Elternteil übertragen. Ebenso wie im Fall des § 1671 Abs. 1 BGB darf es sich bei der begehrten Entscheidungskompetenz nicht nur um eine Angelegenheit des alltäglichen Lebens handeln, für die ohnehin dem Obhutselternteil die Verantwortlichkeit obliegt. Es muss sich vielmehr um eine zu treffende Entscheidung handeln, die letztlich mit gravierenden Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes einhergeht.

Während § 1628 BGB auf die Regelungskompetenz zu einer einzelnen und konkretisierbaren Situation zielt, umfasst die nach § 1671 Abs. 1 BGB zu treffende Sorgerechtsregelung – auch wenn nur ein Teilbereich der elterlichen Sorge zur Entscheidung steht – eine abschließende Regelung zu dem jeweiligen Bereich der elterlichen Sorge, die dem jeweiligen Elternteil dann in der Regel die Entscheidungskompetenz bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes einräumt.

 

Keine „Durchhalteprämie“ für Verbleiben bei der Partnerin (BGH v. 18.6.2019 – X ZR 107/16)

Wenden Eltern ihrem Kind sowie dessen nichtehelichen Partner einen größeren Geldbetrag zum Erwerb einer Immobilie zu, gehen sie in der Regel davon aus, dass diese Schenkung nicht nur einem kurzfristigen Zusammenleben des Paares dienen werde. Deshalb fällt die Geschäftsgrundlage für die Zuwendung weg, wenn sich die beiden Partner bereits ca. zwei Jahre nach der Schenkung trennen. Das OLG Brandenburg als Vorinstanz hatte noch einen Abzug von ca. 5 % pro Jahr des Zusammenlebens gemacht. Der BGH zieht eine derartige „Verbleibensprämie“ nicht von dem zu erstattenden Betrag ab. Der Rückerstattungsbetrag vermindert sich nicht deshalb, weil der Partner des Kindes der Schenker einen bestimmten Zeitraum in der Partnerschaft verblieben ist.

Grundsätzlich sollten Eltern größere Geldbeträge nur ihrem eigenen Kind zuwenden, und zwar unabhängig davon, ob dieses verheiratet ist oder nicht, nicht jedoch dem echten oder unechten Schwiegerkind. Überschreitet der dem Partner des Kindes zugewandte Betrag 40.000 Euro, fällt zudem Schenkungsteuer an. Insofern kann in diesem Fall eine Trennung zumindest steuersparend wirken (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

Hitzefrei für Eltern?

Liebe Leserinnen und Leser unseres FamRB-Blogs,

ich bin für Sie auf den anderen Zeitschriften-Homepages unseres Verlags stöbern gegangen und beim Arbeits-Rechtsberater fündig geworden:

Hitzefrei für Eltern? Was, wenn noch betreuungsbedürftige Kinder in Schule oder Kindergarten hitzefrei bekommen? Dürfen dann auch die Eltern zu Hause bleiben – und das ohne Gehaltseinbußen? Eine Frage, die Ihnen sicher in diesen heißen Tagen bei dem einen oder anderen Mandantengespräch oder auch privat gestellt wird. Lesen Sie hier die Antwort von Rechtsanwalt Dr. Detlef Grimm, Fachanwalt für Arbeitsrecht, in seinem ArbRB-Blogbeitrag v. 2.7.2019.

Einen schönen Sommer wünscht

Ihre FamRB-Redaktion

Keine Diskussion mehr um den Kinderreisepass? (BGH v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18, FamRB 2019, 259)

Wird einem Personensorgeberechtigten widerrechtlich ein Kind vorenthalten, so kann er – gestützt auf § 1632 BGB – die Herausgabe des Kindes gerichtlich geltend machen und ggf. auch nach §§ 88 ff. FamFG vollstrecken. Keine Regelung trifft das Gesetz allerdings zu der Frage, wie es sich mit Gegenständen verhält, die dem persönlichen Gebrauch des Kindes dienen. Hiervon werden nicht nur die persönlichen Dokumente des Kindes erfasst, sondern auch ganz profane Dinge, wie etwa die Bekleidung des Kindes. Bekannt sind jedem Familienrechtler die häufigen Diskussionen darüber, ob und ggf. in welchem Zustand einem Kind anlässlich der Ausübung eines Umgangskontakts Kleidung mitzugeben, aber auch nach Besuchsende zurückzugeben ist.

