Neues zur Vertretungsmacht von Ehegatten und zum Arztgeheimnis – § 1358 BGB soll wieder besetzt werden

Der Bundesrat (BR-Drucks. 505/16) hat eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die viele Bürger verwundern wird, weil sie das Anliegen des Bundesrates längst erfüllt wähnen: Ehegatten und Lebenspartner sollen im Fall krankheits- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigung der Handlungs- oder Willensentschließungsfreiheit füreinander handeln und entscheiden dürfen, soweit sie nicht getrennt leben.

Der Wortlaut von Absatz 1 der Norm soll wie folgt lauten:

§ 1358 BGB Beistand unter Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in der Fürsorge dienenden Angelegenheiten

(1) Soweit ein volljähriger Ehegatte auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung die nachgenannten Angelegenheiten nicht besorgen kann und weder einen entgegenstehenden Willen geäußert noch eine andere Person zur Wahrnehmung dieser Angelegenheiten bevollmächtigt hat und kein Betreuer bestellt ist, gilt sein volljähriger Ehegatte als bevollmächtigt,

  1. für den anderen Ehegatten gemäß § 630d Absatz 1 Satz 2 in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, in Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einzuwilligen oder die Einwilligung zu versagen sowie ärztliche Aufklärungen nach § 630e Absatz 4 entgegen zu nehmen,
  2. für den anderen Ehegatten Willenserklärungen in Bezug auf ärztliche Behandlungsverträge, Krankenhausverträge sowie sonstige Verträge abzugeben und entgegenzunehmen, die der medizinischen Versorgung, Pflege, Betreuung oder Rehabilitation dienen, und dessen Rechte gegenüber den Erbringern solcher Leistungen wahrzunehmen,
  3. über Maßnahmen nach § 1906 Absatz 4 in Verbindung mit Absatz 1 und 2 in Bezug auf den anderen Ehegatten zu entscheiden und deren betreuungsgerichtliche Genehmigung einzuholen,
  4. für den anderen Ehegatten Ansprüche, die diesem aus Anlass von Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder damit einhergehender Hilfebedürftigkeit zustehen, geltend zu machen und im rechtlich zulässigen Rahmen an Erbringer von medizinischen Leistungen, Pflege- oder Rehabilitationsleistungen abzutreten oder Zahlung an diese zu verlangen,
  5. zur Wahrnehmung der Angelegenheiten nach Nummer 1 bis 4 die Post des anderen Ehegatten entgegenzunehmen und zu öffnen.

Dies gilt nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben (§ 1567 Absatz 1).

Die Frage, wie das „Getrenntleben“ festzustellen ist, mag Schwierigkeiten auslösen. Das Gesetz knüpft an die Erklärung des Ehegatten oder Lebenspartners an, nicht getrennt zu leben. Das ist vielleicht auch ganz gut und praxisnah. Insbesondere erfüllt eine solche Regelung die Erwartung von Ehegatten und Lebenspartnern, auch „in schlechten Zeiten“ füreinander einstehen zu sollen und auch füreinander einstehen zu können. Einzelheiten sind sicher zu diskutieren – und es wird viel zu diskutieren sein –, aber praktischer wird es allemal.

Rechtswidrige Umsetzung von Versorgungsausgleichsentscheidungen

Wird eine Ehe geschieden, wird der Versorgungsausgleich durchgeführt. In einem Fall lautete der Tenor der Entscheidung – wie üblicherweise bei der internen Teilung: „Zu Lasten der Versorgung der <ausgleichspflichtigen Person> wird zugunsten der <ausgleichsberechtigten Person> ein Anrecht in Höhe einer Monatsrente von 582 € bezogen auf den 30.9.2000 nach Maßgabe von § 36a der Versorgungsordnung begründet.“ Wenn nun – wie hier – zwischen Ehezeitende und der Rechtskraft der Entscheidung 16 Jahre liegen, fragt sich, ob die Rentenleistung des Versorgungsträgers zwischen Ehezeitende und Rechtskraft der Entscheidung vom Versorgungsträger bei der ausgleichspflichtigen Person zurückgefordert werden kann.

Die Architektenversorgung Baden-Württemberg meinte „ja“ und kürzte die Versorgung des Versorgungsbeziehers über den im Rahmen des Versorgungsausgleichs entschiedenen Kürzungsbetrag von 582 € monatlich hinaus, um die angebliche „Überzahlung“ der Versorgung bis zur Rechtskraft der Entscheidung zu kompensieren, obwohl die ausgleichsberechtigte Person nicht einmal Leistungen aus der Versorgung erhalten hatte. Sie zog einen Kapitalwert von immerhin mehr als 13.000 € dem ausgleichspflichtigen Mitglied ab. Auch argumentenreicher Protest des betroffenen Architekten bewirkte kein Einlenken. Erst Klageerhebung vor dem Verwaltungsgericht (öffentlich rechtlicher berufsständischer Versorgungsträger) brachte die abrupte Wende – ein sofortiges Anerkenntnis der Forderung.

Zu Recht: Die Ausgangsentscheidung im Versorgungsausgleich wird nach § 224 FamFG „erst mit Rechtskraft wirksam“. Bis dahin zahlt also der Versorgungsträger an den Berechtigten und mit Rechtsgrund.

