Blick über den Zaun: Sperrzeit & Liebe (zu LSG Nds.-Bremen v. 12.12.2017 – L 7 AL 36/16)

Familienrecht wird nicht nur durch das Bundesverfassungsgericht und die Familiengerichtsbarkeit beeinflusst. Familienrecht ist überall und deshalb auch im Sozialrecht.

Lovestory:

Die 58-jährige F arbeitet mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden als Verkäuferin. Ihr Lebensgefährte, mit dem sie seit zwei Jahren zusammen und seit einem Jahr verlobt ist, wohnt 175 km von ihrem Wohnort entfernt. Aus diesem Grund verbringen die beiden lediglich Wochenenden, Freizeit und Urlaub gemeinsam und versorgen sich bei Krankheit wechselseitig. Um mit ihrem Partner zusammenzuleben, kündigt F ihren Arbeitsvertrag und zieht zu ihm. Zuvor hat sie sich intensiv am Wohnort ihres Freundes – wenn auch vergeblich – um Arbeit bemüht.

Verwaltungsstory:

Die Arbeitsverwaltung reagiert bürokratisch und verhängt gegen sie eine zwölfwöchige Sperrfrist nach § 159 SGB III, da die Begründung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kein „wichtiger Grund“ zur Kündigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses sei; ein solcher sei aber erforderlich, um von der zwölfwöchigen Sperrung des Arbeitslosengeldes abzusehen. Die Arbeitsverwaltung stellt sich auf den Standpunkt, ein Sperrzeitenschutz der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft bestehe erst, wenn ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen mit dem Lebenspartner gegeben sei, weil erst dadurch die Ernsthaftigkeit der Beziehung dokumentiert werde (BSG v. 17.10.2007 – B 11a/7a AL 52/06 R).

Gerichtsstory:

Das Sozialgericht Hannover und das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen folgen diesem moralischen Rigorismus nicht. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „wichtigen Grundes“ sei ausgehend von Sinn und Zweck der Vorschrift unter Beachtung der systematischen Einordnung im gesamten Gesetzeswerk inhaltlich auszufüllen. An erster Stelle des Abwägungsvorgangs müsse die Erkenntnis stehen, das die Sperrzeit weder eine Strafvorschrift noch ein Instrument zur Disziplinierung und Durchsetzung von gesellschaftlichen, religiösen oder moralischen Vorstellungen darstelle, sondern nur dem Schutz der Versichertengemeinschaft vor einer Manipulation des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit diene. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht mehr zeitgemäß, sondern zweifelhaft, die Anwendung der Sperrzeitvorschrift bei Arbeitsaufgabe wegen Umzugs bereits im Ansatz an einen familienrechtlichen Status anzuknüpfen. Als wichtige Gründe seien auch andere nicht statusabhängige Gründe anerkannt (gesundheitliche Gründe, Lage am Wohnungsmarkt, Schwangerschaft, Scheidung). Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die einen Zusammenzug Nichtverheirateter als sperrzeitvermeidenden wichtigen Grund nicht akzeptiere, habe sich überlebt. Die Förderung von Ehe und Familie können nicht mehr durch sozialrechtliche Diskriminierung anderer Lebensentwürfe erfolgen. Zwar habe das Bundessozialgericht entschieden, ein ‚wichtiger Grund‘, der ein Absehen von der Sperrfrist ermögliche, sei die Aufrechterhaltung einer verfestigten nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Diese Rechtsprechung sei jedoch nicht mehr zeitgemäß. Dem statusrechtlich bedeutsamen Verlöbnis sei kein sozialrechtliches Gewicht beizumessen. Entscheidend sei allein, ob die Partnerschaft nach außen erkennbar eine solche Dauerhaftigkeit und Kontinuität zeige, die von einem gegenseitigen Verantwortungsbewusstsein geprägt sei, dass diese in der Abwägung gegenüber den Interessen der Versichertengemeinschaft Vorrang genieße. Ein vorheriges gemeinsames Wohnen sei kein unerlässliches Kriterium.

Happy End:

Der auch im Familienrecht diskutierte Gedanke, die Förderung von Familie nicht an den Status der Ehe zu binden, beginnt auch im Sozialrecht Fuß zu fassen. Der Staat hat Lebensentwürfe seiner Bürger unabhängig von ihrem rechtlichen Status zu fördern und jegliche Diskriminierung zu unterlassen. Schließlich geht es um die Wahrung der persönlichen Bindungen der Bürger, völlig unabhängig davon, wie diese Bindungen und Beziehungen verrechtlicht sind. Wenn nichteheliche Lebensgemeinschaften niemandem schaden, können sie auch gefördert werden. Nur sollte man sie nicht übereifrig verrechtlichen. Viele Lebensgemeinschaften entstünden dann gar nicht erst.

Sondierungsergebnisse und Familienrecht

Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD sollten Familienrechtler aufhorchen lassen. Unter der Überschrift „Familie, Frauen und Kinder“ findet sich der Einleitungssatz: „Familien halten unsere Gesellschaft zusammen.“. Dieser Satz zeigt, dass die gesellschaftliche Entwicklung an den potentiellen Koalitionären nicht spurlos vorbeigegangen ist. Noch vor kurzem wäre die Ehe als Kit der Gesellschaft bezeichnet worden. Dass nunmehr die Familien in den Mittelpunkt gestellt werden, ist ein erfreulicher Schritt auf dem Weg der Entinstitutionalisierung der Ehe und hoffentlich auch des Familienrechts.

Es werden in dem 28-seitigen Sondierungspapier Maßnahmen angekündigt, die auch den familienrechtlichen Alltag von Anwältinnen und Anwälten verändern werden:

Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut:

Das Kindergeld als bewährte und wirksame familienpolitische Leistung werden wir in dieser Legislaturperiode pro Kind um 25 Euro pro Monat erhöhen – in zwei Teilschritten (zum 1.7.2019 um zehn Euro, zum 1.1.2021 um weitere 15 Euro). Gleichzeitig steigt der steuerliche Kinderfreibetrag entsprechend (S. 9).