Bis zum 30.8.2009 galt in diesem Kontext § 50d FGG. Ordnete das Gericht die Herausgabe eines Kindes an, so konnte zugleich durch eine einstweilige Anordnung das Gericht auch die Herausgabe der zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Sachen anordnen. Diese Regelung ist im Zuge des Inkrafttretens des FamFG zum 1.9.2009 ersatzlos entfallen, wobei der Gesetzgeber es verabsäumte, in der Folgezeit eine vergleichbare Regelung zu schaffen. In Rechtsprechung und Literatur wurden daher in der Folgezeit unterschiedliche Meinungen entwickelt, wie dieser Regelungslücke begegnet werden könne. Der BGH hat nunmehr in einer aktuellen Entscheidung (BGH v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18, FamRB 2019, 259) Klarheit zu der maßgeblichen Anspruchsgrundlage eines solchen Herausgabebegehrens geschaffen.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten sich die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern durch Vereinbarung darauf verständigt, dass ihr 2016 geborenes Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter haben sollte. Diese stammte aus Kamerun und hatte in Deutschland Asyl beantragt. Der Reisepass des Kindes befand sich im Besitz des Vaters und wurde von der Mutter zur Herausgabe begehrt. Das erstinstanzliche Gericht folgte ihrem Antrag. Auf die Beschwerde des Vaters wurde die Entscheidung in der zweiten Instanz abgeändert, d.h. der Herausgabeantrag abgelehnt. Auf die Rechtsbeschwerde der Mutter hat der BGH nun diese Entscheidung aufgehoben.

Der BGH ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Herausgabe in analoger Anwendung der § 1632 Abs. 1, § 1684 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden könne, da eine planwidrige Regelungslücke vorliege. Die Erwägung, den Herausgabeanspruch als materiell-rechtliche Vorschrift auszugestalten, habe der Gesetzgeber anlässlich der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge im Jahr 1974 nicht weiter verfolgt, sondern sich mit der Regelung des § 50d FGG abgefunden. Dass diese „Rechtsgrundlage“ dann mit Inkrafttreten des FamFG und der ersatzlosen Streichung des § 50d FGG entfallen sei, habe der Gesetzgeber übersehen. Allerdings müsse sowohl der personensorge- als auch umgangsberechtigte Elternteil in die Lage versetz werden, die gemeinsame Zeit mit dem Kind ungestört und kindeswohldienlich verbringen zu können. Hierzu gehöre, dass ihm die persönlichen Gegenstände des Kindes herausgegeben würden, die das Kind voraussichtlich während seines Aufenthalts bei ihm benötige. Hiermit korrespondiere auch die Wohlverhaltenspflicht nach § 1684 Abs. 2 BGB. Von dieser Regelung umfasst werde auch alles andere, was geeignet sei, das Zusammensein mit dem Kind zu erschweren. Allerdings könne das nur soweit gelten, als der jeweils berechtigte Elternteil für die Ausübung der Personensorge oder des Umgangsrechts auch tatsächlich auf bestimmte Urkunden oder Sachen angewiesen sei. Dies könne etwa daraus folgen, dass das Kind, bei gemeinsamer Sorge, seinen Lebensmittelpunkt bei einem Elternteil habe. Dieser Obhutselternteil benötige dann alle für das Kind wichtigen Dokumente. Einem Herausgabeanspruch könne letztlich aber die berechtigte Besorgnis entgegenstehen, dass der die Herausgabe geltend machende Elternteil unter Verwendung etwa des Reisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreite, wovon auszugehen sei, wenn eine Entführung ins Ausland drohe.

Der BGH hat durch die Entscheidung vom 27.3.2019 eine langjährige Diskussion zur möglichen Anspruchsgrundlage im Zusammenhang mit Herausgabeansprüchen beendet und mit seinem Beschluss der Praxis Rechtssicherheit eröffnet. Besonderes Augenmerk wird in der Praxis aber darauf zu richten sein, dass ein Herausgabeanspruch nicht uneingeschränkt geltend gemacht werden kann. Hier weist der BGH sehr deutlich darauf hin, dass ein solcher Anspruch immer auch an die Frage gekoppelt ist, ob ein Elternteil insbesondere persönliche Dokumente des Kindes überhaupt benötigt, um sein Elternrecht ausüben zu können. Gerade der Reisepass des Kindes wird daher wohl kaum zu überlassen sein, wenn ein Wochenendkontakt im Inland in Rede steht.

 

Das – weitgehende – Ende des Elternunterhalts

Manche Versprechen aus dem Koalitionsvertrag lösen die Koalitionsparteien und die Regierung ein: Mit Datum vom 12.6.2019 veröffentlicht das Arbeitsministerium (BMAS) den „Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe“. Hinter dem – im Übrigen erstaunlich verständlichen – Titel verbirgt sich das „Ende des Elternunterhalts“ in seiner bisherigen Form.