Der Versorgungsträger berief sich zur Begründung seines Gesinnungswandels auf die BGH-Entscheidung zum Kapitalverzehr durch Rentenbezug (BGH v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, FamRB 2016, 176, 178). Nichts ist verkehrter. Denn da der Versorgungsträger auf Rentenbasis teilt und der Ausgleichswert in einer Rente angegeben ist, spielt das Problem des Kapitalverzehrs keine Rolle.

Das Verhalten dieses Versorgungsträgers ist keine Einzelfehlleistung. Versorgungsträger entdecken den Versorgungsausgleich als Geschäftsmodell zur Sanierung ihrer durch die Niedrigzinspolitik gebeutelten Versorgungssysteme. Es ist Aufgabe der Anwaltschaft, die Umsetzung der Versorgungsausgleichsentscheidungen zu kontrollieren. Der Einfallsreichtum der Versorgungsträger, aus dem Versorgungsausgleich Kapital zu schlagen, ist groß. Es wäre gut, wenn die ausgleichsberechtigten Personen die Korrektheit der Umsetzung von Versorgungsausgleichsentscheidungen prüfen ließen und Fehler der Umsetzung meldeten. Vielleicht würde es sich sogar lohnen, ein Fehlerregister aufzubauen.

 

Elternwunsch gleich Kindeswohl? Vegane Ernährung eines Kleinkindes (OLG Frankfurt v. 4.2.2016 – 4 UF 274/15)

Kindschaftsverfahren werden regelmäßig hochemotional geführt. Häufig haben die beteiligten Eltern eine schmerzhafte Trennung hinter sich und sehen sich sodann auch noch mit der Auseinandersetzung zu der Frage konfrontiert, im Haushalt welchen Elternteils künftig das oder die gemeinsamen Kinder leben werden. Nicht immer gelingt es den Eltern, emotionale Betroffenheit auszuklammern und ihr Verhalten konsequent darauf zu richten, was aus objektiver Sicht dem Kindeswohl am besten entspricht. Bestimmte Haltungen zum Erziehungsstil oder der allgemeinen Lebensführung werden nicht selten in einer intakten Beziehung gerade nur wegen dieser Beziehung mitgetragen, so dass deren Ende häufig auch das Ende der Akzeptanz der Erziehungsvorstellungen des anderen Elternteils ist.

Die damit einhergehende Problematik potenziert sich, wenn ein Elternteil zu Fragen der Ernährung oder der Gesundheitsfürsorge im Allgemeinen Vorstellungen verfolgt, die bei objektiver Betrachtung Risiken für ein ihm anvertrautes Kind befürchten lassen. Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich das OLG Frankfurt in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt, in der es um die Frage der elterlichen Sorge ging vor dem Hintergrund einer streng veganen Ernährung eines Kleinkindes, die letztlich zu wiederholten kinderärztlichen Gefährdungsmeldungen u.a. wegen Wachstumsverzögerungen führte, bzw. einem Erziehungskonzept ohne erzieherische Vorgaben, sondern allein orientiert an den natürlichen Bedürfnisvorgaben des Kindes. In dieser Situation begehrte der Kindesvater, in dessen Obhut sich zum Zeitpunkt der Trennung das zweijährige Kind befand, das Recht der Gesundheitsfürsorge sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Gegenläufig verfolgte die Mutter mit ihrem Antrag die alleinige elterliche Sorge in ihrer Gesamtheit.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass bei bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge und nicht nur vorübergehender Trennung der Eltern die Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge oder deren Übertragung in ihrer Gesamtheit gem. § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB geltend gemacht werden kann. Steht bei nicht verheirateten Elternteilen die elterliche Sorge der Mutter nach § 1626a Abs. 3 BGB zu, so eröffnet § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB dem Vater die Möglichkeit zur Erlangung der alleinigen Sorge. In beiden Konstellationen bedarf es einer sog. großen Kindeswohlprüfung.

Im ersten Schritt erfolgt die Prüfung, ob die Aufhebung oder Nichtherstellung der gemeinsamen Sorge im Interesse des Kindes liegt, wobei nach geltender höchstrichterlicher Rechtsprechung es bezüglich der gemeinsamen Sorge keinen Vorrang gegenüber der Alleinsorge gibt. Entscheidend ist vielmehr, ob zwischen den Eltern eine tragfähige soziale Beziehung besteht, die ihnen die gemeinsame Ausübung der elterlichen Verantwortung ermöglicht. Es bedarf daher einer objektiven Kooperationsfähigkeit und einer subjektiven Kooperationswilligkeit, um im Interesse des Kindes regelungsbedürftige Fragen gemeinsam zu entscheiden.

Kann eine solche tragfähige Beziehung nicht festgestellt werden, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gerade auf den antragstellenden Elternteil sich als die dem Kindeswohl beste Entscheidung darstellt. Der unbestimmte Begriff des Kindeswohls wird dabei von mehreren Kriterien näher präzisiert. Ein wesentlicher Aspekt ist der Kontinuitätsgrundsatz, d.h. die Frage, welcher Elternteil auch künftig eine möglichst einheitliche, stabile und gleichmäßige Erziehung und Betreuung des Kindes wird gewährleisten können. Ebenso bedeutsam ist der Förderungsgrundsatz, d.h. inwieweit ein Elternteil aufgrund eigener pädagogischer Kompetenz dem Kind in seiner weiteren Entwicklung die notwendige Sicherheit und Orientierung geben kann. Hierbei spielt es eine Rolle, ob dieser Elternteil ein tragfähiges Erziehungskonzept hat, er als Betreuungsperson stabil und verlässlich ist und letztlich ihm auch eine Bindungstoleranz attestiert werden kann. Gerade der Bindungstoleranz kommt eine wesentliche Bedeutung zu, d.h. der Fähigkeit eines Elternteils, spannungsfreie Kontakte des Kindes mit dem jeweils anderen Elternteil nicht nur zuzulassen, sondern in eigener Person auch zu fördern. Ebenso bedeutsam sind die Bindungen des Kindes sowohl zu seinen Eltern als auch zu Geschwistern oder engen Bezugspersonen des sozialen Umfeldes. Letztlich darf auch der Kindeswille nicht außer Betracht bleiben, der mit zunehmendem Alter des Kindes auch Ausdruck einer sich verstärkenden Selbstbestimmung ist. Die vorab dargestellten Kriterien stehen nicht kumulativ nebeneinander. Sie sind jeweils einzelfallbezogen mit entsprechender Gewichtung zu prüfen, um die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung zu finden.