Angesichts der Notwendigkeit der Erhöhung des Mindestunterhalts zum 1.1.2019 auf 406 € (Einkommensstufe 1) bewirkt die wenige Monate später in Kraft zu setzende Erhöhung des Kindergeldes lediglich eine Erhöhung der Belastung der barunterhaltspflichtigen Personen um zwei Euro (406 – 204/2). Dies ist begrüßenswert, weil dadurch die gesellschaftliche Verantwortung für Kinder betont und ein Schritt zur Bekämpfung der Kinderarmut gemacht wird.

 

Wir werden ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut schüren: Dazu wollen wir zur Entlastung einkommensschwacher Familien den Kinderzuschlag erhöhen. Gemeinsam mit dem Kindergeld soll der Mindestbedarf des sächlichen Existenzminimums (derzeit 399 €) gedeckt werden (S. 9).

Auch diese Absichtserklärung ist gegenüber der derzeitigen Situation ein Fortschritt, zumal er mit einer Entbürokratisierung der Leistungsbeantragung durch die entsprechenden Familien gekoppelt werden soll. Die Festschreibung des Mindestbedarfs auf das „Existenzminimum“ ist zwar nicht das, was man sich unter einer kinderfreundlichen Gesellschaft vorstellt, es würde aber die Familien entlasten.

 

Auch die Bedarfe für Bildung und Teilhabe werden wir verbessern, unter anderem sollen hierzu das Schulstarterpaket erhöht und die Eigenanteile zur gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen und für Schülerbeförderung entfallen (S. 9).

Wir werden einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter schaffen. Dabei werden wir auf Flexibilität achten, bedarfsgerecht Vorgehen und die Vielfalt der in den Ländern und Kommunen bestehenden Betreuungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendhilfe und die schulischen Angebote berücksichtigen (S. 10).

 Alle diese Vorhaben haben unterhaltsrechtliche Auswirkungen, weil sie die berufliche Integration der alleinerziehenden Eltern unterstützen und gleichzeitig strukturelle Bildungsdifferenzierungen verringern.

Maßnahmen im Versorgungsrecht:

Mit dem zweiten Kindererziehungsjahr in der Rente für Geburten vor 1992 haben wir einen ersten Schritt getan. Wir wollen die Gerechtigkeitslücke schließen: Mütter, die ihre Kinder vor 1992 auf die Welt gebracht haben, sollen künftig auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet bekommen. Wir wollen die Mütterrente II einführen. Das ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Altersarmut. Diese Verbesserungen bei der Mütterrente durch einen 3. Punkt sollen für Mütter gelten, die drei und mehr Kinder vor 1992 zur Welt gebracht haben (S. 13).

Was für die Rentenbezieher ein Segen ist, ist für Versorgungsausgleichsrechtler eine Pflicht. Da davon auszugehen ist, dass eine zukünftige Regierung (wann und in welcher Konstellation sie auch immer entsteht) hinter diese Absichtserklärung nicht zurückfällt, sollten die Familienrechtler Abänderungsverfahren im Versorgungsausgleich sorgfältig prüfen und in den Fällen, in denen das Abänderungspotenzial derzeit nicht groß genug ist (§ 225 FamFG), die Mandanten darauf hinweisen, dass spätestens nach Umsetzung dieses Vorhabens ausreichendes Abänderungspotenzial bestehen wird.

Maßnahmen im Elternunterhalt:

Auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern soll zukünftig erst ab einem Einkommen i.H.v. 100.000 Euro im Jahr zurückgegriffen werden (S. 15).

Dieses Vorhaben ist überfällig. Wenn auf das Einkommen von Kindern im Fall der Grundsicherungsgewährung erst ab einem Schwellwert von 100.000 € zurückgegriffen werden soll (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII), ist diese Grenze sinnvollerweise auch in § 94 Abs. 3 SGB XII zu verankern. Unterhaltsansprüche von Eltern gegen ihre Kinder sollten auf den Träger der Sozialhilfe nur dann übergehen, wenn die Kinder ein Einkommen ab 100.000 € haben. Ob der Grenzwert von 100.000 € noch zeitgemäß ist, ist dabei zu erörtern. Die 100.000 € Grenze wurde mit der Grundsicherung zum 1.1.2005 eingeführt. Wollte man diesen Wert mit der Entwicklung der Durchschnittsgehälter in Deutschland (Durchschnittsentgelt) dynamisieren, wäre die Grenze heute mit ca. 130.000 € zu bemessen. Immerhin wird allerdings diese Grenzanhebung dazu führen, dass eine Unterhaltsverpflichtung erst ab einem Nettoeinkommen i.H.v. 4.500 € eingreift. Damit wären nach der hier geführten Statistik aus ca. 2.000 Beratungsfällen etwa 78 % der betroffenen Kinder vom Elternunterhalt befreit. Anwaltskanzleien, die im Elternunterhalt stark vertreten sind, werden sich auf diese Änderung einstellen müssen, da die Initiative für diese Veränderung aus der CDU kommt und eine Regierungsbildung ohne CDU derzeit wohl kaum vorstellbar ist.

Bundesgerichtshof sorgt für kräftige Rentennachzahlung in der Zusatzversorgung

Rentner der Zusatzversorgung des öffentlichen oder kirchlichen Dienstes, die vor dem 1.10.2010 geschieden worden sind, können sich auf eine kräftige Rentennachzahlung freuen. Der Bundesgerichtshof hat am 10.1.2018 entschieden, dass die durch den Versorgungsausgleich verursachte Kürzung der Renten aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes über viele Jahre hinweg rechtswidrig zu hoch vorgenommen worden ist. Für die Rentner bedeutet dies, dass Sie eine Nachzahlung der unberechtigt einbehaltenen Rentenanteile einfordern können. Für die Zeit ab Januar 2015 sind diese Rückforderungsansprüche auch nicht verjährt.

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (BGH v. 10.1.2018 – IV ZR 262/16) hatte der Versorgungsträger die Rente des geschiedenen Mannes um 53 € gekürzt. Das sei zu viel, entschied der Bundesgerichtshof und verwarf damit gleichzeitig die entsprechende Satzungsbestimmung des Versorgungsträgers. Eine Kürzung von allenfalls 11 Euro sei berechtigt gewesen.