Ab 1.1.2020 sollen Kinder nur noch zum Elternunterhalt herangezogen werden können, wenn ihr jährliches Gesamteinkommen 100.000 € brutto übersteigt. Damit wird der Elternunterhalt zum „Wohlhabendenprivileg“ und Millionen Angehörige können aufatmen. Da das Gesetz – wie auch bisher bereits bei der Grundsicherung – die gesetzliche Vermutung enthält, dass Einkünfte der Kinder die Einkommensgrenze nicht übersteigen, muss niemand mehr Auskunft über Einkommen und Vermögen erteilen, ohne dass „hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze“ vorliegen. Zwar können die Sozialhilfeträger vom bedürftigen Elternteil Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse des Kindes erlauben, aber wessen demente Eltern wissen schon um die Einkommensverhältnisse ihrer Kinder. Adresse und Beruf geben nie hinreichende Anhaltspunkte, es sei denn es handelt sich um öffentlich bekannte Gutverdiener, allgemein bekannte hochdotierte Berufe oder der Internetauftritt der unterhaltspflichtigen Person enthält die Pose mit der Protzkarre.

Mehr noch als die wirtschaftliche Entlastung wird diese Gesetzesänderung psychologisch wirken. Es kann mit dem Sozialstaat versöhnen, wenn die Bürger merken, dass dieser gesellschaftliche Risiken, wie Pflegebedürftigkeit im Alter, übernimmt. Mit der Krankenversicherung und der Grundsicherung im Alter ist das gesellschaftlicher Alltag. Nun zieht das Ministerium – und hoffentlich auch Regierung und Parlament – bei der Pflege nach und löst das Sozialstaatsversprechen ein, die Bürger vor unverantworteten Risiken zu schützen und diese solidarisch auf die Gesellschaft zu verteilen. Das ist gut so.

Gut ist auch, dass der Gesetzentwurf nunmehr sämtliche Leistungen des SGB XII der Rückgriffssperre der 100.000-Euro-Grenze unterwirft und diese in § 94 Abs. 1a SGB XII verankert. Damit ist nun auch die „Hilfe zum Lebensunterhalt für Volljährige“ und die „Blindenhilfe“, die „Hilfe zur Gesundheit“ und die „Eingliederungshilfe“ (§§ 53 ff. SGB XII) insoweit rückgriffsfrei, als das Einkommen der unterhaltspflichtigen Person die 100.000-Euro-Grenze nicht übersteigt.

Der Gesetzgeber sollte sich allerdings noch einen Ruck geben: Die 100.000-Euro-Grenze ist im Jahr 2005 eingeführt worden. Wollte man auf die durch diese Grenze markierte Kaufkraft abstellen, wäre die Anhebung auf ca. 125.000 € angezeigt.

Noch besser wäre es freilich, der Gesetzgeber striche den Elternunterhalt vollständig. Kinder sind für ihre Eltern, deren Gesundheitszustand, Einkommens- und Vermögenslage nicht verantwortlich. Ob allein die genetische Beziehung zwischen Eltern und Kindern den Eingriff in deren Einkommen und Vermögen rechtfertigt, erscheint mehr als fragwürdig. Aber dafür wäre nicht das BMAS zuständig, sondern das BMJV.

Das könnte allerdings auch mit einer „kleineren Lösung“ als der Abschaffung des Aszendentenunterhalts auf den „fahrenden Zug“ aufspringen und § 1611 BGB geringfügig verändern. Nach § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Verwirkung des Unterhaltsanspruch die Sanktion für „schuldhaftes Fehlverhalten der unterhaltsberechtigten gegenüber der unterhaltspflichtigen Person. Was aber, wenn es an „Schuld“ und „Verhalten“ der unterhaltsberechtigten Person fehlt, weil diese psychisch krank war und das Kind deswegen stets in Pflegefamilien und Heimen aufgewachsen ist und keinerlei Kontakt zum Elternteil hatte. Oder was ist mit dem Kind des „One-Night-Stands“, das seinen ihm verheimlichten Vater nie gesehen, aber unterhaltsrechtlich für ihn einzustehen hat? Man könnte ganz einfach den Gedanken von § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB in einen neuen Absatz 2 schreiben:

Eine Verpflichtung, Unterhalt zu zahlen, besteht nicht, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

Absatz 1 beträfe dann die Fälle schuldhaften Verhaltens der unterhaltsberechtigten Person, Absatz 2 löste die Verwirkung aus der Sanktionsfunktion und fokussierte die Situation der unterhaltspflichtigen Person. Rechtsprechung und Verwaltungen wüssten mit einer solchen Öffnung gut und verantwortungsvoll umzugehen.