Im Fall des OLG Frankfurt hatte das Familiengericht dem Vater unter Zurückweisung des Antrags der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge zur alleinigen Ausübung übertragen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter blieb vor dem OLG ohne Erfolg, da die Bereitschaft, eigene Ernährungs- und Erziehungsvorstellungen den Bedürfnissen des Kindes anzupassen, bei der Mutter nicht vorhanden sei.

In der Praxisberatung sollte darauf geachtet werden, dass im Mittelpunkt jeder zu treffenden Entscheidung das Kindeswohl steht. Dieses muss nicht immer deckungsgleich sein mit den Wünschen und Vorstellungen eines Elternteils. Zu Beginn jeder Mandatierung sollte immer die umfassende Erörterung stehen, worauf sich das eigentliche Interesse eines Elternteils richtet. Dies muss nicht immer zwingend die formale Position einer Sorgerechtsinhaberschaft sein.

„Nehmen Sie das Kind einfach mit, wenn er bei der Arbeit ist“ – Ist dieser anwaltliche Ratschlag strafbar?

Wenn nach einer Trennung ein Elternteil die bisher gemeinsame Wohnung verlassen möchte, ist die erste Frage, die er an den Anwalt richtet, meist, ob er die gemeinsamen Kinder an den neuen Wohnort mitnehmen darf und ob er den anderen Elternteil vorher fragen muss.

1. Typischer anwaltlicher Ratschlag in der Praxis

In der Praxis lautet der anwaltliche Ratschlag erfahrungsgemäß sehr häufig, man solle das Kind einfach an den neuen Wohnort mitnehmen, wenn der andere Elternteil gerade nicht zu Hause ist. Dieser Ratschlag wird insbesondere dann erteilt, wenn der Elternteil, der ausziehen will, die Kinder bis dahin überwiegend betreut hat. Davon, den anderen Elternteil über dieses Vorhaben zu informieren, wird meist abgeraten, damit dieser sich nicht durch eine einstweilige Anordnung rechtzeitig zur Wehr setzen kann, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Ist der Auszug mit dem Kind oder den Kindern erst einmal vollzogen, dauert es häufig Wochen, bis endlich eine Gerichtsentscheidung bzgl. der Herausgabe des Kindes bzw. des Aufenthaltsbestimmungsrechts getroffen ist. Da die Entscheidung nicht nach dem Schuldprinzip, sondern ausschließlich in Orientierung am Wohl des Kindes gefällt wird, kann der übergangene Elternteil den Umzug seines Kindes, das sich möglicherweise schon am neuen Wohnort eingewöhnt hat, oft nicht mehr rückgängig machen.

2. Strafbarkeit dieses Ratschlags

Meines Erachtens ist ein solcher überraschender, heimlicher Umzug mit dem gemeinsamen Kind ohne Einverständnis des anderen Elternteils strafbar gemäß § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB, womit sich auch ein Anwalt, der einen solchen Ratschlag erteilt, wegen Anstiftung strafbar macht:

Der objektive Tatbestand der Vorschrift setzt voraus, dass einem Elternteil ein Kind mit Gewalt, Drohung oder List entzogen wird. Der Tatbestand der Entziehung ist bei gemeinsamer Sorge jedenfalls dann erfüllt, wenn ein Elternteil das Sorgerecht unter Ausschluss des anderen auf Dauer für sich in Anspruch nimmt. Dies ist in dem oben geschilderten Fall jedenfalls bzgl. des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Fall. Gewalt und Drohung liegen hier ersichtlich nicht vor, meines Erachtens ist hier aber das Tatbestandsmerkmal der „List“ regelmäßig zu bejahen. „List“ ist ein Verhalten, das darauf abzielt, unter geflissentlichem und geschicktem Verbergen der wahren Zwecke der Mittel die Ziele des Täters durchzusetzen. Dies ist nach herrschender Meinung bereits dann anzunehmen, wenn der Täter die Unkenntnis des anderen von seinem Vorhaben ausnutzt (siehe nur Wieck-Noodt in MünchKomm/StGB, § 234 Rz. 38). Wenn ein sorgeberechtigter Elternteil hinter dem Rücken des anderen einen Umzug plant, um dann überraschend auszuziehen, ist aber meines Erachtens genau dies der Fall.

Der subjektive Tatbestand ist bei entsprechender Planung ohne weiteres erfüllt. Auch von einem rechtfertigenden mutmaßlichen Einverständnis des anderen kann hier nicht ausgegangen werden, da der Elternteil, der das Kind überraschend und heimlich mitnimmt, ja gerade davon ausgeht, dass der andere Elternteil nicht einverstanden sein wird, da sonst diese Vorgehensweise nicht erforderlich wäre.