Für geschiedene Rentenbezieher aus der Zusatzversorgung des öffentlichen und kirchlichen Dienstes bedeutet diese Entscheidung ein erhebliches Neujahrsgeschenk. In nahezu allen Fällen ist die Rentenkürzung zwischen 50 und 80 % zu hoch ausgefallen.

Die Versorgungsträger werden den betroffenen Rentnern die vorenthaltenen Renten nicht freiwillig auszahlen. Der Anspruch muss vielmehr bei den Versorgungsträgern geltend gemacht werden.

Für die Betroffenen und die beratenden Anwälte ist die Geltendmachung des Anspruchs nicht ganz ungefährlich, weil der Versorgungsträger ein Abänderungsverfahren nach § 51 Abs. 3 VersAusglG einleiten und damit bewirken kann, dass der nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrecht durchgeführte Versorgungsausgleich den neuen Regelungen des Versorgungsausgleichsgesetzes unterworfen wird. Dies kann wegen der dann erfolgenden Realteilung auch Nachteile für den Rentner bergen. Solche Nachteile sind insbesondere zu beachten, wenn weitere betriebliche Anrechte auf seiten des Beziehers der ZVK-Versorgung bestehen oder auf der Gegenseite Anrechte aus der Beamtenversorgung in der Ehezeit erworben worden sind und die Ehezeit vor dem 1.1.2002 geendet hat. Aus Gründen anwaltlicher Vorsorglichkeit ist daher immer anhand des alten Scheidungsurteils eine mandantenbezogene Prognose für den Fall der Einleitung eines Abänderungsverfahrens nach § 51 Abs. 3 VersAusglG vorzunehmen.

Bis zur Umstellung der Rente auf das neue Recht steht den Rentnern allerdings der Anspruch auf den unberechtigt einbehaltenen Kürzungsbetrag zu. Für den nicht verjährten Forderungszeitraum von drei Jahren kann dieser Anspruch beim Versorgungsträger geltend gemacht und, falls dieser die Zahlung verweigert, bei Gericht eingeklagt werden.

Ob es sich für die Betroffenen überhaupt lohnt, können diese recht einfach feststellen:

  • Die Entscheidung über den Versorgungsausgleich muss beim Familiengericht vor dem 1.10.2010 ergangen sein.
  • In der Entscheidung ist der Ehezeitanteil der Zusatzversorgung angegeben, der mit Hilfe der Barwertverordnung (BarwertVO) in einen dynamisierten Ehezeitanteil umgerechnet worden ist. Die Hälfte der Differenz zwischen dem Ehezeitanteil und dem dynamisierten Ehezeitanteil ist die unberechtigt einbehaltene Rentenkürzung, die vom Versorgungsträger für die Zeit ab 2015 nachzuzahlen wäre.

Zeitpunkte

Hinweis der Redaktion: Lesen Sie zu dem Thema auch die Blog-Beiträge des Autors vom 6.6.2017 und vom 17.8.2016.

Die Wesentlichkeit im Versorgungsausgleich (zu BGH v. 8.11.2017 – XII ZB 105/16)

Thematisch passend hatte sich der Bundesgerichtshof in der Adventszeit mit der Wesentlichkeit beschäftigt. Wer aber unter dieser Überschrift Ausführungen des zwölften Zivilsenats zu der Frage „wer sind wir und wenn ja wie viele“ erwartet hat, wird enttäuscht: Es geht um die Frage, wann eine nachehezeitliche rechtliche oder tatsächliche Veränderung des Ausgleichswerts einer Versorgung so bedeutsam ist, dass sie die Durchbrechung des hehren Rechtskraftprinzips einer Versorgungsausgleichsentscheidung rechtfertigt.

Wer etwas über die Wesentlichkeit von Veränderungen im Versorgungsausgleich lernen möchte, dem sei die Quintessenz der Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 8.11.2017 – XII ZB 105/16 kurz erklärt: Bei Abänderungen von nach altem Versorgungsausgleichsrecht ergangenen Entscheidungen wird für Abänderungen von Anrechten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zur Bestimmung des absoluten Minimalwerts, der erreicht werden muss, um eine Abänderung zu rechtfertigen, auf die Abweichung der Rentenwerte der Alt- und Neuentscheidung abgestellt. 

Praktiker werden nun fragen, ob diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Wesentlichkeitsgrenze überschreitet. Sie seien beruhigt. Für den derzeitigen Hauptanwendungsfall von Abänderungen im Versorgungsausgleich wegen Veränderung der Kindererziehungszeiten für vor dem 1.1.1992 geborene Kinder ändert sich kaum etwas: Ist aus der Ehe nur ein vor dem 1.1.1992 geborenes Kind hervorgegangen, wurde auch schon bei einer Bestimmung der Grenzwerte auf Kapitalwertbasis nur selten die Wesentlichkeitsgrenze des § 225 Abs. 2 FamFG überschritten. Bei zwei Kindern wird diese Grenze immer überschritten. Die Abänderung kann allenfalls ausnahmsweise in diesen Fällen einmal daran scheitern, dass das Abänderungspotenzial keine 5 % erreicht.

Der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall ist atypisch, weil die beiden vor dem Stichtag 1992 geborenen Kinder nicht zu einer Erhöhung des Ehezeitanteils der Versorgung i.H.v. 2 Entgeltpunkten geführt haben. Es müssen also andere Faktoren noch zusätzlich eine Rolle gespielt haben. Nur in wenigen Zeiträumen führt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Kindererziehungszeiten nun zu einer Einschränkung der Abänderungsmöglichkeit. In der nachfolgenden Tabelle sind die Berechnungen für ein und zwei vor 1992 geborene Kinder durchgeführt. Die Farbe grün signalisiert Abänderungsmöglichkeit. Rot sind die Zeiten ausgewiesen, in denen aufgrund der Veränderung von Kindererziehungszeiten keine Abänderungsmöglichkeit besteht. Von 1978–2017 liegt damit lediglich in 14 Jahren eine Beschränkung der Abänderungsmöglichkeit vor.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs klärt die in der Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, worauf sich die Wesentlichkeitsgrenze bezieht. Diese Frage ist nun geklärt: Bei Altentscheidungen zum Versorgungsausgleich, die sich nach dem bis zum 30.9.2009 geltenden Recht richten, kommt es auf den Rentenwert, bei Entscheidungen nach neuem Recht auf den Kapitalwert an.