 

Gemeinsame elterliche Sorge um jeden Preis? (OLG Frankfurt v. 27.2.2019 – 8 UF 61/19, n.rkr.)

Um die elterliche Sorge wird in familiengerichtlichen Verfahren in zunehmender Häufigkeit und Intensität gestritten. Oft haben Elternteile dabei nicht einmal genaue Vorstellungen darüber, was von ihrem Begehren zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge bzw. der Abweisung eines solchen Antrags tatsächlich umfasst wird. Einschätzungen, die nicht selten auf vermeintlich guten Ratschlägen im Freundes- und Familienkreis beruhen, vermischen typischerweise nicht nur Fragen der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts, sondern sind in vielen Fällen einfach nur rechtlich falsch. Nicht immer können diese Fehlvorstellungen in einem anwaltlichen Beratungsgespräch geklärt und den Elternteilen verdeutlicht werden, dass auch unter Beibehaltung einer gemeinsamen Sorge, die einer Mitwirkung des jeweils anderen Elternteils vorbehaltenen notwendigen Entscheidungsbereiche sich bis zum Eintritt der Volljährigkeit eines Kindes auf eine an einer Hand abzählbare Häufigkeit reduzieren werden, unbeschadet ohnehin der Möglichkeit einer familiengerichtlichen Entscheidung nach § 1628 BGB, sollte partout kein Einvernehmen zu erzielen sein. Im gerichtlichen Verfahren wird ebenso zunehmend dem Sorgerechtsantrag eine mögliche Vollmachtserteilung entgegengehalten, auf die die Gerichte häufig mit einem „Vergleichszwang“ reagieren.

Das OLG Frankfurt hat sich aktuell mit der Frage einer Vollmachtserteilung befasst:

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die Eltern die gemeinsame Sorge durch Jugendamtsurkunde begründet. Der Mutter war in einem 2013 geführten Verfahren bereits das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung übertragen worden. Zwischen den Eltern, die nie einen gemeinsamen Haushalt unterhielten, bestand ein tiefgreifender Kommunikationskonflikt, der auch dazu führte, dass das Kind von der Existenz seines Vaters keine Kenntnis hatte. In einem weiteren Sorgerechtsverfahren wurde zugunsten der Mutter in einer gerichtlich protokollierten Vereinbarung seitens des Vaters eine „unwiderrufliche“ Vollmacht erteilt und von ihm 2017 eine weitere, nun öffentlich beglaubigte, Vollmacht erstellt. Mit dem Vortrag, die bestehende Vollmacht werde von Behörden und Vertragspartnern nicht vorbehaltlos akzeptiert, erstrebte die Mutter die alleinige Sorge, wobei das Ausgangsgericht ihrem Antrag stattgab.

Das OLG Frankfurt hat den Beschluss abgeändert und den Antrag der Mutter zurückgewiesen. Ihr Antrag beschränke sich darauf, ihr eine erleichterte Handhabung der Vertretung des Kindes im Rechtsverkehr zu ermöglichen. Das allein rechtfertige keinen Eingriff in das nach Art. 6 GG geschützte Sorgerecht des Vaters. Die erteilten Vollmachten seien als milderes Mittel im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten. Für den Senat sei maßgeblich, ob ein Widerruf der Vollmacht ernstlich im Raum stehe. In der gerichtlich protokollierten Vollmacht sei es den Eltern erkennbar darum gegangen, den Sorgerechtskonflikt dauerhaft zu lösen. Durch die Erneuerung der Vollmacht habe der Vater deutlich gemacht, dass er an der Vollmachtserteilung festhalten wolle.

Ob in einem Sorgerechtsverfahren eine Vollmachtserteilung Relevanz entfalten kann, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich bewertet, wobei auch danach zu unterscheiden ist, ob das Verhältnis der Eltern zueinander betroffen wird oder es letztlich um die rechtliche Ausgestaltung zwischen den Eltern einerseits und Dritten andererseits geht. Dieser Fall betrifft insbesondere Verfahren nach § 1666 BGB, in denen üblicherweise das Jugendamt Sorgerechtsvollmachten der Eltern oder eines Elternteils akzeptiert, da selbst im Fall des Widerrufs einer solchen Vollmacht dem Jugendamt weitere Mittel zur Verfügung stehen, um einen kurzfristigen Schutz des Kindes bis zu einer dann notwendigen familiengerichtlichen Entscheidung sicherzustellen.