3. Praxishinweis

Wie über jede juristische Frage kann man sicherlich über die Strafbarkeit eines unangekündigten Umzugs mit einem gemeinsamen Kind streiten. Fest steht aber jedenfalls, dass kein Anwalt sich dazu hinreißen lassen sollte, einen entsprechenden Ratschlag zu erteilen, da hier die Annahme einer strafbaren Anstiftung zur Kindesentziehung jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt.

Ist der VKH-Prüfungstermin tot?

Mit zwei aktuellen Entscheidungen scheint sich die Rechtsprechung vom VKH-Prüfungstermin gem. § 118 Abs. 1 Satz 2 ZPO komplett verabschieden zu wollen:

Zum einen der BGH (Beschl. v. 12.7.2016 – VIII ZB 25/15, MDR 2016, 1108): Er weist richtigerweise darauf hin, dass ein Fall der entschuldigten Säumnis nur dann vorliegen kann, wenn die Säumnis ursächlich auf die Mittellosigkeit des betroffenen Beteiligten zurückzuführen ist. Im entschiedenen Fall hatte sich ein Kollege jedoch dazu hinreißen lassen, trotz fehlender Entscheidung über seinen VKH-Antrag (der sich in der Beschwerde beim OLG befand) die Sach- und Rechtslage zu erörtern. Wenngleich er am Ende der Sitzung keinen Antrag gestellt habe und somit säumig gewesen sei, habe er aber durch seine Beteiligung an der Erörterung bereits eine Terminsgebühr nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 3 VV-RVG, Nr. 3104 VV-RVG ausgelöst. Damit sei er ohne Rücksicht auf die Mittellosigkeit seines Mandanten tätig geworden, die damit nicht mehr ursächlich für die Säumnis gewesen sei, sodass auf den sprechenden Antrag der Gegenseite ein Versäumnisurteil hätte ergehen müssen. Danach darf im VKH-Erörterungstermin über alles geredet werden, nur nicht über die Sach- und Rechtslage und daher auch nicht über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung.

Zum anderen das OLG Koblenz (Beschl. v. 16.3.2016 – 11 UF 731/15, FamRZ 2016, 1386): Wegen einer noch ausstehenden Entscheidung über einen bereits eingereichten VKH-Antrag hatte die Anwältin des Betroffenen dem Gericht angekündigt, zum nächsten Termin nicht zu erscheinen. Nach wenngleich nicht unumstrittener Ansicht des OLG Koblenz hätte in diesem Fall keine Versäumnisentscheidung ergehen dürfen, vielmehr hätte der Termin nach § 337 ZPO vertagt werden müssen, weil die Säumnis durch die Mittellosigkeit des Antragstellers bedingt und somit entschuldigt war.

Welcher Anwalt mag jetzt überhaupt noch zum VKH-Prüfungstermin erscheinen? Weder kann sein Erscheinen erzwungen noch ein Ordnungsgeld für sein Nichterscheinen verhängt werden. Und in der Sache selbst kann – wie man sieht – auch nichts passieren!

Der Juristentag 2016 und die knifflige Elternfrage

Ich hatte schon im August auf die praktischen Herausforderungen der medizinisch attestierten Fortpflanzung für das Abstammungsrecht hingewiesen („Geburt und Tod als Herausforderungen des Familienrechts“). Auf dem Juristentag ging es darüber auch hoch her. Die familienrechtlichen Veranstaltungen waren bestbesucht. Nun wurden die zu dieser Frage ergangenen Beschlüsse des 71. DJT veröffentlicht.

Es war zu erwarten, dass die Diskussionsergebnisse die Stellung der Wunscheltern und insbesondere der Wunschväter stärken und den genetischen Vater schützen. 

Vater soll sein, wer mit Zustimmung der Mutter in die Befruchtung eingewilligt hat. Diese Einwilligung ist nur bis zur Befruchtung widerruflich und ansonsten nicht anfechtbar, weshalb sie formbedürftig sein soll.

Der Samenspender soll nicht als Vater eines Kindes gerichtlich festgestellt werden können, wenn die Samenspende aus einer Samenbank zur Verfügung gestellt wurde oder Mutter und genetischer Vater vor Zeugung des Kindes erklärt haben, dem genetischen Vater solle keine Elternposition zukommen. Nur bei der privaten Samenspende (sog. Becherspende) soll der genetische Vater als Vater gerichtlich festgestellt werden können, wenn dem Kind kein zweiter rechtlicher Elternteil zugeordnet werden kann.

Lesbischen Paaren soll die Möglichkeit eröffnet werden, bereits bei der Geburt eines Kindes durch die Partnerin Elternschaft zu erreichen. Dabei sollen die zur Vaterschaft entwickelten Grundsätze sinngemäß angewendet werden.

Leihmutterschaft soll im Inland nach den im Geburtsland geltenden Regeln anerkannt werden, die Stiefkindadoption soll in diesen Fällen erleichtert und weitere Wege zur schnellen Erlangung rechtlicher Elternschaft vorgesehen werden. 