Gut, dass nun geklärt ist, wie sich die Wesentlichkeit in § 225 Abs. 3 FamFG bestimmt. Wir können uns nunmehr den anderen Wesentlichkeiten des Lebens und des Versorgungsausgleichs zuwenden.

Die Wesentlichkeit im Versorgungsausgleich

Verpflichtung zum Antrag auf Veranlagung in den Steuerklassen III und V zugunsten der Insolvenzgläubiger des Ehegatten?

Eheleute sind einander aus § 1353 BGB zur Solidarität verpflichtet. Dies bedeutet einfach gesagt, dass ein Ehegatte dem anderen verpflichtet ist, alle Handlungen vorzunehmen, die dem anderen nützen, wenn sie ihm selbst nicht schaden. In der Praxis spielt dieser Anspruch auf „eheliche Solidarität“ hauptsächlich in Steuerfragen eine Rolle, nämlich beispielsweise dann, wenn ein Ehegatte sich in der für ihn günstigeren Steuerklasse III veranlagen will, was nur möglich ist, wenn der andere Ehegatte zugleich die Veranlagung seines Einkommens in der für ihn ungünstigeren Steuerklasse V beantragt (§ 38b Abs. 1 Nr. 5 EStG). Eine Verpflichtung eines Ehegatten, diese Art der steuerlichen Veranlagung gemeinsam mit dem anderen zu beantragen, besteht nur, wenn sich hierdurch das Familieneinkommen insgesamt und damit auch der Unterhaltsanspruch des steuerlich benachteiligten Ehegatten erhöht, sein Nachteil also zumindest ausgeglichen wird. Dieses Prinzip ist einfach und unmittelbar einleuchtend. Für jeden, der auf dem Gebiet des Familienrechts tätig ist, handelt es sich daher auch um eine Selbstverständlichkeit.

 Grundlegendes Unverständnis bzgl. der Herkunft und des Sinnes des Anspruchs auf steuerliche Veranlagung in den Steuerklassen III und V herrscht allerdings – sehr zum Nachteil der meist ohnehin schon gebeutelten Insolvenzschuldner und ihrer Familien – offenbar bei den Insolvenzgerichten. Jedenfalls das Amtsgericht Kleve (AG Kleve v. 26.7.2107 – 38 IN 2/17) und leider auch das Landgericht Kleve (LG Kleve v. 26.10.2017 – 4 T 193/17) als Beschwerdeinstanz stellen das Prinzip der ehelichen Solidarität geradezu auf den Kopf, wenn sie den Ehegatten eines Privatinsolvenzschuldners sogar dann für verpflichtet halten, einer Veranlagung in den Steuerklassen III und V zuzustimmen, wenn es für beide Ehegatten ungünstig ist und das Familieneinkommen insgesamt hierdurch sinkt (!). Der Schuldner mag ja grundsätzlich den Gläubigern gegenüber verpflichtet sein, sich in der für die Gläubiger günstigsten Steuerklasse zu veranlagen, es kann aber doch offensichtlich keine Verpflichtung des Ehegatten des Schuldners bestehen, sich in der für ihn ungünstigsten Steuerklasse zu veranlagen, wenn dies ausschließlich den Gläubigern nützt. Woraus soll sich denn dieser Anspruch ergeben? Ein direkter Anspruch der Gläubiger gegen den Ehegatten des Schuldners scheidet – vermutlich sogar für die Insolvenzgerichte offensichtlich – aus. Aber auch ein Anspruch aus § 1353 BGB besteht nicht. Inwiefern soll es denn eheliche Solidarität darstellen, dafür zu sorgen, dass das in diesen Fällen meist ohnehin schon dürftige Familieneinkommen noch weiter sinkt?

Erstaunlicherweise berufen sich das Amtsgericht und das Landgericht Kleve für ihre interessante Rechtsauffassung auch noch auf die Rechtsprechung verschiedener Senate des Bundesgerichtshofs, wobei keiner der Senate des Bundesgerichtshofs derlei selbstredend jemals geäußert hat. Das Amtsgericht Kleve zitiert für seine Entscheidung die Beschlüsse des BGH v. 5.3.2009 – IX ZB 2/07, v. 3.7.2008 – IX ZB 65/07 und v. 4.10.2005 – VII ZB 26/05. Sämtliche dieser Beschlüsse beziehen sich aber auf die Verpflichtung eines Schuldners, von der für ihn und die Gläubiger ungünstigeren Steuerklasse V in die günstigere Steuerklasse IV zu wechseln. Ja, dieser Wechsel ist natürlich aber auch ohne Mitwirkung des Ehegatten möglich! Immerhin nimmt das Landgericht Kleve in seiner Beschwerdebegründung davon Abstand, die genannten Beschlüsse erneut zu zitieren, bezieht sich aber stattdessen auf eine Entscheidung des Familiensenats des Bundesgerichtshofs, nämlich auf ein Urteil vom 23.3.1983  (BGH v. 23.3.1983 – IVb ZR 369/81), die ebenfalls nicht das Geringste zur Sache tut. In dieser Entscheidung ist nämlich ausschließlich die o.g. bereits geschilderte Selbstverständlichkeit zu lesen, dass ein Ehegatte dem anderen helfen muss, solange es ihm selbst nicht schadet.  