Differenzierter zu bewerten ist die mögliche Vollmachtserteilung im Verhältnis von Elternteilen zueinander, d.h. ob einem Antrag auf Übertragung der alleinigen Sorge mit einer solchen Vollmachtserteilung erfolgreich begegnet werden kann. Hier muss grundlegend berücksichtigt werden, dass es für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge unabdingbare Voraussetzung ist, dass es zwischen den Eltern eine objektive Kooperationsfähigkeit und subjektive Kooperationsbereitschaft gibt, da nur auf dieser Grundlage die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl dienen kann. Eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der elterlichen Verantwortung erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und damit eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern. Eine Vollmacht kann daher bereits dem Grunde nach nur rechtliche Relevanz entfalten, wenn sie auf einer ausdrücklichen elterlichen Vereinbarung beruht.

Wurde bereits vor einem Sorgerechtsantrag dem betreuenden Elternteil eine umfassende Ermächtigung erteilt, so ist für eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge kein Raum, wenn es bis zur Verfahrenseinleitung zu keinen wesentlichen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern bezüglich der Sorgerechtsausübung kam.

Gegen die Entscheidung des OLG Frankfurt wurde Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt (Az. XII ZB 112/19). Die zu erwartende Entscheidung wird zu dieser in der Praxis kontrovers diskutierten Frage Klärung geben.

 

 

23. Deutscher Familiengerichtstag

Der 23. Deutsche Familiengerichtstag wird dieses Jahr vom 18. bis 21.9.2019 an ungewohnter Tagungsstätte im Phantasialand in Brühl stattfinden.

Dies soll der Ernsthaftigkeit der oft auf Zukunftsfragen konzentrierten Arbeit keinen Abbruch tun. Dies spiegelt sich bereits in dem Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Anne Sanders zu dem Thema „Woher – Wohin? Familien(recht) im Wandel“. An den nächsten Tagen folgen die Plenarvorträge „§ 1631b BGB in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ (Prof. Dr. Eva Möhler) sowie „Verwirkung im Familienrecht“ (Direktor des AG Andreas Frank). Zum Abschluss wird sich PD Dr. Martin Rettenberger mit den sehr aktuellen Problemen der „Risikoeinschätzung beim Kindesmissbrauch“ befassen, woran sich eine Plenardiskussion anschließt.

Auf die 24 Arbeitskreise wartet ein weit gefächertes Spektrum familienrechtlicher Themen, die sowohl aktuelle Fragen aus der Alltagspraxis betreffen als auch Entwicklungen in veränderten Familienstrukturen aufgreifen. Einen Schwerpunkt bildet wiederum das Unterhaltsrecht, bei dem u.a. die Bedeutung des konkreten Bedarfs, die Bewertung von Sachbezügen, der Eigenbedarf beim Ausbildungsunterhalt sowie der Betreuungsunterhalt für unverheiratete Eltern behandelt werden sollen. Auch sehr grundsätzliche Überlegungen zum Stellenwert der Düsseldorfer Tabelle und Fragen nach einer Vereinfachung des Unterhaltsrechts werden Gegenstand der Beratungen sein. Im Focus der Praxis steht immer wieder die Rolle von Kindern in familiären Konflikten. Die Themen reichen von Kindern in Patchworkfamilien, die Bedeutung von Kontinuität und Flexibilität bei Sorge und Umgang, die Zusammenarbeit beim Kinderschutz bis zu den Problemen einer Vernachlässigung von Kindern. Darüber hinaus gehören auch dieses Jahr zum Programm der Arbeitskreise wieder Fragen des Versorgungsausgleichs, des Güterrechts, des internationalen Rechts sowie verfahrensrechtliche Probleme. Weitere Informationen zu den Arbeitskreisen finden sich auf der Homepage des DFGT.

Der Deutsche Familiengerichtstag bietet ein interdisziplinäres Forum für alle mit dem Familienrecht befassten Professionen, um in den Arbeitskreisen zu diesen und weiteren Themen Empfehlungen an Rechtsprechung, Rechtsberatung und Gesetzgebung zu erarbeiten. Vollständiges Programm und Anmeldung unter www.dfgt.de, E‑Mail: info@dfgt.de oder Deutscher Familiengerichtstag e.V., c/o HS Bund, Willy-Brandt-Straße 1, 50321 Brühl; Tel.: 02232/929-9116; Fax: 02232/929-9011; Anmeldeschluss ist der 22.8.2019 (Eingang).