Viele von uns werden sagen: Na endlich! Bis zur Umsetzung der Vorschläge durch den Gesetzgeber wird aber noch viel geduldige oder erregte Diskussionszeit vergehen. Was Familienpatchworker als selbstverständlich ansehen, löst bei Anhängern christlich abendländischen Reinheitsgebots und einem Teil ihrer muslimischen Glaubensbrüder Schnappatmung aus. Sie alle sind auch im Bundestag vertreten. Die familienrechtliche Diskussion sollte aber nicht als Völkerschlacht, sondern mit dem Ziel geführt werden, dem klerikalen Traditionalisten jedweder Provenienz seinen Familienentwurf ebenso leben zu lassen wie den Familienfachpatchworker. Solange die Interessen der Kinder geschützt werden, können volljährige Erwachsene leben, wie sie wollen. Die Rechtsordnung hat nur sicherzustellen, dass Kinder einen gesicherten und schützenden rechtlichen Rahmen haben. Den Weg dazu könnten die Beschlüsse des Juristentages gewiesen haben.

 

 

Ruhen der elterlichen Sorge oder doch Übertragung der Alleinsorge? (OLG Karlsruhe v. 28.4.2016 – 18 UF 265/15)

Im Zuge des KindRG, das seit dem 1.7.1998 Geltung besitzt, war es wesentliches gesetzgeberisches Anliegen, auch nicht miteinander verheirateten Eltern die Begründung der gemeinsamen Sorge zu ermöglichen. Gleichzeitig wurde bei verheirateten Eltern im Fall der Scheidung nicht mehr von Amts wegen im Verbund über die Sorge entschieden. Zur Herstellung der Alleinsorge bedurfte es nun vielmehr eines ausdrücklichen Antrags. In der Rechtsprechung wurde daher zunächst vielfach die Auffassung vertreten, dass zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge ein Regel-Ausnahme-Verhältnis geschaffen worden sei. Es bedurfte zum damaligen Zeitpunkt – wie auch aktuell im Zusammenhang mit § 1626a BGB – erst einer klarstellenden Entscheidung des BGH, dass es einen solchen Vorrang der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht gibt. Gleichwohl ist in der Praxis unverändert ein Antrag auf Übertragung der Alleinsorge an hohe Hürden geknüpft und wird nicht selten mit dem Argument ausgehebelt, dass es im konkreten Sachverhalt doch gerade keine akute Entscheidungsnotwendigkeit gebe, so dass es auch bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben könne.

Nicht nur im Fall der Inhaftierung eines Elternteils kann eine bestehende gemeinsame Sorge zu Handlungshemmnissen führen. Auch in zahlreichen gemischt-nationalen Ehen ergeben sich zunehmend Situationen, in denen ein Elternteil sich zeitweise oder längerfristig in seinem Heimatland aufhält und dort im Fall zu treffender Entscheidungen gerade nicht kurzfristig erreichbar ist, um in Entscheidungen einbezogen werden zu können, oder möglicherweise sogar ganz bewusst seine Erreichbarkeit verhindert. Mit einer sehr spezifischen Fallkonstellation hatte sich das OLG Karlsruhe in einer Entscheidung vom 28.4.2016 auseinander zu setzen: In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hielt sich der Vater des Kindes an nicht näher bekanntem Ort im Irak auf – erkennbar als Mitglied des IS. Der Antrag der Mutter auf Übertragung der Alleinsorge wurde erstinstanzlich zurückgewiesen, wobei das Familiengericht die Auffassung vertrat, dass es einer Sorgerechtsregelung nicht bedürfe, da die elterliche Sorge des Vaters ohnehin ruhe.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass das Ruhen der elterlichen Sorge in seiner Gesamtheit oder in Teilbereichen familiengerichtlich festgestellt wird, wenn ein Elternteil aus tatsächlichen (§ 1674 Abs. 1 BGB) bzw. aus rechtlichen Gründen (§ 1673 BGB) – etwa folgend aus einer Geschäftsunfähigkeit bzw. beschränkten Geschäftsfähigkeit – an der Sorgerechtsausübung gehindert ist oder aber er in die Adoption des Kindes eingewilligt hat (§ 1751 Abs. 1 Satz 1 BGB). Praktische Bedeutung hat die tatsächliche Verhinderung sowohl in den Fällen der Inhaftierung eines Elternteils – wobei sich diese aber nicht nur über einen kurzen Zeitraum erstrecken darf – aber auch dann, wenn ein Elternteil sich im Ausland aufhält und dort tatsächlich nicht erreichbar ist. Für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d.h. das Gericht muss jeweils prüfen, ob die Feststellung des Ruhens auf Teilbereiche der elterlichen Sorge begrenzt werden kann. Unabhängig davon, ob die elterliche Sorge in ihrer Gesamtheit oder lediglich in Teilbereichen ruht, bleibt gleichwohl der an der Ausübung der Sorge verhinderte Elternteil Inhaber des Rechts, so dass bei Wegfall des Verhinderungsgrundes sein Sorgerecht wieder auflebt.

Wird demgegenüber von einem Elternteil die Übertragung der Alleinsorge begehrt, so orientiert sich die im Rahmen der sog. großen Kindeswohlprüfung nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorzunehmende Abwägung an der Frage der objektiven Kooperationsfähigkeit und subjektiven Kooperationswilligkeit der Eltern. Sie setzt jeweils eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus, die es ihnen ermöglicht, ihre Elternverantwortung am Kindeswohl orientiert wahrzunehmen.