Hinweis für die Praxis: Die Situation der Insolvenzschuldner und ihrer Familien ist bzgl. dieser Rechtsfrage einigermaßen katastrophal. Auch wenn die Rechtsprechung der Insolvenzgerichte noch so offensichtlich falsch ist, kann der Insolvenzschuldner sich gegen eine Entscheidung der 2. Instanz nicht wehren, wenn nicht die Rechtsbeschwerde zugelassen wird, denn noch nicht einmal eine Nichtzulassungsbeschwerde ist in diesen Fällen möglich. Außerdem besteht die Gefahr, dass dem Schuldner auch noch die Restschuldbefreiung versagt wird, wenn die Insolvenzgerichte irrigerweise der Auffassung sind, der Schuldner habe durch die „Wahl“ der Steuerklasse IV versucht, seine Gläubiger zu schädigen, obwohl schlicht der Ehegatte die Zustimmung zur Veranlagung in den Steuerklassen III und V verweigert hat (und das auch noch zu Recht). Es bleibt zu hoffen, dass die juristische Literatur zunehmend auf dieses Problem hinweist und die Insolvenzgerichte in Zukunft in derlei Fällen wenigstens die Rechtsbeschwerde zulassen.

Das Märchen vom „teuren Rentnerprivileg“ – Zur Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu den Auswirkungen der Abschaffung des Rentnerprivilegs

Die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags neigte sich schon dem Ende zu, als mehrere Abgeordnete und die Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN von der Bundesregierung wissen wollten, ob sich die Abschaffung des Rentnerprivilegs im neuen Versorgungsausgleich bewährt habe (BT-Drucks. 18/13470). Die Frage ist berechtigt, denn immerhin führt die Abschaffung des Rentnerprivilegs in laufenden Rentenbezugsfällen oftmals zur Halbierung der Renteneinkünfte der Betroffenen. Das löst für diese ernste soziale Probleme aus.

In ihrer Antwort (BT-Drucks. 18/13594) verteidigt die Bundesregierung die Abschaffung des Rentnerprivilegs mit einer Demagogie. Sie führt aus, dieses Privileg führe „zu Belastungen des Versorgungsträgers des Ausgleichspflichtigen, da trotz Durchführung des Versorgungsausgleichs zunächst in voller Höhe weiterhin an die privilegierten Ausgleichspflichtigen zu leisten war, später an den Ausgleichsberechtigten“.

Das Argument unberechtigter Kostenbelastung ist aber falsch. Das Rentnerprivileg steht nämlich zu Unrecht im Verdacht, die Versorgungsträger zu ruinieren. Dies macht folgende Kontrollüberlegung deutlich: Ein Versorgungsträger, der ein Rentenversprechen an einen verheirateten Versicherten gegeben hat, hat schlimmstenfalls (bei hohen Altersabstand der Eheleute) an den Versicherten die volle Altersrente und an seine Witwe über deren Restlebenserwartung die Hinterbliebenenversorgung zu zahlen. Diese beträgt im Regelfall 60 % der Altersrente des Versicherten. Schlimmstenfalls kommt also eine Leistungspflicht i.H.v. 160 % der Versorgungszusage auf den Versicherungsträger zu. Da der Altersabstand in der Regel aber nur 3–4 Jahre beträgt, liegt die tatsächliche Belastung deutlich darunter. Lässt sich nun unser Versicherter bei Erreichen der Regelaltersgrenze scheiden, würde der Versorgungsträger bei Fortgeltung des Rentnerprivilegs an den Versicherten 100 % des Ehezeitanteils der Versorgung zu zahlen haben und an seinen Ehegatten 50 %. Insgesamt also schlimmstenfalls 150 % des Versorgungsvolumens. Ohne Rentnerprivileg sieht die Sache für den Versorgungsträger noch schöner aus: Die Leistung an den Versicherten reduziert sich auf 50 % des Ehezeitanteils und an seinen Gatten schlimmstenfalls ebenfalls auf 50 %. Insgesamt zahlt der Versorgungsträger in diesen Fällen daher nur 100 %.

Noch deutlicher wird die Ungerechtigkeit des Wegfalls des Rentnerprivilegs in Invaliditätsfällen. Wer aus einer betrieblichen Altersversorgung wegen Invalidität eine Versorgung erhält, verliert in der Regel im Scheidungsfall die Hälfte dieser Versorgung. Nur in Ausnahmefällen kann dieser Versorgungsverlust über § 35 VersAusglG kompensiert werden. Der betriebliche Versorgungsträger indessen kann sich freuen: Er spart vom Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung 50 % der Versorgung, ohne dass er für die ausgleichsberechtigte Person äquivalente Vorsorge treffen müsste. Der Versorgungsausgleich wird so zum guten Geschäft.

Das oberflächlich so einleuchtend klingende Argument, dass Rentnerprivileg werde von der Versichertengemeinschaft finanziert, ist richtig. Jede Rente wird nämlich von der Versichertengemeinschaft finanziert. Die Beiträge der planwidrig Frühversterbenden finanzieren die Renten der planwidrig Spätversterbenden. Die entscheidende Frage ist, ob die Finanzierung einer Rente unzulässigerweise zum Nachteil der Versichertengemeinschaft geschieht. Dies ist indessen nicht der Fall, wenn der Versorgungsträger lediglich das von ihm bei Erteilung der Versorgungszusage übernommene Versorgungsrisiko trägt. Der Wegfall von Rentner- und Pensionistenprivileg ist nicht mit einer angeblich ungerechtfertigten Belastung der Versichertengemeinschaft zu rechtfertigen. Der Wegfall der Versorgungsprivilegien privilegiert die Versorgungsträger und schädigt die Rentenberechtigten.

In der Antwort der Bundesregierung verblüffen einige Tabellen, aus denen sich ergibt, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung über den Versorgungsausgleich mehr Renten mit höheren Ausgleichswerten begründet als ausgeglichen werden. Dies resultiert indessen aus dem Umstand, dass im Versorgungsausgleichsfall Versorgungen der Landes- und Kommunalbeamten in die gesetzliche Rentenversicherung ausgeglichen werden und in verstärktem Maße auch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, Betriebsrenten im Fall des externen Ausgleichs in die gesetzliche Rentenversicherung auszugleichen. Insoweit hat die Diskussion der letzten Jahre (s. z.B. zur „Qual der Wahl einer Zielversorgung“ Götsche, FamRB 2013, 151 und Hauß, FamRB 2013, 223) offenbar gefruchtet. Die gesetzliche Rentenversicherung wird als der derzeit wohl profitabelste, jedenfalls aber als der sicherste Versicherungszweig erkannt.