Elternunterhalt im Doppelpack (zu BGH v. 20.3.2019 – XII ZB 365/18, FamRB 2019, 212)

Wenn die Eltern beider zusammenlebenden Ehegatten unterhaltsbedürftig werden, stellt sich die Frage, ob die zeitlich zuerst entstehende Unterhaltspflicht gegenüber einem Elternteil aus dem Familienunterhalt zu begleichen, also vorab vom unterhaltspflichtigen Einkommen abzuziehen ist oder aber ob die Grundsätze der Berechnung des Elternunterhalts aus den Entscheidungen BGH v. 28.7.2010 – XII ZR 140/07, FamRZ 2010, 1535 = FamRB 2010, 295 und BGH v. 5.2.2014 – XII ZB 25/13, FamRZ 2014, 538 = FamRB 2014, 123 für die einzelnen unterhaltspflichtigen Kinder isoliert anzuwenden sind.

Der BGH entscheidet konsequent, dass die in der zitierten Entscheidung aufgestellten Berechnungsgrundsätze auch dann Anwendung finden, wenn beide Ehegatten ihren Eltern gegenüber unterhaltspflichtig sind.

Es ist nicht sehr überraschend, dass der BGH das Berechnungsschema zur Ermittlung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit gegenüber den Eltern nicht wechselt, wenn beide Ehegatten ihren jeweiligen Eltern gegenüber unterhaltspflichtig sind. Das Berechnungsmodell des BGH geht davon aus, dass der Familie ein individueller Selbstbehalt zu verbleiben hat, um ihren Lebensstandard zu sichern. Jenseits dessen bedarf es keiner zusätzlichen Einkommensreservation (vgl. schon Hauß, Elternunterhalt: Grundlagen und Strategien, 5. Aufl., Rz. 441).

Da die Berechnung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit von auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Kindern in der Praxis aufwendig ist, bedient man sich in der Praxis sinnvollerweise einer „Rechenhilfe“. Eine solche steht in einer einfachen Variante unter www.famrb.de/Materialien zur Verfügung und wurde nunmehr auch insoweit ergänzt, dass bei verheirateten Kindern die Leistungsfähigkeit beider Ehegatten angezeigt wird.

 

 

 

Der Verfahrensbeistand – ein Verfahrensbeteiligter zum Schutz des Kindes (OLG Brandenburg v. 30.1.2019 – 13 UF 1/19)

Bereits im Jahr 1998 hatte der Gesetzgeber die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers eingeführt, um auf diesem Weg dem Kind in einem gerichtlichen Verfahren der elterlichen Sorge oder des Umgangsrechts einen eigenen Interessenvertreter zur Seite zu stellen, in dem Bewusstsein, dass oftmals die Interessen der Eltern und jene des Kindes in diesen Verfahren divergieren können, aber auch, um dem Kind die gebotene Beteiligung am Verfahren zu gewährleisten, wie sie von Art. 12 Abs. 3 der UN- Kinderrechtskonvention gefordert wird. Die Tätigkeit der Verfahrenspfleger hatte sich in den folgenden Jahren positiv entwickelt und wurde von den Beteiligten als adäquates Mittel der Förderung kindeswohlspezifischer Belange erkannt. Im Zuge der Einführung des FamFG wurde daher die Bestellung eines „Anwalts des Kindes“ nicht nur beibehalten, sondern auch einer konkreteren gesetzlichen Regelung in § 158 FamFG – nun unter dem Begriff des Verfahrensbeistands – zugeführt. Rund 10 Jahre nach Inkrafttreten des FamFG zeigt sich jedoch, dass die grundsätzlich zu veranlassende Bestellung eines Verfahrensbeistands, selbst in einem der gesetzlich ausdrücklich normierten Regelbeispiele, längst noch nicht von allen Gerichten verinnerlicht ist. Das OLG Brandenburg hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit dieser Thematik befasst und dies zum Anlass genommen, das Ausgangsgericht auf die entsprechenden Obliegenheiten zu verweisen.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern sich Ende 2016 getrennt und die Betreuung ihrer 2013 geborenen Tochter seitdem in der Form eines Wechselmodells praktiziert. Anlässlich der geplanten Einschulung des Kindes konnte kein Einvernehmen über die künftig zu besuchende Schule erzielt werden, so dass die Eltern wechselseitig im Wege eines Eilverfahrens die Übertragung des Schulwahlrechts erstrebten, wobei im Fall der Übertragung auf die Mutter die Fortführung des Wechselmodells nicht mehr gewährleistet gewesen wäre, folgend aus einer praktisch dann zu veranlassenden täglichen Fahrtzeit von 4 Stunden von der Schule zur Mutter.