In der Praxisberatung sollte durchaus dem Mandanten verdeutlicht werden, dass die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge grundsätzlich im Interesse des Kindes liegt und auch im Rahmen einer bestehenden Partnerschaft unterschiedliche Auffassungen zur Erziehung letztlich im Gesprächswege einer Lösung zugeführt werden müssen. Gleichwohl bedeutet dies jedoch nicht – und dies wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung so auch nicht vorausgesetzt – dass bedingungslos an der gemeinsamen elterlichen Sorge festzuhalten ist. Wenn ein respektvoller Umgang der Eltern nicht mehr zu erwarten ist, steht dies auch der am Kindeswohl orientierten gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge entgegen. Hat sich ein im Ausland lebender Elternteil von der geltenden Rechtsordnung gelöst und stellt er im Fall seiner Rückkehr für das Kind und den jeweils anderen Elternteil eine Gefährdung dar, so ist kein Raum für das Ruhen der elterlichen Sorge.

Kann ein geschäftsunfähiger Demenzkranker sich scheiden lassen?

Rund 10 % aller Menschen über 65 in Deutschland sind aktuell an Demenz erkrankt. Aufgrund des zunehmenden Lebensalters der Bevölkerung wird dieser Prozentsatz vermutlich noch ganz erheblich ansteigen, da mit zunehmenden Alter auch die Wahrscheinlichkeit einer Demenzerkrankung steigt. Bei den über 85-Jährigen liegt der Anteil bereits bei knapp 1/3 der Bevölkerung. Fachanwälte für Familien- und Erbrecht sind daher immer häufiger mit Rechtsfragen bzw. Rechtsstreitigkeiten konfrontiert, die mit der aus der Erkrankung folgenden tatsächlichen und rechtlichen Hilflosigkeit der Betroffenen ergeben.

Der Kollege Rechtsanwalt Dr. Mathias Schäfer aus Limburg hat wohl aus diesem Grund bereits den hochinteressanten Aufsatz „Der Demenzkranke im Famlienrecht“ in der NZFam 2014, 676 ff., publiziert, mit dem er verschiedenste typische rechtliche Fragen, die sich an die Demenzerkrankung knüpfen, wie etwa ein mögliches Recht zum Umgang mit dem Betroffenen, anspricht. Hier soll nur der Frage nachgegangen werden, ob und ggf. unter welchen Umständen, ein geschäftsunfähiger Demenzkranker sich scheiden lassen kann.

1. Verfahrensrecht

Verfahrensrechtlich ist die Scheidung eines geschäftsunfähigen Demenzkranken zunächst einmal unproblematisch. Der Scheidungsantrag eines Geschäftsunfähigen ist in § 125 Abs. 2 FamFG ausdrücklich geregelt: Mit Genehmigung des Betreuungsgerichts kann der Scheidungsantrag von dem gesetzlichen Vertreter des Geschäftsunfähigen gestellt werden.

2. Scheidungsvoraussetzungen

Weniger klar ist allerdings, unter welchen Umständen man in diesen Fällen von einem Scheitern der Ehe i.S.d. § 1565 Abs. 1 BGB ausgehen kann, das bekanntlich Scheidungsvoraussetzung ist. Üblicherweise wird das Scheitern einer Ehe im Rechtssinne dann angenommen, wenn mindestens einer der beiden Ehegatten die eheliche Gemeinschaft endgültig nicht mehr herstellen will. Es kommt also ganz maßgeblich auf den Willen der Beteiligten bzgl. der Fortsetzung ihrer ehelichen Gemeinschaft an. Ein Geschäftsunfähiger ist aber nicht mehr in der Lage, die Bedeutung einer Trennung und Scheidung intellektuell zu erfassen, die für und gegen eine Trennung und Scheidung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen und entsprechend seiner Einsicht zu handeln. Ein „freier Wille“ bzgl. der Frage, ob er die Ehe fortsetzen will, liegt bei Geschäftsunfähigen also nicht mehr vor (die Definition des „freien Willens“ wurde hier an die Definition des BGH zu § 1896 Abs. 1a BGB angelehnt).

a) Natürlicher Wille des Betroffenen bzgl. der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Allerdings hat auch ein Geschäftsfähiger häufig noch lange einen sog. natürlichen Willen in dem Sinne, dass er gefühlsmäßig noch Zu- bzw. Abneigung zu seinem Ehepartner empfinden kann.

Solange ein geschäftsunfähiger Demenzkranker auf diese natürliche Weise noch Zuneigung zu seinem Ehepartner empfindet, kann seine Ehe nach der Rechtsprechung des BGH mangels Scheitern derselben nicht geschieden werden, es sei denn, dass der andere Ehegatte die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft ablehnt (BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 34/88, FamRZ 1989, 479; v. 7.11.2001 – XII ZR 247/00, FamRZ 2002, 316 = FamRB 2002, 97). Umgekehrt soll konsequenter Weise auch die natürliche Abneigung eines geschäftsunfähigen Demenzkranken gegen seinen Ehegatten ausreichen, um von einem Scheitern der Ehe auszugehen, auch wenn der andere Ehegatte die Scheidung ablehnt (OLG Hamm v. 16.8.2013 – II-3 UF 43/13, FamRZ 2013, 1889 mit Verweis auf die eben zitierten Entscheidungen des BGH).