Übrigens: Für Soldaten wurde das Pensionistenprivileg auch schon wieder eingeführt (§ 55c SVG; s. dazu Hauß, FamRB 2015, 239) und einige Länder haben es für ihre Landesbeamten immer noch (Norpoth, FamRB 2014, 109).

Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN kam zu spät, um zum Ende der vergangenen Legislaturperiode noch legislative Aktivität auszulösen. Manchmal werden aber Märchen wahr und es wäre wahrhaft märchenhaft, würde der Gesetzgeber der Logik folgen und für alle Versorgungssysteme das Rentner-und Pensionistenprivileg wieder einführen. Weil es die Versorgungsträger nicht mehr kostet als die Fortsetzung der Ehe ihrer Versicherten, sollte man es nicht nur für die öffentlich-rechtlichen, sondern auch für alle privaten Versorgungsträger wieder einführen.

Es mag sein, dass die Versorgungsausgleichsrechtler noch lange argumentieren müssen, bis der Gesetzgeber die Ungerechtigkeit des Wegfalls von Rentner- und Pensionistenprivileg begreift. Diese beiden als „Privilegien“ denunzierten Korrektive zu reaktivieren, würde ein wirklich sinnvolles familienrechtliches Vorhaben in einer neuen Koalition sein. Bis zu seiner flächendeckenden Wiedereinführung bleibt uns Anwälten nur eins übrig: Laufende Versorgungen sollten aus dem Ausgleich ausgenommen und solche Verfahren verzögert werden. Ein paar Jahre sind da immer drin.

Änderungsbedarf der Unterhaltsleitlinien bzgl. der Abziehbarkeit von Tilgungsleistungen vom Wohnwert beim Ehegattenunterhalt?

Wenn ein Ehegatte nach Zustellung des Scheidungsantrags in einer Immobilie lebt, die in seinem Alleineigentum steht, wird für die Unterhaltsberechnung sein Einkommen um den objektiven Wohnwert (Kaltmietwert) dieser Immobilie erhöht, weil er keine Miete zahlen muss. Die zur Finanzierung der Immobilie aufgenommenen Darlehen sind nach den bisherigen Unterhaltsleitlinien der Oberlandesgerichte nur mit dem Zinsanteil der Monatsraten von dem unterhaltsrechtlichen Einkommen abziehbar. Der Tilgungsanteil soll hingegen nicht abziehbar sein. Dahinter steht der Gedanke, dass nicht ein Ehegatte auf Kosten des anderen Ehegatten Vermögen aufbauen können soll. Auf den ersten Blick überzeugt dieser Gedanke. 

Nach dem Beschluss des BGH v. 18.1.2017 – XII ZB 118/16, FamRZ 2017, 519 = FamRB 2017, 170 – werden die Oberlandesgerichte ihre Richtlinien an diesem Punkt allerdings wohl dennoch überdenken müssen. Zwar betraf die Entscheidung des BGH ausdrücklich nur den Elternunterhalt (in diesem Blog bereits genauer dargestellt und kommentiert am 1.3.2017 von Rechtsanwalt Jörn Hauß), sie enthält in Rz. 33 jedoch einen Gedanken, der offensichtlich ebenso für den Ehegattenunterhalt gilt: 

Es fehlt an einer Vermögensbildung auf Kosten des Unterhaltsberechtigten, wenn und soweit den Tilgungsanteilen ein einkommenserhöhender Wohnvorteil gegenübersteht. Denn ohne Zins- und Tilgungsleistungen gäbe es den Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete nicht. 

Das bedeutet: Soweit der eine Ehegatte unterhaltsrechtlich nicht schlechter steht, als wenn der andere zur Miete wohnen würde, können die Darlehensraten einschließlich Tilgungsanteil abgezogen werden. 

Dieser Gedanke ist so überzeugend und eindeutig richtig, dass die Oberlandesgerichte kaum darum herum kommen werden, die Leitlinien dahin gehend anzupassen, dass die Darlehensraten einschließlich Tilgungsanteil immer in Höhe des vollen Wohnwerts vom unterhaltsrechtlichen Einkommen abziehbar sind.  

Ähnlich äußerte sich auch bereits Dr. Johannes Norpoth, Richter am OLG Hamm, 10. Familiensenat, in der NZFam 2017, 303, 308, in seiner Anmerkung zu dem oben genannten Beschluss des BGH und auch der Vorsitzende Richter am BGH, Hans-Joachim Dose, äußert im Rahmen seiner Dozententätigkeit für Fachanwälte für Familienrecht ausdrücklich, dass es ihn nicht überraschen würde, wenn der BGH zum Ehegattenunterhalt entsprechend entscheiden würde. 

 

Ich muss wohl eine Riesenschildkröte sein

Wer sich im Rentenalter scheiden lässt, hat doppelt Pech. Nach bindender Bewilligung einer Altersrente kann der Ausgleichsbetrag aus einer betrieblichen Altersversorgung nicht mehr als Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet werden. Übrig bleibt – neben anderen privaten Versorgungen – nur die Versorgungsausgleichskasse. Für einen Ausgleichswert von 53.000 € gewährt diese eine lebenslange Garantierente i.H.v. 185,75 € monatlich. Das ist zwar immer noch mehr, als jede private sonstige Versorgung gewährt, aber doch reichlich wenig. Schaut man in die Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes, ergibt sich für einen 68 Jahre alten Mann des Baujahrs 1949 eine Restlebenserwartung von 16,79 Jahren. Da das Statistische Bundesamt seine Generationensterbetafeln jüngst aktualisiert hat, kann man davon ausgehen, dass diese Restlebenserwartung halbwegs realistisch ist. Die Versorgungsausgleichskasse müsste einen Rechnungszins von 0,9 % und damit nach der Versicherungsmathematik eine Versorgung i.H.v. monatlich 285 € garantieren. Sie gewährt allerdings ca. 100 € weniger. Bei dem derzeit niedrigen Zinssatz bedeutet dies, dass ich noch 27 Jahre leben müsste, um den Ausgleichswert rentenrechtlich zu verbrauchen. Man kann es auch anders ausdrücken: Der Ausgleichswert in der Versorgungsausgleichskasse wird mit einem Negativzins von ca. 3,6 % verrechnet.