Das Ausgangsgericht hatte ohne Anhörung des Kindes und ohne Bestellung eines Verfahrensbeistands das Recht der Schulwahl der Mutter übertragen. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde des Vaters hat der Senat die Entscheidung aufgehoben und zurückverwiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat er dargelegt, dass auch in einem Eilverfahren grundsätzlich die Bestellung eines Verfahrensbeistands zu prüfen sei, was insbesondere dann gelte, wenn ein zuvor geregeltes Wechselmodell durch gerichtliche Entscheidung beendet und das Kind in die Obhut nur noch eines Elternteils gegeben werden solle. Werde im konkreten Fall das Schulwahlrecht auf die Mutter übertragen, so sei dadurch die Aufrechterhaltung des Wechselmodells nachhaltig gefährdet. Die Situation des Kindes sei derzeit aber durch ein bereits dauerhaft gelebtes Wechselmodell geprägt mit erheblichen Anhaltspunkten für eine gleichstarke Bindung des Kindes zu beiden Eltern. Die Aufhebung des Wechselmodells durch die zu treffende Eilentscheidung berge damit die Gefahr vermeidbarer Rupturen in dem Beziehungsgefüge des Kinde, das wiederherzustellen sei, wenn in der Hauptsache eine wechselmodellverträgliche Schulwahl dem Vater zugeordnet werde.

Ob in einer Kindschaftssache i.S.d. § 151 FamFG ein Verfahrensbeistand zu bestellen ist, beurteilt sich am Kindeswohl und damit an der Frage, ob es der Bestellung  zur Wahrung der Kindesinteressen bedarf. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn zu befürchten ist, dass die Elterninteressen zu denen des Kindes in Konflikt geraten können. Es genügt allein diese Möglichkeit, so dass es weder eines bereits bestehenden Interessengegensatzes bedarf noch dessen sicherer Vorhersehbarkeit. Erfordert damit die Wahrnehmung des Kindesinteresses die Bestellung eines Verfahrensbeistands, so reduziert sich entsprechend das tatrichterliche Ermessen.

Eine weitergehende Orientierungshilfe bieten die in § 158 Abs. 2 FamFG aufgelisteten Beispiele, bei deren Vorliegen dann auch in der Regel die Bestellung des Verfahrensbeistands erforderlich ist. Neben dem grundlegenden Interessengegensatz zwischen Eltern und Kind ist daher insbesondere in Verfahren nach § 1666 BGB, in Fällen der möglichen räumlichen Trennung des Kindes von seiner Obhutsperson, der Herausgabe des Kindes bzw. dessen Verbleibens und letztlich in Fällen der wesentlichen Umgangsbeschränkung die Bestellung eines Verfahrensbeistands zu veranlassen und zwar so früh wie möglich. Liegt eines dieser Regelbeispiele vor und möchte das Gericht gleichwohl von der Bestellung eines Verfahrensbeistands Abstand nehmen, so muss dies in der Endentscheidung ausdrücklich begründet werden. Hierbei obliegt es dem Gericht, sich nicht nur mit dem möglicherweise in Betracht kommenden Regelbeispiel auseinanderzusetzen, sondern auch dezidiert die Gründe darzulegen, aus denen folgend gleichwohl von der Bestellung Abstand genommen wurde.

Gerade auch mit Blick auf den für Kindschaftssachen geltenden Grundsatz des Vorrang- und Beschleunigungsgebots liegt es im Interesse der Verfahrensbeteiligten selbst zu prüfen, ob im jeweiligen Einzelfall die Bestellung eines Verfahrensbeistands angezeigt ist, um so zu verhindern, dass spätestens in der Beschwerdeinstanz eine Zurückverweisung erfolgt, da die mangelnde Bestellung einen wesentlichen Verfahrensverstoß darstellt. Ebenso sollte von den Gerichten auf eine fachliche Eignung des bestellten Verfahrensbeistands geachtet werden, um einem späteren Ablehnungsantrag entgegen zu wirken. Ggf. kann es angezeigt sein, den Beteiligten bereits frühzeitig – mit entsprechend kurzer Frist zur Stellungnahme – mitzuteilen, wer zum Verfahrensbeistand bestellt werden soll.

Der BGH ein Bollwerk gegen dispositive Elternschaft – zugleich einige Gedanken zu BGH v. 20.3.2019 – XII ZB 530/17

‚Das Sichere ist nicht sicher. So, wie es ist, bleibt es nicht‘ heißt es in einem Lied von Bertold Brecht, dessen Inhalt jeden Tag neu bestätigt wird. Das gilt auch für das Abstammungsrecht, dessen Kenner die Unwissenden unter uns mit der Frage nerven, wie viele Eltern denn nun ein Kind haben kann.[1] Das BGB in seiner jetzigen Fassung kennt nur eine Mutter und nur einen Vater. Bei diesem Zwei-Eltern-Prinzip soll es auch nach dem vom BMJV veröffentlichten Diskussionsentwurf zur Reform des Abstammungsrechts bleiben. Die Versuchung, der Reproduktionsfantasie der Medizin juristisch nachzugeben, ist groß, weil selbst im vereinten Europa kaum ein Land in seinem Abstammungsrecht mit einem anderen vergleichbar ist. Weil kulturelle, religiöse und geschichtliche Determinanzen vielfältig sind, ist es auch das Abstammungsrecht.