B) Fehlen jeglichen Willens des Betroffenen bzgl. der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Es fragt sich also nur noch, ob und ggf. unter welchen Umständen die Ehe eines geschäftsunfähigen Demenzkranken geschieden werden kann, wenn er nicht mehr in der Lage ist, irgendeine Art von Willen zu entwickeln. Rechtsanwalt Dr. Schäfer (a.a.O.) meint, in diesen Fällen könne die Ehe nur geschieden werden, wenn der andere Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr fortführen wolle. Dies widerspricht jedoch meines Erachtens der Rechtsprechung des BGH, auf die er sich beruft, denn dort (BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 34/88, FamRZ 1989, 479) heißt es wörtlich:

„Wenn er nicht mehr das Bewußtsein besitzt, in einer Ehe zu leben, jedes Verständnis für die Ehe verloren hat und damit kein eheliches Empfinden mehr aufweist, so hat er einen äußersten Grad von Eheferne erreicht. Ein solcher Zustand jenseits des Zerrüttungsempfindens kann, zumal es auf den Grund für das Scheitern der Ehe nicht mehr ankommt, nicht geringer bewertet werden als der bewußte Verlust der ehelichen Gesinnung. Die Ehe eines geistig so schwer Geschädigten ist daher auf seinen Antrag scheidbar.“

Auch ein geschäftsunfähiger Demenzkranker, der nicht mehr in der Lage ist, einen natürlichen Willen im Hinblick auf den Fortbestand seiner Ehe zu entwickeln, kann also meines Erachtens auf seinen Antrag geschieden werden. Allerdings setzt dies natürlich gemäß § 125 Abs. 2 FamFG voraus, dass sowohl der Betreuer des Betroffenen als auch das Betreuungsgericht der Ansicht sind, dass die Scheidung im Interesse des Betroffenen liegt. Da persönliche Interessen des Demenzkranken hier (mangels noch vorhandenen natürlichen Willens) kaum noch eine Rolle spielen, müsste die Scheidung jedenfalls im wirtschaftlichen Interesse des Betroffenen liegen. Vorstellbar wäre etwa eine Scheidung mit dem Ziel, eine Unterhaltsverpflichtung zu beenden oder einen Zugewinnausgleichanspruch durchzusetzen, um aus dem gesparten bzw. gewonnen Geld die Pflegekosten zu decken. Die Genehmigung des Betreuungsgerichts mit dem Ziel zu beantragen, den Ehegatten von der gesetzlichen Erbfolge auszuschließen bzw. einen Erbvertrag oder eine gemeinschaftliches Testament aus dem Weg zu räumen, dürfte hingegen wenig Aussicht auf Erfolg haben, da es hier ausschließlich um die Interessen der Angehörigen, nicht aber die des Betroffenen selbst geht.

3. Praxistipp

Ähnlich wie bei Umgangs- und Sorgerechtsverfahren, bei denen um Kinder gestritten wird, hat man auch in Verfahren, in denen demente Menschen im Mittelpunkt stehen, meiner Erfahrung nach die besten Erfolgsaussichten, wenn man sich immer die Interessen des Betroffenen aus dessen Sicht vor Augen hält und aus dieser Warte heraus argumentiert. Jedenfalls in Betreuungsverfahren geht es nicht nur menschlich, sondern auch rein rechtlich betrachtet ausschließlich um die Interessen der Betroffenen und nicht um diejenigen ihrer Angehörigen.

Rentenkürzung der Zusatzversorgung in Versorgungsausgleich-Altfällen rechtswidrig

Wird eine Ehe geschieden, wird der Versorgungsausgleich durchgeführt. Nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrecht wurden die ehezeitlich erworbenen Anrechte in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes mit Hilfe der BarwertVO „dynamisiert“. So wurden aus 53,50 € ehezeitlicher auszugleichender Versorgung in einem vom LG Köln nunmehr entschiedenen Fall 11,11 €. Diesen Betrag hätte die Zusatzversorgungskasse der gesetzlichen Rentenversicherung zu erstatten gehabt, wenn es zu einem Rentenbezug der ausgleichsberechtigten Person gekommen wäre.

Tatsächlich verminderte die Zusatzversorgungskasse den Versorgungsbezug des nachehezeitlich im Alter von 45 Jahren invalide gewordenen Ehemannes um den nicht dynamisierten Ausgleichsbetrag von 53,50 €, obwohl die ausgleichsberechtigte Ehefrau noch gar keine Rente bezog. Die Einsparungen für den Versorgungsträger sind erheblich. Bis zum Altersrenteneintritt der 3,5 Jahre jüngeren Ehefrau des Versorgungsberechtigten hätte die Zusatzversorgungskasse für die Ehefrau keinerlei Zahlungen erbringen müssen und danach auch nicht die 53,50 €, sondern maximal ca. 20 €. Im konkreten Fall hätte der Verlust des Ehemannes über die gesamte Bezugszeit der Versorgung bis zu seinem Tod ca. 15.000 € betragen. Bedenkt man die geringe Versorgungshöhe von 53,50 €, ist dies ein erheblicher Betrag.

Das LG Köln (Urteil v. 17.8.2016 – 20 S 8/16) hat sich nun als erstes Zivilgericht einer Entscheidung des Oberschiedsgerichts der VBL in Karlsruhe v. 6.6.2012 – OS 51/10, FamRZ 2012, 1877 angeschlossen und für die Rheinische Zusatzversorgungskasse entschieden, dass die Kürzung der Versorgungsrente für die ausgleichspflichtige Person lediglich in Höhe des aktualisierten dynamisierten Ausgleichsbetrags erfolgen darf. Die Kürzung darf also nicht höher als der in der Versorgungsausgleichsbilanz des Scheidungsurteils bilanzierte Ehezeitanteil der Zusatzversorgung sein, der mit Hilfe der aktuellen Rentenwerte dynamisiert wird.