Die Vorstellung ist grausam, da diese 27 Jahre die mittlere Lebenserwartung angeben. Ich würde also durchschnittlich 95 Jahre alt. Auch Riesenschildkröten haben eine mittlere Lebenserwartung von 95 Jahren. Ich werde mich bemühen, es schneller zu erledigen.

Für die versorgungsausgleichsrechtliche Praxis bedeutet dieses niederschmetternde Ergebnis, dass man insbesondere bei rentennahen Jahrgängen alle Register ziehen sollte, einen vernünftigen saldieren Vergleich im Versorgungsausgleich zu erreichen. Die Lebensversicherungsunternehmen bedienen sich zur Berechnung der Renten nämlich ganz offensichtlich der für Riesenschildkröten geltenden Sterbetafeln.

Umgang, auch wenn Oma gar nicht so lieb ist ? (BGH v. 12.7.2017 – XII ZB 350/16)

Nicht nur in den Fällen gescheiteter Beziehungen geraten Kinder häufig in den Strudel der elterlichen Auseinandersetzung. Auch im Verhältnis belasteter Beziehungen zwischen Eltern und Großeltern sind sie nicht selten „zwischen den Fronten“.

Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich der BGH in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt. Die 2006 und 2008 geborenen Kinder hatten bis etwa 2009 zu ihren Großeltern regelmäßigen Kontakt, der dann bis zum Jahr 2011 unterbrochen war. Die Wiederaufnahme der Kontakte erfolgte vor dem Hintergrund einer zwischen Eltern und Großeltern getroffenen Vereinbarung, wonach den Eltern – als Gegenleistung für die Einräumung der Kontakte – ein zinsloses Darlehen gewährt wurde. Nachdem die Großeltern sich im Sommer 2014 schriftlich an das Jugendamt wandten und dort Bedenken zur Erziehungseignung der Eltern erhoben, wurden die Umgangskontakte von den Eltern abgebrochen. Ein Umgangsrechtsantrag der Großeltern blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Auch der BGH gründete seine ablehnende Entscheidung darauf, dass vorliegend der Umgang der Kinder mit den Großeltern nicht dem Kindeswohl diene, da aus den erheblichen Zerwürfnissen zwischen Eltern und Großeltern keine positive Vermutung für die Kindeswohldienlichkeit der Kontakte hergeleitet werden könne. Zudem seien die Großeltern ersichtlich auch nicht bereit, den Erziehungsvorrang der Eltern zu respektieren, sondern stellten deren Erziehungskompetenz dadurch in Frage, dass sie sie der seelischen Misshandlung der Kinder in einem Schreiben an das Jugendamt bezichtigten.

In der Begründung des Entwurfs des KindRG vom 13.6.1996 verwies der Gesetzgeber erstmals darauf, dass in nicht seltenen Fällen Kinder überwiegend nicht von ihren Eltern, sondern von anderen Personen, insbesondere auch ihren Großeltern, betreut würden und sich hieraus folgend auch besondere Bindungen zwischen den Kindern und der Betreuungsperson entwickelten, deren plötzlicher Wegfall für das Kind schädlich sein könne (BT-Drucks. 13/4899, 47). Da bis zu diesem Zeitpunkt für Betreuungspersonen aber kein eigenständiges Umgangsrecht im Gesetz verankert war, sondern lediglich über eine zu vermeidende Kindeswohlgefährdung Umgangskontakte realisiert werden konnten, wurde im Zuge des 1998 in Kraft getretenen KindRG mit § 1685 Abs. 1 BGB Großeltern und Geschwistern des Kindes ein eigenständiges Umgangsrecht eröffnet.

In Abgrenzung zu den in § 1685 Abs. 2 BGB begünstigten Personen (sonstige enge Bezugspersonen des Kindes) müssen Großeltern und Geschwister, wenn sie ein Umgangsrecht geltend machen wollen, keine zu dem Kind bestehende sozial-familiäre Beziehung nachweisen können. Das Umgangsrecht von Großeltern und Geschwister beruht allein auf dem engen Verwandtschaftsgrad, d.h. auf der hieraus folgenden Annahme, dass sich Großeltern und Enkel regelmäßig nahestehen, zumindest jedoch der Aufbau einer persönlichen Beziehung zwischen beiden grundsätzlich im Interesse des Kindes steht. Vom Schutz des § 1685 Abs. 1 BGB umfasst sind allerdings auch nur die gesetzlichen Großeltern.

Das Umgangsrecht zwischen Großeltern und Enkel steht unter der grundlegenden Voraussetzung, dass es dem Kindeswohl dient. Hierzu führt § 1626 Abs. 3 BGB näher aus, dass zum Wohl des Kindes in der Regel der Umgang nicht nur mit beiden Elternteilen gehört, sondern gleiches auch für den Umgang mit anderen Personen gilt, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn deren Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist. Konkret bedeutet dies, dass entweder bereits bestehende Bindungen erhalten werden sollen – wenn dies der Kindesentwicklung förderlich ist – oder aber es sollen erst Bindungen hergestellt werden, so dass in diesem Fall deren Kindeswohldienlichkeit geprüft werden muss, wobei die umgangsbegehrenden Großeltern hierfür die Feststellungslast trifft.

Eine zu verneinende Kindeswohldienlichkeit haben die bislang veröffentlichten ober- und nun auch höchstrichterliche Entscheidungen dann angenommen, wenn die Umgangskontakte zwischen Enkel und Großeltern letztlich zu Loyalitätskonflikten der Kinder führten, sofern sie in bestehende massive Streitigkeiten auf Erwachsenenebene involviert wurden, oder aber dann, wenn Großeltern nicht bereit waren, den verfassungsrechtlich verankerten Erziehungsvorrang der Eltern zu respektieren, sei es indem sie während der Umgänge die Erziehung der Eltern konterkarierten oder sogar im äußersten Fall wie hier durch Information des Jugendamts auf einen – aus ihrer Sicht – inakzeptablen Erziehungsstil der Eltern verwiesen.