So ist es auch in dem vom BGH entschiedenen Fall. Differenzialgeschlechtliche Ehegatten lassen eine von der Ehefrau gespendete Eizelle vom ehemännlichen Samen befruchten und von einer ukrainischen Leihmutter austragen. So viel Technik macht einfache Lösungen schwierig. Der Ehemann hatte die Vaterschaft vor der Deutschen Botschaft in Kiew vorgeburtlich anerkannt, nachgeburtlich gab die Leihmutter die notariell beurkundete Erklärung ab, nicht genetisch mit dem Kind verwandt zu sein, woraufhin die deutschen Ehegatten als Eltern des Kindes in der Ukraine registriert wurden. Diese Beurkundung übernahm auch das deutsche Standesamt, das aber den Geburtsurkundeneintrag berichtigte, als es – fast zufällig – von der Leihmutterschaft erfuhr und diese als Mutter in die Geburtsurkunde eintrug.

Das – so der BGH – sei nicht zu beanstanden. § 1591 BGB bestimme eindeutig, dass als rechtliche Mutter die Frau zu gelten habe, die das Kind geboren habe, und da der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes wegen der intendierten nachgeburtlichen Rückkehr nach Deutschland nicht die Ukraine gewesen sei, sei ausschließlich deutsches Abstammungsrecht anzuwenden. Da der verheiratete Vater feststehe und die Wunschmutter mit diesem verheiratet sei, könne sie das Kind, dessen genetische Mutter sie sei, ja schließlich adoptieren.

Es ist gut, dass der BGH den klaren Normwortlaut des § 1591 BGB nicht mutterfreundlich interpretiert hat. Da ist nämlich nichts auszulegen, man könnte nur etwas ‚einlegen‘,[2] wenn man der Meinung wäre, der historische Gesetzgeber der Jahres 1900 habe die Reproduktionsmedizin nicht gekannt und ein weitgehend sanguinistisches Unterhalts- und Erbrecht weise auch dem Abstammungsrecht den richtigen Weg. Dann aber schwänge sich die Justiz zum Gesetzgeber auf und entließe diesen aus der Pflicht, ein den reproduktiven Möglichkeiten entsprechendes, mit europäischen Nachbarrechtsordnungen harmonisierendes Abstammungsrecht zu schaffen.

Schon heute haben wir weitgehend disponible Elternschaft, die durch Anerkennung, Heirat und Anfechtung hergestellt und aufgelöst werden kann. Das war aber schon immer so, weil der Hochadel die Adoption zur dynastischen Herrschaftssicherung benötigte und die eheliche Geburt nie ehemännliche Abstammung garantierte.

Die Möglichkeit einer nichtgenetischen Elternschaft wird auch im Diskussionsentwurf des BMJV erweitert. Darüber sollten wir allerdings nicht vergessen, dass Kinder genetische Eltern nicht nur zur Entstehung, sondern auch für ihr Wohlergehen brauchen. Darüber habe ich schon einmal im Anschluss an eine Herbsttagung in diesem Blog berichtet („Elternschaft und Reproduktionsmedizin“, 26.10.2016). Die Betreuungszeiten der Kinder durch leibliche Eltern sollten durch die Familienrechtler gesichert werden, wenn die Eltern sich darüber nicht einigen können.

In seinem Diskussionsentwurf zur Reform des Abstammungsrechts sollte der Gesetzgeber aber die sanguinistische sprachliche Differenzierung aufgeben. Auch die ‚Mit-Mutter‘ hat Elternpflichten und der ‚Mit-Vater‘ sollte gar nicht erst eingeführt werden. Das deutsche Wort der ‚Elternschaft‘ ist geschlechtsneutral, warm und treffend. Seine Implementierung im zukünftigen Gesetzestext machte diesen deutlich lesbarer.

[1] Es sind – ohne spätere Adoption – sechs: die Gebärmutter, die Wunschmutter, die Eispenderin, die Mitochondrienspenderin, der Samenspender und der Wunschvater.

[2] Vgl. B. Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat. Verfassung und Methoden, Mohr Siebeck, 2. Aufl. 2016.