Im konkreten Fall war das Ehezeitende 2004. Der aktuelle Rentenwert betrug im Jahr 2004 26,13 €, im Jahr 2016 beträgt er 30,45 €. Der berechtigte Abzugsbetrag für das Jahr 2016 hätte sich dann wie folgt errechnet: 11,11 x 30,45 / 26,13 = 12,95 €. Tatsächlich wurden 53,50 € abgezogen!

Das LG Köln hat Revision zum BGH zugelassen.

Konsequenzen aus der Entscheidung:

Bevor die Betroffenen nun die Versorgungsträger anschreiben und die Erhöhung ihrer Rentenbezüge geltend machen, gilt es einiges zu bedenken:

  • Die Zusatzversorgungsträger können dieses Erhöhungsverlangen mit Anträgen auf Abänderung der Versorgungsausgleichsentscheidung beantworten. Dann erfolgt die Realteilung der Versorgung nach neuem Recht. Die Versorgung würde dann tatsächlich um den Nominalbetrag (im vorliegenden Fall 53,50 €) gekürzt.
  • Wenn der Versorgungsbezieher eine Versorgung von einem betrieblichen oder privaten Versorgungsträger bezieht, die ebenfalls mit der BarwertVO „gekürzt“ worden ist, kann ein solches Abänderungsverfahren für den Versorgungsbezieher zu einer Kürzung auch der anderen Bezugsrenten führen.
    • Im Rahmen eines Abänderungsverfahrens müssten die durch Kindererziehungszeiten für vor dem 1.1.1992 geborene Kinder erworbenen Anrechte mitausgeglichen werden und
    • könnten zwischenzeitliche Verschlechterungen der Beamtenversorgung ebenfalls versorgungsausgleichsrechtlich berücksichtigt werden.

Ob ein Antrag an den Versorgungsträger, die unberechtigte Rentenkürzung zu unterlassen, gestellt werden soll, bedarf folglich sorgfältiger Prüfung des Abänderungspotentials aller in den Versorgungsausgleich einbezogenen Versorgungen. Ratsam ist es, unter Hinweis auf die Entscheidung des LG Köln in geeigneten Fällen den Anspruch beim Versorgungsträger zunächst anzumelden und sich zugleich einverstanden zu erklären, bis zur Entscheidung des BGH über die Revision abzuwarten. Zwar kann man so den Versorgungsträger nicht verbindlich davon abhalten, ein Abänderungsverfahren einzuleiten; die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber gering, weil Abänderungsverfahren auch für die Versorgungsträger aufwändig sind.

Kenntnisreiche anwaltliche Beratung ist daher gefragt!

Geburt und Tod als Herausforderungen des Familienrechts

Der BGH hat aktuell entschieden, dass eine Patientenverfügung, in der die verfügende Person lediglich angibt, wenn aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, keine „für sich genommen hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung“ darstelle. Einer solchen Patientenverfügung komme insoweit keine bindende Wirkung zu (BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16).

Das Sterben ist unendlich mühsam und die Lebenden sollten sich lebzeitig gut beraten lassen, wie sie frei bestimmend ihr Geschick in vertraute Hände legen, wenn sie selbst ihren freien Willen nicht mehr äußern können. Die komatöse Frau in dem vom BGH entschiedenen Fall ging wohl davon aus, mit Ihrer Formulierung Klarheit geschaffen zu haben. Das Gericht entschied anders und verwies den Fall an das Landgericht zur weiteren Aufklärung zurück. Die Gerichte entscheiden nicht darüber, ob lebenserhaltende Maßnahmen beendet werden. Sie übertragen allenfalls die Entscheidungsbefugnis auf einen Betreuer, also eine dritte Person. Hat dieser aber seinen Entschluss über das weitere Vorgehen bereits dem Gericht offengelegt, verfügt dieses mit der Entscheidung über Leben und Tod des Patienten. Man kann daher den Anspruch der Richter auf Eindeutigkeit der Willenserklärung verstehen. Genauso kann man den Sterbenden verstehen, der meinte, sein Wunsch, lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen, sei unmissverständlich formuliert. Sterben ist eben einfach unendlich mühsam. Die Seniorenrechtler werden die Entscheidung des BGH lesen und viele Patientenverfügungen umformulieren müssen, damit ihnen auch gefolgt werden kann.

Auch die Geburt und ihre rechtliche Zuordnung fesselt die Familienrechtler. Auf dem Deutschen Juristentag (DJT) 2016, der vom 13. bis 16. September in Essen stattfinden wird, steht das Abstammungsrecht auf dem Prüfstand. Wer sich in die Möglichkeiten der medizinisch assistierten Zeugung und Geburt vertieft, erkennt auch hier, wie unendlich schwierig die Geburt für Juristen sein kann. Ein Kind kann sechs Elternteile haben: die Leihmutter, die Eispenderin, die Mitochondrienspenderin, den Samenspender und die beiden Wunscheltern. Kein Wunder, dass das Gesetz mit der rechtlichen Zuordnung Schwierigkeiten hat. In seinem Gutachten zum DJT hat Professor Dr. Tobias Helms mit großer Klarheit die juristische und ethische Dimension der Reproduktionsmedizin ausgelotet und Konsequenzen des Gesetzgebers gefordert. Das ist eine Sommerlektüre der besonderen Art: spannend, anregend und fortbildend.