In der Praxisberatung sollte immer mit dem notwendigen Augenmaß und dem Blick auf die Besonderheiten des Einzelfalls das Umgangsrecht zwischen Enkel und Großeltern thematisiert werden. Nicht jede Unstimmigkeit zwischen Eltern und Großeltern muss zwingend einen Umgangskontakt der Großeltern aushebeln. Es bedarf jeweils der Prüfung, ob die Erwachsenen willens und in der Lage sind, ihre persönlichen Befindlichkeiten zurückzustellen und im Interesse, aber auch Recht des Kindes auf Kontakt mit allen Familienangehörigen, sich in der Regel ohnehin überflüssiger Kommentare und Äußerungen zu enthalten, um dem Kind einen unbelasteten Kontakt zu ermöglichen.

Die Kindergeldfalle (zu BFH v. 18.5.2017 – III R 11/15)

Trennen sich Eltern, ist die finanzielle Abwicklung der Trennung stets schwierig. Das gilt auch für das Kindergeld. Dessen Regelung ist – für viele immer noch überraschend – nicht im Kindergeldgesetz, sondern fast ausschließlich im Einkommensteuergesetz (§§ 62 ff. EStG) zu finden. Danach hat derjenige, der

  • ein leibliches Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
  • ein bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldetes Kind bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres oder
  • ein in der Berufsausbildung befindliches Kind bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres hat,

Anspruch auf Kindergeld.

Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Da nach dieser Regelung beide Eltern Anspruch auf Kindergeld hätten, bestimmt § 64 Abs. 2 S. 2 EStG, dass bei gemeinsamem Haushalt von Eltern und Kind die Eltern untereinander bestimmen, wer kindergeldberechtigt ist. Liegt eine solche Bestimmung nicht vor, bestimmt das Familiengericht auf Antrag den Berechtigten (§ 64 Abs. 2 S. 3 EStG). Besteht kein gemeinsamer Haushalt der Eltern mit dem Kind, steht das Kindergeld demjenigen Elternteil zu, in dessen es Haushalt aufgenommen ist.

Diese Regelungen sorgen im Fall von Trennungen stets für Probleme. Trennen sich die Eltern und verbleibt das Kind im Haushalt des Elternteils, der das Kindergeld nicht bekommt, einigen sich diese meist darauf, dass das Kindergeld an den betreuenden Elternteil ausgekehrt wird. Diese praktische und weitverbreitete Lösung führt jedoch, wenn es im weiteren Verlauf zwischen den Eltern zu Streitigkeiten kommt, oftmals zu nicht beabsichtigten Ergebnissen. Auch wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil dem Residenzelternteil das Kindergeld in vollem Umfang überwiesen und deshalb den Kindesunterhalt um die Hälfte des Kindergeldes vermindert hat, ändert dies nichts daran, dass ab Trennung die Kindergeldkasse das Kindergeld an den nichtberechtigten Elternteil gezahlt hat. Die Kindergeldkasse fordert dann vom Nichtberechtigten die Überzahlung des Kindergeldes zurück. Zwar kann der nicht berechtigte Elternteil vom anderen die Überzahlung wieder zurückverlangen, das setzt jedoch Leistungsfähigkeit des Residenzelternteils voraus. Dieser könnte z.B. mit der Entreicherungseinrede den Anspruch zu Fall bringen.

In dem vom BFH entschiedenen Fall unternahmen die Eltern nach einer 6-monatigen Trennung einen 2-monatigen Versöhnungsversuch und lebten in dieser Zeit zusammen. Der Vater, der von den Eltern während ihres ursprünglichen Zusammenlebens als Kindergeldberechtigter bezeichnet worden war, hatte während der gesamten Trennungszeit das Kindergeld stets an die Mutter überwiesen. Auch während der Zeit des Versöhnungsversuchs erhielt er das Kindergeld. Erst nachdem der Versöhnungsversuch scheiterte, beantragte die Kindesmutter die Auszahlung des Kindergeldes an sich. Der BFH entschied, dass die Bezugsberechtigtenbestimmung (welch ein Wort!) der Eltern durch deren Trennung und die Übersiedlung des Kindes ausschließlich in den Haushalt eines der beiden Elternteile erloschen und auch nicht durch den Versöhnungsversuch wieder aufgelebt sei. Die Kindergeldkasse könne also für den gesamten Trennungszeitraum einschließlich des Versöhnungsversuchs das gezahlte Kindergeld zurückfordern.

Familienrechtlich wirkt eine solche Entscheidung nicht sonderlich befriedend. Sie ist gleichwohl konsequent. Denn die Gesetzeslage lässt eine andere Lösung nicht zu.

Insgesamt wird man allerdings in einem modernen Familienrecht das Kindergeld neu zu regeln haben. Schon heute wird die Implementierung einer Unterhaltslösung im Fall beiderseitiger Betreuung eines Kindes durch die Eltern (vulgo Wechselmodell) durch die im Einkommensteuergesetz angesiedelte Vorschrift, dass nur einem Elternteil das Kindergeld zusteht, oftmals kompliziert und schwer durchschaubar. Darüber hinaus ist die Verortung des Kindergelds im Steuerrecht wenig sozial, führt sie doch bei Gutverdienern zu einer höheren staatlichen Bezuschussung ihrer Kinder als bei Niedrigverdienern. Der familienpolitische Sinn einer derartigen Regelung ist nicht erkennbar. Bedenklich ist auch, dass die gieskannenartige Auskehrung des Kindergeldes bislang keinen Beitrag zur Behebung der Kinderarmut geleistet hat. Auch dies sollte die Familienpolitiker nachdenklich stimmen und die Koalitionsverhandlungen hoffentlich befruchten.